Von Irrungen, Wirrungen und Paradiesvögeln – haben wir noch „alle Latten am Zaun“?
Zu einer Bundesgartenschau in Bremen wird’s nicht reichen. Dabei haben wir doch so viele seltene „Blüten“ zu bieten, dass man uns glatt den Titel „Bunteste Stadt“ oder „Stadt der Paradiesvögel“ verleihen könnte. Liebe Leserschaft, ich lade Sie heute ein, mit mir auf Bremer Irrungen, Wirrungen und auf so manchen „Paradiesvogel“ zu schauen. Seien Sie beherzt, begleiten Sie mich.
Ich gebe gerne zu, es fällt nicht ganz leicht, dieses „Bremer Wirrerlei“ zu priorisieren.
Erstens:
Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte (SPD) ist so sehr in seine FreiKarte für Säuglinge bis 18-Jährige vernarrt, dass er der Bremischen Bürgerschaft ernsthaft vorschlägt, das entsprechende Gesetz (ja, so etwas gibt’s dafür) zu entfristen.
Bedeutet: 2022 für die Jugend als Dank für die triste Corona-Zeit eingeführt, war das Gesetz bis Ende 2025 befristet. Der Senat (und die ihn tragende Regierungskoalition) haben mittlerweile beschlossen, die Freikarte auch 2026 und 2027 mit jeweils 60 Euro zu laden und zu verschenken. Statt das zugehörige Gesetz bis 31.12.2027 zu befristen, wird nunmehr gar keine Frist mehr genannt.
So dürfen sich weiterhin 5 (!) Mitarbeiter im Rathaus mit dem FreiKarten-Thema beschäftigen. Bovenschultes Rathaus-Verwaltung spricht in diesem Zusammenhang überraschenderweise von einem „schlank organisierten Projektbüro“ in der Senatskanzlei. Mutig oder dreist – entscheiden Sie bitte selbst.
Seltsam, ich Naivling hatte bislang angenommen, dass die 5 ebenfalls neuen Stellen im Arbeitsressort für Einführung und Abwicklung der Ausbildungs-Zwangsabgabe eine üppige Ausstattung darstellten. So kann man sich beim Blick auf Bürokratie halt irren.
Zweitens:
Bleiben wir bei den „Paradiesvögeln“. Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf (Grüne) darf sich dieser Gattung ebenfalls zugehörig fühlen. Es geschieht vermutlich nicht ganz so häufig, dass gegen eine Senatsmitglied Anzeige wegen Untreue erstattet wird. Ein Bremer, bekennender Leser von bremensogesehen, hat mir die Kopie seiner an die Staatsanwaltschaft gerichteten Anzeige geschickt. Er ist der Meinung, Moosdorf veruntreue mit ihrer Begründungs-Rochade für den vorzeitigen Abschied ihrer Staatsrätin Irene Strebl offensichtlich staatlicher Gelder.
Sie erinnern sich: Erst Lobgesang und Bedauern, dass Strebl gehen möchte – kurz darauf: kein Vertrauen mehr in die Stellvertreterin, die nun plötzlich gehen muss.
Sollte die Staatsanwalt ebenfalls eine Untreue erkennen, würde die Justiz auf dem Feld der Politiker-Verantwortlichkeit Neuland betreten.
Bis es soweit ist, muss sich Moosdorf zunächst am Donnerstag im Haushalts- und Finanzausschuss der Bürgerschaft drängenden Fragen – nicht nur aus Oppositionsreihen? – stellen.
Drittens:
Hinter den Kulissen der Gesundheitspolitik geht es aktuell gar nicht paradiesisch zu. Gleichwohl gibt’s auch hier eine bremische Besonderheit: Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) muss nach Gesetz für alle Kliniken in Bremen und Bremerhaven stets ein gleich offenes Ohr haben. Dumm nur, dass Bernhard zugleich Aufsichtsratschefin des notleidenden kommunalen Klinikverbundes GeNo mit seinen (noch) vier Krankenhäusern ist.
