Bremer Senat – dreister als die Engländer erlauben
Achtung, nicht erschrecken. Ich möchte heute etwas tun, was nicht zwingend zur Kernkompetenz von Journalisten gehört: Ich will ausdrücklich Dank sagen. Ich hoffe bloß, dass der Kollege jetzt nicht in seiner Redaktion schräg von der Seite angesehen wird. Man weiß ja nie.
Genug des Vorspiels: Heute möchte ich mich bei Jürgen Theiner, für den Weser-Kurier als landespolitischer Berichterstatter tätig, bedanken. Der Grund: Er hat der Bremischen Evangelischen Kirche beherzt die Stirn geboten. Leider folgenlos, wie Sie noch sehen werden. Aber immerhin!
Die Forderung der BEK, am Karfreitag (15. April) dürfe auf der Galopp-Rennbahn in der Vahr kein Pferde-Rennen stattfinden, hat der WK-Kollege – wie ich finde – zu recht als „anmaßend“ gegeißelt.
Der Trubel eines Renntages, so die Kirchen-Oberen, vertrage sich nicht mit dem „stillen Feiertag“.
Vorab – das muss man in Bremen dazusagen – um nicht umgehend in einer Schublade zu landen: Ich habe weder mit Pferden noch mit Sportwetten irgendetwas am Hut.
Also: Wieviele Bremer und Bremerinnen gehören noch den zwei „großen“ Kirchen an? Sie, geneigte Leser, wissen ja bereits: Ich stehe auf Fakten. Also: Ende 2019 gehörten der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) 176.786 Menschen an. Dies sind laut Statistik 29,9 Prozent. Für die Bremer Katholiken fand ich die Zahl 79.071 (12,1 Prozent der bremischen Bevölkerung).
Das letzte Zahlenpaar ist freilich mit größter Vorsicht zu bewerten. Dem Papst und seinen getreuen, überwiegend uneinsichtigen Kardinälen, Bischöfen & Co. laufen aktuell in Deutschland die Gläubigen so schnell davon, wie in Afrika und Südamerika trotz des kirchlichen Verhütungsverbotes keine neuen Babys geboren werden können.
Der Missbrauch von Kindern durch vom Zölibat drangsalierte katholische Gottesdiener und die unverschämte Fast-Nicht-Reaktion der Amtskirche darauf treibt selbst tiefgläubige Christen aus der Amtskirche. Ich verspreche/drohe Ihnen hiermit an: Dies wird nochmal ein extra Thema in diesem Blog. Aber, es ist wie im richtigen Leben: Eines nach dem anderen – schließlich bin ich hier kein Lohnschreiber, sondern sendungsbewusster Rentner.
Zurück zur Sache: Evangelen und Katholen bringen es in Bremen – ich schätze – noch auf knapp 40 Prozent der Bevölkerung. Ein Mini-Bruchteil dieser Menschen sitzt im sonntäglichen Gottesdienst. Laut Statistik der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) besuchen bundesweit 3,8 Prozent ihrer Gläubigen an einem Karfreitag einen Gottesdienst.
Vor diesem Zahlenhintergrund frage ich mich: Seit wann darf eine Mini-Mini-Minderheit der übergroßen Bevölkerungs-Mehrheit vorschreiben, was diese zu tun bzw. zu lassen hat?
Früher sagte man in einem solchen Fall salopp: Ich glaub, mein Schwein pfeift. Wie gesagt: Früher. (Meine Söhne würden jetzt vermutlich wieder aufstöhnen: „Ja, ja, als wir noch nen Kaiser hatten…“)
Nun wird’s spannend: Weshalb ist sich der Senat eigentlich so einig, dass am Karfreitag keine edlen Zossen im Kreis herumsausen dürfen? Sahnehäubchen am Rande. Aber wirklich nur für Genusssüchtige: Eine Woche vor der Senatsablehnung hatte die städtische Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) dem Rennverein die Anmietung der Galopprennbahn für Karfreitag 2022 zugesagt.
