Kaum zu glauben: Landtags-Mehrheit will erneut vor Bremerhavener Kollegen in die Knie gehen

01.07.2022 Aus Von ED-as_Blog-17

Liebe Leserinnen und Leser! Spontan fällt mir heute Trapattonis Wutrede von 2009 ein. Der Ex-Bayern-Trainer hatte – einem  Herzinfarkt sehr nahe – ausgerufen: „Was erlauben Strunz?“ Ich möchte – cool wie immer – fragen: Was erlauben Bremerhaven?

Die Fakten im Schnelldurchlauf. Die Einwohnerzahl Bremerhavens ist gesunken, die Bremer dagegen leicht gestiegen. Die Folge: Im Vergleich zur Stadt Bremen stehen den Bremerhavenern von den 84 Landtagsmandaten rechnerisch nicht mehr 15, sondern bloß 14 Mandate zu.

Um dieses eine Mandat ist jetzt ein regelrechter Kampf entbrannt.

Was erlauben sich diese Seestädter eigentlich? Vertreter dieser Stadt an der Weser-Mündung erinnern immer mal wieder an aufmüpfige Pubertierende. Die wollen immer alles von ihren Eltern haben, setzen nahezu jedes Druckmittel ein. Und wenn sie’s erhalten haben, hört man in den seltensten Fällen ein fröhliches Danke.

Bremerhavener Politiker spielen stets auf der selben Klaviatur: Bremen muss uns dieses und jenes geben, denn wir Bremerhavener sind ja so benachteiligt. Uns steht alles zu, was wir fordern. Und überhaupt: Wir sind im Recht. Die Bremer wollen uns klein halten. So, oder ähnlich ticken Amtsträger in der an sich schönen und wichtigen Tochterstadt. Darf man übrigens nicht sagen. Schwesterstadt schon eher, weil dies eher die Gleichwertigkeit ausdrückt.

Als Zugereister habe ich immer wieder überlegt: Woher kommt der ausgeprägte Bremerhavener Minderwertigkeitskomplex

Da ich die Verantwortlichen ja nicht zu mir auf die Couch bitten kann (bin ja auch kein Psychiater), kann ich nur in der Geschichte kramen und kombinieren.

Vorweg eines, was nicht alle Bremer wissen: Die einträglichen Häfen an der Wesermündung (Container- und Autoumschlag) liegen zwar im Stadtgebiet von Bremerhaven. Sie sind aber Bremerhavener „Ausland“. Sie nennen sich – und sind es auch:  „Stadtbremische Häfen“. Bedeutet: Hoheit und Geldeinnahmen gehören zu Bremen. Das war nicht immer so eindeutig. 

Bremens Bürgermeister Johann Smidt hat 1827 dem Königreich Hannover ein Gelände an der Geeste-Mündung in die Weser abgehandelt. Der Grund: Die Weser versandte flussabwärts ständig. Um Bremens Handel aufrechtzuerhalten, wurde „Bremerhaven“ gegründet. Laut dem „Großen Bremen-Lexikon“ von Herbert Schwarzwälder „fiel“ das neue Hafengebiet 101 Jahre später – 1928 – offiziell besiegelt an die Stadt Bremen. Ich denke, seitdem hat sich in der Bremerhavener DNA das Benachteiligungs-Gen ge- und leider immer mehr ausgebildet.

Alle Bremerhavener Versuche, diesen „Sündenfall“ rück-abzuwickeln, scheiterten.

Die Bremer hatten nie auch nur ein Fünkchen Interesse, den Bremerhavenern „ihre“ Häfen zurückzugeben. Und auch nicht, den Container-Terminal, den Kaiserhafen oder den – zwischenzeitlich Europas größten – Autoumschlag in ein Konstrukt namens „Landeshäfen“ zu überführen.

Bremer Politiker beschleicht seit mehreren Jahrzehnten nämlich die Sorge, Bremen könnte irgendwann seine Selbstständigkeit als Land verlieren – und damit auch etwaige „Landeshäfen“.  „Stadtbremische Häfen“ hingegen würden eher bei der Stadt bleiben und weiter Wohlstand bescheren. 

Übrigens aber auch nur, wenn Bremen aktuell hunderte von Millionen Euro in die Digitalisierung der Häfen investiert. Bremen und Bremerhaven geraten zusehends ins Hintertreffen. Hamburg, Wilhelmshaven, insbesondere aber Rotterdam und Antwerpen sind die europäischen Champs. 

Da ich gerade bei enorm hohen Geldsummen bin. Bremen hat in den vergangenen Jahren hunderte von Millionen in die Havenwelten geschaufelt. Klimahaus, Auswandererhaus, das Columbus-Passagier-Terminal gäbe es ohne Bremer Kohle nicht. Und noch heftiger: Das Land Bremen hat die Stadtgemeinde Bremerhaven erst 2020 komplett von seinen Schulden befreit: 1,7 Milliarden Euro. War den Bremerhavener „Anerkennung“ – so hieß es in den Medien, keineswegs aber überschwänglicher Dank wert.

Dass sich Bremerhaven immer wieder wie ein herumkrakeelender Halbstarker aufführt, daran hat die „Mutter“ Bremen übrigens selbst schuld.

In der Verfassung des Landes Bremen ist nämlich unter anderem festgelegt: „Die Mitglieder der Bürgerschaft werden in den Wahlbereichen Bremen und Bremerhaven…gewählt.“ (Artikel 75). Das bedeutet in der Praxis: Im Land Bremen gibt es zwei unterschiedliche Wahlbereiche mit jeweils eigenen fünf-Prozent-Hürden. In Artikel 144 setzt sich das Verhängnis fort: „Die Gemeinden… haben das Recht auf eine selbstständige Gemeindeverfassung…“. Artikel 147: „Der Senat hat die Aufsicht über die Gemeinden. Die Aufsicht beschränkt sich auf die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.“

Aus diesen Verfassungs-Abschnitten leiten die Bremerhavener ihr Selbstverständnis als freieste Gemeinde der Republik ab. Wie schon gesagt: verhängnisvoll.

Und so ist zu befürchten, dass die Bremische Bürgerschaft (Landtag) in der nächsten Woche beschließen wird, den Bremerhavenern 15 Mandate zu lassen. Dies hätte den Nebeneffekt, dass die Parteien in Bremen drei weitere Mandate erhielten und unter ihren Gefolgsleuten verteilen könnten. Man kann auch sagen: Der Staat als Beute der Parteien. Offizielle Begründung: Das zahlenmäßige Verhältnis zwischen den Städten im Landtag müsse unbedingt gewahrt werden. 

Einfacher – und der Zeit deutlich angemessener – wäre hingegen der Wegfall eines Bremerhavener Mandats – und keine drei zusätzlichen Bremer Abgeordnete!

Die Logik muss Bremen anderen Ländern gegenüber erst mal vermitteln: Weil die eine Stadt Bürger verliert, gibt sie kein Mandat ab. Stattdessen kriegt die andere Stadt drei mehr. Kostet 400.000 Euro pro Jahr. Dieser Landtag gibt uns alle – sofern er denn wirklich so entscheidet – der bundesweiten Lächerlicherkeit preis. Und das nur, weil die Bremer Partei-Funktionäre Schiss vor den Bremerhavener Krakeel-Brüdern und -Schwestern haben. 

I r r e!

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller