Ist das Gitarrenspiel eines Bürgermeisters wichtiger als eine an Zielen orientierte Politik?

03.08.2025 8 Von Axel Schuller

Einige Bremer m/w klagen zuweilen darüber, dass d i e s e Bremer CDU es nie schaffen werde, die SPD mal in der Regierung abzulösen. Da mag etwas dran sein. Kaum eine Landes-Bevölkerung ist konservativer als die Bremer. Konservativ von conservare (Latein) wie halten/bewahren. Also: Am liebsten „Alles so lassen, wie es ist“. Aber: Einen Faktor sollte man nicht unterschätzen. Die Medien, speziell die Tageszeitung. Schaute man am Wochenende ins „Blatt“ (Print, online, newsletter), ließ sich ein Gedanke nicht ganz unterdrücken: Mutiert in Bremen die „vierte Gewalt“ (wie Journalisten ihre Rolle gerne selbst definieren) möglicherweise zur „vierten Kolonne“? 

Bevor geschichtsbeflissene Leser nun darauf hinweisen, dass es nie eine vierte, allenfalls eine sogenannte fünfte Kolonne gab (siehe Wiki & Co) – ja, weiß ich. Mir geht es um eine drohende Rollen-Verschiebung in Bremen.

Wie ich darauf komme, dass die Presse eine ihrer wichtigen Aufgaben, nämlich die der sogenannten vierten Gewalt (kritische Begleitung der Politik) – neben Parlament, Regierung und Gerichten – verlieren könnte?

Als erstes stach mir die Berichterstattung über die Bauruine des ehemaligen Aleco-Biomarktes in der Bismarckstraße ins Auge. Nach 6 (in Worten: sechs) Jahren ist man dort endlich soweit, den Supermarkt wieder herzurichten, statt wie jahrelang geplant auf einen neuen Aleco vier Stockwerke mit Wohnungen zu bauen. 

Die Folge: Jubel vom Tages-Blatt statt geharnischte Kritik, dass die Baubehörde den Bau dringend benötigter Wohnungen offenbar durch immer neue Einwände torpediert hat. Der Autor – Wäre er in der Pressestelle von Bausenatorin Özlem Ünsal vielleicht besser aufgehoben? – geht sogar noch weiter. Er lobt SPD, Grüne und Linke (die stellen die Regierung!) dafür, dass sie die Behörde jetzt per Anfrage zur Auskunft über andere Baubrachen befragen. 

Schon ein bisschen seltsam. Andernorts erkundigen sich  Regierungsparteien intern nach dem Stand einzelner Projekte, machen Druck, damit die eigenen Parteien nach außen nicht schlecht dastehen. Bei uns schreiben sie Anfragen… 

Noch ein Tipp für die eifrigen Baupolitiker der Bremer Regierungs-Abgeordneten: Fragen Sie doch bitte mal nach, wann auf dem Gelände des Handwerker- und Baumarktes Viohl in Borgfeld endlich der Neubau mehrerer Läden plus Wohnungen startet. Oder ob die Baubehörde dort genauso rumzickt wie in der Bismarckstraße.

Ungewöhnliche, weil regierungsfreundliche Kost servierte am Wochenende auch der neue Co-Chefredakteur Benjamin Piel in seinem Newsletter.

Piel hat sich darin die intelligente und angeblich kühle neue CDU-Fraktionsvorsitzende Wiebke Winter (29) vorgeknöpft. Die arbeite aktuell gegen ihr Image als „kalte“ Karrieristin an, indem sie im Tierheim mit Katzen kuschele und dort Steinböden schrubbe. Außerdem vorbereite sie auf „Instagram“ Bilder von ihrer Mitarbeit bei der „Bremer Tafel“. Nur schade, dass sie nicht bei der Essensausgabe an Bedürftige („Tafel“), sondern bei den „Bremer Suppenengeln“ war.

Piels Theorie: Winter wolle ihr Image mit ein paar sozialen Aktivitäten aufpolieren. Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte vergreife sich zwar manchmal im Ton (wie zu von der Leyens Verhandlung mit Trump), aber sonst sei der nahbarer. Notfalls greife der Regierungschef halt zur Gitarre.

Piel schreibt wörtlich:

„Von solchen immer mal wieder auftretenden (sprachlichen; meine Anmerkung) Aussetzern mal abgesehen, hat Bovenschulte eben etwas, das die strenge Arbeiterin Winter sich gerne erarbeiten würde, wenn man es sich denn nur erarbeiten könnte: menschliche Wärme, Zugewandtheit. Kurz: den oft entscheidenden Bürgermeister-Faktor. Den aber gibt es nicht gegen Leistung. Den hat jemand oder hat ihn nicht.“

Merkwürdig: Der Co-Chefredakteur verknüpft in seinem Newsletter zwar zu einem Link mit Bovenschultes Gesangseinlage, nicht jedoch zu Winters Tier-Kuschelei. Soll sich der gemeine Leser kein eigenes Bild machen?

Die Christdemokratin hat übrigens nicht nur das Tierheim und die Suppenengel besucht. Sie war auch bei der Polizei und hat sich bei der DLRG erkundigt. Im Programm ihrer „Sommertour“ stehen ferner noch Antrittsbesuche bei Flugsicherung, einer Fleischerei, im Klimahaus und in einem Pflegeheim

So wie das vermutlich jeder Polit-Profi macht, der eine neue Führungsrolle übernommen hat.

Viel interessanter als das joviale oder kühlere Auftreten eines Spitzenpolitikers m/w ist für mich (zugegeben: einen Kopfmenschen), ob Politiker sich in Koalitionen irgendwie durchlavieren oder auch mal standhaft sind und Grenzen aufzeigen. Ob sie feige oder mutig sind.

Auf diesem Feld ist aktuell kein Vergleich zwischen Bovenschulte und Winter möglich.

Ich bin gespannt, ob die Bremerinnen und Bremer auf Dauer echte Konservative (Bewahrer) bleiben wollen.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Liebe Leserschaft, ich fühle mich – wie Sie wissen – keiner Partei verpflichtet. Mein Journalistenleben lang habe ich mich an Inhalten nicht an Parteikürzeln orientiert. Aber: Piels Beschreibung, ja Stigmatisierung der Unionspolitikerin fand ich dann doch daneben. Diese Frau ist zweifelsohne auf dem Karrieretrip. (War das Bovenschulte nie?) Sie ist intelligent. Sie ist schlagfertig. Sie ist schnell. Sie tritt (wie ich höre) intern fordernd auf. Ja, sie ist Kopf-getrieben. (Was ist denn der Jurist Bovenschulte?) Und, das wirkt vermutlich am meisten befremdlich: Sie ist mit erst 29 Jahren sehr jung, um sie sich als Regierungschefin vorzustellen. Die mit dem neuen Job verbundene Verantwortung und die Routine wird diese jugendliche Ausstrahlung vermutlich automatisch etwas abschleifen. Zu guter Letzt: Diese neue CDU-Kraft ist übrigens – wie jeder Mensch – nicht unfehlbar. Als sie, eine Mitbegründerin der CDU-Klima-Union vor drei Jahren nach dem Sauerstoffgehalt der Luft gefragt wurde, geriet sie ins Straucheln. Die Folge: Heutzutage bereitet sie sich gründlicher auf öffentliche Termin vor.