Der Weser-Kurier braucht dringend einen Plan – und eine ordnende Hand in der Chefredaktion

30.08.2023 Aus Von Axel Schuller

Das große Q ist einer der wichtigsten Buchstaben im Zeitungswesen. Q wie Qualität. Zeitungen, die etwas auf sich halten, „bezichtigen“ sich selbst des Qualitätsjournalismus’. Der Bremer Weser-Kurier reißt die Q-Limbo-Stange leider immer wieder. Jüngster Knaller der Blattmacher: Vorigen Sonntag fand in Bremen das Finale der Deutschland-Tour der Radprofis statt. Und das „Leidmedium“ WK brachte am Tag davor auf der Titelseite – n i x. Ein Vorbericht auf diese Megaveranstaltung fand sich schließlich auf der fünften Sportseite (S. 31). 

Dem Blatt fehlt eine ordnende Hand. Jemand, die/der einen Plan hat, welche Rolle die Zeitung in der Stadt spielen will. Mein im Weiteren begründetes Fazit: Bremen hat eine bessere Lokalzeitung verdient.  

Bevor mich zufriedene WK-Leser (ja, die gibt es auch, denn es ist ja zum Glück nicht alles schlecht) nun verdammen – gemach. Vor meiner Anti-Q-Sammlung aus den vergangenen Wochen ein Hinweis: Chefredakteurin Silke Hellwig kann gut schreiben. Ihre Texte ragen zuweilen sogar durch Formulierungskunst heraus. Aber: Im Journalismus ist es wie in allen Berufen: Wer seine Profession gut beherrscht, ist noch lange keine gute Führungskraft. Dazu später – für Sie hoffentlich – Erhellendes.

Jüngster Fehlgriff der Redaktion war – wie gesagt – die Ankündigung der Radtour. Auf der Titelseite vom Samstag durfte man als interessierter Medienkonsument zum hundertsten Mal erfahren, dass Herr Trump nun über ein Polizeifoto verfügt. Aber null Komma nichts an dieser prominenten Stelle zum bevorstehenden Ereignis mit der Deutschen Rad-Elite

Bremen dürfte dafür, dass das Finale in der Hansestadt stattfand, vermutlich eine Viertel Million berappt haben. Hat sich touristisch wohl auch gelohnt. ZDF und 190 weitere TV-Stationen berichteten. Das ZDF begleitete die Radfahrer sogar aus der Hubschrauber-Perspektive von Weyhe, über Stadion, Marktplatz und Schütting bis in die Überseestadt. Eine grandiose Werbung für unser Bremchen!

Man stelle sich einmal vor: Das Finale der Deutschland-Tour hätte in Hamburg stattgefunden. Das Hamburger Abendblatt (Chefredakteur: Ex-WK-Chef Lars Haider) hätte sich in der Wochenendausgabe schier überschlagen. Jede Wette.

Break. Nun einige Beispiele für (aus meiner Sicht) nicht Q-kompatible WK-Berichterstattung. Da fabulierte eine Autorin, die Bremer Stadtreinigung wende für die Entsorgung des Mülls pro Jahr 72,90 Euro auf. Korrekt hätte es natürlich heißen müssen: 72,9 Millionen Euro. Okay, irren ist menschlich. Aber in demselben WK-Traktat durfte man lesen, dass die Tonnen wöchentlich (zum festen Tarif) geleert würden. Einfach nur: falsch. 

Mit Zahlen steht die Redaktion häufiger auf Kriegsfuß. Angeblich verbraucht die Lufthansa jährlich 7,3 Millionen Liter Kerosin. In Wahrheit verbrennt die Airline 7,3 Millionen Tonnen Treibstoff.

Daneben auch ein Interview mit dem örtlichen AOK-Chef Olaf Woggan. In der Unterzeile hieß es verheißungsvoll „warum der Beitrag zum Oktober sinkt“. In der Zeilen-Ansammlung fand sich jedoch weder ein Hinweis auf die aktuelle Beitragshöhe oder den Umfang der Absenkung noch auf die künftige Höhe. Einfach nix

In solchen Momenten frage ich mich: Gibt es in dem Blatt noch ein Korrektorat? Deutsch- und Schreibfehler können jedem Autoren m/w unterlaufen. Aber Flüchtigkeitsfehler, inhaltliche Fehler und etwaige Mängel an Plausibilität von Aussagen müssen doch auffallen. Es kann nicht sein, dass Verlage auf eine Korrektur verzichten oder womöglich auf Computer in Indien auslagern. Denen fällt es natürlich nicht auf, wenn in einer Bremer Zeitung vom „niederländischen Umland“ geschrieben wird.

