Der Bundestag als brutal abschreckendes Beispiel
Puh, haben Sie es auch gemerkt? Wir sind 75 geworden. Na klar, nicht Sie – vermutlich jungen HüpferInnen :-). Nein, unser Bremchen wurde am 21. Januar 1947 als selbstständiges Bundesland von den Alliierten in die Freiheit entlassen. Da sind wir nun. Was wir von unserem Ländchen zu halten haben, konnten Sie (Friedrich Merz würde wohl formulieren) in und aus den „etablierten“ Medien erfahren.
Ich möchte Ihr Augenmerk gerne in eine andere Richtung lenken.
Und sollten Sie jetzt denken, meine Güte, was hat der besserwisserische, grantelnde Herr Alt-Journalist nun schon wieder zu kritisieren? Nix, na ja, fast nix. Ich möchte heute ausdrücklich loben! Nicht, weil wir Wochenende haben, sondern – weil es angebracht ist. Und viele Bremerinnen und Bremer sich dessen nicht bewusst sind.
Bremen gehört zur radikalen Minderheit jener Bundesländer, in denen noch strikt zwischen Parlament und Regierung getrennt wird.
Zur Vorbereitung auf das zugegebenermaßen etwas sperrige – ich finde aber erörterungswürdige – Thema möchte ich Sie auf das aus meiner Sicht brutal abschreckende Beispiel, namens Deutscher Bundestag, hinweisen. Dort regiert die Ampel-Koalition mit deutlicher Mehrheit von 416 Abgeordneten. Inklusive aller Regierungsmitglieder.
Hä, die Regierung ist doch bloß die ausführende Kraft (Exekutive), die Musik, also Gesetzgebung (Legislative), macht doch das Parlament, der Bundestag. Glauben Sie, oder? Stimmt in dieser Eindeutigkeit leider nicht. Viele Regierungsmitglieder sind zugleich Abgeordnete. Anders ausgedrückt: Die Kontrollierten (Regierung) kontrollieren sich als Abgeordnete selbst. Da ist es ziemlich praktisch, dass die Bundesregierung nicht nur aus den MinisterInnen und dem Kanzler besteht, sondern über eine wahre Heerschar von ganz besonderen Mitarbeitern verfügt, die wiederum auch Mitglieder des Deutschen Bundestages sind. Bevor ich den Kuddelmuddel aufzuklären versuche, noch ein Blick auf Bremen. Und zwar voller Stolz!
Der Stadtstaat Bremen hat in seiner Landesverfassung, im Artikel 39, festgelegt: Wer in den Senat (also unsere Landesregierung) gewählt wird, muss aus der Bremischen Bürgerschaft (also unserem Landesparlament) ausscheiden. Somit sind Legislative (Parlament) und Exekutive (Senat) strikt voneinander getrennt. Über diese vorbildliche Gewaltenteilung verfügt lediglich nur noch ein weiteres Bundesland: Der Stadtstaat Freie und Hansestadt Hamburg. Fanfarenstoß und Trommelwirbel. Haben wir uns verdient, nicht nur wegen des 75. Geburtstages.
Und im Bund? Kuddelmuddel, Heerschar von parlamentarischen Regierungs-Mitarbeitern? Will der Schuller sich jetzt auch noch mit der Bundesregierung anlegen? Gerne doch! Die Tatsache, dass sich alle Regierungsmitglieder (sofern in den Bundestag gewählt) an Abstimmungen beteiligen dürfen, passt meines Erachtens nicht zum demokratischen Grundsatz der Gewaltenteilung.
Aktuell dürfen übrigens fünf MinisterInnen im Bundestag nicht mitstimmen, nämlich: Innenministerin Nancy Faeser, Bauministerin Klara Geywitz, Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (alle SPD) und Familienministerin Anne Spiegel (Grüne). Bei diesen fünf ist „meine“ Rechts-Welt noch in Ordnung.
Doch jetzt kommt’s ganz dicke. Die Ampel-Koalition hat insgesamt 37 Parlamentarische Staatssekretäre berufen – so viele wie keine Regierung zuvor. Grüne und FDP hatten früher stets über die die große Schar der PStS gemotzt – jetzt nicht mehr. Woran dies wohl liegen mag? 37 bedeutet auch: Jeder elfte Koalitionsabgeordnete ist als Parlamentarischer Staatssekretär Teil der Regierung. Wem gilt deren Loyalität? Den Wählern oder eher den jobbringenden Ministern/Ministerinnen?
1967, Kurt Georg Kiesinger (CDU) war seinerzeit Kanzler, ist das Geburtsjahr der Parlamentarischen Staatssekretäre. Der Gedanke: Begabte Bundestagsabgeordnete sollten in der Doppelrolle von Parlamentarier und Regierungsmitglied für eine spätere Ministertätigkeit fit gemacht werden.
Carl Kau, Bremer Chef des Bundes der Steuerzahler, und gelernter Banker, wird ganz unruhig, wenn er an die Zahl von mittlerweile 37 Parlamentarischen Staatssekretären denkt; beziehungsweise an die damit verbundenen horrenden Kosten. Kau rechnet vor: Jeder dieser „Top-Sekretäre“ erhält 12.642 Euro Amtsgehalt und 230 Euro steuerfreie Aufwandsentschädigung. Da sie jedoch zugleich auch Abgeordnete sind, erhalten sie seitens des Bundestages eine halbe Diät in Höhe von 5.007 Euro sowie eine gekürzte, steuerfreie Kostenpauschale von 3.420 Euro.“ Kaus Addition ergibt: „Ein stolzes Monatseinkommen von mehr als 21.000 Euro.“ Bei 37 „Parlamentarischen“ kommt da jährlich schon ein erkleckliches Sümmchen zusammen. Reicht aber nicht. Jeder in diesem erlauchten Kreis verursacht im Schnitt Kosten von je 300.000 Euro für Büro, Personal und Dienstwagen.
Carl Kau und seine Mitstreiter vom Bund der Steuerzahler fuchst bald noch mehr, dass diese Schar der Parlamentarischen Staatssekretäre zuweilen/häufig die Arbeit der beamteten Staatssekretäre, welche die Ministerien nach Innen leiten, behindern. Der Bund der Steuerzahler fordert deshalb: Pro Ministerium sollte es höchstens einen Parlamentarischen Staatssekretär geben.
Bevor Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich jetzt völlig ermattet von Tablet oder Rechner abwenden, noch schnell eine Brücke nach Bremen gebaut. Hier herrscht nicht nur die klare Gewaltenteilung zwischen Parlament und Senat. Hier gibt’s – wenn wir uns schon mal gemeinsam die Verfassung anschauen – leider noch eine andere, auf dem Papier negative Besonderheit: Der Regierungschef ist gar keiner. Andreas Bovenschulte ist zwar der Präsident des Senats, kann aber selbst „wildgewordenen“ Mitgliedern des Senats keine Weisung erteilen. Er verfügt, anders als der Bundeskanzler, über keine Richtlinienkompetenz. Er ist Erster unter Gleichen. So können sich beispielsweise Mobilitätssenatorin Maike Schaefer (Grüne) und Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) hemmungslos – verbal versteht sich – wie die gern zitierten Kesselflickerinnen prügeln. Und Bovenschulte hat keine Handhabe dagegen. Dies liegt wiederum auch an der Verfassung: Die Bremische Bürgerschaft wählt den Präsidenten des Senats und anschließend jedes einzelne Senatsmitglied. Übrigens auch mit der Folge, dass einzig das Parlament einem Senator/Senatorin das Misstrauen aussprechen und abwählen kann.
Im Bund und in anderen Ländern darf der Regierungschef (weibliche Form bitte immer mitdenken) Minister notfalls entlassen. In der Praxis geschieht dies extrem selten, besonders in Koalitionsregierungen. Oder glauben Sie, Olaf Scholz könnte Robert Habeck – beispielsweise – in drei Jahren nach einer etwaig gescheiterten Energiewende entlassen, ohne dass ihm die Grünen die Hölle heißmachen, bzw. die Koalition aufkündigen?
Zurück nach Bremen: Andreas Bovenschulte könnte seine persönliche Autorität – ungeachtet der fehlenden Richtlinienkompetenz – dennoch häufiger nutzbringend einsetzen, um unnötige, nicht an der Sache ausgerichtete Rangeleien zwischen Senatsmitgliedern zu beenden. Dafür ist seine faktische Position stark genug. Dass er’s nicht macht, sollte er spätestens im kommenden Jahr vor der nächsten Wahl erklären.
Heute besonders: Munter bleiben!
Herzlichst Ihr as
Axel Schuller