Ein Tagtraum? Mal fix 220 Kilometer Fernwärmeleitung bauen
Liebe Leserinnen und Leser, Hilfe, ich brauche Ihre Unterstützung. Ehrlich.
Je mehr ich mich (für Sie?!) mit dem Thema „Klima-Enquetekommission“ der Bremischen Bürgerschaft beschäftigte, umso mehr spüre ich ein gewisses Maß an Verzweiflung in mir hochkriechen.
In mir keimt ein schlimmer Verdacht. Und der lautet (ich will mich sehr gerne irren!) so:
- Zunächst haben sich die Mitglieder der Enquetekommission offensichtlich ganz fest vorgenommen: Wir wollen für Bremen klimaschutz-technisch das Beste.
- Die Abgeordneten haben dann – je nach politischer Couleur – Wissenschaftler in die Kommission berufen, von denen sie meinten, dass ihnen diese am nächsten stehen. Also inhaltlich.
- Wir Politiker definieren „das Beste“ wie folgt: Bremen soll 2038 klimaneutral sein.
- Wir Politiker wissen nicht, wie das geht, nennen „unseren“ Wissenschaftlern aber das Ziel und bitten darum: Rechnet mal von 2038 rückwärts, mit welchen Mitteln man das erreichen kann.
- Wissenschaftler sind Wissenschaftler. Die haben ihr Fachgebiet im Blick. Rechts und links davon – also so unwesentliche Kleinigkeiten wie Chancen der Verwirklichung, Kosten etc. – beeinträchtigen die Sicht nicht zwingend.
- Die Experten lassen sich nicht zweimal darum bitten. Endlich hört Ihnen jemand – willig und interessierst – zu.
- Hurra, die Wissenschaftler rechnen total logisch auf jedem Politikfeld vor, wie man weniger CO2 ausstößt. Wieviele Autos mit Verbrenner-Motor von den Straßen verschwinden müssen. Wie viele Kühe aus Bremen weg müssen, um weniger Verdauungs-Gase abzusondern.
- Die Bürgerschaftsabgeordneten schwant derweil, dass sie dabei sind, etwas Großes zu schaffen.
- Also fangen sie an, alle logischen Vorschläge der Experten zu Papier zu bringen. Über 370 Seiten benötigen sie am Ende, um alle Gedanken und Minderheitenvoten aufzuschreiben. Wirklich alle. So feine Sachen, wie: Bis 2030 müssen bei öffentlich zugänglichen Veranstaltungen 25 Prozent aller feilgebotenen Lebensmittel – fester und flüssiger Art – vegan sein. Der Fleischverzehr insgesamt soll wenn irgend möglich auf 50 Prozent reduziert werden. Bei den ganzen Geschreibe verlieren einige die Realität allmählich aus dem Blick. Ihre Gedanken machen sie förmlich glückstrunken, der Nachwelt etwas Großes zu hinterlassen.
Am Ende steht – beispielsweise – in dem Schlussbericht der Enquete-Kommission: Um die CO2-Neutralität zu erreichen, muss Bremen die (für die Umwelt am besten verträgliche) Fernwärme massiv ausbauen. Das reicht den Umwelthelden von CDU, SPD, Grünen, Linken und FDP aber nicht. Die Wissenschaftler haben so feine Rechenbeispiele mitgeliefert, dass man die auch gleich in dem Bericht aufnehmen kann.
So legt das Papier nahe: Das Fernwärmenetz muss bis 2038 um sage und schreibe 220 Kilometer erweitert werden.
So, liebe Blog-Verschlingende, nun mal zur Abwechslung etwas durch die ungetrübte – also nicht rosa-grünliche – Brille: Aktuell ist das Fernwärmenetz in der Stadt Bremen 271 Kilometer lang. Die swb beginnt gerade damit, das Netz um 7 Kilometer zu erweitern. Die Leitung zwischen Müllheizkraftwerk (früher MVA) im Blockland und der Uni samt Umgebung wird in Höhe des „Platzhirschen“ quer durch Schwachhausen bis zum Heizkraftwerk in der Vahr verlängert. Dafür werden 159 Bäume umgelegt. Dafür wird – beispielsweise – ein Teilstück des Schwachhauser Rings für etwa ein Jahr erneut aufgerissen und lahmgelegt. Die Kanalbauer sind dort ja immerhin schon vor acht Monaten fertiggeworden.