Diese Konstruktion lässt im Kreis der nicht-staatlichen Häuser (Diako, Joseph-Stift, Rote-Kreuz und Roland-Klinik) latent Futterneid aufkommen. Bernhards Behörde hatte jüngst in einer Deputationsvorlage ungeniert aufgeschrieben, dass die GeNo einen dicken Batzen vom sogenannten „Transformationsfonds“ auch für den Umzug vom Klinikum LdW zum Klinikum Mitte erhalten müsse. Ein vorauseilender Protest führte nur eine Stunde vor Sitzungsbeginn dazu, dass die Vorlage drastisch umgeschrieben wurde und Claudia Bernhard für ihre wohl doch zu voreilige Behörde um Entschuldigung bat.
Viertens:
Bremen hat aber noch heftigere Wirrungen zu bieten: Zum Beispiel eine Amtsrichterin, die echt Rätsel aufgibt: Steht die Frau innerlich vor Pastoren stramm? Oder hegt sie womöglich Sympathie fürs Kirchenasyl? Oder, auch das wäre nicht undenkbar, interpretiert sie das Recht auf ungestörte Nachtruhe auf recht eigenwillige Art?
Der Fall: Ein Pastor in der Zions-Gemeinde hat in einer Dezember-Nacht anno 2024 in der Neustadt zwischen 2 Uhr 32 und 5 Uhr 35 Uhr insbesondere alte Leute mit stundenlangem Alarmgeläut verängstigt. Damit wollte er gegen den Polizei-Plan protestieren, einen Somalier aus dem „Kirchen-Asyl zu holen.
Die Innenbehörde verpasste ihm darauf wegen ruhestörenden Lärms ein Bußgeld von 300 Euro – das er nun aber NICHT bezahlen muss. Eine Amtsrichterin stellte nämlich das Verfahren nach § 47 Absatz 2 OWiG ein.
Besagter Paragraf bedeutet sinngemäß: Das Gericht kann das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft einstellen, wenn es eine Ahndung nicht für geboten hält.
Und weshalb ist des Pastors Tun angeblich nicht Bußgeld-fähig?
Die Richterin schreibt: „Nach Aktenlage wäre der Betroffene ohne die Einstellungsentscheidung voraussichtlich zu der im Bußgeldbescheid festgesetzten Geldbuße verurteilt worden. (…) Der Betroffene hat sich ausweislich des Polizeiberichts selbst als Verantwortlicher der Kirchengemeinde gegenüber den Polizeibeamten ausgegeben und eingeräumt, dass er keinen Anlass sehe, dass das Glockengeläut eingestellt würde, im Gegenteil sehe er sich durch die Anwesenheit der Polizei dazu g e n ö t i g t, die Kirchenglocken weiter ertönen zu lassen.“
In Momenten wie diesen, liebe Leserschaft, frage ich mich: Fördert unser Stadt-Klima solch besonders seltsame Blüten und Paradiesvögel oder: Haben wir in Bremen wirklich noch „alle Latten am Zaun“?
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
P.S.: Schreiben Sie gerne Ihre Sicht der Dinge ins Kommentarfeld – dann erfahren auch andere Leserinnen und Leser davon.
Danke für diesen Blütenkorb, der dem Sonnenlicht zugänglich gemacht wurde!
Ich hätte zwei Möglichkeiten der Erklärung parat: Herr Bovenschulte hat entdeckt, dass einer der Esel im Bürgerpark ein echter Goldesel ist und soviel Euros sch…, wie er für seine Gutmenschfantasien braucht
Die andere Erklärung ist profaner: Die Senatorenriege leidet unter Dyskalkulie (angeborene und nicht behebbare Rechenschwäche). Ja, fast glaubt man, dies sei eine Voraussetzung für das Bremer Senatorenamt! Jedenfalls haben sie im Netzwerkeln (bei Frauen auch unter dem Begriff Häkeln bekannt) bessere Fähigkeiten als im volkswirtschaftlichen Denken. Letztlich müsste man dieses gehäkelte Konstrukt in der nächsten Legislaturperiode vollständig auftrennen und neu denken. – Aber es ist so schön bunt!! Wer will das denn zerstören?????????
