Warum hacken alle auf Viktor Orbán rum? Ist sprechen nicht mehr besser als schießen?
Sommerzeit, Reisezeit. Heute breche ich aus dem engen Korsett „Bremen“ kurzzeitig aus. Es geht um die Ukraine, den Krieg und um Viktor Orbán. Das Herumgejaule aller möglichen Politiker, Viktor Orbán missbrauche seine Rolle als EU-Ratspräsident – Leute, ich mag es nicht mehr hören! Wie auch immer man zu diesem Mann steht – im besten Fall bringt er eine Debatte über ein Ende des unsäglichen Krieges in der Ukraine ins Rollen. Liebe Leserschaft, ich bitte Sie herzlich um „tätiges“ Lesen des Textes, auch wenn es (fast gar) nicht um Bremen geht. Schreiben Sie mir gerne Ihre Meinung als Kommentar.
Viktor Orbán, die Unperson der EU schlechthin, möchte gerne den Friedensengel geben. Erst reiste er zu Wolodymyr Selenskyj, dann zu Putin jetzt zu Xi Jingping. Und (fast) alle schreien empört auf. „Das darf der nicht.“ „Der hat kein Mandat der EU für diese Gespräche.“ „Der hat das nicht mit uns abgesprochen“.
Orbán mag ein eigenwilliger, vermutlich auch ein despotischer Querkopf sein. Aber: Was kann verkehrt daran sein, mit jenen zu reden, die unversöhnlich miteinander im Krieg liegen? Und mit China, das maßgeblichen Einfluss auf Putin ausübt.
Die EU hat viele Chancen gehabt, befriedenden Einfluss auf den russischen Krieg gegen die Ukraine zu nehmen. Die EU hat sich aber – ohne die eigenen Landesbevölkerungen auch nur ansatzweise zu befragen – für die Lieferung von Waffen entschieden. Kein Außenminister der EU-Mitgliedsstaaten wird seiner Rolle als Chefdiplomat (als Verhandler) gerecht. Alle schimpfen auf Putin, organisieren ein Sanktions-Paket nach dem anderen, sorgen für den Fluss immer neuer Waffen.
Ich weiß: Damit entsprechen sie der in Politikerkreisen vorherrschenden Doktrin „Man muss Putin schlagen, zumindest aufhalten, sonst räubert der einfach weiter“. Ich kenne dieses Argument.
Aber: Was ist die Alternative? Beide Seiten schlagen sich in der Ukraine solange die Schädel ein, bis alle und alles kaputt ist?
Orbán springt jetzt in die Lücke, die ihm die EU-Staaten und die USA lassen. Diese Staaten und Verbünde denken nicht im entferntesten ans Verhandeln. Die treffen sich sogar untereinander in der Schweiz zu einer „Friedenskonferenz“, ohne das kriegerische Russland einzuladen. Welcher „Friede“ sollte dort besprochen werden, ohne die Kriegsparteien am Tisch zu haben? Beleidigt war man auch, dass China nicht teilnehmen wollte (ohne Russland).
Orbán nutzt dieses undiplomatische Verhalten der Chefdiplomaten. Warum nicht?
Wenn es ihm – wie auch immer – gelänge, China zu einem größeren „Engagement“ Russland gegenüber zu bewegen, am Ende zum Beginn von Verhandlungen beizutragen – wenn ihm dies gelänge, würde er bestimmt plötzlich in einem anderen Licht dastehen.
Orbáns Ruf in der EU ist (auch durch eigenes Zutun) leider so ruiniert, dass alle auf Distanz gehen. Dabei ist Urbán einer der wenigen, die beispielsweise vor einer Aufnahme der Ukraine in die EU mit dem Hinweis warnen, dort wuchere die Korruption nach wie vor.
Können wir es uns leisten, jeden auch noch so unmöglich erscheinenden Weg zum Schweigen der Waffen in der Ukraine als „Putin-freundlich“ zu diffamieren? Das tägliche Morden darf so nicht weitergehen. Es muss endlich etwas geschehen!
Warum greift niemand den Gedanken auf, die Bevölkerung auf der besetzten Krim und im Donbass abstimmen zu lassen, zu welchem Land sie gehören wollen? Warum wird solch ein Gedanke – in Bremen vom ehemaligen Grünen Bürgerschaftsabgeordneten Walter Ruffler propagiert – von vornherein diskreditiert? „Haha, ne Volksabstimmung unter Putin, das ist doch immer manipuliert.“
Ist wohl so. Und dennoch könnte dies ein erster Verhandlungspunkt sein. Nach dem Motto: Wie kann eine solche Volksabstimmung einflussfrei, neutral, international überwacht stattfinden? Putin hat mehrmals „Friedensverhandlungen“ angeboten. Warum nimmt man ihn nicht beim Wort und sagt: Lasst uns reden, auch wenn wir die russischen Vorbedingungen für irreal halten.
Deutschlands vermutlich erfolgreichsten Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) wird der Satz zugeschrieben „Solange man miteinander redet, schießt man nicht aufeinander.“
Wer nimmt sich endich diese unwiderstehlich richtige Denke zu Herzen?
Und: Warum ist von den friedensbewegten Bremer Sozialdemokraten bisher nichts zu der allseits rein formalen Kritik an Orbán zu hören?
Orbán ist eine undurchsichtige Person. Dennoch ist es anerkennenswert, dass er mit allen Beteiligten spricht. Selbst, wenn er dies (auch) aus narzisstischen Gründen täte. Egal. Ob mit EU-Mandat oder nicht – egal. Hauptsache, es wird geredet und nicht geschossen!
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
P.S.: Ich gelobe: Beim nächsten Blog-Stück wird wieder Bremen im Mittelpunkt stehen. Und wie so häufig der Tipp: Lesen Sie unbedingt die Leser-Kommentare zum Eckhoff-Stück.
