Die Gewoba soll und muss kostenbewusst handeln
Liebe Leserinnen und Leser,
heute müssen wir uns am Riemen reißen. Ausnahmsweise nenne ich mich zuerst: Ich – aber auch Sie – werden in Gefahr geraten, gedanklich am Stammtisch zu landen.
Heute geht es zwar um ein ruhiges Thema, nämlich ums Bauen. Gleichwohl kann es auch auf diesem Feld schnell passieren, dass man denkt: Das darf doch nicht wahr sein.
Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen. In der Bremer Tageszeitung habe ich zuletzt im Abstand weniger Tage eine Geschichte und ein Interview gelesen. Am Ende der Lektüre habe ich nahezu zwangsläufig wie ein deutscher Stammtischbruder geurteilt: So eine Riesen-Sauerei. Das muss man doch nur anders machen. Dann bleibt das Geld in Bremen. Und alles ist gut.
Damit Sie sich ein eigenes Bild machen können:
Fall 1: Die Gewoba hat in Tenever sieben Immobilien bauen lassen. Ein Atriumhaus mit 28 Wohnungen samt Kita und sechs sogenannte Pezzettinohäuser mit 42 Wohnungen. Einige dieser 70 Wohnungen hat der Staat gefördert, für kinderreiche Familien. Das Problem: Die städtische Wohnungsgesellschaft – mit über 42.000 Wohnungen unter anderem Bremens größter Vermieter – wollte die Immobilie zunächst selbst bauen. Die unterschiedlichen, dafür notwendigen Firmen forderten für alles zusammen rund 30 Millionen Euro. Soviel mochte die Gewoba nicht ausgeben, hatte für die Abwicklung aber auch gar nicht das notwendige Personal in den eigenen Reihen. Deshalb beauftragte sie einen Generalunternehmer. Der bot den Bau für schlappe 20 Millionen Euro an. Das Blöde daran: Die niederländische Firma hat ein Jahr nach Bezug des Gebäudes noch immer nicht alle Rechnungen einiger am Bau beteiligter Handwerker bezahlt. Einigen Firmen fehlen bis heute zusammen rund eine halbe Million Euro. Ein Bremer Dachdeckerbetrieb beklagt Außenstände bei diesem Gebäude in Höhe von sage und schreibe 240.000 Euro.
Fall 2: Der Vertreter eines anderen Bremer Dachdecker-Unternehmens trat ein paar Tage später – ebenfalls in der Tageszeitung – nach. Die Stadt fordere stets, Firmen sollten ausbilden und möglichst CO2-neutral tätig sein. Es sei aber an der Tagesordnung, dass gerade städtische Unternehmen Aufträge nach außen – im vorigen Fall bis nach Holland – vergäben. So fielen dann in Bremen keinen Steuern an, und der Bremer Ausbildungssektor profitiere null komma nix von Azubi-Stellen auswärtiger Firmen. Die Stadt und ihre Unternehmen, so das Fazit des Dachdeckers, sollten die Aufträge gefälligst an heimische Firmen vergeben. Notfalls in freihändigen Vergabeverfahren.
Meine Spontan-Reaktion. Achtung, jetzt kommt der Stammtischbruder in mir durch: Bremen und seine städtischen Unternehmen sind wirklich zu fast allem zu blöd.
Beim näheren Nachdenken über die beiden Artikel und weiterführenden Recherchen fiel mir jedoch das eine oder andere auf. Und dann dachte ich: Puh – laut, aber doch nicht überzeugend gebrüllt, dachdeckender Löwe. Und im ersten beschriebenen Fall: Mimimi, Herr – ebenfalls – Dachdecker.
Wie ich dazu komme? Fall Tenever: Die Gewoba ist eine Aktiengesellschaft, gehört zu 82 Prozent städtischen Gesellschaften, also der Stadt Bremen. Deren oberster Kassenwart ist Finanzsenator Dietmar Strehl (Grüne). Was würde der wohl zum Gewoba-Vorstand sagen, wenn das Unternehmen ein Gebäude für 30 Millionen Euro selbst bauen würde, statt es für 20 Mio. bauen zu lassen? „Geehrte Vorstände, toll, dass Sie so sozial auf das Wohl der Handwerker achten. Zehn Millionen Euro mehr zu bezahlen, ach, das sind ja Peanuts.“ Besonders im Vergleich zur (laut Statista) bremischen Verschuldung in Höhe von 34,4 Milliarden Euro. Und die Gewoba-Aufsichtsratsvorsitzende, Bausenatorin Maike Schaefer, könnte bei Mehrausgaben von zehn Millionen ihre Verzückung vermutlich gar nicht mehr im Zaum halten.
Merken Sie, worauf ich hinaus will? Der Senat von SPD, Grünen und Linken poliert gern am eigenen sozialen Image, kann dem in der Realität aber nicht gerecht werden. Auch, wenn er es noch so dolle möchte. Die normative Macht des Faktischen… Sie wissen schon.