Bezogen auf die Freikarte und Herrn Bürgermeister Bovenschultes Faszination dafür kann ich folgendes mitteilen:
Sie erreicht diejenigen, die zur Wahl gehen und von ihrem Wahlrecht gebrauch machen. Sie erreicht auch diejenigen, die bald 16 werden oder geworden sind und sich – so die Hoffnung der SPD – an der Wahlurne daran erinnern, dass sie dieses Geschenk der SPD zu verdanken haben.
Früher nannte man das Brot und Spiele – funktionierte schon im alten Rom hervorragend und hielt die Machthaber – kompetent oder nicht – an der Macht.
Sozial ist die Karte aber kein Stück. Gerade diejenigen, die diese dringend gebrauchen könnten, aktivieren diese nicht oder nutzen nur wenige Euro; je besser situiert, desto schneller ist die Karte allerdings leer.
Ist ja auch nur vermeintlich ein Sozialgeschenk; Chancengleichheit (SPD-sprech) aber tatsächlich knallharte Klientelpolitik bzw. böswillig formuliert: „Eine perfekt mit sozialem Mäntelchen kaschierte staatlich finanzierte Wahlkampfhilfe für die SPD“.
2024 wurden nur 48% der über 9 Mio von den Kids ausgebeben – der Rest ging zurück an den Senat. Der Großteil davon ging für Freimarkt und Co drauf. Jetzt ist das Geldleck Freimarkt auch gestopft.
Zurück bleibt das Wedeln mit dem Geldgeschenk Freikarte (Wert 9 Mio pro Jahr) mit dem Wissen, dass künftig maximal 2-3 Mio ausgegeben werden und damit ergo viele Mio für Haushaltslöcher. Nur die 5 Mitarbeitenden und der ganze Verwaltungsaufwand muss noch dazu gerechnet werden – zuletzt waren das 1,5 Mio.
Wer wirklich den Kindern, die dieses Geld dringend bräuchten, helfen will, der müsste in die Infrastruktur investieren, die diese Kinder und Jugendlichen erreichen und tatsächlich nutzen: Das sind die Freizis bei ihnen im Stadtteil oder ihre Sportvereine. Genau hier aber spart RRG Geld. In der Folge werden Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit in ganz Bremen abgebaut, reduzieren Ihre Öffnungszeiten oder fusionieren (aus 3 Freizis wird 1). Jugendfarmen kämpfen ums Überleben.
Nur zur Erinnerung: Je höher die Belastung oder in deutlichsten Worten gesprochen: je mehr sog. sozialer Brennpunkt, umso weniger verlassen die betreffenden Kinder ihr direktes Wohnumfeld (ihren Kiez/ihre Hood). Blumenthalern – einer der kinderreichsten Stadteile – nützt keine Freikarte etwas, wenn ganz HB-Nord nur eine Akzeptanzstelle (das Bad in Vegesack) hat. Ich kenne alleinerziehende Mütter mit 5 kleinen Kindern, die zähneknirschend auf die 300Euro jährlich verzichten mussten (seit Jahren), weil sie die Karten nicht aktivieren konnten. Nur Angebote direkt vor Ort wären für diese Menschen erreichbar.
Danke, Frau Ahrens, für diese sehr erhellenden Ergänzungen mit gut nachvollziehbaren Argumenten. So wünsche ich mir politische Debatten. Ich fühle mich nach Ihrem Beitrag aufgeschlaut.
Wenn Kafka noch leben würde, wäre auch sein 4. Roman „Das Rathhaus der Paradiesvögel “ unvollendet für die Nachwelt geblieben.