Bürgerschaft kann Aufblähung wieder heilen

10.07.2022 Aus Von Axel Schuller

Die Bürgerschaft wird aufgrund eigener Beschlüsse  „größer“. Jedenfalls zahlenmäßig. Eine derart weite Entfernung vom Wählerwillen muss eigentlich bestraft werden. Heute ein Vorschlag, wie sich die Mehrkosten vermeiden lassen.

 

Unglaublich, aber wahr: Die große Landtagsmehrheit hat in der vorigen Woche beschlossen, die Zahl der Bremerhavener Abgeordneten trotz des Absinkens der Bevölkerungszahl in der Seestadt bei 15 zu belassen. Um eine „Unwucht“ im Vergleich zur Bremer Bevölkerung zu vermeiden, werden ab 2023 für Bremen drei Mandate (dann 72) draufgepackt. 

So funktioniert Mathematik à la Bremen: Wird eine Gruppe kleiner, ändert sich nix. Und bleibt die andere Gruppe gleich groß, wird dort was draufgepackt. Man könnte meinen, die Ja-Sager seien allesamt in der Hansestadt zur Schule gegangen.

 

Was man wissen muss: Der ganze Irrsinn kostet jährlich rund 400.000 Euro mehr (Diäten, Altersversorgung, Büros, höhere Zuschüsse für die Fraktionen). Kümmert die Hand-aufhebenden Abgeordneten aber – deutlich formuliert – einen feuchten Kehricht. Die müssen’s ja nicht zahlen. Dafür sind die doofen Steuerzahler m/w/d zuständig. Wie verblendet muss man als „Volksvertreter“ eigentlich sein, um einen solchen Turbo zugunsten der Politikverdrossenheit anzuwerfen?

 

Stopp, da fällt mir ein praktischer Vorschlag ein, die finanziellen Auswirkungen der Beschlüsse zu „heilen“. Die künftig 87 Abgeordneten übernehmen die Mehrkosten von 400.000 Euro und reduzieren ihre Diäten (rund 5.000 Diät und rund 900 Euro Altersversorgung) entsprechend. Bedeutet: Jeder kriegt jährlich 4.597,70 Euro weniger. Mensch, das sind doch monatlich für jeden Abgeordneten bloß 383,14 Euro weniger. Das sollte es jedem Abgeordneten m/w/d wert sein, um sich von der Schuld an weiterer Politikverdrossenheit zu befreien. Und bitte keine Ausreden: Mandatszahl der Bürgerschaft und Diätenhöhe lassen sich mit einfacher Mehrheit ändern.    

 

Es ist gerade eine Woche her, da traf ich einen ehemals führenden Sozialdemokraten dieser Stadt. Leider möchte er nicht genannt werden, weil er keinen Bock hat, sich mit „Mutter Partei“ herumzuärgern. Dieser Mann sagte zu mir: „Das werden die nicht machen. Die fassen allenfalls einen Grundsatzbeschluss zur Erweiterung. Der wird dann aber nicht umgesetzt. Niemals.“ Pustekuchen! So können sich selbst Vollprofis irren. 

Parteien verhalten sich halt wie hungrige Löwen im Zoo, denen man ein Stück blutiges Fleisch hinhält: Sie schnappen gierig zu.

 

Leider hat der Landeswahlleiter und die Innenbehörde den Ja-Sagern das Zuschnappen erleichtert. Die Juristen hatten in der ihr eigenen nüchternen Art beschrieben, die Unwucht zwischen Bremen und Bremerhaven lasse sich lösen, indem Bremerhaven einen der 15 Sitze an Bremen abgebe. Oder aber, und das war die Crux: Bremerhaven behalte 15 Sitze und Bremen erhalte zum Ausgleich drei Mandate dazu. Nach Adam Riese: plus vier.

 

Oh Wunder, die Fraktionen von SPD, Grünen und Linken griffen nach Möglichkeit zwei. Der Staat als Beute der Parteien. Pfui Deibel! Neben den drei Regierungs-Parteien langten auch vier Bremerhavener CDU-Abgeordnete und zwei FDP-Abgeordnete mit zu. 

Ehrenhaft verhielten sich lediglich die 16 Bremer CDU-Abgeordneten.

 

Sie standen damit übrigens zu ihrem Spitzenkandidaten, Bürgerschaftspräsident Frank Imhoff. Der hatte sich im Vorfeld der Abstimmung gegen eine Vergrößerung des Landtages ausgesprochen. Leider hat sich der Landwirt bei einem Festakt zum „Goldenen Sportabzeichen“ verleiten lassen, mit anderen Promis auf einer Laufbahn loszuspurten. Mit wenig erfreulichem Resultat: Muskelriss und Sturz aufs Gesicht.

 

Imhoff fiel in der vorigen Woche komplett aus. Das hinderte seine feinfühligen Mitstreiter im Bürgerschaftsvorstand aber nicht daran, in einer Presseerklärung zu verbreiten: „Der Bürgerschaftsvorstand habe sich einstimmig für die Vergrößerung ausgesprochen“. Dass der kranke Präsident nicht mitgestimmt hatte, fehlte in der Erklärung.  

 

Ärgerlich übrigens auch, dass die Bürgerschafts-Mehrheit die eigene Aufblähung auf besonders dreiste Art beschlossen hat. Die Änderung des Wahlgesetzes (regelt die Abgeordnetenzahl) wurde direkt hintereinander sowohl in erster als auch in zweiter Lesung besiegelt. Und als Krönung der Dreistigkeit: Die übliche Debatte über Für und Wider dieser Gesetzesänderung wurde ausgeschlossen.

Eindeutiger kann man die eigene Abgebrühtheit kaum dokumentieren. Im besten Fall war es das schlechte Gewissen

Schließlich sorgen sich speziell Bürger am unteren Ende des Mittelstandes, wie sie im kommenden Jahr die um ein vermutlich Mehrfaches gestiegenen Heizkosten aufbringen sollen. Essen und Trinken sind bereits deutlich teurer. Autofahren auch. 

Die Ärmsten müssen sich kaum Sorgen machen. Die staatliche Hilfe wird die Heiz-Mehrkosten übernehmen. Wer sich aber noch selbst ohne Stütze über Wasser hält, für den wird es verdammt eng werden.

 

Übrigens: Die nächste Bürgerschaftswahl findet am 14. Mai  2023 statt…

 

Ich werde Sie, liebe Leserinnen und Leser, rechtzeitig daran erinnern, welche Mitglieder der Bremischen Bürgerschaft für die Vergrößerung des Parlaments gestimmt haben – und welche nicht. Immerhin können Sie auf Ihrem Wahlzettel Parteien  u n d  Personen ankreuzen, ihre fünf Stimmen frei verteilen.   

 

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller