Warum hacken alle auf Viktor Orbán rum? Ist sprechen nicht mehr besser als schießen?

08.07.2024 26 Von Axel Schuller

Sommerzeit, Reisezeit. Heute breche ich aus dem engen Korsett „Bremen“ kurzzeitig aus. Es geht um die Ukraine, den Krieg und um Viktor Orbán. Das Herumgejaule aller möglichen Politiker, Viktor Orbán missbrauche seine Rolle als EU-Ratspräsident – Leute, ich mag es nicht mehr hören! Wie auch immer man zu diesem Mann steht – im besten Fall bringt er eine Debatte über ein Ende des unsäglichen Krieges in der Ukraine ins Rollen. Liebe Leserschaft, ich bitte Sie herzlich um „tätiges“ Lesen des Textes, auch wenn es (fast gar) nicht um Bremen geht. Schreiben Sie mir gerne Ihre Meinung als Kommentar.

Viktor Orbán, die Unperson der EU schlechthin, möchte gerne den Friedensengel geben. Erst reiste er zu Wolodymyr Selenskyj, dann zu Putin jetzt zu Xi Jingping. Und (fast) alle schreien empört auf. „Das darf der nicht.“ „Der hat kein Mandat der EU für diese Gespräche.“ „Der hat das nicht mit uns abgesprochen“.

Orbán mag ein eigenwilliger, vermutlich auch ein despotischer Querkopf sein. Aber: Was kann verkehrt daran sein, mit jenen zu reden, die unversöhnlich miteinander im Krieg liegen? Und mit China, das maßgeblichen Einfluss auf Putin ausübt.

Die EU hat viele Chancen gehabt, befriedenden Einfluss auf den russischen Krieg gegen die Ukraine zu nehmen. Die EU hat sich aber – ohne die eigenen Landesbevölkerungen auch nur ansatzweise zu befragen – für die Lieferung von Waffen entschieden. Kein Außenminister der EU-Mitgliedsstaaten wird seiner Rolle als Chefdiplomat (als Verhandler) gerecht. Alle schimpfen auf Putin, organisieren ein Sanktions-Paket nach dem anderen, sorgen für den Fluss immer neuer Waffen.

Ich weiß: Damit entsprechen sie der in Politikerkreisen vorherrschenden Doktrin „Man muss Putin schlagen, zumindest aufhalten, sonst räubert der einfach weiter“. Ich kenne dieses Argument.

Aber: Was ist die Alternative? Beide Seiten schlagen sich in der Ukraine solange die Schädel ein, bis alle und alles kaputt ist?

Orbán springt jetzt in die Lücke, die ihm die EU-Staaten und die USA lassen. Diese Staaten und Verbünde denken nicht im entferntesten ans Verhandeln. Die treffen sich sogar untereinander in der Schweiz zu einer „Friedenskonferenz“, ohne das kriegerische Russland einzuladen. Welcher „Friede“ sollte dort besprochen werden, ohne die Kriegsparteien am Tisch zu haben? Beleidigt war man auch, dass China nicht teilnehmen wollte (ohne Russland). 

Orbán nutzt dieses undiplomatische Verhalten der Chefdiplomaten. Warum nicht?

Wenn es ihm – wie auch immer – gelänge, China zu einem größeren „Engagement“ Russland gegenüber zu bewegen, am Ende zum Beginn von Verhandlungen beizutragen – wenn ihm dies gelänge, würde er bestimmt plötzlich in einem anderen Licht dastehen.

Orbáns Ruf in der EU ist (auch durch eigenes Zutun) leider so ruiniert, dass alle auf Distanz gehen. Dabei ist Urbán einer der wenigen, die beispielsweise vor einer Aufnahme der Ukraine in die EU mit dem Hinweis warnen, dort wuchere die Korruption nach wie vor.

Können wir es uns leisten, jeden auch noch so unmöglich erscheinenden Weg zum Schweigen der Waffen in der Ukraine als „Putin-freundlich“ zu diffamieren? Das tägliche Morden darf so nicht weitergehen. Es muss endlich etwas geschehen!

Warum greift niemand den Gedanken auf, die Bevölkerung auf der besetzten Krim und im Donbass abstimmen zu lassen, zu welchem Land sie gehören wollen? Warum wird solch ein Gedanke – in Bremen vom ehemaligen Grünen Bürgerschaftsabgeordneten Walter Ruffler propagiert – von vornherein diskreditiert? „Haha, ne Volksabstimmung unter Putin, das ist doch immer manipuliert.“

Ist wohl so. Und dennoch könnte dies ein erster Verhandlungspunkt sein. Nach dem Motto: Wie kann eine solche Volksabstimmung einflussfrei, neutral, international überwacht stattfinden? Putin hat mehrmals „Friedensverhandlungen“ angeboten. Warum nimmt man ihn nicht beim Wort und sagt: Lasst uns reden, auch wenn wir die russischen Vorbedingungen für irreal halten. 

Deutschlands vermutlich erfolgreichsten Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) wird der Satz zugeschrieben „Solange man miteinander redet, schießt man nicht aufeinander.“ 

Wer nimmt sich endich diese unwiderstehlich richtige Denke zu Herzen?

Und: Warum ist von den friedensbewegten Bremer Sozialdemokraten bisher nichts zu der allseits rein formalen Kritik an Orbán zu hören?

Orbán ist eine undurchsichtige Person. Dennoch ist es anerkennenswert, dass er mit allen Beteiligten spricht. Selbst, wenn er dies (auch) aus narzisstischen Gründen täte. Egal. Ob mit EU-Mandat oder nicht – egal. Hauptsache, es wird geredet und nicht geschossen!

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Ich gelobe: Beim nächsten Blog-Stück wird wieder Bremen im Mittelpunkt stehen. Und wie so häufig der Tipp: Lesen Sie unbedingt die Leser-Kommentare zum Eckhoff-Stück.