Lieber Axel, heute stimme ich dir voll und ganz zu. Und ich darf den früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann aus seiner Antrittsrede am 1. Juli 1969 zitieren: „Der Frieden ist der Ernstfall, indem wir alle uns zu bewähren haben.“
Als Teil einer demokratischen Vereinigung wie der EU, muss man schon in deren (mehrheitlichen) Sinne agieren. So ist das eben in der Demokratie. Wenn er wenigstens vor ein paar Monaten die Reise unternommen hätte. Aber ganz zufällig genau im Zeitraum der beginnenden ungarischen EU-Präsidentschaft. Man muss schon sehr naiv sein, den Zusammenhang nicht herzustellen. Er ist ein Autokrat. Das möchte er bleiben und sucht den Schulterschluss mit den mächtigsten säbelrasselnden Autokraten, Orban ist doch kein Friedensengel Übrigens auch ein Feind der freien Presse. Ich kann hier jetzt noch 10 tolle Zitate über den Frieden beisteuern. Sie sind alle im Frieden entstanden. Nach Chamberlain wurde zwischen 39 und 45 dann nicht mehr viel über Frieden gesprochen Gott sei Dank. Sonst dürften wir hier nämlich gar nicht diskutieren über einen freien Blog, den es dann nicht gäbe.
Solange man miteinander redet, schießt man nicht ! Das ist natürlich generell richtig und erstrebenswert . Nur: Wenn jemand ausschließlich unter der Bedingung reden will, dass seine Vorstellungen von vornherein akzeptiert werden , dann sind auch derartige Gespräche wenig zielführend. Im Übrigen hat sich auch Herr Urban an bestimmte EU-Spielregeln zu halten und nicht profilneurotisch eigene Wege zu beschreiten. So fällt er aber der EU, die ihm ständig Milliardenbeträge überweist, in den Rücken ! Nach Abstimmung mit der EU hätte Herr Orban durchaus die „Herren “ Selensky , Putin und Xi Jinping besuchen und friedensstiftend wirken können, aber nicht ohne deren Plazet. Entweder ist die EU eine Gemeinschaft oder nicht ! Alleingänge schaden der gemeinsamen Sache massiv zur Freude und Genugtuung der ideologischen Kontrahenten !
By the way: Ungarn importiert nach wie vor billiges Erdgas aus Rußland, die chinesischen Investitionen in Ungarn sind die höchsten in Europa , und Ungarn ist das einzige Land in Europa, das sich der chinesischen Seidenstraßen (Belt and Road-) Initiative angeschlossen hat. Dämmert`s ? Noch Fragen ?
Das ging ja jetzt mal voll nach hinten los und lässt mich daran zweifeln, ob ich Ihnen weiterhin folgen werde. Bleiben Sie bitte der lokalen Politik verhaftet. Der Auftritt auf grosser Bühne ist Ihnen komplett misslungen. Damit das klar ist: Orban ist allein sich selbst verpflichtet. Zutiefst in Korruptionsvorwürfe verstrickt, sollte er nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Mit rund 4 Prozent aller Fördergelder, die seit 2015 «abgezweigt» wurden, nimmt Ungarn einen Spitzenwert bei der Korruption ein. Orban ist de facto der reichste Mann Ungarns. Uups!
Ihn als „Querkopf“ zu bezeichnen ist wohl eine schlimme Untertreibung. Er erpresst die EU seit Jahren, blockierte u.a. den Beitritt Schwedens zur NATO, schikaniert ausländische Firmen im Inland, bevorzugt Personen, die ihm nahe stehen und hat quasi seine eigene Oligarchie erschaffen. Nun schüttelte er einem zur Fahndung ausgeschriebenen Kriegsverbrecher als erster EU-Führer die Hand. Bravo! Er musste seinen vorausgegangenen Besuch in Kiew wohl in Moskau erklären. Oder wollte er etwas dem mutmasslichen künftigen US-Präsident Trump gefallen, der ja ebenfalls die Ukraine-Hilfe einstellen will? Obendrein reist er umabgestimmt zu den Chinesen. Außer Frage bringt Orban so wenig politisches Gewicht in die Schale, dass seine Besuche keinerlei Wirkung haben werden. Er nervt einfach nur. Bin mir nicht mal sicher, ob dieser völkische Nationalist überhaupt ernst genommen wird.
Wichtiger ist, sind Sie wirklich so naiv zu glauben, dass dies ein Anfang von Friedensdiplomatie gewesen sein könnte? Ausgehend von einem Autokraten, der von rechtsaußen die Spaltung Europas vorantreibt?. Ebensowenig wird es Erdogan im Konflikt zwischen Israel und der Hamas gelingen. Erdogan und Orban sind vom selben Schlag. Die Anführer der „illiberalen Demokratien“ brauchen den großen Auftritt. Alles nur Show.
@Herrn Calkosz: Wir mögen vermutlich Herrn Erdogan beide nicht, müssen aber beide eingestehen, dass er maßgeblich am Zustandekommen des Getreideabkommens zwischen RUS und UA in 2022 beteiligt war. Das war damals vor allem den Ländern in Afrika ein großes Anliegen. Man befürchtete Hungersnöte, wenn ukrainisches Getreide nicht exportiert geworden wäre.
Wäre es Ihnen lieber gewesen, Erdogan hätte statt der Vermittlung des Abkommens Putin nochmal richtig den moralischen Marsch geblasen? Ich vermute ja. So kann ich auch verstehen, dass es für Sie ein unerträglicher Gedanke ist, Orban würde tatsächlich erfolgreich in Richtung eines Waffenstillstandes sein. Ihr Weltbild geriete ins Wanken.
Lieber Axel, ich kann Dir nur zustimmen! Und das Thema gehört natürlich in einen Bremen Blog!
Trotz aller Bedenken gegen die Innenpolitik Orbans stimme ich Dir vollständig zu, Axel!
Ich glaube nicht, dass man spontan einen Termin mit Putin und Xi vereinbaren kann.
