RB-Film über junge Straftäter – Journalismus oder Sozialromantik?

14.08.2025 14 Von Axel Schuller

Ein Täter ist ein Täter. Und ein Opfer ist, richtig, ein Opfer. Radio Bremen hat dies offenbar gerade aus dem Blick verloren und präsentiert Täter, die sich als Opfer darstellen dürfen. Man sitzt staunend vor der „Flimmerkiste“, wenn der Reporter offensichtlich einen journalistischen Grundsatz über Bord wirft. Nämlich: „Bewahre dir stets die professionelle Distanz zu Personen, über die du berichtest.“

Als ich jüngst von der Kritik an einer RB-Reportage für das ARD-Format „Kollektiv Y“ hörte, fragte ich mich: Na, melden sich da mal wieder blinde Hasser der Öffentlich-Rechtlichen zu Wort? 

Nachdem ich mir die 39-minütige Reportage „Jung, kriminell, chancenlos? – Ein Jahr mit einer Jugendgang“ und den kürzeren RB-Beitrag für ButenunBinnen „Straftäter in Bremen: Wie recherchiert man zu den Jungen Räubern?“ angeschaut hatte, geriet ich jedoch ins Grübeln.

Ist das noch Journalismus oder eher Sozialromantik?

Der Autor János Kereszti macht ziemlich früh im Beitrag klar, dass er die professionelle, journalistische Distanz zu den jungen Männer (also den Objekten seines Filmes) offenbar nicht durchhalten wird. „Sie zeigen sich als Opfer, gleichzeitig geben sie zu, dass sie klauen. Widersprüchlich, aber irgendwie sympathisch.“

Ich denke: Nach diesen Sätzen hätten die Kollegen in der Filmabnahme (sie müssen auf die Einhaltung gesetzlicher und interner Standards achten) den Beitrag so nicht freigeben dürfen.

In den Programmgrundsätzen von Radio Bremen heißt es unter anderem: „Distanz zur Berichterstattung: Journalisten sollen eine objektive Distanz zu den berichteten Themen wahren und sich nicht vereinnahmen lassen.“
Damit ist eigentlich alles gesagt. Bloß: Der Autor scheitert daran. Er stellt sich zwar einige Male die Frage, ob seine Gesprächspartner ihm gerade die Wahrheit sagen. Aber ansonsten lässt er die jungen Flüchtlinge – die allesamt keineswegs überraschend keine Papiere haben – erzählen. Widerspricht nicht.

Der lange Beitrag für „Y Kollektiv“ wirkt (nicht nur) auf mich wie Sozialromantik pur. Allein schon die Wortwahl spricht Bände. János Kereszti berichtet, einer der jungen Flüchtlinge (bereits mehrfach als Straftäter geschnappt) soll einem Mädchen das „Handy abgezogen“ haben. Mag ja Jugendsprache sein, bedeutet im wirklichen Leben aber: Das Mädchen wurde Opfer einer Raubtat. Ein Messer soll auch im „Spiel“ gewesen sein.

Während Kereszti hervorhebt, wie viel Aufwand damit verbunden gewesen sei, ein Jahr lang Kontakt zu jungen Straftätern aus dem Magreb aufzunehmen und zu halten, hat seine Reporter-Energie offenbar nicht ausgereicht, Opfer von Raubtaten (wie die junge Bremerin) aufzutreiben. Um sie beispielsweise mal zu fragen, wie sie sich beim „Abziehen“ gefühlt hat. Was das mit ihr macht? Ob sie sich abends noch auf die Straße traut? Die Opferhilfe-Organisation „Weißer Ring“ hätte Radio Bremen bestimmt gerne unterstützt.

Kereszti trifft die jungen Flüchtlinge aus Marokko und Algerien am Hillmannplatz, beim Fußballspielen, im Knast und im Gerichtssaal. Den Zuschauern wird der Eindruck vermittelt, dass die Jungs nahezu zwangsläufig in die Kriminalität abrutschen mussten. Auf die Frage, wovon sie denn leben, lautet die entwaffnend ehrliche Antwort: „Klauen. Klauen, klauen, klauen.“

Der Autor wendet ein, sie könnten doch in Übergangswohnheimen Unterkunft, Essen, Kleidung und Geld erhalten. Doch dies wollen die jungen Männer, die teilweise mit 13 von zu Hause weg sind, nicht. Begründung: „Das ist schlimmer als der Knast“.

Nachfrage im Wohnheim-„Knast“? Keine. 

Wie gesagt: Opfer von Straftaten kommen in dem Beitrag null-Komma-null zu Wort. Dafür aber die Anwältin eines Angeklagten aus dem Magreb. Sie äußert sich verblüffend offen vor dem „Handy“-Prozess: „Ich weiß, wenn er draußen ist, sehe ich den in sechs Monaten wieder hier“ (vor Gericht).

Ihren Mandanten konnte sie nicht vor dem Urteil (2 Jahre und 3 Monate Knast) bewahren. In der Berufung gelingt ihr jedoch ein Freispruch. Das Berufungsgericht war sich nicht ganz sicher, ob der junge Inhaftierte tatsächlich der Täter gewesen sei – obwohl die Beraubte und eine anwesende Freundin dies als Zeuginnen im Prozess ausgesagt hatten.

Folge: Im Zweifel für den Angeklagten. Entlassung aus dem Knast und laut RB Haftentschädigung in Höhe von rund 20.000 Euro.

Am Ende fragt János Kereszti den jungen angetrunkenen und bekifften Mann, was er mit dem vielen Geld jetzt machen wolle. Antwort: Schicke ich meiner Mutter. Und wovon er dann hier leben wolle? „Ich leihe mir 20 Euro und zahle 40 zurück. Dann leihe ich mir 10 Euro, zahle 20 zurück.“ Das klingt nicht gerade nach einer verheißungsvollen Perspektive.

Er und andere aus der Gruppe haben wie gesagt keine Papiere. Deshalb können sie nicht abgeschoben werden.

RB-Reporter János Kereszti, den ich bislang für einen ruhig abwägenden Kollegen gehalten habe, beschließt seinen Beitrag mit dem Satz: „Wer nur Täter sieht, verpasst die ganze Geschichte.“ 

Übrigens: Entgegen der Beteuerung des polizeilich als Intensivtäter eingestuften jungen Mannes im RB-Film, er werde sich künftig ganz bestimmt „von Ärger fernhalten“, ist er vor vier Wochen – wie ich aus Polizeikreisen hörte – erneut wegen Körperverletzung aufgegriffen worden.

Ist Kollege János Kereszti womöglich zu gut- oder gar leichtgläubig an das Thema herangegangen?

Liebe Leserinnen und Leser, machen Sie sich ihr eigenes Bild.

ARD-Mediathek: „Y-Kollektiv: Jung, Kriminell, chancenlos? – Ein Jahr mit einer Jugendgang“

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Radio Bremen verleiht sm 7. November wieder für die ARD den „Bremer Fernseh- und Digitalpreis“. Es würde mich keineswegs wundern, wenn Keresztis Film – wegen des Rechercheaufwands – auch noch mit einem Preis ausgezeichnet werden würde…