ArcelorMittal-Manager sieht schwarz / Wird es jemals “grünen Stahl” aus Bremen geben?

26.08.2024 5 Von Axel Schuller

Grüner Stahl aus Bremen. Geht das wirklich? Der Streit, der über diese für den Industriestandort Bremen wichtige, fast schon existenzielle Frage entbrannt ist, nährt eher Skepsis – statt überschwänglichen Optimismus. Dazu interessant sind insbesondere Äußerungen aus dem Inneren des Stahlkonzerns ArcelorMittal selbst. In der Bremer Politik geht es bei der Frage ruppig zu. Bremer Wissenschaftler beharken sich bei dem Thema auf überraschendem Niveau.

Der Bremer Senat und die Koalition von SPD, Grünen und LINKEN setzen volle Pulle auf die Transformation des Bremer Stahlwerks. Verkürzt: Mit Hilfe großer Mengen an Wasserstoff statt Koks oder Kohle soll weiter Stahl erzeugt werden – „grüner Stahl“. Dies soll dazu führen, dass Bremen seinen CO2-Ausstoß halbiert. Aktuell emittiert das Ländchen Bremen jährlich etwa 10 Millionen Tonnen CO2 in die Umwelt. Welch phantastische Aussicht, diese Menge möglicherweise um 50 Prozent verringern zu können.

Der Bund und das Land Bremen wollen die Umstellung – mit Genehmigung der EU – bezuschussen. Satte 800 Millionen Euro (davon 250 Millionen von Bremer Steuerzahlern) sollen an die Stahlkocher überwiesen werden. Sofern ArcelorMittal das Bremer Werk tatsächlich auf „Elektro-Lichtbogentechnik“ umgestellt.

Doch dies ist womöglich keineswegs so gewiss, wie das häufig aus den Worten von Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte (SPD), Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (LINKE) oder Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) klingt.

(Leider) ganz im Gegenteil. Das Bremer Management von ArcelorMittal macht zwar stets auf Optimismus, erhofft auch für sich selbst, dass die endgültige Konzern-Einscheidung im kommenden Jahr getroffen und entsprechende konkrete Anträge an EU, Bund und Land gestellt werden.

Gleichzeitig gibt es aber das sogenannte Mittelmanagement von ArcelorMittal auf europäischer Ebene, das sich anders äußert.

Beispielsweise der europäische AM-Manager Geert van Poelvoorde. Er weist auf die aus seiner Sicht katastrophalen Preisbedingungen hin.

Das Fachmedium “hydrogeninsight” schreibt über den AM-Manager: Mit Wasserstoff in Deutschland hergestellter Stahl „ist nicht wettbewerbsfähig“. Wolle man „Grünen Stahl“ herstellen, dürften die Wasserstoff-Kilopreise nicht höher als 2 Euro sein. Die aktuellen Kosten bezifferte er jedoch auf 6 bis 7 Euro pro Kilogramm. Eine Prozess-Optimierung des per Elektrolyse hergestellten Wasserstoffs könne den Kilopreis möglicherweise auf 5 Euro drücken.

Laut van Poelvoorde bringe nicht einmal der Import von Wasserstoff aus Afrika die Lösung. Denn allein der Transport von Afrika nach Deutschland koste rund 1,50 Euro pro Kilogramm.

Der AM-Manager kam zu einem ernüchternden Fazit: „Wir werden es (Wasserstoff) nicht nutzen können, weil wir uns damit völlig aus dem Markt katapultieren würden.“

Liebe Leserschaft, ich will Sie nicht entmutigen, meine aber, dass solche Äußerungen hochrangiger ArcelorMittal-Manager für den klaren Blick wichtig sind. Jedenfalls so wichtig, dass diese nicht nur in Fachmedien wie „hydrogeninsight“ oder dem Nachrichtenportal t-online verbreitet werden sollten.

Die Bremer Koalition hat Oppositionspolitiker in der Vergangenheit aufs Übelste beschimpft, als diese – wie die FDP – eine Klage gegen die Sonderverschuldung des Landes zugunsten der Transformation der Bremer Stahlwerke eingereicht hat.

Hinzu kommt die kränkelnde Konjunktur. Die weltweite Stahlproduktion weist aktuell eine heftige Überproduktion auf. Insbesondere die Chinesen haben keinerlei Scheu, Kohle massenhaft zu verfeuern, um Stahl herzustellen.

Ferner schwächelt die deutsche Wirtschaft erkennbar. Speziell die bisherigen Stahl-Großabnehmer – Bau und Automobilbau – kämpfen gegen eine Rezession an.

Noch ein Faktum: Der ArcelorMittal-Mitbewerber Thyssenkrupp reduziert aktuell die Stahlerzeugung in Duisburg um 3 Millionen auf 9 Millionen Tonnen. Das machen Management und Aktionäre doch nicht aus Spaß, sondern weil sie ihren Stahl nicht mehr in so großen Massen losschlagen können.

Zum Vergleich: Das Bremer Stahlwerk produziert jährlich bis zu 3,5 Millionen Tonnen Rohstahl.

Beinahe abenteuerlich finde ich eine Auseinandersetzung auf Bremens professoraler Ebene. Jochen Zimmermann, Wirtschafts-Prof. an der Uni Bremen, hatte kürzlich in einem Gastkommentar im Weser-Kurier über die Transformation der Stahlwerke hart geurteilt: „Ein grünes Wirtschaftswunder wird es nicht geben“. Denn: „Für zwei Millionen Tonnen klimaneutralen Rohstahl aus Wasserstoff benötigt man etwa 120.000 Tonnen Wasserstoff und 6.000 bis 9.000 Gigawattstunden Strom.“

(Zum besseren Verständnis: ein Gigawatt Strom entspricht 1 Million Kilowatt oder 1 Milliarde Watt).

Zimmermann schrieb weiter: Wolle man diese gigantische Strommenge mit modernen 6-Megawatt-Windrädern an Land erzeugen, benötige man dafür 250 Windmühlen im Abstand von 700 Metern. Sein anschaulicher Vergleich: „Ganz Vegesack wäre für einen solchen Windpark zu klein.“

Hickel nahm seinen Kollegen beim Wort und meinte, Zimmermanns Hinweis auf ein mit Windrädern „verspargeltes“ Vegesack führe „in die Irre“. Dabei hatte sein Kollege lediglich die benötigte Menge an Windrädern plastisch darstellen wollen. Hickel setzt auf Wasserstoff, der per Pipeline nach Bremen gelenkt wird und somit die Zukunft des Stahlwerkes sichere.

Hier schließt sich – vorerst – der Kreis. Der ArcelorMittal-Manager van Poelvoorde hat ja bereits auf die wirtschaftlich nicht akzeptable Größenordnung von 1,50 Euro Transportkosten per Kilogramm Wasserstoff aus Afrika verwiesen.

Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt bleibt dennoch bei ihrer hoffnungsvollen Sicht – muss sie vermutlich auch. Sie erklärte ButenunBinnen gegenüber: „Ich bin optimistisch, dass sich ArcelorMittal für die Produktion von Grünem Stahl in Bremen entscheidet.“ Immerhin habe der Konzern ja bereits Personal für die Transformation angeheuert.

Hoffentlich reicht’s.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Liebe Leserschaft, Sigmar Gabriel hat während der Trauerfeier für Willi Lemke eine beachtenswerte Rede gehalten. Da klang die „alte“ Sozialdemokratie durch – ganz anders, als wenn man Saskia Esken oder Kevin Kühnert zuhört. Ich habe Gabriels Bremer Rede deshalb in einem eigenen Stück auszugsweise dokumentiert.