Der Bremer Weser-Kurier – nur behäbig oder vielleicht doch schon todgeweiht?
Liebe Leserinnen und Leser des Blogs „Bremen so gesehen“, heute müsste es eigentlich heißen: Liebe Kolleginnen und Kollegen. Hä? Jetzt schreibt er wieder über seinen Berufsstand? Ne, schlimmer. Heute setze ich mich mit Bremens führender (weil einziger) bremischen Tageszeitung auseinander. Auslöser war die – wie ich finde – blutleere Art, wie der WK jüngst mit dem Thema Ausbildungsfonds (ehrlicher: Ausbildungsabgabe) umgegangen ist. Und ich sage es gleich: Das Thema ist verdammt ernst. Da ist heute nix mit locker oder flockig. Immerhin haben Sie, geneigte Leserschaft, heute mehr Zeit als sonst – heute gibt’s ja keinen „frischen“ WK.
Vorab ein paar wenige, grundsätzliche Gedanken: Zeitungen, die bloß stumpf berichten, die Leser und Leserinnen bei der Einordnung der immer unübersichtlicheren Welt – auch im Lokalen – allein lassen sowie inhaltlich, äußerlich und in direkter Beziehung zur Leserschaft nix Überraschendes (wie Aktionen) mehr bieten – solche Zeitungen sind aus meiner Sicht auf Dauer todgeweiht. Besonders anfällig für Behäbigkeit und Selbstzufriedenheit sind Monopolblätter.
Liebe Leserinnen und Leser, ich will Ihnen heute Ihren Weser Kurier nicht madig machen. Aber, ich möchte Sie auf ein paar Dinge hinweisen, die Sie nicht verdient haben. Und ich höre auch immer wieder unzufriedenes Rumoren von (natürlich nur) einzelnen Leserinnen und Lesern. Hab ja schließlich kein Meinungsforschungsinstitut.
Einige Beispiele, bei denen ich mir gewünscht hätte, das Blatt hätte deutlicher oder überhaupt Stellung bezogen. Schließlich verstehen sich Medien in diesem Land doch als „vierte Gewalt“, nicht als Protokollanten der Regierenden.
Wer in Russland, China oder Nord-Korea seine unerwünschte (falsche) Meinung äußert, wandert in den Knast, oder an noch viel schlimmere Orte. Aber bei uns? Hier kann jeder alles schreiben und senden, solange es nicht die Grenzen des strafrechtlichen Relevanten überschreitet.
Ich nenn’ mal aktuelle Beispiele, bei denen es vom Gewicht her um extrem unterschiedliche Themen geht. Gleichwohl hat der WK (nach meinem Medienverständnis) auch die Aufgabe, Themen beispielsweise per Kommentar einzuordnen.
Das Oberlandesgericht musste drei mutmaßliche Mörder wegen Überschreitung der zulässigen Zeit aus der Untersuchungshaft entlassen.
Der Richterbund maunzte umgehend, man könne nix dafür, schließlich sei man personell ja völlig unterbesetzt und damit überlastet. Grundsätzlich: Bremens öffentlicher Dienst ist laut Analyse des Steuerzahlerbundes im Vergleich zu den anderen Bundesländern am besten besetzt. Könnte es vielleicht sein, dass die bremische Verwaltung einfach bloß schlecht, oder falsch organisiert ist? Fragen, denen „unsere“ Tageszeitung bislang nicht nachgeht.
Im Gegensatz dazu völlig harmlos, aber überraschend: Die Frauenbeauftragte legt sich für „freie Brust für alle Menschen“ in öffentlichen Schwimmbädern ins Zeug, dass man überlegt: Ist das jetzt das Wichtigste, Frau Frauenbeauftragte?
Die Linken – assistiert von der SPD – kämpfen geradezu verbissen für eine bislang einzigartige Ausbildungsabgabe in Bremen – obwohl hier sogar händeringend Azubis für freie Lehrstellen gesucht werden. Gibt es möglicherweise zu viele Schulabsolventen, noch schlimmer, Schul-Verlasser, die auf eine Ausbildung völlig ungenügend vorbereitet sind?
Kunden und Anlieger des Bahnhofs sowie Umsteiger der Straßenbahn AG an diesem zentralen Ort der Stadt klagen über Vermüllung, aggressive Bettler, herumlungernde Drogen-Abhängige sowie dreckige und zum Teil leider auch stinkende Kreaturen auf den Sitzbänken. Wer sieht das Thema außer den Betroffenen? Der Innensenator, der im Senat einen nahezu einsamen Kampf kämpft.
