Dokumentation: Verband der Suchthelfer bläst gegen die CDU ins Horn
Liebe Leserschaft, der Vorstoß der CDU-Fraktion, den „sozial-industriellen Komplex“ der Suchthilfe in Bremen kritisch zu betrachten (siehe Doku im Blog vom 18.7.2025) und viel mehr auf das Ziel Abstinenz zu setzen, hat – erwartungsgemäß – den Widerspruch der Betroffenen hervorgerufen. Die „Landesstelle für Suchtfragen“ hat zur Bürgerschaftsdebatte in der anstehenden Woche ein Gegenpapier verfasst, das diese Einrichtung an alle Bürgerschaftsfraktionen geschickt hat.
Die Koalitionsparteien SPD, Grüne und Linke haben ebenfalls einen Antrag für kommende Woche eingebracht. Der Kern:
„Die Stadtbürgerschaft möge beschließen:
1. Die Stadtbürgerschaft begrüßt, dass die Beiräte in Neustadt, Gröpelingen und Vegesack bereit sind, Verantwortung für die Einrichtung dezentraler Drogenhilfeeinrichtungen in ihren Stadtteilen zu übernehmen. Ihr proaktives Handeln und ihre Bereitschaft, sich den Herausforderungen vor Ort zu stellen, sind von großem Wert und bedürfen der gesamtstädtischen Unterstützung.
2. Die Stadtbürgerschaft fordert den Senat auf, die bereits umgesetzten Maßnahmen der integrierten Drogenhilfestrategie auf ihre Effekte hin zu überprüfen und, soweit sie sich bewährt haben, fortzusetzen, weiterzuentwickeln und, wo es möglich ist, zu verstetigen.“
Genug der Vorrede, hier nun die Doku des Schreibens der Landesstelle für Suchtfragen. Diese ist übrigens keine staatliche Stelle, wie der Namen vermuten lässt, sondern ein Zusammenschluss vieler Einrichtungen, die sich um Süchtige kümmern. Wer dem Verband angehört, erfahren Sie am Schluss des Textes.
BEGINN der DOKUMENTATION:
„Stellungnahme der BreLs (Bremische Landesstelle für Suchtfragen) zum Bürgerschaftsantrag der CDU-Fraktion zur Drogenpolitik
Nach einer intensiven Diskussion im Fachausschuss Sucht zum Bürgerschaftsantrag der CDU hat sich die Bremische Landesstelle für Suchtfragen zur Erstellung dieser Stellungnahme entschieden.
Die Bremische Landesstelle für Suchtfragen (BreLs) nimmt den Antrag der CDU-Fraktion zu einer Neuorientierung der Suchthilfepolitik mit größtem Befremden zur Kenntnis. Der Antrag der CDU betont Abstinenz als einziges Ziel der Suchthilfe. Zwar sind Entzug, Entwöhnung und Wiedereingliederung zentrale und unverzichtbare Bausteine. Jedoch sind Abhängigkeitserkrankungen oft chronisch und verlaufen mit Rückfällen.
Eine Politik, die ausschließlich auf Abstinenz setzt, blendet diese Realität aus. International erfolgreiche Suchtstrategien kombinieren Maßnahmen der Schadensminimierung mit langfristigen Ausstiegs- oder Abstinenzperspektiven. Diese notwendige Balance zwischen Pragmatismus und Zielorientierung fehlt in der CDU-Argumentation.
Die BreLs befürwortet einen konstruktiven Dialog über eine gute Sucht- und Drogenhilfepolitik mit adäquaten Hilfsprogrammen für die von Abhängigkeitserkrankungen betroffenen Menschen. Sie verwahrt sich gegen jegliche Polemik und Verunglimpfungen von Trägern, die sich für eine Linderung von Gesundheitsgefahren der in Not geratenen Menschen einsetzen. Die aus dem Antrag der Bremer CDU-Fraktion herauszulesende Diffamierung der comeback gGmbH wird von der gesamten Landesstelle als unsachlich zurückgewiesen. Auch Betroffene und ehemals Betroffene fühlen sich durch die Darstellung in dem Antrag diffamiert und herabgewürdigt. Die Stigmatisierung von Betroffenen führt insbesondere in diesem Bereich häufig zu einer Verschlechterung der Erkrankung und kann zu einer Nichtinanspruchnahme von Hilfen beitragen, sowie die weitere Verarmung und Vereinsamung von Menschen fördern.