So eine Reise bedarf eines längeren zeitlichen Vorlaufs, in die auch weitere diplomatische Kanäle eingebunden werden müssen. So etwas spricht sich dann rum. Denn auch Diplomaten tratschen gerne.
Deshalb glaube ich nicht, dass die Diplomaten und Regierungschefs in der EU nicht die geringste Ahnung davon hatten, dass Orbán zu Beginn seiner Ratspräsidentschaft nach Kiew, Moskau und Peking reisen will. Es ist eher zu vermuten, dass dies in diplomatischen Kreisen irgendwie bekannt war. Bei gutem Willen hätten EU-Regierende damit die Möglichkeit gehabt, Orbán vorher auf die Reise anzusprechen und ihm abzuraten, wenn man von einer solchen Aktion nichts hält. Dann wäre es um Argumente gegangen.
So wirkt es irgendwie abgestimmt, dass die EU sich jetzt überrascht gibt und unisono betont, die Reise sei mit der EU nicht abgestimmt. Schade!
Die Termine waren lange vorbereitet, die Aktion zwischen Ungarn, Russland und China miteinander abgestimmt. Aber sei es so! Jetzt wurde viel geredet zwischen den drei angeblich Friedensliebenden und es entstanden Bilder von Urbàn mit Despoten. Geschossen wurde weiterhin und viele Menschen fanden während dieser Bilder und den abgestimmten Reden den Tod.
Trotzdem: ich bin dafür, dass weiterhin verucht wird im Gespräch zu bleiben odr ins Gespräch zu kommen. Nur nicht mit solch einem durchsichtigen Theater.
Lieber Axel Schuller,
bleiben Sie mit Ihrem Block doch lieber in Bremen. Da gibt es jede Menge Mist in dem sich trefflich rumwühlen lässt und den die regierungsnahen Medien links liegen lassen.
Ich sehe Herrn Orban nicht als Friedensstifter. Und Korruption ist Teil seines Wohlstandes.
Auch die Bremer Polizeikompanie war im 3. Reich im Ukraineeinsatz. Deshalb ist es schon ein Thema mit Bezug zu Bremen. Lt. WK-Artikel gab es 3 Tage Sonderurlaub für die Teilnahme an Erschiessungen, wenn ich mich richtig erinnere.
Ich glaube, dass wir in Deutschland kaum qualifiziert sind zu beurteilen, welche Kriterien auf den russischsprachlichen Teil der Ukraine bei der Beurteilung anzuwenden sind. Kein Wunder, dass die demokratische Wahl verschoben wurde. Was die Deutschen historisch mit der Ukraine verbindet sind die Gräuel des Dritten Reiches. Die überlassen wir der sogenannten „Erinnerungskultur“ und pflegen sie in Museen. Schon im November 1917 versuchte die Ukraine zum autonomen Staat zu mutieren. Erfolglos. Lt. Hauser (NZZ LIBRO) unterstützten März 1918 Deutschland und Österreich die Separationsbemühungen der Ukraine als Kriegsmittel zu Schwächung Russlands. Und heute?
Ungarn liegt näher dran. Vielleicht hat auch Herr Orbán aus der Geschichte erwachsene nüchterne Maßstäbe, die sein Handeln bestimmen. Oder einfach nur Angst, wie ich.
Wir vergessen zu schnell, dass der dort demokratisch gewählte, aber russlandfreundliche, Präsident nicht demokratisch abgewählt sondern mit Gewalt entfernt wurde. Deshalb können wir wohl kaum für uns in Anspruch nehmen, dass wir dort helfen, die Demokratie zu verteidigen. Abgesehen davon gilt die Ukraine als eines der korruptesten Länder der Welt. Siehe Transparency international.
Wir finanzieren die Zerstörung des Landes, um später weitere Milliarden aus den Taschen unserer Steuerzahler für den Wiederaufbau zu zahlen, gleich wo der größte Teil davon schlussendlich landet.. Und unsere grünen Pazifisten? Grün und rot gibt ein trauriges Paynesgrau, nicht nur in der Farbenlehre.
Hallo Axel, ich freue mich, dass Du das Thema bearbeitet hast. Ich stimme Dir voll zu und ärgere mich schon lange über die westlichen Antworten, dass man mit Putin nicht redet. Amerika und die EU sind wegen innenpolitischer Probleme handlungsunfähig und verheizen somit die Ukraine. Orban hat das erkannt und nutzt seine Möglichkeiten geschickt. Ich wünsche ihm Erfolg.
An alle Leserinnen und Leser: Mir war klar, dass mein Stück über Orbán einige von Ihnen negativ berühren würde. Ich habe es dennoch in meinem Blog veröffentlicht, weil ich die Dauer-Sicht so vieler Menschen – „Putin muss man einfach nur besiegen, dann ist Ruhe“ – ergänzen wollte. Da ich mich bereits soweit aus der Deckung gewagt habe, ergänze ich nun mein Stück hier in der Kommentar-Spalte mit einem Absatz, den Sie vermutlich in keinem Medium im Wortlaut lesen können. Ein Leser, der leider nicht unter seinem eigenen Namen kommentieren wollte, hat mir einen Auszug des russischen Militärberichtes vom 8.7.24 zukommen lassen. Ich halte dies für eine Veröffentlichung für wert, weil es mich spontan an den „Angriff der Israelis auf ein palästinensiches Krankenhaus“ zu Beginn des Krieges erinnert hat. Bitte, verurteilen Sie mich nicht für das nachfolgende Stück, sondern nutzen Sie es als mögliche Ergänzung der in Deutschland landauf landab veröffentlichten Sichtweise. Ich danke für Ihre Nachsicht.
ZITAT aus der russischen, übersetzten Unterlage:
Bericht des russischen Verteidigungsministeriums über den Verlauf der militärischen Sonderoperation (8. Juli 2024)
08.07.2024 (14:15)
„Als Reaktion auf die Versuche des Kiewer Regimes, Objekte der russischen Energieinfrastruktur und Wirtschaft zu beschädigen, haben die Streitkräfte der Russischen Föderation heute Morgen einen Gruppenangriff mit Präzisionswaffen mit großer Reichweite auf Objekte der ukrainischen militärisch-industriellen Infrastruktur und AFU-Luftstützpunkte durchgeführt.
