Schwache Wahlbeteiligung – und wieder kullerten bei Parteivertretern Tränen des Selbstmitleids

18.05.2023 Aus Von Axel Schuller

Haben Sie es auch bemerkt? Bremer Parteivertretern sind mal wieder – beinahe – Tränen des Selbstmitleids über die Wangen gekullert, als sie über die geringe Wahlbeteiligung von 53 Prozent sinniert haben. Der Weser-Kurier formulierte in seiner Online-Ausgabe arg freundlich: „Bremen rätselt über die wieder gesunkene Wahlbeteiligung“. Leute – schon vergessen? Beispielsweise: SPD, Grüne und Linke haben voriges Jahr zusammen mit einigen FDPisten und Bremerhavener Christdemokraten eine überflüssige und teure Vergrößerung der Bürgerschaft von 84 auf 87 Sitze beschlossen. Solches Tun (und weiteres) fördert – Überraschung! – die Politikverdrossenheit.

Die unnötige Aufblähung des Parlaments ist das eine. Hinzu kam häufig die Missachtung von engagierten Menschen, die sich für Stadtteil-Projekte einsetzen. Z.B. die Platanen-BI in der Neustadt. Der Senat hat einen Volksentscheid über “Platanen fällen oder in den Hochwasserschutz einbinden” zeitgleich mit der Bürgerschaftswahl eiskalt verhindert. Nun muss der Staatsgerichtshof ran. Viele Bäume sind den Schaeferschen Fälltrupps zum Opfer gefallen. Und da wundern sich Grüne, dass Ex-Wähler von ihnen zu anderen Parteien (SPD bis BIW) abgewandert sind – oder eben auch zu Nicht-Wählern geworden sind?

Es gibt viele Beispiele in Bremens jüngster Vergangenheit, dass Bürgerinnen und Bürger sich nicht verstanden, missachtet oder sogar auf das Übelste veräppelt gefühlt haben.

Noch nie hat es vor einer Bürgerschaftswahl soviel Mitglieder von Bürgerinitiativen gegeben, die deutlich erklärt haben: Wir empfehlen, die Grünen nicht mehr zu wählen. Gut möglich, dass auch einige aus diesem Kreis engagierter Bürgerinnen und Bürger ins große Lager der Nicht-Wähler gewechselt sind. Oder eingefleischte Christdemokraten, die mit der verstärkten Klima-Ausrichtung “ihrer” Partei nicht einverstanden waren. Sind entweder zur BIW, oder den Nicht-Wählern gewandert.

An ein Frust-Erlebnis der besonderen Art hat Noch-CDU-Landeschef Carsten Meyer-Heder während einer Pressekonferenz erinnert. Bei der vorigen Bürgerschaftswahl hatte die Union erstmals seit 70 Jahren mehr Stimmen als die SPD erhalten. Die CDU landete dennoch in der Opposition, weil sich Wahlverlierer SPD, Grüne und Linke zusammengetan hatten. Durchaus denkbar, dass Wähler daraus den Schluss gezogen haben: Ändert sich ja sowieso nix.

Und auf der großen Bühne namens Bundespolitik geschehen unentwegt Dinge, die normale – also parteiungebundene – Menschen gedanklich nicht nachvollziehen können. Da zeichnet Bundespräsident und Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) seine Ex-Chefin Angela Merkel mit dem höchsten aller deutschen Orden aus – obwohl die Frau doch nur ihre Arbeit gemacht hat.

Helmut Kohl hat für den Orden immerhin die Deutsche Einheit hingekriegt. Aber Merkel? Der Ordensreigen setzte sich für die Ex-Kanzelerin sogar fort. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) meinte, Frau Merkel den NRW-Staatspreis verleihen zu müssen.

Nochmal der Bund: Ein Grüner Wirtschaftsminister, der zunächst partout nicht glauben mochte, dass sein Staatssekretär aber so was von Mist gebaut hatte. Und so weiter. Dies alles dürfte die Wahl-Freude nicht so recht gesteigert haben.

Liebe Leserinnen und Leser, noch ein paar Sätze zu Bremen. In einigen Medien der Stadt war nach der Wahl zu lesen: Ein richtiger Wahlkampf habe nicht stattgefunden. Ich befürchte, die Kolleginnen und Kollegen haben da etwas verwechselt. Wenn Zeitungen über den Wahlkampf nicht berichten, bedeutet dies ja nicht, dass kein Wahlkampf stattgefunden hat.

Für eine rühmliche Ausnahme der insgesamt spärlichen Wahlkampf-Berichterstattung hat Radio Bremen gesorgt. Der öffentlich-rechtliche Sender lud die Spitzenkandidaten für Bremen und für Bremerhaven nacheinander zu Einzel-Vorstellungen/Befragungen ins leere Waller Bad ein. Und RB hat mit seinem „Wahl-Mobil“ mehrere öffentliche Kandidaten-Befragungen in Stadtteilen durchgeführt – inklusive Livestream.

Mal unter uns: Während des Wahlkampfes kam mir zuweilen der Gedanke in den Sinn, ein Leben ohne WK ist denkbar. Dafür bietet RB genug lokale Nachrichten. Einziger Vorteil der Tageszeitung: Nur ihr kann man entnehmen, wer uns verlassen hat.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Noch ein paar Takte zur BIW. Bremer Parteien brandmarken die Wählergruppe und deren Wähler jetzt als Rechte, teilweise auch als nicht demokratisch. Mag sein, dass auch “Rechte” daunter sind. So wie eben auch Ultra-Linke unter den Linken. Die Fakten in Bremerhaven weiten in diesem Fall übrigens den Blick: Dort durften sowohl BIW als auch AfD bei der (zeitgleichen) Wahl zur Stadtverordnetenversammlung antreten. Das Ergebnis: BIW 19,6 Prozent, AfD 5,9 Prozent. Wenn alle Bremerhavener BIW-Wähler tatsächlich stramme „Rechte“ und Demokratiefeinde wären, dann hätten sie doch  vermutlich die AfD gewählt. Haben sie mehrheitlich aber nicht. Müsste Bremer Politiker zumindest mal nachdenklich stimmen.

Zum Seitenanfang