Woher kommt es, dass einige Radler stets meinen, die Welt gehöre ihnen – nur ihnen?

20.08.2022 Aus Von Axel Schuller

Brandheißes Thema, an dem man sich in Bremen bloß eines kann: die Finger verbrennen – Radfahrer als Verkehrsteilnehmer. Und dennoch muss man darüber reden. Denn Radfahrer sind im Straßenverkehr extrem gefährdet – und gefährden häufig sich selbst. Die Unfallstatistik spricht Bände. Am Stern, an der Wilhelm-Kaisen-Brücke und am Brill. Immer wieder werden Radfahrer verletzt. Die Ursachen liegen Jahrzehnte zurück.


Zu den Fakten: Die Polizei hat im Jahr 2021 (wie sonst auch) penibel Buch geführt. Am und im Stern hat es 24 Unfälle mit Verletzten gegeben. 19 davon waren Radfahrer. Am Brill kamen 11 Radler zu Schaden. Und an der Ecke Wilhelm-Kaisen-Brücke/Osterstraße (das ist in der Neustadt) nahm die Polizei 14 Unfälle mit Verletzten auf, zwei der Beteiligten wurden sogar schwer verletzt. Und: Achtmal waren Radfahrer am Boden, mussten ins Krankenhaus gebracht werden.


Soweit die harten Fakten. Wären die Unfälle vermeidbar gewesen? Vermutlich alle. Kann man aber nicht mit Bestimmtheit sagen. Keiner von uns war dabei. Dennoch: Viele (alle) Unfälle, speziell zwischen Auto- und Radfahrern könnten verhindert werden, indem alle Beteiligten aufmerksam und mit allen Sinnen am jeweiligen Lenker wären. Und, ist leider so, wenn sich alle an die geltenden Vorschriften –  Verkehrsregeln genannt – hielten.


Ich weiß, klingt total spießig, ist aber so.

Liebe Leserinnen und Leser, zur Unterstreichung fasse ich an dieser Stelle einige WK-Leserbriefe sinngemäß zusammen. Beim Lesen der Zeitung dachte ich: Boah, das kann doch gar nicht sein. Und Bumms, zwei Tage später, habe ich es selbst erlebt. Dieses Mal in der Rolle als Autofahrer. Bevor jetzt irgendein Wildgewordener einen Shitstorm gegen mich in Gang setzt: In der Stadt fahre ich – wenn’s irgend geht – mit dem Fahrrad.


Also, einige Erlebnisse vom Stern. Da heizen einzelne Radfahrer zuweilen quer über den Stern; Fahrt in der falschen Richtung oder nebeneinander ist keine Seltenheit; Schilder werden nicht beachtet. WK-Leser und -Leserinnen forderten in Zuschriften, statt „unsinnigen Fahrradbrücken, Fahrradpremiumwegen  oder Fahrradstraßen“ das Geld lieber für einen Fahrrad-Tunnel unter dem Stern zu einzusetzen. Und häufig wird der Mangel an Kontrollen durch die Polizei kritisiert.


Ich weiß, viele Radfahrer fühlen sich selbst wie wahre Engel. Verkehrszeichen und Ampeln nehmen wir „italienisch“, beachten sie nur, wenn sie einem sinnvoll erscheinen. Nur, dann kommt plötzlich ein (schnelleres und vor allem stärkeres) Auto – mit Airbags, Gurten und anderen Sicherheits-Features. Und dann…


Woran liegt es bloß, dass Radler (ja, bin überzeugt: Auch in der Schar der Autofahrer befinden sich wahre „Wildsäue“) teilweise so sorglos durch die Gegend heizen. Eben ohne Airbag, Gurt, ABS, und häufig auch ohne Helm?


Eigentlich wollte ich jetzt den mir sehr gut bekannten „Verkehrs-Psychologen“ Lexa Relluhcs (ausgesprochen: Rellux) zu Wort kommen lassen. 🙂 Aber: Sie, liebe Leserinnen und Leser, würden mich ohnehin fix entlarven. Und „Relotius“ möchte ich nun wirklich nicht geheißen werden.


Also, wie lässt sich die teilweise brachiale Radler-Art erklären? Ich denke, es hat tatsächlich auch mit Psychologie zu tun. Es fing – etwa – Mitte der 80er Jahre an. Damals erlaubte die Politik (SPD-Alleinregierung) Radfahrern, gegen die Richtung zu fahren. Als erstes wurde die Wilhelm-Kaisen-Brücke dafür freigeben. Ich erinnere mich noch, wie man Polizisten ihre Bauchschmerzen angesichts dieser Sonder-Fahrrad-Regel im Gesicht ablesen konnte. Leider nahm die Polizeiführung diesen ersten politischen Sündenfall hin.

Der zweite folgte bereits wenig später. Nun durften die Radfahrer auch in Einbahnstraßen in beiden Richtungen fahren. Mir als einer der ersten Fälle dieser Neuregelung in Erinnerung geblieben: Die Lahnstraße in der Neustadt. Fuhr man mit dem Auto von einer Seitenstraße in die seit jeher Einbahn-Lahn-Straße, musste man plötzlich in beide Richtungen nach Autos und Zweirad-Fahrern spähen.

Ich erinnere noch: Meine Frau und ich haben unsere Kinder seinerzeit beschworen, auf der Wilhelm-Kaisen-Brücke und erst recht in Einbahnstraßen nicht gegen die Richtung zu radeln. Ach ja, Eltern…


Seit dieser Aufweichung der Verkehrsregeln für Radler haben  sich Selbstbewusstsein und Selbstverständnis von Radfahrern m/w/d  heftig geändert. Die meinen: Wir sind immer im Recht, Autofahrer gehören aus der Stadt vertrieben, etc. 

Das Selbstverständnis, als umweltfreundlicher Verkehrsteilnehmer eigentlich stets Vorfahrt zu haben, hat im Laufe der Jahre zu Verhaltens-Änderungen geführt.


Handzeichen beim Abbiegen – Luxus. Eine funktionierende Lichtanlage am Rad – muss doch nicht sein. Beachten von Ampeln -– die halten unnötig auf. Ja, ich gebe zu, es ist nervig, wenn du plötzlich halten musst, nur weil die „große Ampel“ rechts vom Radweg steht, also auch für Zweiräder gilt. 

Und am Schlimmsten: Mit einem Affenzahn kreuz und quer – auch über Fußwege – rasen. Das ist wirklich Härte 10

Als ich noch im Contrescarpe Center gearbeitet habe, ist es leider mehrfach passiert, dass Mitarbeiter beim Verlassen des Gebäudes von „Kampfradlern“ fast umgemäht wurden. Selbst wenn nix passiert ist. Der Schrecken saß denjenigen noch lange in den Knochen. Den Fußgängern!


Und die Moral von der Geschicht’? Ich schlage vor, da gehe bitte jeder m/w/d mal selbst mit sich „ins Gericht“. In Punkto für Radfahrer „überflüssige“ Ampeln tue ich das jetzt selbst


Munter bleiben!

Herzlichst 

Ihr Axel Schuller


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