WK-Blattkritik: Leitartikelchen und wertvolle Arbeit / Keine Leserbriefe zum KaS-Wegfall?!
Liebe Leserinnen und Leser, wollen wir mal eben eine kurze „Blatt-Kritik“ (so nennt man das in Redaktionskonferenzen) des Weser-Kurier vornehmen? Ist ja schließlich unsere einzige Heimat-Zeitung.
Vorigen Sonnabend stand auf Seite 2 ein atemberaubender Leitartikel. Bürgerschaftspräsident Frank Imhoff müsse sich endlich entscheiden. Entweder Präsident aller Abgeordneten, oder CDU–Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl im Mai kommenden Jahres. Beides gehe nicht. Ansonsten „beschädigt“ Imhoff das Präsidentenamt.
Der Autor nahm eine entsprechende Presseerklärung der Jusos (Jugendorganisation der SPD) vom 5. Juni zum Anlass für sein Werk. Wow, ne Presseerklärung einer Parteijugend vom 5.6. findet am 25.6. Widerhall in dem Blatt. Das Fazit des Autors: Imhoff sollte vom Präsidentenamt zurücktreten.
Richtig ist, dass der Stromer Landwirt gehörig aufpassen muss, seine Rollen nicht zu vermischen.
Der gleiche Anspruch muss dann aber auch für Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte (SPD) gelten. Der SPD-Spitzenkandidat kann im Wahlkampf erheblich mehr vom Amtsbonus profitieren als ein Landtagspräsident. Der Regierungschef kann nämlich – wenn er es denn will – etwas bewegen. Ein Parlamentspräsident – mal ganz ehrlich, Leute – nix. Er repräsentiert das Parlament. Mehr nicht. Punkt. Dafür wird er übrigens hammer-mäßig entlohnt.
Beide Amtsinhaber gemeinsam haben eine Pflicht: Sie müssen die Interessen aller Bremerinnen und Bremer im Blick haben.
Meine Forderungen an die betroffenen Parteien gehen weiter: Hüten Sie sich davor, die beiden Spitzenkandidaten mit deren Dienstwagen und Dienst-Chauffeuren zu Wahlkampf-Terminen kutschieren zu lassen. Und die tagsüber für Wahlkampf–Termine genutzte Arbeitszeit haben die Parteien uns – dem Staat – zu erstatten.
Im krassen Gegensatz zu dem Leitartikelchen vom Sonnabend steht am heutigen Montag die Berichterstattung zum skandalösen Umgang der Bildungsbehörde mit Steuergeldern. Es wird Zeit, dass der Finanzsenator im Bildungsressort einen Haushalts–Kommissar (gerne auch Kommissarin) einsetzt. Schlimm genug, dass die Schulbehörde es seit Jahren nicht hinkriegt, dass Bremer Schüler besser werden. Aber jetzt setzt sich das Ressort auch noch an die Spitze der Geld–Vernichter. Unglaublich. Schauen Sie bitte in den heutigen WK und Ihnen werden die Augen übergehen.
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Ja, und dann wird der Senat am morgigen Dienstag (28. Juni) über einen Gesetzentwurf entscheiden, der es in sich hat – einer landesweiten Debatte würdig wäre: die Vergrößerung der Bürgerschaft. Kostet übrigens auch wieder Geld. Aber spielt in unserem Bremchen ja offenbar keine Rolle.
Die Fakten: In der Bremischen Bürgerschaft saßen bis 2003 – hammerhart – 100 Parlamentarier m/w/d. Dann wurde die Zahl – das schlechte Gewissen war wohl zu groß – auf 83 reduziert. Zwischenzeitlich kam ein Mandat hinzu. Und nun haben Juristen festgestellt, dass die Einwohnerzahlen in Bremen und Bremerhaven sich auseinander entwickeln. Die Bremer nehmen zu, die Seestädter ab. Aus diesem Grund sollen künftig drei zusätzliche Sitze geschaffen werden, mithin 87 Frauen und Männer in den Landtag einziehen. Einzig, damit die Bremerhavener 15 behalten können.
Welch ein Irrsinn. Erforderlich wäre in einem Land, das vom Verschuldungsniveau einem Dritte-Welt-Land entspricht – eine knallharte Reduktion der Parlamentssitze auf maximal 51. Soviel hat das kleinste Flächenland, das Saarland (mit 982.348 Einwohnern). Nur mal so zum Vergleich: Schleswig–Holstein (2,9 Millionen Einwohner) hat 69 Abgeordnete, Mecklenburg–Vorpommern (1,6 Millionen Einwohner) 71 Abgeordnete. Im Land Bremen (Bremen und Bremerhaven) leben nach letzter Zählung sagenhafte 676.463 Menschen…
Die von mir ins Spiel gebrachte Verringerung der Bremer Landtagssitze auf 51 würde freilich bedeuten, dass Bremen und Bremerhaven sich endlich – neudeutsch formuliert – „ehrlich machen“. Bedeutet: Bremen und Bremerhaven bilden das Bundesland Bremen. Weshalb spielt die Seestadt dann immer wieder eine Sonderrolle? Beispiel: Weshalb gilt bisher für Bremerhaven bei der Bürgerschaftswahl (Landtag) eine gesonderte fünf–Prozent-Hürde? Weshalb hat Bremerhaven städtische Bedienstete für Polizei, Schulen, Feuerwehr?