Uns ist wichtig, dass über die von Suchtproblemen betroffenen Bürgerinnen und Bürger bei der Erörterung des Antrages respektvoll gesprochen wird. Wir haben Sorge, dass die Debatte zu Spaltungen und Polarisierung beiträgt.
Scham hindert viele von problematischen Substanzkonsum und Abhängigkeitserkrankungen betroffenen Menschen, sich adäquate Hilfe zu suchen. Nur ein kleiner Teil dieser Menschen ist in der Öffentlichkeit auffällig, die meisten trauen sich mit Ihrer Erkrankung nicht in die Offensive. Gerade die Menschen mit sehr schweren Abhängigkeitsproblemen und multiplen sozialen Schwierigkeiten brauchen unsere Zuwendung und Unterstützung. Natürlich wissen auch wir, dass die Präsenz der offenen Drogenszene mit all den Problemen in der Gesellschaft zu Konflikten führt. Wir appellieren jedoch, dass die fachliche und politische Auseinandersetzung um den richtigen drogenpolitischen Kurs immer von Respekt, Menschlichkeit und Wohlwollen geprägt sein sollte. Wir müssen miteinander akzeptieren, dass sich die illegalen psychotropen Substanzen sowie deren Auswirkungen auf die Konsumierenden stark verändert und sich damit die öffentlich wahrgenommenen Problemlagen zugespitzt haben. Dieses ist kein ausschließliches Bremer Phänomen, sondern Realität in allen Großstädten und bedarf ressortübergreifender Strategien, die letztlich die Problemlagen eindämmen können.
Diese Problemlagen im Kontext der Abhängigkeitserkrankungen sind eine gesamtgesellschaftliche Thematik. Wohnraummangel und prekäre Lebensbedingungen werden an dieser Stelle nur beispielhaft benannt.
Unterstellungen, einzelne Träger hätten kein Interesse an einer Verbesserung der Notlagen der Menschen oder verfolgten andere Interessen, werden an dieser Stelle entschieden zurückgewiesen.
Im Antrag der CDU-Fraktion wird die Förderung von abstinenzorientierten Hilfeprogrammen gefordert, bei gleichzeitiger Aufhebung der niedrigschwelligen akzeptanzorientierten Hilfen.
Die Bremische Landesstelle weiß um die Wertigkeit von Abstinenz, die in der Regel zu verbesserter Teilhabe und gesteigerter Lebenszufriedenheit der abhängigkeitserkrankten Menschen führt. Von daher begrüßen wir den Ausbau entsprechender Behandlungsangebote, sei es ansprechende und zeitnahe qualifizierte Entgiftungsprogramme, entsprechende ambulante Beratungs- und Behandlungsangebote, ausreichende psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung im niedergelassenen Behandlungssystem, wozu auch eine ausreichende substitutionsgestützte Versorgung der Patientinnen und Patienten gehört. Das Land Bremen sollte darauf hinwirken, dass kassenärztliche Versorgungssystem gerade auch für suchtkranke Patientinnen und Patienten zu stärken.
Wir wissen allerdings auch, dass für viele von Suchtproblem betroffenen Menschen das Ziel der Abstinenz aufgrund der Schwere der Erkrankung nicht unmittelbar realisierbar erscheint. Niedrigschwellige Angebote haben eine wesentliche Funktion in der Gesundheitsprävention und Schadensminimierung. Sie verhindern letale Überdosierungen, reduzieren Infektionsrisiken und schaffen den Zugang zu schwer erreichbaren Konsumentinnen und Konsumenten. Von daher brauchen wir niedrigschwellige Angebote, die den Kontakt zu den von Suchtmittelmissbrauch oder -abhängigkeit betroffenen Menschen halten und sie in dem jeweils individuell gemäßen Tempo zu einem gesünderen Leben und besserer Teilhabe begleiten. Für eine ganzheitliche Versorgung dieser Zielgruppe bedarf es zusätzlicher Angebote, wie zum Beispiel drugchecking, Diamorphinvergabe und Modellprojekte zur Substitution von Crack.
