Bürgermeister tummelt sich gedanklich gern außerhalb, statt Bremer Probleme zu lösen
Ein alter Freund aus Hessen schrieb mir kürzlich: „Wow, euer Bürgermeister ist ja wohl andauernd auf Sendung.“ „Stimmt“, antwortete ich, „er tummelt sich gerne außerhalb Bremens. Vermutlich, um das heimische Elend auszublenden.“
Haben Sie, liebe Leserschaft, es eigentlich bemerkt? Ich schreibe den Namen stets aus, verkneife mir das joviale „Bovi“, das zuweilen selbst Oppositionellen über die Lippen kommt. Sogar der eine oder andere aus der Wirtschaft nutzt den liebevoll klingenden Begriff. Journalisten sowieso.
Wenn „Bovi“ denn für „Bremens oberster visionärer Ideengeber“ oder Ähnliches stünde – dann könnte ich mich damit womöglich anfreunden. Na ja, vielleicht. 🙂
Der Hinweis meines aufmerksamen Freundes ist korrekt. Andreas Bovenschulte hat schon fast ein „Abo“ beim Deutschlandfunk. Selbst in der „Tagesschau“ ist er kürzlich mit einer Kritik an Bayerns Söder („kein Bürgergeld für Ukrainer“) aufgetreten.
An dieser Stelle mal eine Anerkennung für seinen Sprecher Christian Dohle, früher Radio Bremen und offenbar so gut in der ARD vernetzt, der er seinen Boss überregional bestens „vermarkten“ kann.
Bovenschulte gilt in außerbremischen Sendeanstalten als „sichere Bank“. Da kann man als Journalist selbst frühmorgens um eine Stellungnahme zu „dütt und dat“ bitten – und kriegt meist nicht nur eine stotter- und Äh-freie Antwort, die als Interview und dann den halben Tag über als Nachrichten-Schnipsel dudeln kann. Sondern eben auch Sätze, die bundesweit, sagen wir mal, durchaus aus dem Rahmen fallen.
Bovenschulte hat es insbesondere den Nachrichtenleuten im Deutschlandfunk angetan. Dort legte er jüngst dar, dass das deutsche Rentensystem entgegen der Äußerung vieler Experten stabil sei. Obwohl immer weniger Beitragszahler für mehr Rentner aufkämen, bestehe dennoch keine Gefahr fürs System – Voraussetzung: die Wirtschaft wachse. Blöd nur, dass die deutsche Politik in den vergangenen Ampel-Jahren mit dafür gesorgt hat, dass unser Land mittlerweile für Schrumpfen und nicht mehr für Wachstum steht. Wie hieß gerade noch mal dieser famose Wirtschaftsminister?
Den Gedanken, rein statistisch hätten sich die Rentenkosten gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit Jahrzehnten nicht erhöht, platzierte Bovenschulte auch in den Sozialen Netzwerken wie LinkedIn. Sie müssen wissen: Bovenschulte liebt Statistiken. Zum Beispiel die über den Anteil der Rentenausgaben am BIP.
Unternehmer wie Ex-Handelskammerpräses Christoph Weiss (Chef der Bremer Goldschlägerei BEGO) und andere geben ihm dann häufig Statistik-Nachhilfe. Während der Bürgermeister meint, die Produktivitätsgewinne der Wirtschaft könnten komplett fürs Rentensystem genutzt werden, hält (beispielsweise) Weiss dagegen:
„Sie machen einen großen Denkfehler, weil Sie mit dem BIP argumentieren. Was das für den Einzelnen bedeutet, blenden Sie komplett aus. Wenn der Kuchen nicht größer wird, bekommen die Rentner ein größeres Stück auf Kosten von immer weniger Beitragszahlern. Ist das die sozialdemokratische Generationen-Gerechtigkeit?“
Gefühlt beinahe täglich zitiert der Bremer Bürgermeister Statistiken aller Art in Sozialen Netzen und interpretiert diese stets mit Blick durch die linkeste Brille, nach der er greifen kann. Mein Tipp: Melden Sie sich kostenfrei bei LinkedIn an, und verfolgen Sie dort manch wunderliche Äußerung des Bremer Bürgermeisters. Wie zum Beispiel jene über die Bevölkerungsentwicklung, die ich bereits am 25.6.2025 im Bog aufgespießt hatte („Blankes Entsetzen über Bovenschultes Wochenend-Aktivitäten“)
Wenn ich des Bürgermeisters gedankliche Ausflüge in die Bundespolitik und seine immer gleiche ideologische Deutung von Fakten sehe, frage ich mich stets: Was beabsichtigt er damit? Wo will er hin? Wo könnte ihm seine in der Wählergunst ja weiter trudelnde Bundes-SPD eine Job-Chance aufmachen?
