Visier hoch bei Kandidatenaufstellung, aber Finger weg vom Wahlrecht!

13.09.2023 4 Von ED-as_Blog-17

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Was, um Himmels Willen, ist bloß mit den Grünen los? Einst als basisdemokratische Graswurzel-Bewegung gestartet ist die Partei – heute nur mal den Bremer Ableger betrachtet – zu einer Partei mutiert, die gegen den Willen vieler Bürger m/w Bäume abhackt und sich nun auch noch blödsinnigerweise wie eine harmoniesüchtige Schwiegertochter vor den SPD-Karren namens „Änderung des Wahlrechtes“ spannen lässt. Im Kern geht es darum, den Einfluss der Wähler auf die personelle Zusammensetzung des Landtages brutal zu beschneiden.

Das Schlimmste: Die neue Grüne Fraktionschefin Dr. Henrike Müller ist entweder ahnungslos, oder sie verbreitet im Zusammenhang mit ihrem Vorstoß für ein anderes Wahlrecht – um es freundlich zu formulieren – groben Unfug. Halten Sie bitte durch, dann liefere ich Ihnen mehrere Beweise für meine vielleicht als keck empfundene Behauptung!

Kommen wir zum Ursprung der Debatte. Die SPD hadert mit dem aktuellen Wahlrecht, weil sie nicht mehr wie früher schalten und walten kann. Nicht mehr die Partei, sondern auch Wählerinnen und Wähler entscheiden darüber, wer fortan mindestens 5.318,20 Euro an Diäten bezieht. Seit Änderung des Wahlgesetzes im Jahr 2011, bereits 2019 novelliert, darf jeder Wähler fünf Stimmen verteilen. Die kann man an Parteien oder Personen geben. Seitdem schaffen insbesondere männliche Sozis den Sprung von hintersten Listenplätzen nach vorne*, sprich ins Parlament. Dabei handelt es sich häufig um Menschen mit türkischen, arabischen oder kurdischen Wurzeln.

Diese Kandidaten schaffen es, ihre migrantischen „Communitys“ zur gezielten Stimmabgabe zu bewegen. Ich bin bekanntlich kein Freund davon, um den Brei herumzureden. Deshalb hier einige Beispiele:

Der SPD-Landesparteitag hatte Nurtekin Tepe auf Platz 49 verbannt. Der Mann holte 1.329 Personenstimmen – und zog ins Parlament ein. Mehmet Ali Seyrek stand auf dem abgeschlagenen Listenplatz 33. Dank 2.960 Personenstimmen sitzt er – jawoll wieder im Parlament. Oder Medine Yildiz, Listenplatz 46, holte 1.385 Personenstimmen. Muhamed Tokmak, Platz 27, sprang mit 1.144 persönlichen Stimmen in den gut bezahlten* Job. 

Zum Vergleich: In der SPD anerkannte „Größen“ wie Falk Wagner (kurze Zeit als Bausenator im Gespräch) kam auf schwache 800 Personenstimmen. Und der innenpolitische SPD-Lautsprecher Kevin Lenkeit („Prosa in rosa“) zog kümmerliche 410 Personenstimmen auf sich.

Die SPD hat sich in ein Dilemma manöveriert: Sie will von allen erdenklichen Gruppen geliebt, sprich gewählt werden. Wollte die SPD jene Community-Männer und -Frauen aus ihrer SPD-Fraktion fernhalten, müsste ihr Spitzenpersonal über mehr Mumm verfügen. Und zwar bei der Kandidatenwahl in den Ortsvereinen. Dort beginnt nämlich – aus Partei-Manager-Sicht – das Übel. Dort schlagen die Vordenker der Partei ihren jeweiligen Lieblingskandidaten m/w vor. Zuweilen kommen die jedoch nicht „durch“, weil ein Gegenkandidat seine migrantischen Genossen zur entscheidenden Parteiversammlung mitbringt und eben gewinnt

Würde die Parteiführung offen sagen: Genosse xy, wir freuen uns über dein Engagement. Wir meinen aber, du solltest zunächst noch ein paar Jahre intensiv im Ortsverein oder im Stadtteilbeirat mitarbeiten, wären die Fronten geklärt

Doch davor stehen die Feigheit und die Sorge, dass die „lieben Genossen“ sich benachteiligt fühlen und austreten könnten. Die SPD leidet ohnehin unter Mitgliederschwund. Von ehemals über 10.000 Bremern m/w sind nur noch 3.720 eingeschriebene Parteimitglieder. 