Das Ziel des Angriffs wurde erreicht. Alle vorgesehenen Ziele wurden angegriffen.
Die Behauptungen des Kiewer Regimes über den angeblich gezielten Raketenangriff der Streitkräfte der Russischen Föderation auf zivile Einrichtungen sind falsch.
Zahlreiche veröffentlichte Fotos und Filmaufnahmen aus Kiew bestätigen eindeutig, dass die Zerstörung durch eine ukrainische Flugabwehrrakete verursacht wurde, die von einem Flugabwehrraketensystem in der Stadt abgeschossen wurde.
Wir stellen insbesondere fest, dass ähnliche Hysterien des Kiewer Regimes seit Jahren und jedes Mal am Vorabend eines anderen Treffens (Gipfels) seiner Schirmherren aus der NATO stattfinden.
Das Ziel solcher Provokationen ist es, die weitere Finanzierung des Kiewer Regimes und die Fortsetzung des Krieges bis zum letzten Ukrainer sicherzustellen.“
ENDE des ZITATS
P.S.: Wie bereits versprochen: Im nächsten Blog kehre ich zu meinen Leisten zurück – zu Bremer Verhältnissen.
Lieber Herr Grabbe, ich danke Ihnen sehr für ihren Beitrag, gerade auch mit den geschichtlichen Hintergründen. Leider sind zu viele der politischen Entscheider und der Journalisten zu geschichtsvergessen.
Man muss doch jede Initiative für Friedensgespräche im Ukraine-Konflikt begrüßen, auch wenn sie von den angeblich „Falschen“ kommt. Die derzeitige Strategie des Westens wird katastrophal scheitern und eine verwüstete Ukraine und 100 tausende Tote hinterlassen. Jeder weitere Tag ohne diplomatische Initiativen nützt nur den Russen, die immer mehr Terrain gewinnen, das sie sicher nicht wieder hergeben. Und wenn erst der Oblast Odessa fällt, hat die Ukraine gar keinen Meerzugang mehr.
Und an diejenigen, die immer mehr Waffenlieferungen fordern, gerichtet: Wie soll das alles denn enden? Es ist ja so bequem und selbstgerecht, die Ukrainer aufzufordern, mit unseren Waffen bis zum letzten Mann zu kämpfen, wenn man selbst zu den „Guten“ gehört und nicht Gefahr läuft, Bomben und Granaten ausgesetzt zu werden.
Orbans Aktivitäten rufen zu Recht gemischte Gefühle hervor. Zu Orbans Politikmodell gehört eine Menge Selbstdarstellung als „starker Mann“. Zudem hat er in seiner aktuellen EU-Funktion eine Bühne, von der aus er mal alle vorführen kann, die ihn sonst als autokratisches Schmuddelkind in ihrem Kreis behandeln. Vor allem ist aber klar, dass seine Reise-Diplomatie nicht zu Verhandlungen führen wird. Die Bedingungen eines Einfrierens des Konfliktes und dessen Details werden zwischen Geheimdiensten der 🇺🇸und 🇷🇺 ausgehandelt und auf der Ebene der beiden Präsidenten entschieden werden – und in dieser Hinsicht wird ein Emissär Orban keine Rolle spielen.
Auf der anderen Seite besetzt Orban aber eine Lücke und kommt damit dem Wunsch vieler Menschen entgegen: endlich wird aus Europa heraus wenigstens der Versuch unternommen, auf eine Verhandlungslösung hinzuwirken, um das anhaltende Töten und Verstümmeln von Menschen zu beenden und den Risiken der weiteren Eskalation des Krieges entgegenzuwirken. Genau dort ist die bisherige Leerstelle. Viele begrüßen es zwar, dass der deutsche Bundeskanzler mehr Besonnenheit an den Tag legt als manche anderen europäischen Spitzen. Aber das alles bleibt, so ist jedenfalls der Eindruck, in eine enge Anlehnung an die USA eingebettet, die ängstlich eigene Initiativen in Richtung Waffenstillstand und Verhandlung unterlässt.
Mit Blick auf die EU sind die Alleingänge Orbans ein No Go. Sie führen aber sichtbar vor Augen, dass die Europäer nicht nur bei bei der militärischen Koordinierung, sondern auch bei Verhandlungsinitiativen mehr Gewicht in die Waage bringen können – und m.E. auch sollten.
P.S. Ich gestehe: Bei manchen Artikeln von Axel Schuller zur Bremer SPD schwillt mir der Kamm. Nicht weil er die SPD kritisiert, sondern weil ich mir zu dem einen oder anderen Thema mehr Recherche gewünscht hätte, bevor er so rustikal in die Tasten gegriffen hat.
Ich möchte ihn aber ausdrücklich loben, dass er das Thema Ukraine / Frieden aufgreift und dabei auch Fragen stellt, bei denen „er auf die Mütze kriegt“, wie er sagt. Tatsächlich erleben wir, wie bei diesem Thema der Korridor für Diskussionen sehr eng gemacht worden sind und jeder mit Shitstorms und Hater-Angriffen in den sozialen Medien rechnen muss, der sich nicht mit den Darstellungen, Erklärungen und Sichtweisen abfindet, die bei Tagesschau, ZDF und den großen meinungsbildenden Zeitungen und Zeitschriften vermittelt werden.
Viele Journalisten scheinen mittlerweile zu meinen, dass man bei diesem Krieg eine klare Haltung und Parteilichkeit haben und zum Ausdruck bringen müsse. Und in den sozialen Medien gewinnt man noch mehr den Eindruck, dass dort der Krieg (um die Köpfe) mit Tweets und Postings fortgesetzt wird.
Für eine offene und demokratische Gesellschaft, die sich selbst nicht im Krieg befindet, ist das fatal. Es unterscheidet sich auch von der angelsächsischen Öffentlichkeit, wo sich häufiger auch in großen Medien Informationen und Meinungen finden, die man hierzulande vergeblich sucht oder nur in kleinen und randständigen Publikationsorganen findet.
Dass Axel Schuller hier anders vorgeht, rechne ich ihm positiv an. Möge er mit dazu beitragen, dass wir auch bei dem so emotional schwierigen Thema Krieg wieder zu einer Diskussionskultur finden, die zwar engagiert und parteilich ist, aber auch unbequeme Fragen oder Argumente zulässt und in anderen Meinungen nicht gleich den fremdgesteuerten Verräter oder moralisch Liederlichen verortet.
Ich bin Pazifist und begrüße daher jeden diplomatischen Versuch, den Krieg irgendwie so schnell wie möglich zu beenden. Jeder Tag, an dem geschossen wird, sterben Menschen für was? Freiheit? Demokratie? Integrität eines Vielvölkerstaats? Womöglich pekuniäre Interessen? Revanchismus?
Mir geht die einseitige und wenig differenzierte Sichtweise der öffentlichen Leitmedien auf die Nerven. So darf der Bundesverteidigungsminister Pistorius darüber schwabulieren, Deutschland möge kriegstüchtig werden. Aber wenn die AFD und das BSW für Verhandlungen eintritt, um den Kriegseintritt der NATO zu verhindern, ist das faschistisch?
Irgendwie werden unsere Hirne verdreht, ich frage mich allerdings, wer seinen Vorteil davon hat. Das ukrainische Volk schon mal nicht! Und wir?
Danke, lieber Axel für deinen Mut, dieses Thema „Wie kommen wir aus dem Krieg wieder heraus?“ einmal quer zu denken! Du wusstest, dass du in ein Wespennest stichst – und hast es trotzdem gemacht! Und nun hast du noch eins draufgesetzt und veröffentlichst, was hier obsolet ist: einen Auszug aus einem russischen Dokument. Dass dieses auch nur den entferntesten Wahrheitsgehalt haben könnte, ist für uns „Westler“ eigentlich undenkbar. Es wird als Lüge diffamiert werden – ebenso wie der Beginn von Friedensverhandlungen im Mai 2022!
Ich stamme aus der Generation der Kriegsenkel. Ich weiß noch allzu lebhaft, was Krieg und Vertreibung bedeutet! Und als Westberliner war mir die Gefahr eines russischen Übergriffs auf West Berlin nur allzu präsent – wie übrigens auch allen damaligen Politikern! 1988 war eine friedliche Lösung des Ost – West – Konflikts, unvorstellbar. Und dennoch gelang es ein Jahr später auf unblutige Weise, eine Einigung zwischen Ost- und Westdeutschland, ja zwischen den Blöcken zu finden. Nicht durch militärische Übergriffe, sondern durch zähe Diplomatie, die die Tapetentür in der Mauer zwischen den politischen Feinden UdSSR und USA fand. Hier haben wir Deutsche eine herausragende Rolle gespielt. Wir dachten das bleibt so.
Heute haben wir wieder ein Blogdenken, gespeist aus Medienberichten beider Seiten – deren Wahrheitsgehalt wir in Ost oder West nicht prüfen können. Dies hat jedoch den Effekt, dass keiner dem anderen glaubt und eine militärische Eskalation unausweichlich ist. In diesem Zustand leben wir gerade, wie du anhand des Krankenhaus-Bombardements in Kiew aufgezeigt hast. Das macht Angst! Mir auch!
In so einer angespannten Lage zu versuchen, mit den Kriegsparteien und möglichen Moderatoren Gespräche zu beginnen, ist ungeheuer wichtig! Die Ungarn waren schon immer ein unbequemes Völkchen. Wir erinnern uns an die Grenzöffnung 1989. Warum dürfen Sie nicht auch innerhalb der EU unbequem sein? Warum muss man sie deswegen gleich verteufeln?
Wichtiger wäre doch, sie zu unterstützen, um dem Morden von Russen und Ukrainer ein Ende zu setzen. Ein dauerhafter Friede wird nie durch Krieg erzeugt. Und die Vorstellung, dass wir die Weltmacht Russland mithilfe der Ukraine als Stellvertreterkrieg zwischen Ost und West gewinnen können, muss doch auch die Vorstellung mitdenken, dass irgendwann wir selber in den Krieg ziehen müssen. Wer will das denn? Die Ukrainer nicht, die mit 600.000 Mann sich bereits aus dem Kriegsgebiet entfernt haben, ins Ausland geflüchtet – quasi desertiert sind! Wir Deutschen, die wir seit 80 Jahren erfolgreich eine Friedenspolitik gemacht und unsere jungen Männer entsprechend erzogen haben? Viele von Ihnen können doch noch nicht mal ein Maschinengewehr bedienen! Sie haben im Zivildienst sich gegen den Krieg ausgesprochen, das Wort Heimat ist Ihnen fremd, sie werden sicher nicht mit ihrem Blut eine Grenze verteidigen wollen. Sie werden flüchten – oder gezwungen werden ins Militär. Das ist doch eine Entwicklung, die wir nie wollten. Ich will sie immer noch nicht!
Danke, Axel, dass du diesen Stimmen gegen den Krieg in deinem Blog auch Gehör verschaffst.
Augenscheinlich hat Orban ein mögliches Ziel schon erreicht., Indem er geschickt den angstgetriebenen Friedenswunsch der westlichen Bevölkerung bedient, torpediert er die Unterstützungsbemühungen der bereits brüchigen westlichen Allianz, während hingegen fast 80% (!) der Russen das Vorgehen Putins gegen die „Nazis und Faschisten“ in der Ukraine befürworten. (Bin mal gespannt, wie die Weltverbesserer und Pazifisten argumentieren, wenn China über Taiwan herfällt.)
