Vielerorts heftige Kritik an Alstom – warum hält der Senat an dem Konzern fest?

20.09.2024 11 Von Axel Schuller

Eine Stunde der Wahrheit schlägt Bewohnern des Bremer Westens und Firmen im Industriehafen sowie im Holz- und Fabrikenhafen am kommenden Dienstag: Dann geht das Verfahren zum Bau der im Westen teils verhassten Bahnwerkstatt weiter. Ein Teil der Oslebshauser fühlt sich verraten und verkauft. Und zwar an den Eisenbahnhersteller Alstom, der die Bahnwerkstatt bauen und die neuen Doppelstockwagen für den öffentlichen Bahnverkehr in Bremen und Niedersachsen liefern soll. Aber nicht kann. Jedenfalls nicht pünktlich.

Auch wenn’s Spezialkost ist: lesen Sie bitte weiter! Sie werden sich über das offenbar blinde Vertrauen der bremischen Verwaltung und über Alstom wundern. Dafür habe ich in mehreren Fremd-/Fachmedien gewühlt.

Am Dienstag findet nun die Anhörung der 200 „Einwender“ – also Gegner – der Bahnwerkstatt an der Reitbrake (parallel zur Straße an der Finkenau) statt; teilweise nur 20 Meter von der Wohnbevölkerung entfernt.

Unter den Gegner befinden sich keine Nörgler, Spinner oder Alt-Hippies. Nein, es sind unter anderem: Alle im Beirat Gröpelingen vertretenen Parteien. Alle! Also auch die drei, welche die Regierungskoalition im Rathaus tragen – SPD, Grüne und Linke. Plus CDU, FDP und BD.

Diese Woche haben die Kommunalpolitiker noch einmal einstimmig an Senat, Bürgerschaft und Verwaltung appelliert, die Pläne zum Bau der Bahnwerkstatt und der dazugehörenden „Aufstellflächen“ zu beerdigen. Erstens, weil des Ding rund um die Uhr Lärm verursachen wird. Zweitens, weil die geplante Zufahrt zur Bahnwerkstatt nur über ein einziges Gleis stattfinden soll. Dieses Gleis benötigen auch alle Firmen im Westen: Das Stahlwerk von ArcelorMittal, die Roland-Mühle, J. Müller, Diersch+Schröder, Vollers alle Firmen in den stadtbremischen Häfen rechts der Weser.

Nachdem der Gleiszugang von der Stadtseite her (warum auch immer) gekappt wurde, müssen jetzt alle Güterverkehre über die Engstelle (und die ist fröhlich 3 Kilometer lang) gelotst werden.

Und weil das so ist, hat auch die Handelskammer Bedenken gegen den Bau der Bahnwerkstatt geäußert. Die Handelskammer!

Schauen wir uns mal den Ruf des Großkonzerns Alstom genauer an, auf den sich Bremens Senat und Niedersachsen offenbar blindlings verlassen. Fachmedien listen mehrere Beispiele auf, in denen Alstom vertraglich besiegelten Zusagen „hinterherläuft“.

Ein Blick ins Rhein-Main-Gebiet: Von dort berichtet das Online-Portal schiene.de: Fehlende Alstom-Züge führen zu Einschränkungen (Fahrplan-Ausdünnung) im Taunusnetz. Der Rhein-Main-Verkehrsverbund klagt öffentlich: „ Entgegen anders lautenden Zusagen hat es Alstom bis heute nicht geschafft, die Wasserstoffzüge dauerhaft zuverlässig auf die Schiene zu bringen – das ist mehr als enttäuschend.“ Nun greift ein Notfallplan mit Busverkehren. Vereinbart waren 27 Wasserstoffzüge.

schiene.de listet weiterhin auf: Alstom kündigte zudem Probleme bei der Lieferung von Zügen für die Main-Weser-Linie zwischen Kassel und Frankfurt an. 17 neue Doppelstockzüge könnten statt im Dezember 2024 erst 2026 in Betrieb gehen.“

Auch belämmernd: Der „Staatsanzeiger“ für Baden-Württemberg meldet: Die FDP im baden-württembergischen Landtag sorge sich um den Betrieb von Stuttgart 21. Begründung, O-Ton „Staatsanzeiger“: „Der Bahntechnik-Hersteller Alstom kann bis Dezember 2025 nur 14 von 80 neuen Doppelstockzügen liefern.“

Liebe Leserschaft, ich will Sie nicht langweilen oder gar quälen, aber einige Nachrichten über Alstom zeichnen zuweilen ein verblüffend ähnliches Bild. Vereinfacht ausgedrückt: Bestellt, aber nicht, verspätet oder nicht komplett geliefert.

Die französische Großstadt Lille (230.000 Einwohner) hat laut „LokReport“ die Nase endgültig voll von Alstom. Der Grund: Lille hatte 2012 mit Alstom einen Vertrag über „die Einführung eines neuen Autopiloten für die Metro und die Anschaffung von 27 neuen 52-Meter-Zügen für eine Inbetriebnahme im Januar 2016“ geschlossen. Stattliches Auftragsvolumen: 266 Millionen Euro. Das autonome Fahren klappt immer noch nicht. Nun will die „Hauptstadt Nordfrankreichs“ gegen die (französischen!) Zugbauer klagen.

Aber, warum in die Ferne schweifen, wenn das Problem liegt so nah? Noch einmal in den „LokReport“ geschaut. Der meldete jüngst: Die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen mbH (LNVG), die Senatorin für Bau, Mobilität und Stadtentwicklung der Freien Hansestadt Bremen (das ist unsere Frau Özlem Ünsal), die Region Hannover und der Zweckverband Westfalen-Lippe hätten mit der Deutschen Bahn für ein Jahr einen Vertrag über den Betrieb der Strecken RE 1 Hannover-Bremen-Norddeich Mole und RE 9 Osnabrück-Bremen-Bremerhaven-Lehe geschlossen.

Der Hintergrund: Alstom kann die bestellten Züge nicht pünktlich liefern, So mussten die zuständigen Behörden inklusive Bremer Senat die DB bitten, den Ausputzer zu geben.

Über die Kosten schweigen sich die Beteiligten aus. Der „LokReport“ beklagt dies als Intransparenz.

Das Wort Intransparenz fällt auch häufig im Kreis der Alstom-Werkstatt-Gegner in Bremen. Dieter Winge, Sprecher der Bürgerinitiative Oslebshausen: „Es wird weder die Belastbarkeit des Bremer Bahnknotens professionell geprüft, noch werden die vorgelegten Lärmgutachten kritisch hinterfragt. Gegengutachten und Stellungnahmen des Beirates sind bei der Genehmigungsbehörde angeblich nie angekommen.“

Darin sieht Winge wenigstens einen Vorteil: Dieses Verhalten der Bremer Baubehörde stärke die geplante Klage gegen die Bahnwerkstatt.

Sie erinnern sich. Der Oslebshauser Unternehmer Henrik Sander (Sander-Center) hat der Bürgerinitiative finanziellen Beistand notfalls bis zum Bundesverwaltungsgericht zugesichert…

Weitere Details in einer weiteren Dokumentation der Bürgerinitiative – inklusive Versprechungen der ehemaligen Verkehrssenatorin Dr. Maike Schaefer – hier im Blog.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Schauen Sie sich unbedingt die Kommentare zum vorigen Blog „Dealer versus Polizei“ an!