Die ganze Schose hatte eine Vorbereitungszeit von über 4 Jahren beansprucht. Pläne machen, mit allen Beteiligten – Behörden, Bürgern, Verbänden und haste nich gesehen – abstimmen, ist nervenaufreibend und langwierig.
Das Müllheizkraftwerk im Blockland ist nahezu ausgelastet, soll nicht erweitert werden. Durch eine Umsteuerung des Betriebes kann zusätzlich noch etwa soviel Wärme erzeugt werden, dass rund 25.000 weitere Haushalte mit Wärme versorgt werden können. Dann heißt es: Aus die Maus.
Um danach weitere Häuser mit Wärme und Warmwasser zu versorgen, müssen unter anderem Riesen-Wärmepumpen in die Landschaft gepflanzt werden. Die entziehen der Luft – jedenfalls bei Plus-Graden – Wärme und speisen die in die „Wärmeaufbereitung“ ein. Notfalls könnte man dem Weser-Wasser Wärme entlocken. Und Firmen der Lebensmittelindustrie, wie Kaffee-Röstereien, oder Rechenzentren könnten ebenfalls Abwärme beisteuern.
Ja, und dann ist da natürlich die Sonne. Deren Strahlen spenden ebenfalls Wärme. Allerdings: In dem flächenmäßig doch sehr begrenzten und von der Sonne nicht gerade verwöhnten Bremen müssten dafür riesige Felder mit Solar-Anlagen bestückt werden.
Frage: Sollen damit notfalls etwa der Bürgerpark oder große Schrebergarten-Gebiete vollgepflastert werden? Damit das klar ist: Erdbeeren, Zwiebeln, Kartoffeln und Co könnten dann dort nicht mehr angebaut werden. Würde auch keinen Sinn machen, weil die Kleingärtner-Lauben natürlich den Solar-Anlagen weichen müssten.
Na, soweit werden die Klima-Planer wohl doch nicht gehen.
Und, Sie ahnen, woran ich jetzt ekeligerweise erinnern will: Nun fordert die mit Wissenschafts-Turbo gepimpte Kommission, bis 2038 – man könnte im übertragenen Sinn auch übermorgen sagen – 220 Kilometer zusätzliche Fernwärmeleitung zu bauen. Was kostet so ein gutes Umwelt-Gewissen? Experten rechnen über den dicken Daumen mit der wirklich läppischen Summe von zehn Millionen Euro pro Kilometer Fernwärmeleitung.
220 (Kilometer) multipliziert mit 10 Millionen (Euro) ergibt nach Adam Riese (sofern der doch noch ab und zu mal in Bremen vorbeischaut): 2,2 Milliarden Euro. Ich kann’s leider nicht lassen, und werfe Ihnen – falls Sie wirklich noch Lust haben – eine Vergleichsgröße zum fröhlichen Verdauen vor die Füße: Das gesamte Land Bremen hat einen öffentlichen Etat von jährlich rund 5 Milliarden Euro.
Zurück auf Los: Ich kriege allmählich die Krise, wenn ich solche Wünsch-dir-was-Kataloge durchforste. Wie gesagt: Liebe Leserinnen und Leser, ich benötige dringend Ihre Hilfe. Sonst werde ich unserem Ländchen noch kirre. Wäre ich ein begnadeter Maler, stünde ich vermutlich in der Gefahr, mir ein Ohr abzuschneiden. Zum Glück neige ich nicht zur Selbstverstümmelung.
Noch irrer ist, wenn man sich anschaut, was wir mit diesem für Deutschland – ach, was sag ich: Europa, noch besser für die Welt – Ziel im besten Fall erreichen: Deutschland stößt als eine der größten Exportnationen der Welt rund 1,8 Prozent des weltweit emittierten CO2 aus. Bremen wiederum hat am deutschen CO2-Ausstoß einen Anteil von 2,4 Prozent.
Normalerweise steuern wir nur etwa 1 Prozent zu allem bei. Im Fall des CO2 liegen wir deutlich höher, weil in Bremen – beispielsweise – ein Stahlwerk steht. Und noch erzeugt die swb hier Strom aus Steinkohle und Gas.
Das Fazit meiner heutigen Darlegung mündet in eine Frage an alle Klima-Enthusiasten: Leute, tickt’s noch, oder ist bereits Gaga-Land angesagt?
Bitte, bitte bleiben Sie munter!
Herzlichst
Ihr as
Axel Schuller