Ungarn verstößt gegen eine Vielzahl von EU-Rechtsvorschriften. Hier ist z.B. der Verstoß gegen das Asylrecht zu nennen. Es werden u.a. unzulässige Inhaftierungen und Abschiebungen vorgeworfen. Auch wurde Ungarn von der EU verklagt wegen Diskriminierung von LGBTIQ-Personen. Oder was ist mit dem Vorwurf der EU-Kommission, dass das kürzlich im ungarischen Parlament verabschiedete „Gesetz zur Verteidigung der nationalen Souveränität“ unter anderem gegen die Grundsätze der Demokratie, der freien Meinungsäußerung und der Vereinigungsfreiheit verstößt? Alles Lügenpresse der öffentlich-rechtlichen Medien?
Viktor Orban ist mit Sicherheit kein Mann des Friedens! Er ist in meinen Augen ein schlechter Mensch, der manchmal gute Dinge gut! So einfach und verwirrend zugleich. Als Leitfaden muss aber gelten „wir sollten keine Führungspersönlichkeiten akzeptieren – egal wie erfolgreich sie sind -, deren Charakter und Verhalten ständig die elementarsten moralischen Standards nicht erfüllen und die sich auch in Zukunft nicht bessern werden..“
@Axel Calkosz: Denkt man den letzten Absatz zu Ende, dürfen wir auch Mr. Trump und viele andere Politiker dieser Welt nicht akzeptieren. Das sehen die Wähler beispielsweise in USA anders. Woher nehmen wir also das Recht, über andere Politiker moralisch zu urteilen? Und dies als „Leitlinie für politisches Handeln “ zu fordern? Das passt nicht zu komplexen, geschichtsgeleiteten, politischen Prozessen. Es wäre schön, wenn nur „gute“ Menschen Politik machen würden. Aber das ist nicht so. Und wer entscheidet, was „gut“ ist? Wichtig ist das Endergebnis: dass alle Bürger eines Landes in Frieden leben können! Davon entfernen wir uns gerade – auch hier in Deutschland! Leider!
Über Orban, Trump oder ähnliche Politiker zu urteilen, sollte eigentlich gar nicht so schwer sein. Im Zweifelsfall genügen ein paar einfache Orientierungshilfen, wie z.B. Verstösse gegen geltendes Recht, Diskriminierung von Minderheiten, Vetternwirtschaft, die Verbreitung von Unwahrheiten und die Vorteilsnahme im Amt. Dies sollte fürs Erste ausreichen. Wenn ich weiter drüber nachdenke, fällt mir bestimmt mehr ein.
Und selbstverständlich habe ich jedes Recht, über Politiker moralisch zu urteilen, so wie auch über mich geurteilt wird, wenn ich gegen ethisch-sittliche Normen, Grundsätze, Werte, verstoße, die das zwischenmenschliche Verhalten einer Gesellschaft regulieren, die von ihr als verbindlich akzeptiert werden.
Allerseits einen schönen Abend!
Es ist bedauerlich, dass die Kommentare wieder einmal nur aus einer westeuropäischen Perspektive verfasst wurden, geprägt von friedlichem Wunschdenken. Es ist naiv zu glauben, dass die osteuropäischen Staaten einen faulen Frieden mit Russland akzeptieren würden. Ein solches Vorgehen könnte die Spaltung der EU zur Folge haben. Wir sollten endlich auf unsere osteuropäischen Verbündeten hören, die seit über zehn Jahren vor dem russischen Imperialismus warnen.
Ich habe ehrlich gesagt überhaupt nicht verstanden, warum Sie hier einen Lügen-Bericht des russischen Verteidigungsminesteriums posten, worin immer noch von einer Spezialoperation gesprochen wird und welches nachweislich für Kriegsverbrechen verantwortlich ist. Und das auch der Bericht zu angeblichen ukrainischen Raketen wieder gänzlich erlogen ist, belegen doch die Videaufnahmen vom Einschlag ins Kinderkrankenhaus. Darauf ist ganz deutlich zu erkennen, dass es keine Trümmerteile oder ukrainische Flugabwwehrraketen sind, die das Krankenhaus treffen, sondern ein russischer Marschflugkörper. Es wr ja auch einen Heckausstoß zu erkennen und die gesamten Dimensionen passten gar nicht zu einer Flugabwehrrakete, ganz zu schweigen von dem Einschlag dieser Dimension, für den eine eigentlich dann taumelnde und nicht mehr angetriebene Flugabwehrrakete nicht verantwortlich sein kann.Das Patriot-System zerstört seine Raketen übrigens noch in der Luft wenn sie ihr Ziel verfehlt haben.
Die Debatte zu meinem Orbán-Stück reißt nicht ab. Ich steuere heute einen Text aus dem Schweizer online-Medium „Infosperber bei – ohne Haftung für den Inhalt, aber im Wunsch die eigenen Sichtweisen stets offen zu halten.
„Infosperber“ schreibt heute:
ZITAT-ANFANG
„:Geteilte Ukraine «vorerst» anerkennen gegen Nato-Mitgliedschaft
Red. / 11.07.2024 Auch nicht ideale Optionen für die Ukraine seien zu bedenken. Dafür plädiert die US-amerikanische Historikerin Mary Elise Sarotte.
Red.– Die in den USA führende Strategiezeitschrift «Foreign Affairs» hat in Begleitung zum 75-jährigen Jubiläumsgipfel der Nato in Washington einen «besseren Pfad für die Ukraine und die Nato» publiziert. Autorin ist die Historikerin Mary Elise Sarotte von der John Hopkins University in Washington, eine ausgewiesene Kennerin der Nato-Osterweiterung, die vor zehn Jahren detailliert nachgezeichnet hatte, wie die USA zusammen mit Westdeutschland nach dem Fall der Mauer Russland überlistet hatten, um die Tür für die spätere Osterweiterung des Bündnisses offenzuhalten. Jetzt erregt die Historikerin Aufsehen mit einem Kompromissvorschlag für ein Ende des Krieges in der Ukraine. Sie legt dar, was Kiew tun könnte für einen Platz in der Nato. Infosperber fasst zentrale Argumente der Autorin zusammen.
