WK lässt Rentner links liegen und verschubt Wichtiges in Stadtteil-Kuriere

03.10.2024 7 Von Axel Schuller

WK – die trauen sich was. Da ruft die Seniorenvertretung Bremen (zuständig für 160.000 Bremer) zu einer Kundgebung vor dem Dom auf – und die Lokalzeitung bringt weder eine Ankündigung noch anschließend einen Bericht darüber. Dabei sind 36,1 Prozent aller WK-Leser Rentner und Pensionäre. Auch kullig: Themen wie Verhinderung des Ausbaus des stadtweit bekannten St. Joseph-Stifts wird in den (auflagenschwächeren) Stadtteil-Kurier verbannt. Dem Thema „Bau der Alstom-Bahn Werkstatt“ in Oslebshausen verordnet die Redaktion das gleiche Schicksal.

Liebe Leserschaft, keine Bange: Ich hege keinen Groll auf meinen ehemaligen Arbeitgeber (bis Ende 1998). Nein, aber die Zeitung drängt sich mit ihrem redaktionellen Verhalten allmählich selbst vom Markt. Und das tut einem alten, weißen Printmann wie mir einfach weh. Deshalb weise ich ab und zu auf Entwicklungen hin, die ich für gefährlich halte. Stets in der Hoffnung, dass „es“ sich doch noch zum Besseren wendet.

Die Seniorenvertretung des Landes Bremen spricht für 180.000 Menschen ab 60 Jahren, davon 160.000 in der Stadt Bremen. Der Laden tat sich in den vergangenen Jahren nicht durch überschäumendes Temperament hervor. Aber der neue Vorsitzende Michael Breidbach (Ex-Betriebsratschef von ArcelorMittal) müht sich seit 2023, mehr Leben „in die Bude“ zu bringen.

Nach langer Vorbereitung rief die Senioren-Institution endlich zu einer Kundgebung auf: „Inflationsausgleich auch für Rentnerinnen und Rentner“. Viele dieser Menschen (nicht mit Pensionären des Staates zu verwechseln) beziehen häufig so niedrige Altersbezüge, dass ihnen die Inflation beim Einkauf böse zu schaffen macht.

Zur Erinnerung: Fast alle Tarifabschlüsse – von Eisenbahn über den öffentlichen Dienst bis hin aktuell zum Hafen – enthalten steuerfreie Inflationsausgleichszahlungen von bis zu 3.000 Euro. Bloß Rentner kriegen nix.

Deshalb jetzt die Demo. Mit dem immer noch prominenten Redner Henning Scherf.

Aber nicht mal der konnte die Tageszeitung dazu verleiten, ein paar Zeilen für einen großen Teil ihrer Leserschaft zu veröffentlichen.

Die Veranstaltung in Kürze: Seniorensprecher Michael Breidbach wetterte dagegen, dass Rentnerinnen und Rentner beim Inflationsausgleich leer ausgehen. „Das ist im höchsten Maß respektlos“.

Alt-Bürgermeister Scherf sprach von einer „unfairen Verteilung der Inflation“. Er weckte Hoffnungen unter den Zuhörern, dass der bislang versagte Inflationsausgleich „bei der kommenden Rentenerhöhung“ im nächsten Jahr berücksichtigt werden könnte.

Zurück zur Einführung, in meinem Gewerbe Vorspann genannt. Thema St. Joseph-Stift. Diese Klinik mit 456 Betten genießt einen so guten Ruf, dass sie 2023 stadtweit von 19.426 stationären und 34.642 ambulanten Patienten besucht wurde. Die erfolgreiche Einrichtung will sich auf mehr ambulante Dienstleistungen umstellen. Dafür müssen alte Gebäude weichen, neue gebaut werden. Den notwendigen Bebauungsplan hat jetzt der Beirat Schwachhausen angehalten, weil die planende Baubehörde darin weder Fassadengrün noch ein befriedigendes Verkehrskonzept vorgelegt hat.

Und wo darf man das lesen? Im Stadtteil-Kurier „Nordost/Mitte“ (Auflage laut WK: 17.276).

Ist die Redaktion ernsthaft davon überzeugt, dass dieses Politikum, welches die Klinik massiv in seiner Entwicklung behindert, lediglich ein „Stadtteilthema“ ist?

By the way: Für das staatliche GeNo-Krankenhaus an der St. Jürgenstraße plant die Stadt – immer gerne hilfreich – ein Großparkhaus und baut es notfalls auch noch.

Weiterer seltsamer Fall aus der WK-Redaktionsarbeit: Der Verlauf einer planungsrechtlich extrem wichtigen Anhörung von 200 Einwendern (inklusive der Handelskammer) gegen den von Alstom geplanten Bau einer Bahnwerkstatt am Industriehafen wird ebenfalls nur im Stadtteil-Kurier behandelt. Dieses Mal in der Ausgabe „West“ (Auflage laut WK: 7.215).

Liebe WK-Redaktion: Könnte es sein, dass sich für dieses Thema noch ein paar mehr Leser interessieren könnten – sofern sie darüber informiert würden? Allein schon wegen der Vorgeschichte, dass dort über 60 Skelette von sowjetischen Zwangsarbeitern gefunden wurden – und vermutlich weitere dort vergraben sind.

Wirklich nur etwas für einen Stadtteil-Kurier mit Mini-Auflage?

Zur besseren Orientierung noch kurz die aktuellen Zahlen der gesamten verkauften WK-Auflage im 2. Quartal 2024: 99.593 Exemplare, inkl. 20.299 epaper.

Ist zwar auch nicht mehr die Hammer-Zahl, aber immerhin noch deutlich mehr als die 7.215 Ausgaben im „Westen“ bzw. die 17.276 in „Nordost/Mitte“.

Aber, am Ende müssen die Joseph-Stift- und die Bahnwerkstatt-Interessierten ja regelrecht dankbar sein, dass über „ihre“ Themen überhaupt etwas erschienen ist.

Die Rentner, die sich am Dienstag vor dem Dom zur Kundgebung mit Henning Scherf versammelten, waren da viel schlechter dran. Kein Vorbericht, kein Nachbericht. Gar nix.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Zum vorigen Stück „Kosten der LINKE-Regierungsbeteiligung“ haben mich ungläubige Nachfragen erreicht: „Stimmt es wirklich Herr Schuller, dass die Anti-Diskriminierungsbeauftragte das selbe Gehalt wie der Chef aller Feuerwehrleute erhalten soll? Ja, das stimmt – leider. Übrigens: Es lohnt wie immer, die Leser-Kommentare zu dem vorigen Stück zu lesen.