Extrem merkwürdig: Zu Bremer Themen, für die er originär zuständig, weil gewählt ist, hört und liest man so gut wie nix.
Liebe Leserschaft, ich will Sie wirklich nicht langweilen, aber die Liste der existenziellen Themen – für die sich ein Regierungschef nach meinem Empfinden zu kümmern hat – wird leider länger und nicht kürzer.
Finanzen, Selbstständigkeit des Landes, bayrischer Angriff auf den für Bremen überlebenswichtigen Länderfinanzausgleich, Bildung, GeNo, Kriminalität, Wohnungsbau, Zustand von Brücken, Straßen und Radwegen und so weiter und so fort – es brennt an vielen Ecken in diesem Ländchen. Zu allem Überfluss tanzen ihm seine Wunsch-Koalitionäre Grüne und Linke gerne auf der Nase herum.
Zu bestaunen ist aktuell übrigens auch ein Novum: Der Bremer Senat blockiert den aus dem Ruder laufenden Haushalt der Stadt Bremerhaven. Klar, da kann man sagen: Richtig so. Aber: Muss das auf offener Bühne stattfinden? Immerhin gehören der Präsident des Senats und der Oberbürgermeister der Seestadt (Melf Grantz) derselben Partei an. Reden die nicht mehr miteinander? Was geschieht da gerade zwischen den beiden Teilen des Mini-Bundeslandes? Früher hätte man solche Probleme vermutlich rechtzeitig besprochen und gelöst.
Aber auch dazu ist von Bovenschulte nix zu hören. Zur Erinnerung: Er ist Ministerpräsident des Landes Bremen, bestehend aus den Städten Bremen und Bremerhaven.
Zum Schluss will ich heute gleichwohl einen Vorab-Geburtstagsgruß an die Adresse von Dr. Andreas Bovenschulte (einen Tag vor seinem 60.) formulieren: Persönlich wünsche ich Ihnen viel Glück, Gesundheit und Freude am Leben. Politisch erwarte (vermutlich nicht nur) ich von Ihnen endlich Führungsstärke und Entscheidungsstärke.
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
P.S.: Liebe Leserschaft, schauen Sie sich unbedingt die Kommentare zum vorigen Stück über den Bremer CSD-Verein an; könnte sich übrigens auch für den Rechnungshof lohnen.
Ich bin ebenfalls ein Freund von Statistiken. Und das ist auch bitter nötig in Zeiten, in denen alles Mögliche faktenfrei erzählt wird. Von daher freue ich mich, dass auch unser Bürgermeister ein Faible dafür hat.
Die Kritik an dem Beispiel Renten zeigt allerdings, dass auf Leserseite ein gewisses Grundverständnis gegeben sein muss. Einerseits Andreas Bovenschulte zitieren, wonach die Rentenbelastung nicht dramatisch sei, w e n n die Wirtschaft w a c h s e. Anderseits als Gegenposition Christoph Weiß bemühen mit der Aussage: die Rentner würden aber unfairer Weise einen größeren Teil am BIP-Kuchen bekommen, wenn dieser nicht größer werde, also n i c h t w a c h s e – da hat wohl eher Herr Schuller ein logisches Problem.
Ähnlich ist es mit dem Gemähre darüber, dass sich Andreas Bovenschulte um bundesweite Wahrnehmung bemüht. Das mag für bremische Selbstgenügsamkeit befremdlich sein. Für Bremen, das in hohem Maße von Entscheidungen auf Bundesebene betroffen ist, ist das aber gerade eine Aufgabe des Präsidenten des Senats. Angedeutet seien nur die Förderungen für Häfen, für die Raumfahrt und für die Stahlindustrie, die obendrein für die gesamte Standortentwicklung wichtig sind,. Da brauchen wir eine starke und profilierte Stimme über Bremen hinaus. Die Mäkelei daran ist deshalb nur kleinkariert, Herr Schuller!
Lieber Arno Gottschalk, das mit dem Kuchen ist komplex und Makro ist nicht Mikro… Der Anteil der Rente am BIP bleibt gleich (Makroökonomie), sagt der Bürgermeister. Also haben wir kein Problem mit der Rente. Wirklich? Die Anzahl der (jüngeren) Beitragszahler sinkt, während die Zahl der Rentner steigt, also zahlen die wenigeren Beitragszahler (deutlich) mehr (Mikroökonomie). Wirklich kein Problem?! Man kann das wollen, aber dann muss man den (jungen) Beitragszahlern – und übrigens auch den Gewerkschaften – erklären, dass zukünftig alle volkswirtschaftlichen Produktivitätsgewinne zu Gunsten der Rentner verteilt werden. So sieht dann sozialdemokratische Generationengerechtigkeit aus?