Die Sicherung der Zukunft der Ukraine könne nicht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden, wie es mit dem Versprechen «a bridge to Nato» getan werde. Sie müsse jetzt umgesetzt werden. Denn, so die Historikerin Mary Elise Sarotte:
«Es ist unwahrscheinlich, dass die Unterstützung durch die amerikanische und die europäischen Regierungen auch nur annähernd das Niveau der letzten zweieinhalb Jahre erreichen wird. Die Wahrscheinlichkeit eines grösseren russischen Vorstosses oder Durchbruchs wird zunehmen. Dies könnte zu destabilisierenden Flüchtlingsbewegungen und Panik in den russischen Grenzstaaten (und darüber hinaus) führen. Einige Länder könnten darauf reagieren, indem sie das tun, was der französische Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagen hat: Sie könnten ihre eigenen Streitkräfte in die Ukraine entsenden, was zu Vergeltungsmassnahmen gegen ihre von der Nato geschützten Heimatgebiete führen könnte.»
Gegen Eskalation und gegen Verhandlungen mit Russland
Diese Eskalation mit ihren unabsehbaren Folgen möchte die Historikerin Sarotte vermeiden. Sie setzt aber nicht auf Verhandlungen mit Russland. Die Ukraine und die Nato müssten weder auf dessen Zustimmung noch auf ein Ende des Krieges warten. Die Geschichte nach dem Zweiten Weltkriegs lehre uns, dass die Nato der Ukraine selbst dann die Mitgliedschaft gewähren könne, «wenn russische Truppen mit ziemlicher Sicherheit Teile ihres Hoheitsgebiets auf Jahre hinaus besetzen».
Die Historikerin Sarotte erinnert zuerst an das Beispiel Norwegens, das vor 75 Jahren wollte, was die Ukraine heute will, «ein Verbündeter werden, obwohl es an Russland (damals die Sowjetunion) grenzt»:
«Die Norweger erörterten zwei Optionen: eine stärkere nordische Verteidigungszusammenarbeit oder ein transatlantisches Bündnis – trotz des Risikos, das einzige Nato-Gründungsmitglied mit einer sowjetischen Grenze zu werden und damit die Verantwortung dafür zu tragen, dass das Bündnis vor die Tür Russlands gebracht wurde. Norwegen entschied sich für die zweite Option, allerdings mit einer gewissen Abwandlung. Die norwegische Regierung gab am 1. Februar 1949, zwei Monate vor der Gründung des Bündnisses, eine einseitige Erklärung ab, in der sie erklärte, dass sie ‹den Streitkräften fremder Mächte keine Stützpunkte auf norwegischem Hoheitsgebiet zur Verfügung stellen werde, solange Norwegen nicht angegriffen wird oder die Gefahr eines Angriffs besteht›. Später fügte es ähnliche Beschränkungen für Atomwaffen hinzu.»
Westdeutschlands Beitritt zur Nato im Jahr 1955 ist das zweite von Sarotte zitierte Beispiel. Es zeigt, wie ein Land trotz seiner Teilung dem Bündnis beitreten kann. Aber – so Sarotte:
«Kein Staat ohne klare Grenzen kann der Nato beitreten, denn damit Artikel 5 (zur Beistandspflicht im Falle eines Angriffs gegen einen Mitgliedstaat) glaubwürdig ist, muss der Geltungsbereich klar definiert sein. Eine klar definierte Grenze bedeutet jedoch nicht, dass es sich um eine unwiderrufliche oder gar international anerkannte Grenze handelt, solange ein Land dem Beispiel der Bundesrepublik Deutschland folgt und eine Strategie der Vorläufigkeit verfolgt, d.h. von Anfang an klarstellt, dass die Grenze provisorisch ist.»
Mary Elise SarotteMary Elise Sarotte arbeitet als Professorin am «Henry A. Kissinger Center for Global Affairs» an der Johns Hopkins University sowie am «Minda de Gunzburg Centre for European Studies» in Harvard. © «ARD» / «ttt»
Teilung der Ukraine vorerst eine Realität
Die Ukraine habe «natürlich etwas Besseres verdient als dieses bittere Modell» eines geteilten Landes, betont Sarotte. Doch ihr bleibe keine bessere Wahl:
«Da die Ukraine und ihre Unterstützer nicht in der Lage waren, die De-facto-Teilung des Landes zu beenden, ist diese Teilung vorerst eine Realität. Es ist besser, dem westdeutschen Beispiel zu folgen und die Vollmitgliedschaft der unabhängigen Ukraine in der Nato zu erreichen, als zuzusehen, wie die wichtige Unterstützung der USA schwindet, während der Kongress streitet und Trumps Wiederwahlchancen steigen.»
Das Beispiel Westdeutschland stehe aber zugleich für eine bessere Zukunft, will die Historikerin Sarotte ihren Vorschlag der Ukraine schmackhaft machen:
«Nach dem Nato-Beitritt im Jahr 1955 festigte Westdeutschland sowohl seinen wirtschaftlichen Aufschwung als auch die neuen demokratischen Normen und wurde zu einem wichtigen Exportland und starken Nato-Verbündeten – eine Zukunft, die man der Ukraine nur wünschen kann.»