Mein inneres Geländer sagt mir: Jeder Handwerker, der ordentliche Arbeit abliefert, hat Anspruch auf ordentliche Bezahlung. Aber: Ein Dachdecker, der bei einem einzigen Bauvorhaben auf Außenständen von 240.000 Euro sitzen bleibt, sollte das firmeninterne Controlling mal sehr genau unter die Lupe nehmen. Vielleicht auch sich selbst in Frage stellen.
Wer, wenn nicht der Dachdecker, hat bei der Abrechnung alle Trümpfe in der Hand? Solange das Dach nicht dicht ist, kann im Gebäude nix ausgebaut werden. Bei uns Normalbürgern hat gerade dieses Handwerk null Hemmungen, auf Abschläge – nach Baufortschritt – zu drängen. Das soll bei einem von der Gewoba veranlassten und von einem Generalunternehmer durchgeführten Neubau nicht gelingen? War der Dachdecker vielleicht nicht ausreichend auf dem Quivive? (Falls Sie die Schreibweise nicht genau wussten, trösten Sie sich: Ich musste Frau Google ebenfalls befragen!).
Hatte Herr Dachdecker vielleicht den Überblick über die Außenstände aus dem Blick verloren? An anderen Stellen drängen Dachdecker stets auf Abschlagszahlungen, drohen notfalls damit, bis zur Zahlung ausstehender Summen nicht mehr auf der Baustelle zu erscheinen. Was meinen Sie, wie fix der niederländische Generalunternehmer bei drohendem Baustopp die Zahlungen angewiesen hätte?
Die Gewoba ist sich bei dieser Nummer keiner Schuld bewusst. Beim Bau des Atriumhauses hätten sich Handwerker sogar wegen der raschen Geldüberweisungen freudig geäußert.
Und nun zu dem Handwerker, der von der Stadt fordert, sie solle ihre Aufträge bevorzugt in den eigenen Mauern vergeben.
Hört sich erst mal schick an, ist aber mit EU-Recht so wenig zu vereinbaren wie ein Dachdecker mit „appen“ Armen auf dem Gerüst. Außerdem. Wäre es so, würde genannter Bremer Handwerker in anderen Städten keine Aufträge mehr erhalten. Nur mal eben, einen Ticken weiter gedacht…
Die EU-Richtlinien sind glaskar – und allen Handwerkern geläufig. Jene Regeln besagen: Übersteigt der Auftrag einer öffentlichen Institution (Stadt, Land, Bund) oder eines öffentlich beherrschten Unternehmens für Dienstleistungen und Lieferungen den Wert von 140.000 Euro, dann muss dieser europaweit ausgeschrieben werden. Das gleiche gilt für Bauaufträge, sobald diese den sogenannten Schwellenwert von 5.382.000 Euro knacken. Auch dann müssen öffentliche Auftraggeber Europa-weit ausschreiben.
Übrigens: Dieser ganze Ausschreibungs-Kram wurde eingeführt, um Vetternwirtschaft und vor allem die früher weit verbreitete Korruption öffentlich Bediensteter zu unterbinden. In der Vergangenheit gab’s Geschichten, da würden Sie mit den Ohren schlackern. Würde heute aber zu weit vom Thema wegführen. Eigentlich schade…
Ebenfalls eindeutig: Der billigste Anbieter (billigst-günstigster) muss den Zuschlag erhalten. Das „Üble“: Alle Teilnehmer einer Ausschreibung sehen, wer welche Gebote abgegeben hat. Entscheidet sich ein Auftraggeber für den Zweit-Günstigsten, muss er dieses wortreich erklären (macht zusätzliche Arbeit!). Und, der unterlegene, billigste, aber unterlegene Handwerker hat das Recht, die Gründe dafür notfalls vor Gericht zu erfahren. Die Folge: Das Bauvorhaben liegt auf Eis, kann erst beginnen, wenn das Verfahren vor Gericht abgeschlossen ist.
So, jetzt sind Sie, liebe Leserinnen und Leser, dran: Versetzen Sie sich mal in die Lage von Herrn/Frau Gewoba-Entscheider. Wer wird den Auftrag wohl erhalten? Der Billigste. Denn sonst löst der Entscheider einen Rattenschwanz an Zusatzarbeit im Haus des Bauherrn aus. Mehr Arbeit bei der Bauvergabe. Die erfordert mehr Personal. Das wiederum kostet mehr Geld.
Und wer war nochmal der Mehrheitseigner der Gewoba? Und wer ist ständig so klamm, dass jeder Euro in der Kasse klingeln muss? Bremen.
Bei dem Gedanken, wer Bremen eigentlich ist, wird’s mir dann doch etwas anders. Das sind ja w i r , die wir hier wohnen und – im besten Fall – Steuern zahlen. Da lassen wir den Stammtisch doch lieber dort, wo er hingehört.
Bleiben Sie munter!
Herzlichst
Ihr as
Axel Schuller