Es ist Bestandteil des kleinen Bestecks in der Politik, nach draußen dicke Backen zu machen wenn drinnen nix läuft. Insofern macht es Herr Bovenschulte richtig. Andererseits weiss er ganz genau, dass er damit auf Bundesebene nichts bewegt. Rein gar nichts. Doch an Wirkung zu glauben bedarf schon eines hohen Grades an Nichtwissen. Wenn ein Bundeszwerg wie Bremen oder das Saarland etwas bewirken will, Vorteile, Unterstützung haben möchte, dann wird dies nicht erreicht durch öffentlich Äusserungen. So etwas wird ausgekungelt in Hinterzimmern, gedealt. Also in aller Stille und so, dass die Starken, von denen man abhängt, nicht brüskiert werden. Das ist die Aufgabe des Präsidenten des Senates. Ach, und die drollige BIP-Rentennummer erinnert sehr an Nobby „die Räntn sin sischä“ Blüm. Es braucht schlicht verfügbares Geld. Keine Taschenspielertricks mit Statistiken.
Herr Gottschalk, es ehrt Sie, dass Sie Ihrem Bürgermeister an dieser Stelle die Stange halten. Sie greifen eine vermeintliche oder tatsächliche Inkonsistenz in Herrn Schullers Artikel auf und sagen, die Präsenz unseres Bürgermeisters in überregionalen Medien sei positiv zu bewerten, weil Bremen von wohlwollenden bundespolitischen Entscheidungen abhängig sei. Fraglich ist allerdings, ob die Themen, zu denen unser Bgm sich überregional äußert, in irgendeiner Weise positiv auf Bremen abstrahlen. Ich kann da keine logische Verknüpfung erkennen.
Wirkungsvoller für das bundespolitische Ansehen wäre vermutlich, wenn Bremen bzw. sein Bürgermeister auch nur irgendeinen Fortschritt in wichtigen wirtschaftlichen und sozialen Parametern vorzuweisen hätte. Mir fällt dazu nicht viel ein.
Ich erinnere mich in erster Linie daran, wie entschlossen und zügig die Altersversorgung unserer sich abrackernden MdBBs auf profitablere Füße gestellt und Bremen erfolgreich zu einer uneinnehmbaren Festung für Diversity, Equality und Inclusion entwickelt wurde. Ich habe jedoch große Zweifel, ob sich mit Interviews zu diesen Erfolgen das bundespolitische Ansehen Bremens nennenswert befördern ließe. Der Versuch würde Herrn Bovenschulte meinen Respekt einbringen.
Einst wurde bereits Hans Koschnick von CDU-Neumann heftig kritisiert, weil der Bremer Bürgermeister häufig unterwegs war. Anstatt jeweils anzuerkennen, dass manch` hiesiger Bgm. einiges inhaltlich zu sagen hat, was bundesweit nachgefragt wurde, wird nun eine Denk- und Redebeschränkung verlangt. Was kommt noch?
Unbestreitbar sind die zahlreichen „Baustellen“, die leider jedoch nur mit „langen Atem“ bewältigt werden können, wobei viele fragen, warum manches nicht schneller und effizienter geregelt werden kann? Wer bremst in welcher Sache und warum, wer holt zusätzlich unbegleitete Probleme ins Land, usw.? Darüber Transparenz zu fordern und zu schaffen wäre wichtig, „Ross und Reiter“ zu benennen und deren Motivationen sowie immer mal wieder die Auswirkungen Politischer- und Behördenentscheidungen zu attestieren. Was in diesem Blog gelegentlich geschieht und besser ist als kleinkariertes Meckern.
Lieber Christoph Weiss,
Das beschriebene Problem ist kein neues:
Anfang der 1960er Jahre kamen auf einen Rentner noch rund sechs Beitragszahler.
• In den 1970er Jahren sank dieses Verhältnis auf vier.
• Bis in die 1980er Jahre betrug das Verhältnis noch drei zu eins.
• Heute liegt das Verhältnis bei etwa zwei Beitragszahlern pro Rentner
Lieber Arno Gottschalk,
eben: Wie kann man dann das BIP bemühen und behaupten: kein Problem, der Anteil der Renten am BIP bleibt gleich?! Die Beitragszahler, die dann übrigens regelmäßig deutlich weniger Netto vom Brutto haben, sind klüger als Ihr denkt.
Die Wahrnehmung des Präsidenten des Senats (!) in der bundesweiten Medienlandschaft zahlt in die Wahrnehmung des Bundesland Bremen ebenso ein wie im Bundesland Zwei-Städte-Staat. Voraussetzung ist, wenn damit auch inhaltlich eine unverwechselbare „Marke“ verbunden ist. Wenn der PdS soziale Themen zu seinem Markenzeichen erklärt, muss er sich daran messen lassen und die Auseinandersetzung führen. Das ist kein Fehler.