Und jetzt kommt’s: Wie ordnet der Weser-Kurier diese Themen ein? Zaghaft, meist gar nicht.
Wie kann man mit der kostbaren Freiheit, gesellschaftliche Themen aktiv zu begleiten, bloß so zurückhaltend umgehen? Kommentare liest man dann beispielsweise eher zur bundesweiten Verkehrswende, zu Corona in Nord-Korea oder den Zuständen in Syrien oder Libyen. Am schlimmsten sind „Kommentare“, die eigentlich Nacherzählungen des auf einer anderen Seite stehenden Berichtes sind. Meinungslos, zahnlos.
Haben wir Leser und Leserinnen das wirklich verdient? Haben wir es verdient, für diese Art des – aus meiner Sicht – unterentwickelten, nicht mehr zeitgemäßen Journalismus’ jährlich zu immer höheren Abo-Preisen gedungen zu werden?
Nehmen Mitglieder der WK-Redaktion am wirklichen Leben teil, oder sind sie insgeheim Mitglieder der grün-roten Blase, die bevorzugt in Milieus namens Viertel, Steintor oder der Neustadt lebt?
Es gibt Themen, die nimmt die Redaktion erst wahr und an, wenn sich Leserinnen und Leser in Zuschriften massiv zu Wort melden. Ich rate immer wieder: Wer etwas breiter informiert sein will, schaut am besten auf die Seite „Lesermeinung“. Beispiele gefällig? Massen-Fällen von Bäumen, Drangsalieren der Verkehrsteilnehmer, endlich reparierte statt neue, unsinnige Radwege. Oder drastische, teils verdeckte Erhöhung der Müllgebühren.
Sollten Redaktionsmitglieder fürchten, sich mit konträren Kommentaren (zum Regierungs-Mainstream) in ihren Kreisen unbeliebt zu machen, oder wenn sie möglicherweise (als am Stadtleben nicht sehr Beteiligte) meinungslos sein sollten, oder wenn sie ihren Beruf nicht als Berufung verstehen, dann sollten sie wenigstens zu Kunstmitteln greifen. Die gibt es, ohne dass man sich aus dem Fenster lehnen oder selbst die Finger (vermeintlich) schmutzig machen muss.
Kollegen und Kolleginnen, holen Sie – noch mit Aufmerksamkeit der Leserschaft gesegnete Redaktionsmitglieder – doch einfach zwei Meinungen profunder Kenner von Themen ein und gießen diese – beispielsweise – in die Form eines pro & contra. Das ist kein Hexenwerk, bietet uns Lesern und Leserinnen aber die Chance, sich eine eigene Meinung zu bilden.
Das ist allemal besser als das aktuell Gebotene.
Dass die WK-Redaktion durchaus über eigene Meinungen verfügt, blitzt immer wieder in Kommentaren und Standpunkten auf. Häufig aber zu Themen, die für die Bevölkerung nicht unbedingt lebens-relevant sind. Und Meinungen werden uns – subtil in Berichten und Interviews – unerwünscht unter die Lesekost gemischt. Und, nicht zu vergessen, durch Nicht-Abdruck von Leserbriefen.
Wer meint, er müsse die Zeitung bloß mit einem Stecker versehen und ins Internet rüberschieben, wird damit Kosten verursachen, aber keinen Blumentopf gewinnen. Gefragt sind als erstes Redaktions-Antennen für drängende Themen, Sorgen, Unsicherheiten der Leserschaft. Gefragt ist engagierte Berichterstattung, die über das reine Nacherzählen hinausgeht.
Dass sich der WK seine heutige Umgangsart mit den Leserinnen und Lesern überhaupt noch leisten kann, ist lediglich einem Umstand geschuldet: dem Monopol. Dies aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auf Dauer zu wenig. Viel zu wenig.
Und sollten Sie, Journalistinnen und Journalisten, jetzt diesen Text darauf hin absuchen und bestimmt auch etwas finden, wo ich Unrecht habe, erfreuen Sie sich nicht an der Trophäe des Mangels, nutzen Sie den Text bitte zur Selbst-Reflexion. Am Ende geht es nämlich – um Ihre Arbeitsplätze.
Eines sollten Sie wissen: Viele Menschen in der Stadt sind wie auch ich weiterhin Anhänger der Gattung Tageszeitung. Sie muss aber bitte anders sein, als Sie sie uns WK-Lesern und Leserinnen aktuell auf den Frühstückstisch legen (lassen).
Bleiben Sie – liebe Leserinnen und Leser – munter!
Herzlichst
Ihr as
Axel Schuller