Stadt plant Bahnwerkstatt in der Nähe eines Wohngebietes – gutachtenlos

30.08.2024 17 Von Axel Schuller

Der Weltkonzern Alstom will im Bremer Inlandshafengebiet eine Eisenbahn-Werkstatt samt Abstellanlage bauen und betreiben. Die Anwohner in Oslebshausen fürchten neben vorhandenem Hafen- und Industrielärm eine Dauerbeschallung. Die Aggregate moderner Triebwagen brummen nämlich auch im Stillstand. Überraschend: Senat und beteiligte Bürgerschaft vertrauen bei der Ansiedlung auf eine zweiseitige Zusage der DB, wonach das heute bereits belastete Schienennetz am Hauptbahnhof den zusätzlichen Werkstatt-Verkehr verdauen könne. Zur Erinnerung: Durch Bremen läuft der komplette Güterverkehr von und nach Bremerhaven, Deutschlands zweitgrößtem Seehafen.

Wird normalerweise selbst für die Neuanordnung der Wochenmarktstände ein umfassendes Gutachten eingeholt, begnügt man sich im Fall der Bahnwerkstatt mit dem Schrieb einer DB-Generalbevollmächtigten. Zuvor hatten sich bremische Behörden vier Jahre lang (!) mit einem sehr einfachen “Testat” eines subalternen Mitarbeiters zufrieden gegeben. Anfang 2024 bekam die Hafenbehörde aber offenbar kalte Füße – und bat die DB um ein ergänzendes “Testat”

Die Gegenwehr formiert sich seit Jahren. Der Unternehmer Henrik Sander – mit seinem Vater Eigentümer des Sander-Centers an der A 27 – hat der Bürgerinitiative „Oslebshausen und umzu“ zugesagt:

“Wenn alle Gegenwehr nicht hilft, werde ich die Kosten einer Klage gegen die Planfeststellung durch alle Instanzen bis vor das Bundesverwaltungsgericht mit tragen.“

Der Beirat Gröpelingen steht geschlossen gegen zusätzlichen Lärm – wie er von einer Bahnwerkstatt eben ausgeht. Wohlgemerkt: alle Parteien. SPD, CDU, Linke , Grüne, FDP und BD.

Erfreulicherweise „fahren“ die Gegner keine Verweigerungsstrategie. Im Gegenteil. Sie unterbreiten eine Alternative, welche den Bahnknoten Bremen deutlich weniger belasten würde. Es gibt Brachgrundstücke vor der sogenannten Oldenburger Kurve. Dort könnte Alstom sein Werkstattgebäude samt Abstellflächen realisieren. Die Flächen liegen mitten in dem ohnehin vorhandenem Gleisgeflecht. Nachteil: Ein Grundstück gehört der DB, aber ein anderes befindet sich in Privateigentum. Die Fläche in Oslebshausen will das Land in Erbpacht vergeben.

Das Bauressort, das Ressort für Wirtschaft und Häfen sowie Koalitionsabgeordnete halten aktuell an dem Plan fest, an der „Reitbrake / „An der Finkenau“ (parallel zur Hafenrandstraße) zu bauen. Anfangs waren der Politik übrigens 100 neue Arbeitsplätze in Aussicht gestellt worden. Nunmehr ist nur noch von 50 die Rede.

Offizielle Auskünfte der Behörden sind nichtssagend. Der Sprecher von Häfensenatorin Vogt (LINKE) teilte mit: „Wir sind für das Planfeststellungsverfahren nicht zuständig.“ Der Sprecher von Bau- und Verkehrssenatorin Özlem Ünsal, erklärte: „Das ist ein laufendes Verfahren, dazu können wir uns nicht äußern.

Details zur Planung wurden zumindest Baupolitikern aller Bürgerschaftsfraktionen hinter verschlossenen Türen zur Einsicht vorgelegt.

In der Runde spielte auch ein sogenanntes zweites „Testat“ eine Rolle. Unterschrieben nicht etwa vom Infrastruktur-Vorstand der Deutschen Bahn, sondern von der DB-Generalbevollmächtigten für Norddeutschland. Die „Kleiderordnung“ einhaltend schrieb sie nicht an eine der beiden Bremer Senatorinnen, sondern an einen Referatsleiter der Hafenbehörde – sie erinnern sich: deren Sprecher hatte bremensogesehen gegenüber von der Nichtzuständigkeit gesprochen.

