Bremst der Bremerhavener Frust die Wahl einzelner Senatsmitglieder aus?

04.07.2023 Aus Von Axel Schuller

Spannung, heute (5.7.), Leute wird’s (vielleicht) was geben: Die Bürgerschaft will den neuen Senat wählen. So sicher wie das Amen im benachbarten Dom ist die Sache jedoch keineswegs. Rot-Grün-Rot hat lediglich d r e i  Stimmen über der Grenze der absoluten Mehrheit. Bremische Besonderheit: Verfehlt auch nur einer der neun Senatsbewerber die absolute Mehrheit von 44 Stimmen, muss die Bürgerschaft erneut tagen und wählen. Laut Bremer Verfassung wählt der Landtag jedes Senatsmitglied einzeln. Scheitert eine/einer an der 44er-Hürde, regiert der alte Senat weiter. 

Für den „Loser“ müsste die Bürgerschaft dann erneut zusammenkommen und denjenigen wählen, der gescheitert war. Erst dann darf der Senat offiziell seine Ressortverteilung vornehmen.

Und Bürgermeister Andreas Bovenschulte kann sich keineswegs völlig sicher sein, dass alle neun Bewerber am Mittwoch durchkommen. Dafür gibt es zu viele Abgeordnete bei SPD und Linken, denen der Geno-Kurs mit Klinikschließung nicht behagt. Bremerhavener Sozialdemokraten zürnen mit Bovenschulte, tragen schier „das Messer im Gewand“. Grund: Das seit vielen Jahren von “Bremerhaven” geführte Senatsressort wird nicht mehr für die Häfen zuständig sein. „Ihre“ (Bremerhavenerin) Senatorin Claudia Schilling muss die Häfen an Wirtschaft (Kristina Vogt, Linke) – sinnvollerweise – abtreten. Schilling darf sich künftig um Soziales, Arbeit und Justiz kümmern. Die Verärgerung in Bremerhaven ist so ausgeprägt, dass beim SPD-Landesparteitag am vorigen Wochenende mehrere Genossen aus der Seestadt – darunter Bremerhavens SPD-Chef Martin Günthner und Ex-Hafensenator Uwe Beckmeyer – gar nicht erst anwesend waren. Bei den Linken gibt’s wiederum Gegner jeder Veränderung des Geno-Konzerns und eine klare Ablehnung der Elektroschock-Waffen (Taser) für die Polizei.

Soweit das überraschend spannende Szenario für den heutigen Mittwoch in der Bürgerschaft.

Dazu gesellt sich die Tatsache, dass heute teilweise sehr besondere Kandidaten w/m zur Wahl stehen. Sowohl die SPD als auch die Grünen schicken Frauen ins Rennen, denen man zumindest eines nicht absprechen kann: ein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Über solches müssen Özlem Ünsal (SPD) als Verkehrs- und Kathrin Moosdorf (Grüne) als Klima- und Wissenschaftssenatorin verfügen. Die eine soll Chefin  d e s  Bremer Problemressorts von Maike Schaefer werden. Und Kathrin Moosdorf wechselt – mal offen gesagt – von der „Spielwiese“ des überschaubaren Kinderschutzbundes in das MegaWissenschaftsressort mit tausenden an Mitarbeitern. 

Spannend auch, ob sich der bisherige Grüne Fraktionschef Björn Fecker rasch die Stahl-Ellenbogen zulegen kann, die man als Finanzsenator benötigt. Sonst kann man die ständigen Forderungen der anderen Ressorts nicht wirkungsvoll abblocken. 

Und noch eine umstrittene Kandidatin: Bildungssenatorin Sascha Aulepp. Ihr verweigerten beim SPD-Nominierungsparteitag am Wochenende knallharte 20 Prozent der Delegierten die Zustimmung! (Das ist schon fast ein Schaefersches Ergebnis…). 

Wenden wir uns nun der Grünen Kathrin Moosdorf (42) zu. Wer sie kennt, beschreibt sie als ausgesprochen nett und freundlich. Aber immerhin wechselt sie vom gerade mal 28-köpfigen Kinderschutzteam an die Spitze des ohnehin wildzusammengestrickten Ressorts Klima, Umwelt und Wissenschaft. Zum letzt genannten Bereich gehört unter anderem die Universität Bremen (18.631 Studenten m/w) mit sage und schreibe 3.578 Mitarbeiter m/w, davon 314 Profs. und 2.323 Menschen vom wissenschaftlichen Personal. Frau Moosdorf beschrieb sich dem Weser-Kurier gegenüber, unter anderem, so: „Ich glaube auch, dass es Menschen gibt, die eine gewisse Leitungspersönlichkeit haben, und da würde ich mich dazuzählen.“ Spontan-Gedanke: Ein solcher Spruch bei ihrer Vorstellung in der Uni – kommt vermutlich gut… A b e r : Jede und jeder verdient eine Chance.

Darauf dürfte auch die zweite Neue setzen: Özlem Ünsal (49). Die Lübecker Sozialdemokratin bringt ebenfalls nicht gerade einen blühenden Strauß an Erfahrungen mit. Die Lübecker Sozialdemokratin mit türkischen Wurzeln wird zuständig für Bau, Verkehr und Stadtentwicklung. Ihre Vorbildung: Studium der Politik, Soziologie und Psychologie. Und: Um Bau und Stadtentwicklung hat sie sich fünf Jahre lang für die SPD als Landtagsabgeordnete gekümmert – jedoch aus der eher nicht tragenden Rolle als Oppositionspolitikerin. Das Thema Verkehr war für sie bislang nur eines – gar keines!

Ünsal bringt gleich mehrere Handicaps mit: Sie kennt sich in Bremen nicht aus. Sie wird Chefin einer seit 12 Jahren öko-durchtränkten Behörde. Loske, Lohse, Schaefer haben das grüne Feld bestellt, auf dem Ünsal nun irgendwie weiterackern muss. 

Selbst in der SPD muss die Frau sich zunächst freischwimmen, da einige Genossen ihren stadtbremischen Parteichef Falk Wagner lieber auf dem Chefsessel gesehen hätten. Aber nach SPD-Doktrin und abstruser Quotenregelung darf halt nur eine Frau ins Amt einziehen.

Allerdings, für Falk Wagner (gerade mal 34 Jahre alt) bietet das „einfache“ Abgeordnetendasein einen großen Vorteil: Er muss sich nicht der Kabinettsdisziplin von Bürgermeister Bovenschulte unterordnen – und kann somit schon bald die Nachfolge des SPD-Landesvorsitzenden Reinhold Wetjen (70) anstreben. Aus dieser Rolle heraus ist später vieles denkbar. 

Im übrigen vermute ich, dass Ünsals Verkehrsschwerpunkt darin liegen wird,  möglichst wenig Unsinn a la Schaefer anzustellen und die Bürger nicht wie ihre Vorgängerin im Wochentakt zu nerven. Der Bau von Wohnungen ist zwar dringend notwendig, wird aktuell aber durch Rahmenbedingungen wie Baukosten und Zinsen ausgebremst. Da kann das Ressort die Zeit nutzen, um die Bau-Bürokratie zum Bürgernutzen umzugestalten.

Die Regelungen des ruhenden Verkehrs (aufgesetztes Parken) überlässt Ünsal am besten Innensenator Ulrich Mäurer. Der hat einen Kompromiss namens Parkfrieden erarbeitet. Den wollte Schaefer nicht, jetzt kann das Park-Thema endlich mit Augenmaß angegangen werden.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

 

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