In einer fachlich sinnvollen Diskussion sollte es darum gehen, wie eine Verzahnung niedrigwelliger akzeptanz- und abstinenzorientierten Hilfen gelingen kann und welche Maßnahmen darüber hinaus ausgebaut oder installiert werden müssen. Wir würden uns über eine solche Diskussion freuen und sind gerne bereit, hierzu konstruktive Beiträge zu leisten.
Beatrix Meier
Vorstandsvorsitzende
Bremische Landesstelle für Suchtfragen (BreLs)
ENDE der Doku:
Wie eingangs angekündigt die Auflistung, wer der Landesstelle angehört:
Ambulante Suchthilfe gGmbH, AWO Integra eV, AWO Sozialdienste GmbH Bremerhaven, Bremer Fachstelle Glücksspielsucht, Bremer Verein Ottilie Hoffmann, Caritasverband Bremen eV, Comeback gmbh, Deutscher Frauenbund für alkoholfreie Kultur eV Bremen, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Bremen, Deutsches Rotes Kreuz Bremen eV, Diakonisches Werk Bremen eV, Guttempler in Deutschland Bremen eV, Initiative zur sozialen Rehabilitation eV, Rehabilitation und Arbeit gGmbH, Selbsthilfe-Gruppen für Alkoholgefährdete eV, Therapiehilfe Bremen gGmbh, Therapiezentrum Niedersachsen-Bremen gGmbH, Verein für Innere Mission in Bremen.
Strebt die CDU einen ehrlichen Wandel in der Drogenpolitik an, oder möchte sie und ihre Klientel vielleicht ein Stück vom außergewöhnlich großen „Kuchen“ des „Drogenhilfe“-Budgets abhaben?
Man weiß es nicht.
Obwohl ich die Existenz der staatlich finanzierten privaten Sozialindustrie grundsätzlich ablehne muss ich der Frau Meier doch recht geben. Man wird die Probleme der süchtigen Menschen nicht durch illusorisch Forderungen verbessern, sondern eher verschlechtern. Da drängen sich ja gleich zwei Verdachtsmomente auf:
1. Der Quatsch ist nur eine Grußbotschaft an die konservativen Wähler im Altenheim.
oder
2. Es geht in Wirklichkeit ums Geld, jemand aus dem C-Dunstkreis will besser an den Futtertrog.
Es geht doch zunächst mal darum, „die bereits umgesetzten Maßnahmen der integrierten Drogenhilfestrategie auf ihre Effekte hin zu überprüfen“.
Wer könnte was dagegen haben? –
Vermutlich die bekannten Player der Sozialen Dienste (AWO, Caritas, DRK, Diakonie, er all), die immer weiter sicheres Geld bekommen – auch ohne Prüfung auf Erfolg. Dass die da was dagegen haben, verstehe ich.
Aus meiner beruflichen Erfahrung kann ich sagen, dass es sehr sinnvoll ist, zu fragen ob die Ziele erreicht werden (also die Abstinenz bei Suchtmittelgebrauch, -Missbrauch oder Abhängigkeit) ? Wenn ja, warum das Konzept erfolgreich war? Wenn nein, warum nicht. Und welche Alternativziele (Integration, Bindung an Bezugspersonen, Inanspruchnahme therapeutischer Einrichtungen) man erreichen könnte. Aber es muss auch klar sein, dass man die Abhängigkeitserkrankten nicht aus ihrer Verantwortung entlassen darf. Alles Handeln hat eine Konsequenz! Nur wenigen kann man nicht mehr helfen. Bei begrenztem Budget sollte man denen helfen, die noch ganz am Anfang ihrer „Karriere“ stehen. Auch hier ist Prävention und wirksame Frühintervention der beste Weg zur Heilung von Suchtkrankheiten. Behandeln wir Suchtkranke doch ähnlich wie andere (psychische) Erkrankungen, nicht wie Opfer der Drogenindustrie – obwohl sie das natürlich auch sind.
Lassen wir also die verschiedenen Therapieansätze auf ihre Wirksamkeit hin untersuchen! Das bringt Erkenntnisgewinn!!