Alstom hätte seine neue Bahnwerkstatt mit Abstellgleisen laut Vertrag bereits im Jahr 2024 in Betrieb nehmen müssen. So sieht es jedenfalls der 760-Millionen-Euro-Kontrakt  mit der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) und der “Aufgabenträgerin” – Bremens Verkehrssenatorin Özlem Ünsal (SPD) vor.

Doch das wird wohl noch länger dauern. Erstens hat Alstom laut ZEIT Probleme, die neuen Wagen rechtzeitig auszuliefern.  Und zweitens: Das notwendige förmliche Planfeststellungsverfahren ist noch im Gange, es soll jetzt möglichst Ende des Jahres abgeschlossen werden.

Aber Achtung, nicht vergessen: Der Unternehmer Henrik Sander hat der Bürgerinitiative versichert, die Kosten einer Klage bis in die höchste Instanz mitzutragen. Sander versicherte diese Woche auf Anfrage von bremensogesehen: „Na klar stehe ich zu meinem Wort.“

Möglicherweise setzen die politischen Befürworter der Bahnwerkstatt darauf, so rasch wie beim “Soldatenfriedhof” zum Ziel zu kommen. Zur Erinnerung: Vor 2 Jahren wurden auf der für die Werkstatt vorgesehenen Fläche im Industriehafen Totenschädel, Knochen und schließlich mehr als 60 komplette Skelette sowjetischer Gefangener/Zwangsarbeiter gefunden worden.

Statt dort einen Gedenkstein aufzustellen, “Hier ruhen…” versuchte Bremen, das Feld rasch zu räumen.

Aufwendig wie bei einer archäologischen Ausgrabung (mit Pinseln, Pinzetten, Katalogisierung usw.) legten Bremer Experten (mit Millionen-Aufwand?) Überreste von Soldaten und Zwangsarbeiter frei. Aktuell liegen die Pappsärge im Lager der Landesarchäologin, sollen später auf den Osterholzer Friedhof umgebettet werden.

Es wird vermutet, dass auf der „Alstom-Fläche“ immer noch Überreste sowjetischer Soldaten liegen.

Die Bürgerinitiative Oslebshausen, der Beirat Gröpelingen und der Unternehmer Sander kämpfen dafür, dass der Stadtteil am Industriehafen nicht noch zusätzlich belastet wird. Aber sie haben auch das ohnehin stark belastete Bremer Schienennetz im Blick. Sie fragen – durchaus verantwortungsvoll – wie denn die Verkehrswende auch nur ansatzweise funktionieren soll, wenn künftig – politisch gewollt – mehr Menschen mit Zügen fahren und mehr Ladung auf die Schiene kommt. Dafür, so argumentieren sie – sei das Schienennetz, insbesondere durch den Werkstatt-Verkehr, mit dem Nadelöhr Hauptbahnhof zu klein.

Noch ein Clou: Die in Oslebshausen geplante Bahnwerkstatt ist nur über ein einspuriges Gleis zu erreichen. An dieser 3 Kilometer langen Strecke hängen der gesamte Industriehafen und ArcelorMittal.

Um so unverständlicher, dass die Bremer Politik sich auf ein zweiseitiges “Testat” der DB verlässt, statt unabhängige Experten einzuschalten.

Da kann einem schon mal mulmig werden.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Liebe Leserschaft, heute sollten Sie möglichst Zeit und Ausdauer mitbringen. Ergänzend zum heutigen Stück biete ich Ihnen gleich zwei Dokumentationen an: a) Eine Presseerklärung der Bürgerinitiative Oslebshausen und b) den Brief des Sander-Center-Chefs; beide geringfügig gekürzt.

Ganz aktuell zum Schluss geriet mir das neueste, „geheime“ zweite „Testat“ der DB unter die Augen. Zitat daraus: „Im Fazit der Betrachtungen lässt sich festhalten, dass die untersuchten Standorte eine Präferenz für einen Werkstattstandort in Oslebshausen erkennen lassen.“

So schreiben wohl Juristen: „…erkennen lassen…“ Klingt fast so unverbindlich wie: Es könnte durchaus sein, dass…“ Außerdem: Das Thema Lärm bleibt trotz allem aktuell.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller