Institut gegen Grausamkeiten in der Bildungspolitik

21.01.2022 Aus Von ED-as_Blog-17

Achtung, jetzt müssen Sie Ihre Tränendrüsen im Griff haben! Die nun folgenden Zahlen und Fakten sind nicht für Kinderaugen geeignet… Na ja, genug des Vorspiels: Mittlerweile haben 50 Prozent aller Bremer Schüler einen Migrationshintergrund90 Prozent der Grundschüler beispielsweise in Tenever oder Gröpelingen stammen aus Migranten-Familien. Viele Kindergartenkinder wissen bei spielerischen Tests nicht, wie sie eine Schere zum Basteln halten müssen – geschweige denn, wie man damit schneidet. In vielen Bremer Stadtteilen wird im Kindergarten selbstverständlich großes Gewicht auf Sprachförderung gelegt. So wie in Grundschulklassen Zusatz-Deutsch angeboten wird.

Bloß, was nutzt die Sprachförderung in Kita und Grundschule, wenn die Eltern zu Hause überwiegend Russisch, Bulgarisch, Türkisch oder Arabisch sprechen?

Bremen will das Dilemma der Sprach- und Bildungsdefizite nun mit Hilfe eines neuen Instituts zur Qualitätssicherung der Bildung angehen. Die Bürgerschaft hat die Gründung der Institution beschlossen, und die Deputation hat kürzlich die Anmietung von Büros im Tabakquartier freigegeben. In wenigen Tagen soll’s schon losgehen. 

Noch ein paar weitere Bremer „Grausamkeiten“. Zur Einschätzung der Chancen, Kindern Bildung zu vermitteln, betrachten Experten sogenannte „Risikolagen“. Die drei wichtigsten Negativfaktoren sind: Arbeitslosigkeit, Armut, niedriger Bildungsabschluss in den Elternhäusern.

Achtung: In Bremen sind „mindestens 30 Prozent aller Bremer Eltern“ von allen „Risikolagen“ betroffen. In Berlin sind es 24 Prozent, in Hamburg 19 Prozent. 

Und wie steuern die drei Stadtstaaten gegen, um dennoch die Bildungschancen aller Kinder zu fördern? Auch diese Zahlen sind elendig beeindruckend: Bremen investiert jährlich 8.100 Euro pro Kind. In Hamburg fließend 10.600 Euro, in Berlin sogar 11.300 Euro pro Kind und Jahr. Weiterer „Clou“: In diesen Ausgaben (Statistik 2019) sind auch alle Baumaßnahmen in und für Schulen enthalten. Bremen hat unter Ex-Bildungssenatorin Claudia Bogedan bekanntlich alle verfüg- und  bezahlbaren Zementmischer zugunsten von Sanierung und Neubau von Schulen angeworfen. In Hamburg muss nicht soviel gebaut werden, dort fließt der Großteil der Gelder  tatsächlich in die Bildungsarbeit.

Die Folgen in Bremen sind bekannt. Der Zwei-Städte-Staat schneidet bei allen Vera- und Pisa-Tests katastrophal schlecht ab. Dass dies so ist, wundert angesichts der zu Beginn beschriebenen Migrationsraten nicht. Zur kleinen Ehrenrettung der Bremer sollte man freilich anmerken, dass an der Weser komplette Klassen – also inklusive der Inklusionskinder – an den Tests teilnehmen. Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen – also die Upper-Class bei bundesweiten Tests – unterrichten Kinder mit Einschränkungen weiter in gesonderten Förderschulen. Und die nehmen nicht an Vera, Pisa und Co teil. 

Noch ein paar Worte zum neuen Institut zur Qualitätssicherung (IQHB genannt). Dieses kann seine Arbeit nur so gut erfüllen, wie die Zusammenarbeit mit den bremischen Lehrern und Lehrerinnen klappt. Und da kriege ich, gelinde gesagt, gewisse Bauchschmerzen. LehrerInnen und deren Personalratsvertreter „genießen“ zwar immer noch teilweise den Ruf, Neuem gegenüber nicht übermäßig aufgeschlossen zu sein. Im Fall des Qualitätsinstitutes ist dies – nach meinen Recherchen – freilich ungerecht. Bremer Pädagoginnen und ihre männlichen Kollegen haben sich lediglich erkundigt, wie das Vorbild (Hamburger Institut für Qualitätssicherung) funktioniert. Und siehe da: Während die Bremer Lehrerschaft alle zusätzlichen Aufgaben während der regulären Arbeit erledigen soll/muss, werden ihre Hamburger KollegInnen auf mannigfache Art entlastet. Beispielsweise springen pädagogische Fachkräfte in den Klassen in merkbarer Zahl ein, um die Kinder zu betreuen, während die Lehrer sich kümmern können um: Koordination, Organisation und Auswertung zusätzlicher Test. Nur mit Hilfe eigener  Leistungsabfragen lassen sich ja Lernfortschritte – oder auch Stillstand – feststellen.  

Die neue Bildungssenatorin Sascha Karolin Aulepp (SPD) steht deutlich hörbar hinter dem neuen Institut. Die Ergebnisse des vorigen Vera-Bundestests „waren  besorgniserregend, da gab und gibt es nichts schön zu reden“, teilte sie mit.

Eine etwas überraschende Sicht der Bremer Bildungspolitik verbreitete hingegen Gönül Bredehorst, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Bürgerschaftsfraktion. Die Instituts-Gründung versetzte die Sozialdemokratin – immerhin kein Greenhorn und Mutter zweier Kinder – offenbar in einen Freudentaumel. Unter Auslassung von Fakten erklärte sie, die neue Qualitätssicherung werde „für eine noch bessere Bildung in Bremen“ sorgen. Offen gesagt: „Noch besser“ habe ich als pure Satire empfunden.


Zum Schluss von mir ein – vielleicht der Hilflosigkeit entsprungener – Gedanke: Das neue Institut kann – wenn alles gut läuft – wertvolle Erkenntnisse hervorbringen. Ich befürchte freilich, dass sich (speziell die Bundes-) Politik zu viel drastischeren Maßnahmen entscheiden muss. Wer in unserem Land leben und/oder staatliche Leistungen in Anspruch nehmen will, muss die deutsche Sprache – in einem klar vereinbarten – Zeitraum erlernen. Nur wenn mit Kindern auch zu Hause Deutsch gesprochen wird, kommen diese in Kindergarten und Schule mit. Es darf nicht länger sein, dass Jungen und Mädchen mit „Migrationshintergrund“ verzweifelt vor sich hinstarren, weil sie Mathe-Textaufgaben schon sprachlich nicht verstehen. Lassen wir die Kinder auf diesem Feld weiter allein, vergehen wir uns an deren Zukunft. Wer könnte dies auf Dauer verantworten?

Dennoch: Munter bleiben!

Herzlichst Ihr as

Axel Schuller