Frechheit: Zufalls-Kaffee-Runde der Bürgerschaft soll “repräsentative” Gruppe sein
Kennen Sie das? Sie lesen einen Text und denken: Hej, da stimmt doch etwas nicht. So erging es mir bei der Lektüre eines WK-Berichts über das Gerangel um höhere Pensionen für unsere darbenden Bürgerschaftsabgeordneten. Das Keyword im WK war „repräsentativ“. Die Bürgerschaft will demnach ein „repräsentativ“ zusammengesetztes „Bürgerforum“ daran beteiligen, gemeinsam mit den Abgeordneten über die Altersversorgung unserer Volksvertreter zu befinden. Der WK kaute diese Darstellung des Bürgerschaftspräsidiums brav nach. Neudeutsch würde man sagen: Welch ein „Bullshit“.
Zur Erinnerung: Einige Abgeordnete sind in Aufruhr, weil sie seit Änderung des Bremischen Abgeordneten-Gesetzes (2011) im Alter deutlich weniger Geld bekommen als dies früher der Fall war. Deshalb hatte der Verfassungs– und Geschäftsordnungs-Ausschuss (VGO) des Parlamentes einen Gutachter beauftragt, die „Causa“ (war auch mal so ein ätzender Modebegriff) unter die Lupe zu nehmen. (Nicht wirklich) überraschendes Ergebnis: Den Bremer Abgeordneten droht im Alter eine viel zu niedrige Altersversorgung.
Woran liegt’s? Die Parlamentarier erhalten für ihre – laut Abgeordnetengesetz – „Halbtags“-Beschäftigung aktuell 6.176,55 Euro. Dazu gibt’s monatlich 1.010,78 Euro, damit sich die Politiker m/w/d privat eine Altersversorgung aufbauen.
Nicht schlecht Herr Specht, könnte man als Normalo denken.
Doch betroffene Abgeordnete berichteten dem Gutachter, mit diesen rund 1.000 Talern ließe sich aufgrund der niedrigen Zinsen pro vierjähriger Legislsturperiode lediglich eine Rentenanwartschaft von 120 bis 130 Euro aufbauen.
Zunächst überlegte man in der Bürgerschaftsverwaltung allen Ernstes, der Staatsgerichtshof könnte doch über eine angemessene Pensionshöhe befinden. Zum Glück fiel dem VGO selbst auf, welcher Unfug sich da anbahnte. Und hatte eine andere famose Idee: Die Parlamentarier zimmern sich selbst eine neue Pensionsregelung und lassen die vom Volk absegnen. Na ja, nicht zu viel Volk, also keine Volksabstimmung. Soweit kommt’s noch…
Und jetzt kommt unsere „geschätzte Qualitätszeitung“ (so nennen die sich in echt selbst) als Recherche-freie Zone ins Spiel. Der Parlamentsreporter klärte voriges Wochenende auf, eine „repräsentativ“ ausgewählte Gruppe von etwa 70 Bürgern aus Bremen und Bremerhaven solle den Abgeordneten bei der erneuten Pensionsreform beratend zur Seite stehen.
Der WK im O-Ton: „Es handelt sich um die gleichen Personen, die bereits am vergangenen Wochenende am “Tag der Demokratie” in der Bürgerschaft teilnahmen und zu diesem Zweck repräsentativ ausgewählt worden waren.“
O wie schön, denkt man da. Vertreter (Repräsentanten) von uns Wählern haben mit den Abgeordneten mal über die Demokratie geschnackt. Ist ja gerade angebracht.
Soweit das moderne Zeitungs-Märchen.
bremensogesehen kümmert sich bekanntlich lieber um Fakten.
Der Bürgerschaftsvorstand um Präsidentin Antje Grotheer (SPD) wollte den 2007 von den UN ausgerufenen „Tag der Demokratie“ (jährlich am 15.9.) mit Bürgern bei Kaffee und Kuchen begehen. Eine öffentliche Einladung hätte womöglich tausende Bremer an die gedeckte Tafel gelockt. Zuviel. Zu teuer. Also musste eine kleinere Gruppe her.
Dafür bat man das Statistische Landesamt um 1.000 Namen und Adressen von Frauen und Männern aller Altersschichten aus allen Stadtteilen von Bremen und Bremerhaven.
Im ersten Schwung meldeten sich aber dann doch zu wenige der begehrten Bürgerinnen und Bürger zurück.
Man kennt das ja: Falsche Adresse, neuer Name oder einfach: kein Interesse.
Deshalb ging ein neue Rutsche an Einladungen heraus. (Angeblich gab es später sogar eine dritte Einladungswelle.)
Am Ende kam eine Gruppe von etwa 70 Kaffee- und Kuchengästen von Frau Antje und Kollegen heraus.
So viel zu dem „repräsentativ“ ausgewähltem Kreis. Aus Bremerhaven ließ sich übrigens niemand auf die Einladung ein. Und an eine Altersmischung war bei den 70 nicht zu denken – mehrheitlich war das obere Segment der Alterspyramide vertreten.