Einigung zwischen Nato und Ukraine
Doch wie gelingt es, die Ukraine dazu zu bringen? Sarotte schlägt den Staats- und Regierungschefs der Nato-Mitgliedstaaten vor, Kiew zu folgenden drei Dingen zu ermutigen:
«Erstens: Festlegung einer vorläufigen, militärisch zu verteidigenden Grenze. Zweitens sollten sie sich auf Selbstbeschränkungen in Bezug auf die Infrastruktur auf unbesetztem Gebiet einigen (z.B. Verzicht auf die ständige Stationierung ausländischer Truppen oder Kernwaffen), mit der wichtigen norwegischen Ausschlussklausel, dass diese Beschränkungen nur so lange gelten, wie die Ukraine nicht angegriffen wird oder ein Angriff droht. Drittens, und das ist am schmerzlichsten, sollte man sich verpflichten, jenseits dieser Grenze keine militärische Gewalt anzuwenden, es sei denn zur Selbstverteidigung, wie es die Westdeutschen getan haben, um den Nato-Verbündeten zu versichern, dass sie sich nicht plötzlich im Krieg mit Russland wiederfinden werden, sobald die Ukraine Mitglied wird.«
Sarotte schwebt vor, dass sich die Nato-Staaten mit der Ukraine darauf einigen sollten und – sobald geschehen – es öffentlich bekanntgeben und Russland vor vollendete Tatsachen stellen. Ziel wäre, dass die geteilte Ukraine «so bald wie möglich der Nato beitritt, idealerweise vor dem 20. Januar 2025» und damit vor einem möglichen Amtsantritt von Donald Trump als Präsident der USA.
Sarotte ist sich bewusst, dass ihr «Better path for Ukraine and Nato» in der Ukraine und in Russland auf Skepsis stossen wird. Warum soll die Ukraine auf Land verzichten, wenn auch nur «vorläufig»? Warum soll Russland die Nato-Mitgliedschaft der – «vorläufig» geteilten – Ukraine hinnehmen?
In Bezug auf die Ukraine hält es Mary Elise Sarotte mit ihrem Historikerkollegen Stephen Kotkin:
«Die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die Ukraine den Frieden gewinnt, ist ein Waffenstillstand und ein schnellstmögliches Ende der Kämpfe, eine erreichbare Sicherheitsgarantie und der Beitritt zur Europäischen Union. Mit anderen Worten, eine Ukraine, die sicher ist und sich dem Westen angeschlossen hat.»
Und Sarotte folgert:
«Eine Nato-Mitgliedschaft, die den grössten Teil der Ukraine abdeckt, würde es dem Land ermöglichen, sich auf eine solche Zukunft zuzubewegen, ohne auf ein Einlenken Putins warten zu müssen.»
Zu Russland meint die Historikerin:
«Angesichts der Tatsache, dass der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew zur Teilung der Ukraine aufgerufen hat, hätte Moskau die gesichtswahrende Möglichkeit, dies als einen Sieg zu bezeichnen.»
«Die Uhr tickt»
Abschliessend gibt Mary Elise Sarotte zu bedenken:
«Die Uhr tickt und es bleiben nur wenige Optionen. Wenn die Ukraine nicht im Stich gelassen werden soll, während die Unterstützung der USA schwindet – und die Europäer gezwungen werden sollen, die Lücken zu schliessen (…), dann müssen alle Optionen, auch die weniger idealen, für die Institutionalisierung ihrer Sicherheit in der Nato in Betracht gezogen werden.»
Hinter den Kulissen des Nato-Gipfels in Washington scheinen Überlegungen, wie sie die Historikerin Mary Elise Sarotte von der John Hopkins University jetzt publik gemacht hat, diskutiert zu werden. Die «New York-Times» berichtete jedenfalls, dass für die Ukraine die Nato-Mitgliedschaft neuerdings wichtiger zu sein scheint als die Rückgewinnung von Land.“
ZITAT-ENDE.
Hallo Herr Schuller,
sie haben einen klugen Artikel zu den Bemühungen des ungarischen Ministerpräsidenten Orbán geschrieben, den Ukrainekrieg durch Verhandlungen zu beenden.
Dass ich Ihnen zustimme, wird Sie nicht wundern. Dass die Spitzen der EU anderer Meinung sind, und kleingeistig Orbáns Wirkungshorizont als EU-Ratspräsident einschränken wollen, ist auch keine Überraschung. Sie setzen ausschließlich auf Waffenlieferungen und wollen immer unverhohlener eine Niederlage Russlands auf dem Schlachtfeld.
Etwas anderes.
Sie schreiben zweimal zu ihrem Blog: „Ich gelobe: Beim nächsten Blog-Stück wird wieder Bremen im Mittelpunkt stehen.“
Klar, bremische Unterlassungen, Versäumnisse und Fehler des Senats, der Behörden aufs Korn zu nehmen, ist Ihre Mantra.
Aber dieser Krieg an den Grenzen der EU wird lange dauern und weit größere Auswirkungen auf unser Alltagsleben haben, als wir sie bisher erleben. Das Schreckensszenario eines großen Kriegs in Mitteleuropa blende ich hier lieber aus.
Sie werden deshalb in Ihrem Blog nicht darum herumkommen, diese bedrohliche Entwicklung zu verarbeiten, auch wenn es um Bremen geht.
Guten Abend Herr Schuller,
vielen Dank für den interessanten Gedankengang von Prof. Sarotte. Leider ist er aus folgendem Gründen vollkommen illusorisch::
1.) Die Aussicht, dass die Ukraine der NATO beitritt, ist Ansporn für Putin, einen Waffenstillstand zu vermeiden!
2.) Putin wird keinerlei Verhandlugen zustimmen, bevor nicht klar ist, wer der neue US-Präsident wird. Falls Trump es wird, winkt Putin die Aussicht, in der Ukraine nach Lust und Laune Schalten und Walten zu können.
3.) Das „Morden“, wie sie es nennen, oder besser Menschenleben, sind für Putin keine relevante Dimension. Je länger der Krieg dauert, desto besser seine Erfolgsaussichten. Nicht zuletzt hängt auch sein persönliches (politisches) Überleben von einem Sieg ab.
Und schliesslich bezweifle ich, dass Orban den Gedanken von Prof. Sarotte zum Gegenstand seiner irritierenden Gespräche gemacht hatte, geschweige denn, sie überhaupt kannte!