Weser-Kurier schreibt von einem “Projekt” und meint bloß eines: KOSTEN EINSPAREN

29.05.2022 Aus Von ED-as_Blog-17

Liebe Leserinnen und Leser, Sie kennen mich ja inzwischen ein wenig: faktenorientiert; realistisch; ans Gute im Menschen glaubend; aber auch skeptisch und ärgerlich, wenn Journalisten bloß treudoof nacherzählen statt einzuordnen; immer zu einem Spässle bereit – genug: den Rest müssen Sie sich schon mal selbst ausdenken.

Heute, ja heute, sitze ich vor der Tastatur und überlege, ob ich einen Text im Weser-Kurier richtig verstanden habe. Auf Seite 2, oben links, der Kommentar-Pool-Position des Blattes, war vorige Woche zu lesen, Verlag und Redaktion arbeiteten intensiv an einem „Projekt“ und teilten mit, dieses werde nach den Sommerferien umgesetzt. 

In meine Worte übersetzt: Leute, wir bieten euch künftig eine Ausgabe weniger, aber: Das bedeutet für euch in Wahrheit ein Mehr! Puh, Hegel und Marx hätten sich beim Wettstreit um die richtige Definition von „Dialektik“ einen Wolf diskutiert…  

Ich sag’s mal frank und frei: Diese Verlagsmitteilung hätte einen anderen Namen verdient: „Projekt no Go“!

Der Weser-Kurier wird die Sonntags-Ausgabe einstellen. Ohne Wenn und Aber. Und das ganze machen sie – jetzt halten Sie sich bitte fest – FÜR UNS! Zeitungen entwickelten sich im Laufe der Zeit, schwadroniert da irgendjemand aus Redaktion und Verlag, der Trend gehe zur umfassenden Wochenendausgabe, Blabla. Ach ja, die Bundesliga-Berichterstattung werde natürlich jeweils aktuell sichergestellt – online. Auf Papier könne man die erste Liga dann montags ausführlich nachlesen. Mag ja sein, dass Meinungsforscher beim Kurier am Sonntag eine geringere Akzeptanz bei den Leserinnen und Lesern festgestellt haben mögen. Bloß, liegt dies am Erscheinungstag oder am Inhalt und an der deutlich schlechteren Zustellqualität?

Sie, liebe Leserinnen und Leser, erinnern sich: Nichts ahnend hatte ich erst am 25. Mai in meinem Blog die Frage aufgeworfen, ob der WK todgeweiht sei. Mit Fragezeichen. Was soll ich nach der jüngsten Ankündigung jetzt wohl denken?

Wer in aller Welt hat dem Schreiberling/Schmieristen m/w/d in „Verlag und Redaktion“ die Formulierung in die Fingerkuppen einschießen lassen, den ganzen Spar-Sums als „Projekt“ auszugeben?

Hätten sie in diesem Laden so etwas wie einen „Hintern in der Hose“, dann hätten sie geschrieben: Liebe Leute, wir haben fertig. Rettung ist nur denkbar, wenn ihr Leserinnen und Leser auf ein Siebtel des Zeitungs-Angebotes verzichtet. Die Reduzierung von sieben auf sechs Ausgaben hilft nämlich, richtig doll Kosten einzusparen:

Für 101.274 verkaufte Druck-Exemplare Papier weder einzukaufen noch zu bedrucken. 101.274 verkaufte Druck-Ausgaben nicht mehr – am Sonntag – teuer verteilen zu müssen. Dazu kommt: Die neuen Bundes-Regenten werden zum 1. Oktober den Mindestlohn (gilt auch für Träger) auf 12 Euro erhöhen. Dabei haben die Schlau-Köpfe in Berlin jedoch vergessen, die Minijob-Verdienstgrenze anzuheben. Bedeutet: Die Träger kriegen die gleiche Kohle, dürfen aber nur weniger Stunden dafür arbeiten. Ergo werden zusätzliche Träger benötigt. 

Außerdem: Sonnabends dürfen Schüler austragen, sonntags weiterhin – und blödsinnigerweise – nur Volljährige ab 18. Die sind sonntags bei Ausfall (krank, Kater, Unlust) extrem schwer zu ersetzen

Find mal nen Erwachsenen, der sonntags spontan losdackelt, um Zeitungen auszutragen… 

Diese Argumentation wäre ehrlich gewesen. Und die Überschrift dieses WK-Offenbarungseides hätte auch besser „In eigener Sache“ statt (wie jetzt gewählt) „Liebe Leserinnen und lieber Leser“ gelautet. Übrigens: Haben die tatsächlich nur noch einen „lieber Leser“ – oder eher ein Korrektorat außerhalb des deutschen Sprachraumes?

Break: Überlege gerade, ob der Schriftbildhauer dieser legendären Leser-Ansprache durch Form und Inhalt seinen heimlichen Protest gegen die Verlags-Spar-Entscheidung andeuten wollte. Bei Redakteurinnen und Redakteuren – Ausbünden des Individualismus – durchaus denk-, aber nicht belegbar.