Immer wieder ersetzen engagierte Leser fehlende Kommentare der Redaktion – sei es zu der urlaubs-lockeren Bekleidung der Bremer Unterzeichner des Koalitionsvertrages oder zum Wegfall der Werder-Fan-Busse. Für die Redaktion, sorry, ein Armutszeugnis.

Oder: Hat die Redaktion in Bremen kein für viele Menschen interessantes Thema gefunden, wird gnadenlos Skandalöses von anderen Orten „lokal heruntergebrochen.“ So darf man für einen Abo-Preis von mittlerweile monatlich 46,90 Euro Sätze lesen wie: Massenschlägerei in Berlin – „In den Bremer Bädern blieb es in diesem Jahr…weitgehend friedlich.“ Wohlgemerkt auf der Titelseite. Früher nannte man dies in Journalistenkreisen eine “Un-Geschichte“.

Nicht nachvollziehbar auch: Bremens Raumfahrt-Champion OHB findet mit KKR einen superpotenten Investor, will von der Börse gehen. Und der WK? Meldet auf der Titelseite: „Mehr tödliche Stürze im Haushalt“. OHB, bedeutender europäischer Satellitenbauer, findet sich auf Seite 13. Zu den Auswirkungen des Börsenrückzuges auf die Aktionäre – nix. Dafür musste man butenunbinnen gucken.

Die Berichterstattung ist häufig Nullachtfuffzehn. Einfach: Uninspiriert. Zu viel Nacherzählen von Pressekonferenzen und  Pressemitteilungen. Die erfahrenen Redakteure Jürgen Theiner und Joerg-Helge Wagner peppen das Lokale zuweilen mit Hintergründigem auf. Und Jürgen Hinrichs kennt seine Qualitäten als lockerer Texter. Dies verführt ihn jedoch zuweilen, selbstverliebt ein verbales Pfauenrad zu schlagen – und manchmal eben drüber zu stolpern. O weia, jetzt fang ich schon selbst damit an… Sorry, aber das Pfauenrad musste einfach mal raus.

Wieder ernsthaft: Zur Einigung über die Kindergrundsicherung holt sich butenunbinnen die Chefin des „Paritätischen“ zum Interview ins Studio. Oma/Opa WK bringt die am Tag zuvor x-fach verbreitete Nachricht und hängt eine kurze Stellungnahme der Bremer SPD an. Gääähn.

Da ich gerade beim Alter bin. Petitesse am Rand: Die Chefredakteurin60 Lenze jung – hat möglicherweise ein Problem mit dem Älterwerden. Auffällig jedenfalls, dass sie das Alter ihrer Interviewpartner – gegen jeden Standard journalistischer Ausbildung – beharrlich weglässt. So muss man dann selbst im Netz schauen, wie alt etwa Günter Verheugen mit seiner vom Mainstream abweichenden Ukraine-Ansicht „Das Gemetzel muss beendet werden“ ist (79 Jahre).  

Die Chefredakteurin schleppt mittlerweile ein ganzes Vergangenheitsbündel mit sich herum. 1999 kam sie zum Weser-Kurier, wechselte 2002 zu Radio Bremen und wurde dort Chefin der Fernsehabteilung. Aufgrund von Spannungen mit Redakteuren fand ein Mediationsverfahren statt. Die Folge: Rücktritt/Entzug der Führungsaufgabe. Wer’s nicht glaubt: Können Sie im Netz alles nachlesen.

Nach dem Abstieg von der bubi-Leitung kehrte die Kollegin 2011 als Chefredakteurin zum WK zurück. 2014 berief der WK-Vorstand überraschend den altgedienten Kollegen Peter Bauer neben Hellwig zum Chefredakteur. Wobei Bauer das Sagen hatte. Alleine er war nämlich „verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes“.

Erneut hatte Hellwigs Führungsverhalten Redakteure m/w aufgebracht. Angeblich wurde mit Bauers Berufung ein drohendes Mediationsverfahren abgewendet. 

Nach Pensionierung des Chefredakteurs kam 2015 Moritz Döbler für vier Jahre. Er setzte auf eine verlagseigene Werder-App mit über zehnköpfiger Sportredaktion. Die Aktion belastete den Verlag mit einer siebenstelligen Summe. Heute ist Döbler Chefredakteur der Rheinischen Post, die Werder-Berichterstattung ist an die “Deichstube” (Joint venture von Kreiszeitung Syke und WK) ausgelagert.

Silke Hellwig schwingt nun seit 2019 wieder allein das redaktionelle Zepter.

Der WK leidet unter stetem Aderlass. Wer kann, wechselt zu Radio Bremen (meist als freie Mitarbeiter) oder in senatorische Pressestellen. In Kollegenkreisen raunt man, dies liege nicht nur an der Bezahlung. 

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller   

Transparenz-Hinweis: Ich war für den Weser-Kurier von 1979 bis Ende 1998 tätig; also bis vor 25 Jahren.