Fakten, die verschwiegen werden: Hilfsarbeiter im Hafen kriegt 20,45 Euro Stundenlohn +

11.07.2024 3 Von Axel Schuller

Liebe Leserschaft, ich habe es allmählich satt. Deshalb heute mein Kontrastprogramm. Medien werfen uns eine Zahl vor die Füße – und du kannst nix damit anfangen. Beispiel Lohnverhandlungen im Hafen. Verdi und die Seehafenbetriebe verhandeln aktuell darüber, ob die Stundenlöhne um 3 Euro (Verdi) oder 2,9 Prozent mindestens 80 Cent (Angebot) steigen sollen. Was in den Nachrichten unterschlagen wird: Der Einstiegslohn für „Hilfsarbeiter“ im Hafen liegt bei 20,45 Euro – plus Zuschläge. Spezialisten kommen im Hafen sogar auf bis zu 100.000 Euro.

Die letzte Tariferhöhung in den Hafenbetrieben ist zum 1.6.2023 wirksam geworden. Inklusive Inflationsausgleich. Inklusive höherer Zulagen für Schicht- und Wochendarbeit. 

Jetzt, nur ein Jahr später, soll es nach Verdi erneut aufwärts gehen. Wiederum nur auf 12 Monate befristet.

Als Leser/Hörer/Zuschauer erfahren wir aus den Medien stets nur eines: Verdi verlangt für die 12.000 Mitarbeiter m/w der 140 deutschen Seehafenbetriebe 3 Euro pro Stunde mehr. Mit Warnstreiks soll Druck auf die Arbeitgeber ausgeübt werden, die – so könnte man als Unwissender meinen – unerhörterweise lächerliche 80 Cent bieten.

Was wir nicht erfahren: Aktuell beginnt der Tariflohn in der Lohngruppe 1 für Ungelernte (früher sagte man Hilfsarbeiter) bei 20,45 Euro und steigert sich bis in die höchste Tarifgruppe (8) für Spezialisten auf 30,89 Euro. Hafenfacharbeiter gehören zur Lohngruppe 6, was ihnen stündlich 26,28 Euro einbringt, plus Zulagen.

Zusätzlich werden im Hafen Schichtzulagen für Nacht-, Samstags– und insbesondere für Sonntagsarbeit gezahlt. Es gibt im Hafen auch Besonderheiten wie: Wer sich verdingt, ausschließlich an drei Wochenend-Tagen (Freitag bis Sonntag) nachts zu arbeiten, muss wöchentlich nur 27 Stunden malochen, wird aber wie für 40 Stunden entlohnt. Diese Arbeit ist bei Gott kein Zuckerschlecken, aber offenbar begehrt.

(Wer mehr wissen will, geht auf die Seite der „Deutschen Seehafenbetriebe).

Liebe Leserschaft, ich will hier keinen Sozialneid unter Polizisten, Krankenschwestern oder Bäckereipersonal schüren. Nein, ich möchte bloß dafür werben, dass uns Lesern/Hörern/Zuschauern die Verdi-Lohnforderungen für den Hafen im Zusammenhang dargestellt werden, so dass wir uns ein eigenes Urteil bilden können.

Was in der Berichterstattung ebenfalls keinerlei Rolle spielt, ist die Situation der deutschen Häfen im Verhältnis zu den europäischen Konkurrenten.

Beispiele: Die Größten europäischen Seehäfen sind Rotterdam und Antwerpen. Dort werden jährlich allein 13,5 Millionen  bzw.12,5 Millionen Container umgeschlagen. Zum Vergleich: Deutschlands größter Containerhafen, Hamburg, bringt es gerade mal auf 7,7 Millionen „Kisten“; und Bremerhaven auf 4,2 Millionen.

Zur Info: Die drei größten deutschen Seehäfen sind Hamburg, Bremen (inkl. Bremerhaven) und Wilhelmshaven. Diese drei Häfen schlagen im Jahr 99,6 Millionen, 50,2, bzw. 29,8 Millionen Tonnen Güter um – Tendenz fallend.

In Bremerhaven wurden über viele Jahre die meisten Autos in Europa umgeschlagen. Mittlerweile hat Zeebrugge Bremens Schwesterstadt längst den Rang abgelaufen. Der Verbund von Zeebrugge, Antwerpen und Gent bewegt jährlich 4 Millionen Autos, Bremerhaven nur noch 1,7 Millionen.

Ich kürze ab: Befinden sich die deutschen Häfen wirklich in einer so prosperierenden Lage, um jährliche Tariferhöhungen von nahezu 15 Prozent (3 Euro bezogen auf die Lohngruppe 1) schultern zu können?

In den konkurrierenden „Westhäfen“ in Holland und Belgien werden zwar vergleichbar hohe Löhne gezahlt, aber dort herrscht – so Insider – eine deutlich höhere Produktivität vor. Die Personalkosten in Rotterdam pro verladenem Container sind offenbar 20 Prozent geringer als in den norddeutschen Häfen. Die liegt an dem deutlich höheren Grad der Automatisierung

Sitzen in den Bremerhavener Container-Brücken Fachkräfte mit einem Durchschnittseinkommen von 76.000 Euro (in der Spitze bis zu 100.000 Euro), verlässt man sich in Rotterdam auf eine Teilautomatisierung beim Be- und Entladen der Containerriesen. Die ebenfalls gut bezahlten Fachkräfte sind nicht mehr auf der Brücke über den Schiffen, sondern sitzen im Büro – im Extremfall ginge es sogar zu Hause – vor zwei Bildschirmen. Richtig gelesen: zwei! Die Teilautomatisierung ermöglicht es, dass ein Experte m/w zwei Containerriesen gleichzeitig be- oder entlädt. Das Ergebnis: Ein „Brückenführer“ löscht oder belädt 30 Container pro Stunde, in Bremerhaven schaffen die Besten der Besten – wie ich höre – 23 bis 24 „Boxen“ pro Stunde.

Liebe Leserschaft, Hafenarbeiter machen bei Sonnenschein und Schietwetter, am Tag und in der Nacht einen harten Job. Dafür sollen sie gut bezahlt werden.

Aber in Verdi-Kreisen scheinen inzwischen Hardliner das Sagen zu haben, die dabei sind, das Maß aus dem Blick zu verlieren – zu erkennen, was die Häfen noch verkraften können. Aber, sie schaffen es immer noch, genügend Arbeitskräfte für Warnstreiks zu mobilisieren…

Was mich am meisten fuchst, ist die nahezu liebedienerische Art der Berichterstattung über die Tarifkämpfe im Hafen. Die meisten Medien werfen uns – ganz im gewerkschaftlichen Sinn? – einen Brocken hin (plus 3 Euro) und lassen uns mit dieser Zahl allein. Dies ist für mich, sorry, unseriöser Journalismus.

By the way: Heute und morgen sitzen die Vertreter von Verdi und den Betrieben in Bremen erneut zu Verhandlungen zusammen.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller 

P.S.: Nach dem „Orbán-Stück“ bin ich – wie versprochen – nach Bremen „zurückgekehrt“. Aber, ich kann’s nicht lassen: Lesen Sie bitte unbedingt die vielen und unterschiedlichen Leser-Kommentare zu dem Orbán-Stück. Es erweitert die eigene Sichtweise.