Die Reduktion der Ausgaben-Zahl pro Woche birgt eine Pikanterie der besonderen Art: Werder Bremen steigt in die 1. Bundesliga auf und die örtliche Tageszeitung stellt die sonntägliche Print-Berichterstattung über dieses Bremer Top-Thema ein. Der gleichzeitige Hinweis, Leute ihr könnt alles über die Grün-Weißen weiterhin sonntags lesen – aber eben nur online – könnte den Weg in die Zukunft aufzeigen: Weshalb soll man das Blatt überhaupt noch teuer drucken und verteilen, werte Leserschaft? Lest den ganzen Kram doch online!

Der Kurier am Sonntag – so heißen ja Weser-Kurier und Bremer Nachrichten sonntags – ist vor rund 40 Jahren ins Leben gerufen worden, um ein Gegengewicht zum damals extrem Anzeigen-starken Weser Report zu schaffen.  Seinerzeit belegte Karstadt jeden Sonntag mehrere Seiten im WR. Zugleich reifte im WK die Erkenntnis, dass der Sonntag ein famoser Lesetag sei – siehe Welt am Sonntag, Bild am Sonntag, zeitweise auch FAZ am Sonntag.

Bei den danach folgenden Abopreis-Erhöhungen wies der WK stets stolz darauf hin, man beglücke die Damen und Herren Leser – anders als in anderen deutschen Großstädten üblich – ja auch sonntags mit Lesestoff.

Lautet der Umkehrschluss ab 1. Oktober: Liebe Leserinnen und Leser, eine Ausgabe pro Woche weniger, also reduzieren wir den Abo-Preis selbstverständlich um 1/7? Bin gespannt wie ein Flitzebogen… – nicht wirklich.

Liebe Blog-Leserinnen und Leser, für Häme ist nicht die richtige Zeit. Der Weser-Kurier – und mit ihm alle gedruckten Tageszeitungen – kämpfen auf dem Weg ins Digital-Zeitalter um die Zukunft. Früher extrem einträgliche Anzeigenmärkte sind von den Zeitungen fast oder ganz ins Internet gewandert: Stellen, Immobilien, Fahrzeuge, Kleinanzeigen. Ein Beispiel zur Anschauung: Vor Anbruch des Internet-Zeitalters hatte die FAZ sonnabends einen Stellen-Anzeigenteil von 100 und mehr Seiten. Dagegen heute: eher Katzenjammer.

Der Weser-Kurier hat vor rund 40 Jahren – als die Millionen wie von allein auf die Verlagskonten und anschließend zu den zwei Eigentümer-Familien schwappten – aus Hochmut (?) eine falsche Grundsatz-Entscheidung getroffen. Man gründete als Gegengewicht zum kostenfreien Weser Report eine Bezahl-Sonntags-Ausgabe, statt wie andere Blätter ein an alle Haushalte verteiltes Kostenlos-Blatt.

Erst später rüstete der Weser-Kurier seinen (Bezahl-)Kurier-am-Sonntag um eine kostenlose Variante (Kurier der Woche) auf. Mit fatalen Folgen: Die Träger mussten bei der Zustellung mühsam unterscheiden zwischen zahlenden Abonnenten von „Kurier am Sonntag“ und „Kurier der Woche“. Das war die Zeit, als WK-Abonnenten plötzlich ungefragt kleine blaue WK-Punkte (schweinemäßig fest klebend) auf ihren Briefkästen hatten.

Der „KdW“ soll laut Branchenkennern am Ende angeblich jährlich 2,5 Millionen Euro Verlust gemacht haben. Deshalb gibt es ihn seit Ende vorigen Jahres nicht mehr. Der Kurier am Sonntag soll ebenfalls defizitär sein. Sein Wegfall, so Kenner, dürfte die Bilanz um weitere zwei Millionen Euro entlasten.

Liebe Leserinnen und Leser, Sie merken, ich kann aus meiner Haut als ursprünglicher Tageszeitungs-Mensch nicht raus. Aus diesem Grund kann ich die angekündigte Sparaktion intellektuell nachvollziehen – ohne sie aber gutzuheißen. Immerhin ist der Abo-Preis vor nicht langer Zeit erneut erhöht worden.

Und vor allem: Dieses elende Herumgelaber vom „Projekt“ und blablabla, das – um es druckreif auszudrücken – elendet mich an! Das ganze wird zudem so früh angekündigt, damit der Ärger bis Oktober halbwegs verraucht ist – und weniger Menschen das Abo kündigen

Nun sind Sie dran! Brauchen Sie diese Zeitung (so wie sie aktuell gemacht wird) noch? Sind Ihnen mittlerweile die Sonnabend-Anzeigen doch am wichtigsten – wer nicht mehr unter uns Lebenden weilt? Oder bremisch ausgedrückt: Interessiert Sie möglicherweise bloß noch, wer nicht mehr bei Karstadt einkauft? 

Bleiben Sie munter!

Herzlichst

Ihr as

Axel Schuller