Bis zu “fast 15 Prozent mehr” – Lufthansa-Streik gerechtfertigt?

28.07.2022 Aus Von Axel Schuller

Was war das am 27. Juli? Ein Warnstreik des Bodenpersonals deutscher Flughäfen? Ein Streik der Lufthanseaten am Boden? War der von Verdi ausgerufene Warnstreik über rund 26 Stunden mit 144.000 betroffenen Fluggästen wirklich gerechtfertigt? Hatte die Lufthansa ihrem Personal bloß Krumen hingeworfen, so dass den Gewerkschaftern nach zwei Verhandlungsrunden keine andere Wahl als diese Brutal-Kampfmaßnahme blieb? 

UND: Fühlten auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich (wie ich) von unseren Medien so unglaublich schlecht informiert?


Für den Beginn meines Info-Unbehagens sorgte morgens das NDR-Info-Radio. Da wurde die Verdi-Verhandlungsführerin Christine Behle mit zwei Sätzen aus dem ARD-/ZDF-Morgenmagazin zitiert. Verdi bleibe keine andere Wahl, die Lufthansa biete viel zu wenig. Das Angebot (wie hoch isses denn?) gleiche nicht mal die Inflationsrate aus. In der Zeitung las ich wenigstens (endlich!): Streiks seien zwar legitim, um Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen, aber: Angesichts des ohnehin herrschenden Chaos auf Flughäfen sei der Zeitpunkt falsch gewählt. Immerhin wollten ja aktuell viele Menschen erstmals wieder in den Urlaub fliegen.


Im Bremer Fernsehen wurde mir aufgetischt, 14 Lufthansa-Flugverbindungen von und nach Bremen fielen aus, weil auf vielen Flughäfen das „Bodenpersonal“ warn-streike. Bodenpersonal – das der LH, oder die armen Koffer-Kulis, die unsere vollgepackten Gefäße in die Flugzeuge wuchten, oder vorher auf Unerlaubtes durchflöhen. Im Auftrag der Flughäfen, nicht der LH.


Und noch viel interessanter: Um welche Forderungen und Angebote ging es eigentlich bei dem (Warn-)Streik?

Wer sich für diese ja nicht ganz unwesentlichen Details interessierte, war als gemeiner Radiohörer, Zeitungsleserin, TV-Guckendes – alles m/w/d – regelrecht aufgeschmissen. Beziehungsweise: Musste eine adhoc-Journalisten-Pfadfinder-Ausbildung absolvieren. Heißt: Sich selbst hier und dort schlaumachen. Was wir uns als Medien-Nutzer doch so alles bieten lassen. Unfassbar!


Für alle Interessierten lege ich hier die einzelnen Infoschnipsel des Tages auf den digitalen Tisch:


Verdi hatte die 20.000 Mitarbeiter aller Lufthansa-Boden-Firmen (vom Schalter bis zur LH-Flugzeugwartung) zum 26-ein-viertel-Stunden Warnstreik aufgerufen. Vom 27.7., 3:45 Uhr, bis 28.7., 6 Uhr, damit sich auch wirklich alle von der Früh-, über die Spät- bis zur Nachschicht beteiligen konnten. Teilgenommen haben laut Tagesschau 5.000 Frauen und Männer.


Verdi verlangt 9,5 % Gehaltserhöhung, mindestens 350 Euro, bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Sobald der Staat den Mindestlohn auf 12 Euro anhebt, soll für die LH-Leute der untersten Lohngruppe ein tariflicher Abstand zu diesem Mindestsalär vereinbart werden. Meine Quelle: Verdi-Homepage.


Zur Erinnerung: Die aktuelle Inflationsrate beträgt 7,6 Prozent.


Lufthansa bietet laut deren Sprecher Martin Leutke (Quelle: Kurzinterview im ZDF-Morgenmagazin) eine an den sozialen Bedürfnissen der unterschiedlichen Beschäftigtengruppen sozial gestaffelte Lohnerhöhung an: Für die am niedrigsten Bezahlten bedeute die angebotene Steigerung „fast 15 Prozent“; für Einkommen von 3.000 Euro „wären dies rund 10 Prozent“ und Bezieher hoher Einkommen von 6.500 Euro hätten ein Plus von „rund 6 Prozent“. LH wünscht zur Planungssicherheit eine Laufzeit des Tarifvertrages von 18 Monaten.

Was Leutke nicht sagte, und Verdi später geißelte: Die angebotenen Lohnsteigerungen sollen zweigeteilt werden. Lufthansa will einen Teil in 2023 ausschütten, wenn’s Geschäft wieder mit Gewinn läuft. Dagegen wetterte Verdi. Es könne ja nicht sein, dass die Löhne vom Gewinn abhingen.


Klar, ein guter Kaufmann stockt Löhne und Gehälter auf, selbst wenn die Firma dann pleite geht…  


Noch ein paar Kennziffern der LH-Bilanz. Im ersten Quartal 2022 machte der Konzern ein EBIT (Gewinn vor Steuern und Zinsen) von minus 640 Millionen Euro (1. Q. 2021: minus 1,14 Milliarde Euro). Aktuell hat man wieder die Gewinnzone erreicht. 

Falls Sie es vergessen haben sollten: Die Bundesrepublik Deutschland war der LH während der Pandemie mit einem (rückzahlbaren) Hilfspaket von neun Milliarden Euro beigesprungen, um den Konzern vor dem Abschmieren zu bewahren.


So, ich weiß, das waren ausnahmsweise viele Zahlen. Hoffentlich tragen diese jedoch dazu bei, dass Sie die Äußerungen von Verdi und Lufthansa besser einordnen können.


Aus meiner Rentner-Perspektive (also, ohne den staatlichen  Heizkostenzuschuss von 300 Euro für alle deutschen Arbeitnehmer und Selbstständigen) erscheint mir das „rund 6-Prozent-Angebot“ selbst für LH-Beschäftigte mit Einkommen von 6.500 Euro nicht übermäßig schlecht.

Dass Verdi nach bloß zwei Verhandlungsterminen einen Warnstreik mit diesen brutalen Folgen vom Zaun gebrochen hat, bleibt aus meiner Sicht unverantwortlich.


Nächste Woche wird am 3./4. August weiterverhandelt.

Sollten sich die Kontrahenten tatsächlich einigen, bedeutet dies aber nicht, dass Sie sich entspannt im (hoffentlich doch noch erreichten) Urlaub zurücklehnen können. Jedenfalls als Lufthansa-Kunde.

Denn: Die in der Vereinigung Cockpit organisierten Piloten führen gerade eine Urabstimmung über Streik oder nicht Streik durch. Sie fordern – unter anderem – einen jährlich automatischen Inflationsausgleich.  


Wenn Sie also Pech haben, liebe Leserinnen und Leser, wird’s nicht unbedingt etwas mit  nem reibungslosen Rückflug


Munter bleiben!

Herzlichst 

Ihr Axel Schuller