Weshalb die Verdi-Forderung für den Öffentlichen Dienst einfach nur eines, nämlich maßlos ist
Der Bremer Henning Lühr wird demnächst das Zünglein an der Waage sein. Ausgerechnet ein ehemaliger Arbeitgeber (als Staatsrat war er Stellvertreter von Finanzsenatoren), und ausgerechnet ein Pensionär des größten deutschen Hungerleider-Bundeslandes soll nun den Tarifstreit im Öffentlichen Dienst schlichten. Da Lühr von der Gewerkschaftsseite benannt wurde, muss er also a) vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmer-Vertreter mutieren. Und b) wird er mit dafür verantwortlich sein, wie sehr Bremen durch den anstehenden Tarifabschluss noch tiefer in die Schulden getrieben werden wird.
Vorab ein paar Zahlen, damit Sie wissen, worum es geht. Verdi und der Beamtenbund verlangen 10,5 Prozent, mindestens 500 Euro monatlich mehr. Mit einer Laufzeit von lediglich 12 Monaten. Die öffentlichen Arbeitgeber – vertreten durch die Bundesinnenministerin – hatten zuletzt angeboten: 8 Prozent mehr, mindestens 300 Euro, plus eine Einmalzahlung von 3.000 Euro netto. Laufzeit: 24 Monate (schließlich wollen sich die Arbeitgeber verständlicherweise nicht jährlich mit Verdi herumschlagen).
Doch über diese Brücke mochten Verdi und DBB nicht gehen, fanden das Angebot nicht akzeptabel.
Noch ein paar Zahlen, welche die – aus meiner Sicht – maßlose Forderung der Arbeitnehmerseite noch deutlicher beleuchten. Mindestens 500 Euro pro Monat mehr hätten mit Ausgleich der aktuellen Inflationsrate (rund 8 Prozent) für viele öffentlich Bediensteten nix zu tun. Rechnet man den geforderten Festbetrag von „mindestens 500 Euro“ auf die Gehaltstabelle um, würden alle Bediensteten bis A 14 (Oberstudienrat einer Schule) eine deutlich höhere prozentuale Erhöhung bekommen. Bei einem Brutto von 2.500 Euro wären dies 20 Prozent!
Für Bremen würde die Anwendung der Verdi-Forderungen nur für die rund 7.000 Beschäftigten nach TVÖD laut Mitteilung der Finanzbehörde 57 Millionen Euro an Mehrausgaben bedeuten.
Hinzu kommen im Herbst dann die restlichen Beschäftigten inklusive Beamte, Richter, Pensionäre m/w. Dies würde die Gesamtkosten wohl auf über 100 Millionen Euro treiben.
Zur Erinnerung: Bremen ist aktuell mit etwa 22 Milliarden Euro verschuldet. Diese Summe wird dank Klima– und Härtefonds in Richtung 25 Milliarden Euro marschieren.
Innenministerin Nancy Faeser hat ausrechnen lassen: Die Verdi-Forderung würden die öffentliche Hand insgesamt im ersten Schritt zusätzlich 1,4 Milliarden Euro kosten. Kommen später Beamte, Richter, Soldaten und Pensionäre m/w hinzu, summt sich der Betrag auf 4,7 Milliarden Euro auf.
Die Gewerkschaften tönen indessen, die öffentliche Hand nehme aktuell mehr Steuern als im Vorjahr ein. Davon könne der Staat gefälligst einen Teil an seine emsigen, ohnehin zu schlecht bezahlten Mitarbeiter ausschütten.
Ja, aber. Bei dieser – aus meiner Sicht – sehr einseitigen Betrachtung wird eines vergessen: Die öffentliche Hand – Bund, Länder, Kommunen – waren laut Statistik Ende 2021 mit sagenhaften 2.320 Milliarden (wen’s interessiert: Dies sind 2,3 Billionen) Euro verschuldet.
Vor diesem Hintergrund empfinde ich das Arbeitgeberangebot von acht Prozent, mindestens 300 Euro, plus 3.000 Euro steuerfreie Einmalzahlung (Laufzeit: 24 Monate) für Arbeitnehmer als extrem akzeptabel.
Nur mal so zum Vergleich: Normale Rentner (nicht Beamte!) sollen im laufenden Jahr 4,39 Prozent (West) bzw. 5,86 Prozent (Ost) erhalten – ohne einen Mindestbetrag als Untergrenze, ohne steuerfreien Einmalbetrag. Und: Rentner leiden unter der Preissteigerung für Essen, Energie, Wohnungen mindestens genauso wie alle Arbeitnehmer – egal ob im Öffentlichen Dienst, im Handel, in Industrie oder sonstwo.
Übrigens: Die Durchschnittsrente für Männer (nicht Beamte) beträgt 1212 Euro, die für Frauen 737 Euro.
Noch ein Wort zum Öffentlichen Dienst:
Keine andere „Branche“ verfügt über so sichere Arbeitsplätze.
Keine andere „Branche“ hat durch die Personalvertretung derart weitreichende Mitbestimmungsrechte.
Keine andere „Branche“ verfügt über ein derart umfangreiches Gesundheitsmanagement.
Keine andere „Branche“ hat so wenig/bis gar nicht unter Corona und etwaigen Einkommenskürzungen (Kurzarbeitergeld) gelitten wie der öffentliche Dienst.
All dies sollten auch die beiden Schlichter Henning Lühr (72, SPD, Arbeitnehmerseite) und Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Georg Milbradt (78, CDU, Arbeitgeberseite) mit ins Kalkül ziehen, wenn sie ihren Schlichtungsvorschlag erarbeiten.
Sollten sich die beiden nicht einigen, fällt im konkreten Fall Lühr das alleinige Stimmrecht der beiden Vermittler zu. Damit könnte er bei der Schlussabstimmung mit den Kontrahenten zum Zünglein an der Waage werden.
Eine schwere Last für Lühr. Man fragt sich ohnehin, weshalb sich ein 72-jähriger Mann ein solches Amt auflädt. Immerhin hat er seit seiner Pensionierung bereits als Interims-Geschäftsführer der Brebau und als Ratgeber des Innensenators auf dem Feld der Digitalisierung der Bürgerämter gewirkt.
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
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