Der Senat folgte hingegen den bremischen Kirchenfürsten. Das Feiertagsgesetz, so Innensenator Ulrich Mäurer (vermutlich voller Mitgefühl), lasse an dem hohen kirchlichen Feiertag Karfreitag keinen Spielraum zugunsten einer Ausnahmeregelung. Seltsam: Etwa 30 Jahre lang hat die Saison auf der Rennbahn stets an einem festen – man kann schon fast sagen: in-Beton-gegossenen – Termin begonnen. Sind Sie ein Schnell-Merker (m/w/d)? Ja, richtig: Stets am Karfreitag des Jahres; jeweils mit Ausnahmegenehmigung der Innenbehörde. Jetzt pfeift kein Schwein mehr, jetzt lachen schon die Hühner.
Der Rennverein wollte diesen Traditions-Aspekt auch ins Feld führen, konnte damit aber im Senat argumentativ nicht punkten. Und, liebe Leserinnen und Leser, jetzt muss ich sehr, sehr an mich halten, um nach den Bildern mit Schweinen und Hühnern nicht ausfallend zu werden.
Ehrlich! Sie verstehen meine gerade drohende Eruption gleich besser. Ein Argument der Innenbehörde gegen eine Ausnahmegenehmigung lautete nämlich: Das Karfreitags-Rennen sei keine Traditions-Veranstaltung. Schließlich habe das letzte im Jahr 2018 stattgefunden. Ja, warum denn wohl? Weil Senat und die ihn tragenden Parteien entschieden hatten, auf der Rennbahn sollten keine Pferderennen mehr stattfinden. Wie muss es um die innere Größe bestellt sein, um sich solch ein an den Haaren herbeigezogenes „Argument“ auszudenken? Geht’s noch, Damen und Herren der Landesregierung? Auf welche Taten/Untaten/„Argumente“ dieser Regierung müssen wir Bürger uns künftig eigentlich noch gedanklich einstellen?
Übrigens, vielleicht nicht wichtig, vielleicht aber auch nicht unwichtig: Beim vorigen Renntag hatten Mitglieder des Tierschutzvereins vor der Rennbahn eine Demo gegen den Galoppsport abgehalten. Sie, liebe Leserinnen und Leser, haben dank „Bremen so gesehen“ ja einen sehr privaten Zusammenhang kennengelernt: Frau-Tierschutz-Vorsitzende Brigitte Wohner-Mäurer ist die Ehefrau des Innensenators Ulrich Mäurer (70), der in diesem Jahr eine Ausnahmegenehmigung von der Feiertagsregelung für den Rennverein abgelehnt hat. Angesichts der Tatsache, dass Mäurer auch eine Ausnahmeregelung für die Schutzhundestaffel der Polizei (weitere Nutzung des Stachelhalsbandes) abgelehnt hatte, frage ich mich inzwischen bei aller bisherigen Sympathie für den einsamen Recht-und-Ordnung-Kämpfer im Senat ernstlich: Wie unabhängig ist der Senator von häuslichen Einflüssen?
Und noch ne Frage: Was sagt Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte (SPD) zu alledem? Der Mann ist nicht nur Ministerpräsident unseres Ländchens, sondern auch Kirchensenator.
Gestatten Sie mir bitte noch einen Gedanken zum Begriff „Traditions-Veranstaltung“. Wimbledon, das prestigeträchtigste Tennisturnier der Welt, ist 2020 wegen Corona abgesagt worden. Ist auf der – manchmal durchaus verrückt erscheinenden – Insel auch nur ein Mensch auf die – Entschuldigung – irre Idee gekommen, dem Turnier den Charakter einer „Tradition-Veranstaltung“ abzusprechen? Ne, natürlich nicht! Das kriegen nur sehr einfallsreiche Hanseaten hin.
Laut Strafgesetzbuch Paragraf 90 droht für die Verunglimpfung von Verfassungsorganen, also auch einer Landesregierung, im schlimmsten Fall Haftstrafe. Wer zur Polemik neigt, würde jetzt möglicherweise fragen: Ist soviel Kreativität einer Regierung eigentlich ohne Zuhilfenahme von – sagen wir mal – „Nahrungs-Ergänzungsmitteln“ möglich? Mein Fazit lautet hingegen: Jeder verunglimpft sich selbst, so gut er kann. Bremen eben, wie es singt und lacht.
Liebe Leserinnen und Leser, verstehen Sie jetzt, weshalb ich mich vorhin (Hühner und so) wirklich sehr anstrengen musste, um die Zügel sprachlich nicht aus der Hand gleiten zu lassen?
Doch es gilt weiter: Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr as,
Axel Schuller