Die Linken kennen ähnliche Probleme. Tim Sültenfuß stand möglicherweise aus gutem Grund auf Listenplatz 22, schaffte aber dank 1.804 Stimmen den Sprung ins Parlament.

Bevor ich’s vergesse: Noch ein paar Sätze zur “Unglücksräbin” Dr. Henrike Müller. Die Grüne Fraktionschefin zog lediglich 777 Stimmen. Zum Vergleich: Dr. Maike Schaefer holte zehnmal mehr Personenstimmen. Diese Frau Dr. Müller hat die Debatte über eine erneute Wahlrechtsänderung mit zwei Falschbehauptungen garniert. Es sei doch unmöglich, dass (beispielsweise) seit 40 Jahren stets Männer innenpolitische Sprecher aller Bürgerschaftsfraktionen „waren“. Falsch! In der vorigen Legislaturperiode war Birgit Bergmann innenpolitische Sprecherin der FDP. Müllers weitere Äußerung, mangels der weiblichen Innenpolitikerinnen sei das Thema häusliche Gewalt von niemand angefasst worden, brachte mich ins Grübeln  Anruf bei Birgit Bergmann: „Das stimmt nicht. Das Thema häusliche Gewalt war so ziemlich in jeder Sitzung in der Innendeputation präsent.“

Tragisch für Bergmann: Sie hätte aufgrund ihres großen Engagements – wie vier Jahre zuvor – vermutlich erneut viele Personenstimmen für die FDP geholt. Doch die Parteiführung setzte bei der Listenaufstellung auf zwei andere Frauen, die dummerweise kurz vor der Wahl einen Rückzieher machten. Folge: Eine reine FDP-Männer-Fraktion.

Fazit: SPD, Grüne und Linke sollte die Finger davon lassen, erneut am Wahlrecht rumzuschrauben, sondern stattdessen bei der Kandidatenaufstellung in den Ortsvereinen mit offenem Visier antreten. Bei der CDU gibt es übrigens keinen Bedarf, das Wahlgesetz zu ändern. Deren paritätisch besetzte Liste wurde nämlich überwiegend von der Wählerschaft anerkannt, sprich per Abstimmung gesegnet – Personenstimmen wirkten anders als mehrfach bei der SPD bloß in einem Fall (Dr. Oguzhan Yazici) wie ein Fahrstuhl. 

Insofern ist es auch falsch, wenn Frau Grünen-Müller behauptet, das aktuelle Wahlrecht benachteilige Frauen im Parlament. Das ist übrigens schon deshalb Quatsch, weil Frauen Wählerinnen sind und ergo mit ihren Stimmen auch darüber entscheiden, ob ihre Geschlechtsgenossinnen in den Landtag einziehen, oder eben nicht.

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

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*Ich habe zwei Formulierungen geändert: Nach Hinweisen aus der Leserschaft habe ich die “Futterkrippe” (für Segnungen der Parlaments-Mitgliedschaft) und “Diäten-gesegnet” für relativ hohes Einkommen herausgenommen. Mein Ziel ist es, dass über den sachlichen Inhalt des Textes nachgedacht wird – und sich niemand an einzelnen Wörtern festbeißt, die offenbar ungute Gedanken auslösen können. Danke für die Hinweise, Ihr as

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P.S.: Ab sofort können Sie die aktuellen Blogstücke kommentieren. Versuchsweise, weil ich herausfinden muss, wie groß der Aufwand sein wird. Bekanntlich betreibe ich den Blog als Ehrenamt

Aufwand entsteht eventuell dadurch, dass ich Kommentare herausfiltern muss, sobald diese strafrechtliche Grenzen sprengen. Laut Mediengesetzen haftet nämlich nicht nur der Autor (also: bitte mit dem echten Namen kommentieren) eines “Leserbriefes”, sondern auch derjenige, der diesen veröffentlicht. Und das bin ich.