Etwas anderes ist die schwelende Frage der Haushalte des Landes, der Stadt Bremen und der Stadt Bremerhaven. Dass es zu der jetzt erkennbaren Eskalation mit der Nichtgenehmigung des Bremerhavener Haushalts (m. E. durchaus berechtigt) kommt, wundert mich genauso wie Axel Schuller. Sowas hat es in der Geschichte des Zwei-Städte-Staats noch nicht gegeben. Das kann nicht nur für Bremerhaven verhängnisvoll werden, sondern für das gesamte Bundesland mit dem Potential einer Staatskrise.
Der Bürgermeister kann doch sagen, was er will (besonders in dieser abenteuerlichen politischen Senatskonstellation und angesichts der durch Grüne und Linke verursachten ständigen Bremer Enthaltungen im Bundesrat ) : Dieses „Bundesland“ wird schon lange nicht mehr ernst genommen und macht sich immer stärker angreifbar ! Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen !
Eigentlich wollte ich heute mal keinen Kommentar schreiben. Aber jetzt, wo der Vater aller Statistiken, sich äußert…
Lieber Arno, die Kunst ist die Interpretation.Im Blog geht es um was Anderes. Es ist leicht, Forderungen zu stellen – schwieriger ist es, die eigenen Hausaufgaben zu machen. Wer den Industriestandort Bremen ernsthaft stärken will, muss auch kämpfen: für Gewerbegebiete wie die Hornerspitze für OHB, für Beteiligung an Rüstungsprogrammen, wie dem F-35-Programm, und für den Abbau der Beschränkungen an unseren Hochschulen (Zivilklausel). Hier höre ich von unserem Bürgermeister und seinen Unterstützern leider wenig oder nichts.
Hafen! Rumquaken, aber den OTB vernichten und beim Energyport sieht es auch nicht gut aus.
Bei der Stahlindustrie gilt: Interessen vertreten – ja. Aber Brüssel oder Berlin lassen sich nicht mit Beleidigungen beeindrucken, schon gar nicht, wenn sie aus Bremen kommen. So verpufft jede Botschaft.
Fazit: Wenn dieser Senat nur 30 % von dem umsetzt, was er von Anderen fordert:
Das wäre schon ein Erfolg.
Und zur Rente: Das bisherige Modell ist nicht zukunftsfähig. Wenn wir immer später einzahlen, immer länger leben und gleichzeitig weniger Beitragszahler haben, wird die Rechnung nicht mehr aufgehen. Wir brauchen ein neues, nachhaltiges System – auch wenn das unpopulär ist. Wer Verantwortung übernimmt, muss sich dieser Realität stellen.
Glückwunsch zum heutigen Geburtstag von Dr. Andreas Bovenschulte!
(die durch Anführungszeichen gekennzeichneten Zitate stammen aus dem Total-Angriff von Axel Schuller auf den Bürgermeister)
Dem Bürgermeister,
– mit der „linkesten Brille“ (was ist dagegen links?),
– dem von außerbremischen Sendeanstalten als „sichere Bank“ Eingesetzten,
– dem Produzenten von Nachrichten, „die aus dem Rahmen fallen“,
– dem unterstellt wird, er behaupte, dass „das deutsche Rentensystem
entgegen der Äußerung vieler Experten stabil sei“
– der den Konflikt um den strittigen Bremerhavener Haushalt demokratisch
konsequent nicht vor der Öffentlichkeit verheimlicht
gratuliere ich von ganzem Herzen heute zu seinem Geburtstag.
Ich wünsche ihm weiterhin Gesundheit und Kraft zum Einsatz für eine ökonomisch erfolgreiche, sozial wirksame und ökologisch nachhaltige Politik für das Land Bremen und darüber hinaus. Möge er sich auch künftig überregional für die heute so knapp gewordenen Ressource Aufklärung gegen die bedrohlich expandierende, dumpfe Ideologisierung durch die Verbreitung von Halb- und Unwahrheiten einsetzen.
@ „P.S.: Liebe Leserschaft, schauen Sie sich unbedingt die Kommentare zum vorigen Stück über den Bremer CSD-Verein an; könnte sich übrigens auch für den Rechnungshof lohnen.“
Wohl wahr. Aber nach meiner Einschätzung, werden sowohl Rechnungshof als auch Parteien/Fraktionen in Bremen dieses Thema niemals anfassen, aus irrationaler Angst, von dem Fragment einer klitzekleinen Minderheit als „queerfeindlich“ geframt zu werden. Da können die leider nicht mit umgehen.