Ein anderer Nachruf: Wie Joachim Linnemann wirklich war

09.09.2022 Aus Von Axel Schuller

Wie furchtbar! Der morgige Sonnabend (10. September 2022) sollte im Leben des Joachim Linnemann ein besonderer Tag werden. Der erfolgreiche (und dennoch beliebte) Investor wollte eines seiner Herzensanliegen offiziell eröffnen: Das neue Proben- und Konzertgebäude der Bremer Philharmoniker in „Halle 1“ im Tabakquartier. Jedoch: Sein Herz wird nie mehr schlagen. Der Unternehmer starb am Montagmorgen in der Früh – erst 66jährig – an einem Herzinfarkt. Und das bei seinem Lieblingsfrühsport, dem Reiten.

Wir wissen doch alles“ – denken jetzt möglicherweise einige Leserinnen und Leser. Ich bin überzeugt: Nein. Das Bremer „Leid-Medium“ hat die sehr facettenreiche Persönlichkeit von Joachim Linnemann in seinem Nachruf – aus meiner Sicht – arg wenig ausgeleuchtet. Und: Die wirklich anerkennenden Äußerungen des Bürgermeisters und der Bausenatorin haben Sie, als Bezieher der Printausgabe, erst gar nicht zu lesen bekommen. Schade. Dazu später noch mehr.

Joachim Linnemann war in mehrerlei Hinsicht eine Ausnahme-Persönlichkeit.„buten und binnen“ hat davon in seiner Würdigung ein Stück mehr „rübergebracht“.

Liebe Leserinnen und Leser: Keine Bange, ich wiederhole jetzt nicht Linnemanns Vita mit schulischem Werdegang, frühem (ungewolltem) Einstieg ins Geschäft etc.

Nein, ich will mich auf etwas Besonderes konzentrieren. Auf seine Fähigkeit, Fehler zu erkennen, daraus zu lernen – und es „beim nächsten Mal“ besser machen zu wollen. Joachim Linnemann war – jetzt kommt ein auf ihn überaus zutreffendes Attribut – der visionäre Kopf der Überseestadt. Sein Schulfreund Kurt Zech kam später dazu. Die beiden Männer ergänzten sich übrigens perfekt, was unter anderem dazu führte, dass sie die Atlantic-Hotel-Kette gründeten, bauten und betreiben.

Zur beeindruckenden Lernfähigkeit des Immobilien-Unternehmers: Nach der Entwicklung und Bebauung der Überseestadt merkte Joachim Linnemann, dass man dort zwar arbeiten und wohnen kann. Aber leben, na ja. Wer abends „ausgehen“ will, muss sich meist aus dem neuen Stadtteil heraus bewegen. Auch wenn nach und nach Gastronomie angesiedelt wurde.

Im Tabakquartier, dem Standort der früher legendären Tabakfabrik Martin Brinkmann in Woltmershausen, entwickelte er eine völlig andere Idee als für die Überseestadt. Im Tabakquartier sollen die Menschen nicht bloß wohnen und arbeiten. Nein, sie können dort auch leben. Seine Vision könnte man so übersetzen: Man geht rein – und will gar nicht mehr raus. Denn dort kann man leben, arbeiten, wohnen und genießen. Linnemann ließ folglich alte Fabrikgebäude umbauen, neue Gebäude erstellen – sowie ein Parkhaus, Kita, Kneipen, Restaurants, eine Kletter-Halle und – Achtung: Er holte ebenfalls zwei Kultureinrichtungen aufs Gelände. In altem Schema ausgedrückt: E und U. Sowie: ein Zentrum für Kunst.

Er bot den Bremer Philharmonikern (E), die eng in der Plantage in Findorff untergebracht waren, einen Teil des früheren Tabaklagers an. Die Halle 1. Und fürs Leichte (U) holte er eine Dependance eines der wirtschaftlich erfolgreichsten niedersächsischen Theater in den anderen Teil der Halle 1: Das Boulevard Theater Bremen, einen Ableger des Weyher Theaters.

Die Philharmoniker konnten ihr Glück kaum fassen. Linnemann ließ das Fabrikgebäude aufwändig (und vermutlich teuer) herrichten, umwandeln, ausbauen.

Liebe Leserinnen und Leser, mein Tipp: Nutzen Sie die Chance und schauen am  Sonntag in dem wirklich faszinierenden Gebäude vorbei. Lassen Sie sich auf eine völlig neue Atmosphäre ein. Nota: Aus der derben Arbeitshalle von „Jan Tabak“ ist ein Konzertraum mit wirklich beachtlicher Akustik entstanden. Mein unkünstlerisches Urteil: Schlicht, aber doch stilvoll. Einfach: Boah! Glauben Sie’s mir. Erleben Sie es heute oder bei späteren Konzerten selbst. Offiziell geht’s bereits Samstag los. Ich weiß freilich nicht, ob’s noch Eintrittskarten gibt.

Wie kann es sein, dass ein Mensch so etwas Ungewöhnliches realisiert? Joachim Linnemann war auch deshalb ein so besonderer Mensch, weil er über Eigenschaften verfügte, die heute – zumindest im Geschäftsleben – nicht mehr häufig anzutreffen sind. Der Mann, der zig Millionen Euro bewegte, als Projektentwickler und als Verwalter tausender Wohnungen sowie Chef von 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war, gilt als:

Feinsinnig, feinfühlig, höflich. Gesprächspartner haben ihn mir auch so beschrieben: „Er konnte wunderbar zuhören. Er gab seinem Gegenüber im Gespräch „Raum“, schuf so ein Gefühl: Hier sprechen Menschen auf Augenhöhe miteinander.“ Er war stets ruhig, fast schon vornehm zurückhaltend – jedoch auch beharrlich.

Linnemann war kein Heiliger, im Sinne von: Ich hab viel Geld, damit werfe ich jetzt mal um mich. Nein, so funktioniert Erfolg nicht. Er war aber bereit, sich beispielsweise für die Kultur im neuen Quartier auch materiell zu engagieren. Auch weil er wusste: Das Zusammenspiel von arbeiten, wohnen und leben erfordert eben auch Kunst, Unterhaltung: Philharmoniker (E) und Boulevard-Theater (U). Dies zusammen ergibt ein Quartier, in dem sich die Menschen gerne aufhalten. Ende 2025, wenn alles fertig ist, sollen dort mal bis zu 7.000 Menschen „sein“. Schon heute haben sich 300 Unternehmen mit 4.000 Arbeitsplätzen angesiedelt.

Der visionäre Investor war übrigens auch auf anderem Feld „weise“. Die Söhne Marcel und Julian sind bereits als Projektleiter im Tabakquartier tätig. Marcel Linnemann gehört seit kurzem der Geschäftsführung an. Tochter Nicola lebt zwar nicht in Bremen, arbeitet aber ebenfalls für das Unternehmen. Joachim Linnemann hatte zwar nicht ans Aufhören gedacht, wollte aber das Feld für den Fortbestand des Unternehmens rechtzeitig bestellen

Joachim Linnemann – man hört es häufig in Beerdigungsreden, bei ihm trifft es aber tatsächlich fast schon grausam zu – wird Bremen fehlen. Die Stadt hat ihm viel zu verdanken.

Dankbarkeit könnte Bremen unter anderem dadurch beweisen, dass das neue Tabakquartier – schneller und besser – als die Überseestadt verkehrlich erschlossen wird. Bislang fährt die BSAG an dem 20 Hektar großen Areal vorbei. Wer die Autofahrer für ihren neuen Wohn-/Arbeitsort nicht bestrafen will, sollte die Oldenburger Eisenbahn-Strecke für Zu- und Abfahrt dieses neuen Gebietes untertunneln!

Liebe Leserinnen und Leser, ich hoffe, dass ich der Persönlichkeit von Joachim ein bisschen  gerecht werden konnte.

Bleiben Sie – trotz dieses traurigen Ereignisses – munter!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Hier der Link zu der gemeinsamen Erklärung von Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte (SPD) und Bausenatorin Dr. Maike Schaefer (Grüne) zum Tod von Joachim Linnemann.

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