Aber Achtung, es wird noch schlimmer!
Der Bürgerschaftsvorstand nutzte das Treffen mit den 70 nicht etwa, um den Trupp einzuladen, demnächst an einer Beratung über die Abgeordneten-Pensionen teilzunehmen.
Nein, dafür gibt die Frankier-Maschine noch genug her. Zum Politik-Consulting will die Bürgerschaft die 70er Truppe mit einem erneuten Schreiben eingeladen.
Völlig offen ist freilich, ob die Kaffee-Kuchen-Genießer auch tatsächlich Bock darauf haben, als „Berater“ aufzutreten. Schließlich müssen diese hinterher notfalls mit ihrem Namen mit dafür geradestehen, wieviel Geld alternde Abgeordnete künftig erhalten werden.
Unklar ist ferner, ob sich doch noch Bremerhavener für diese Art der „Mitsprache“ gewinnen lassen.
Fest steht jedoch bereits jetzt: Mit „repräsentativ“ hat die Berater-“Auswahl” in etwa so viel zu tun wie…sagen wir mal: wie Diätenerhöhung mit Bürgerwille. Nichts!
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
P.S.: Die gesetzliche Einstufung Bremischer Abgeordneter als Halbtags-Betätigung hat zur Folge, dass diese ihre bisherigen Berufe weiterhin mit halber Stundenzahl ausüben dürfen – mit 50-Prozent-Gehalt samt dazu gehöriger Altersversorgung. Blöd nur, wenn man vor der Wahl ins Parlament arbeitslos war. Dann muss man im Alter womöglich bei der Stütze vorsprechen.
P.P.S.: Um dem Mimimi der angeblich pensions-geschwächten Parlamentarier Fakten entgegenzusetzen, habe ich meinen Allianz-Vertreter (der das Presseversorgungswerk betreut) um ein paar Angebote auf Grundlage monatlicher Einzahlungen von 1.000 Euro gebeten. Spannend.
Ja, kennen denn die Abgeordneten das Wort “Inflation” nur von den vorgefertigten Reden? Was meinen sie denn, wie es dem normalen Bürger (m/w/d) ergeht? Ob der für Euro 1.000,00 mehr bekommt? Doch darum muss sich dieses Parlament ja nicht kümmern.
Es wird viel Geld ausgegeben für Umfragen, Gutachten, Evaluationen… . Hier mal ein Vorschlag: Um zu gewährleisten, dass dabei glaubwürdig, interessenunabhängig und repräsentativ vorgegangen wird, verständigen sich Politik und Verwaltung darauf, auf transparente Weise mit der Durchführung solcher Aufgaben ausschließlich neutrale und professionell anerkannte Institutionen zu beauftragen, die Erhebungen, Evaluationen, Fokusgruppen etc. nach wissenschaftlich anerkannten Grundsätzen ergebnisoffen durchführen bzw. zusammenstellen. Repräsentativität würde gewährleistet, „Gefälligkeiten“ würden ausgeschlossen werden und bei der Untersuchung von Sachverhalten wäre gesichert, dass angemessene Fragen gestellt und nicht so formuliert oder gar ausgelassen werden, dass anschließend die jeweils eigenen Projekte, Programme und politischen Zielsetzungen nicht hinterfragt werden müssen. Das wäre ein schöner Beitrag, das Vertrauen in die repräsentative Demokratie zu stärken.
Oder wie bei freigestellten Betriebsräten üblich organisieren. Das bisherige Gehalt wird für die Zeit in der Bürgerschaft anteilig weiter gezahlt. Dann ist MdB kein wirtschaftlicher Abstieg für Normalos und keine – unter allen Umständen unbedingt zu erhaltende – Karriere für, im realen Leben erwerbslose oder erwerbsgeminderte, „Spitzenkräfte“.
Mal sehen, wer dann noch weint.
Aktuell sehe ich in Bremen nahezu keine Möglichkeit, “repräsentative und neutrale” Personen zu finden. Zunächst bedienen sich ohnehin die etablierten Parteien der zur Verfügung stehenden “Kaffee-Runden”. Hinzu kommt, dass es aus meiner Sicht keine Partei oder Institution gibt, die nicht vom “bremischen Filz” unterwandert ist. Offensichtlich haben deshalb sogar Oppositionsparteien kaum Interesse, die Regierung bzw. Verantwortung zu übernehmen. Die “bremische Verwaltung” ist inzwischen so parteinah von den sog. “Regierenden” unterlaufen, dass es für etablierte Parteien eine Mamutaufgabe wäre, diesen Filz aufzulösen. Aber im Hintergrund warten ja noch andere Parteien auf die nächsten Bremer Landtagswahlen. Vielleicht gelingt es diesen (zu meinem Bedauern) besser. Deshalb sollten sich die Abgeordnenten des aktuellen Parlaments beeilen, ihre Pründe (auch im Rentenalter) zu sichern. Womöglich muss dann dann doch noch der Staatsgerichthof auf Antrag einer anderen Regierung entscheiden.