Erklären Sie dies mal Menschen in Flächenländern. Es ist doch völlig daneben (bekloppt darf man wahrscheinlich nicht sagen), dass zwei Städte ein Land bilden, in Bremen Landesbedienstete, in Bremerhaven jedoch Kommunalbedienstete für wesentliche Aufgaben wie Sicherheit und Bildung zuständig sind. Praktische Folge: Bremens Polizeipräsident hat keinen Zugriff auf Bremerhavener Polizisten, wenn hier am Weserstadion Randale ist.
Übrigens: Erklären Sie Auswärtigen mal, dass zwischen den Städten Bremen und Bremerhaven niedersächsisches Gebiet zu durchqueren ist. Der Grund: Der erste Bremer Nachkriegsbürgermeister Wilhelm Kaisen (SPD) hat seinerzeit – der Legende nach – das Angebot von Alliierten/Besatzern abgelehnt, die „sauren Wiesen“ zwischen Bremen und Bremerhaven (entlang der Weser) als Landesgebiet anzunehmen.
Zurück zum Ausgangspunkt: Eine Landesreform mit echter Integration Bremerhavens in das Bundesland Bremen schreit so laut nach Realisierung wie alle Kühe zusammen auf Kaisens „sauren Wiesen“ in der Wesermarsch „muhen“.
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Liebe Leserinnen und Leser, habe ich eigentlich schon erwähnt, dass heute (27. Juni 2022) ein besonderer Tag ist. Wissen Sie warum? Heute vor genau einem Monat (27.5.) hat der Weser-Kurier mitgeteilt, dass der Verlag die Sonntagsausgabe (Kurier am Sonntag – KaS) ab Oktober einstellen wird. Seitdem sind zig Leserbriefe zu allen möglichen Themen erschienen. Nur zu einem nicht. Richtig, zu der wesentlichen Veränderung der WK–Erscheinungssweise.
Und wenn Sie jetzt überlegen sollten: Na ja, die Leserinnen und Leser haben sich vermutlich dem Schicksal gefügt und eben keine Leserbriefe geschrieben… Falsch: Ich weiß, dass die Redaktion Leserbriefe zu dem Thema erhalten hat. :-))
Können Sie nachvollziehen, weshalb ein Zeitungs-Verlag die eigene „Wertlosigkeit“ derart brutal dokumentiert? Da kündigt das Blatt unter Nennung abseitiger Argumente – veränderte Lesegewohnheiten, sonntags nicht mehr Lese–Schwerpunkt, blablabla – an, die Sonntag-Ausgabe einzustellen und den Sonnabend zu stärken. Und darauf soll kein einziger Leser, keine Leserin reagiert haben?
Wie ich bereits am 29. Mai („Weser-Kurier schreibt von einem Projekt und meint bloß eines: KOSTEN EINSPAREN“) kommentiert hatte: Es gibt ja durchaus Gründe für eine Reduzierung der Erscheinungsweise. Sonntags-Träger müssen aufgrund des überholten Bundesarbeitsschutzes mindestens 18 Jahre alt sein. Träger dürfen laut Gesetz nicht 7 Tage pro Woche Zeitungen verteilen. Bedeutet: Für den Sonntag ist ein ein eigenes Trägernetz erforderlich. Und finden Sie mal jemanden, der sonntags für die überschaubaren Piepen mitten in der Nacht aufsteht. Der Mindestlohn steigt im Oktober – politisch so gewollt – von 9,82 auf 12 Euro die Stunde. Und und und.
Aber ein Monopol wie der Weser-Kurier fühlt sich offenbar so stark, dass sie dort meinen, sie könnten sich mit der zahlenden Leserschaft alles erlauben!
Falls einige von Ihnen jetzt meinen, ja was soll’s? Wenn die ein paar Leserbriefe zu dem Thema abgedruckt hätten, hätt das ja auch nix geändert. Richtig. Aber selbst in meinem Alter ahne ich, dass gelungene Kommunikation eines solch schwierigen Themas (weniger Leistung fürs gleiche Abo-Geld) anders geht.
Einen Sack voller Leserbriefe mit Kritik, Bedauern und verhaltenem Verständnis auf eine Seite plus ausführlicher, ehrlicher Erklärung, weshalb der Schritt nötig ist/sei – und schon könnte ein Verlag in wirtschaftlich so schwierigen Zeiten hoffen, eher auf tolerante Kunden zu treffen.
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr as
Axel Schuller