WK lässt Rentner links liegen und verschubt Wichtiges in Stadtteil-Kuriere
WK – die trauen sich was. Da ruft die Seniorenvertretung Bremen (zuständig für 160.000 Bremer) zu einer Kundgebung vor dem Dom auf – und die Lokalzeitung bringt weder eine Ankündigung noch anschließend einen Bericht darüber. Dabei sind 36,1 Prozent aller WK-Leser Rentner und Pensionäre. Auch kullig: Themen wie Verhinderung des Ausbaus des stadtweit bekannten St. Joseph-Stifts wird in den (auflagenschwächeren) Stadtteil-Kurier verbannt. Dem Thema „Bau der Alstom-Bahn Werkstatt“ in Oslebshausen verordnet die Redaktion das gleiche Schicksal.
Liebe Leserschaft, keine Bange: Ich hege keinen Groll auf meinen ehemaligen Arbeitgeber (bis Ende 1998). Nein, aber die Zeitung drängt sich mit ihrem redaktionellen Verhalten allmählich selbst vom Markt. Und das tut einem alten, weißen Printmann wie mir einfach weh. Deshalb weise ich ab und zu auf Entwicklungen hin, die ich für gefährlich halte. Stets in der Hoffnung, dass „es“ sich doch noch zum Besseren wendet.
Die Seniorenvertretung des Landes Bremen spricht für 180.000 Menschen ab 60 Jahren, davon 160.000 in der Stadt Bremen. Der Laden tat sich in den vergangenen Jahren nicht durch überschäumendes Temperament hervor. Aber der neue Vorsitzende Michael Breidbach (Ex-Betriebsratschef von ArcelorMittal) müht sich seit 2023, mehr Leben „in die Bude“ zu bringen.
Nach langer Vorbereitung rief die Senioren-Institution endlich zu einer Kundgebung auf: „Inflationsausgleich auch für Rentnerinnen und Rentner“. Viele dieser Menschen (nicht mit Pensionären des Staates zu verwechseln) beziehen häufig so niedrige Altersbezüge, dass ihnen die Inflation beim Einkauf böse zu schaffen macht.
Zur Erinnerung: Fast alle Tarifabschlüsse – von Eisenbahn über den öffentlichen Dienst bis hin aktuell zum Hafen – enthalten steuerfreie Inflationsausgleichszahlungen von bis zu 3.000 Euro. Bloß Rentner kriegen nix.
Deshalb jetzt die Demo. Mit dem immer noch prominenten Redner Henning Scherf.
Aber nicht mal der konnte die Tageszeitung dazu verleiten, ein paar Zeilen für einen großen Teil ihrer Leserschaft zu veröffentlichen.
Die Veranstaltung in Kürze: Seniorensprecher Michael Breidbach wetterte dagegen, dass Rentnerinnen und Rentner beim Inflationsausgleich leer ausgehen. „Das ist im höchsten Maß respektlos“.
Alt-Bürgermeister Scherf sprach von einer „unfairen Verteilung der Inflation“. Er weckte Hoffnungen unter den Zuhörern, dass der bislang versagte Inflationsausgleich „bei der kommenden Rentenerhöhung“ im nächsten Jahr berücksichtigt werden könnte.
Zurück zur Einführung, in meinem Gewerbe Vorspann genannt. Thema St. Joseph-Stift. Diese Klinik mit 456 Betten genießt einen so guten Ruf, dass sie 2023 stadtweit von 19.426 stationären und 34.642 ambulanten Patienten besucht wurde. Die erfolgreiche Einrichtung will sich auf mehr ambulante Dienstleistungen umstellen. Dafür müssen alte Gebäude weichen, neue gebaut werden. Den notwendigen Bebauungsplan hat jetzt der Beirat Schwachhausen angehalten, weil die planende Baubehörde darin weder Fassadengrün noch ein befriedigendes Verkehrskonzept vorgelegt hat.
Und wo darf man das lesen? Im Stadtteil-Kurier „Nordost/Mitte“ (Auflage laut WK: 17.276).
Ist die Redaktion ernsthaft davon überzeugt, dass dieses Politikum, welches die Klinik massiv in seiner Entwicklung behindert, lediglich ein „Stadtteilthema“ ist?
By the way: Für das staatliche GeNo-Krankenhaus an der St. Jürgenstraße plant die Stadt – immer gerne hilfreich – ein Großparkhaus und baut es notfalls auch noch.
Weiterer seltsamer Fall aus der WK-Redaktionsarbeit: Der Verlauf einer planungsrechtlich extrem wichtigen Anhörung von 200 Einwendern (inklusive der Handelskammer) gegen den von Alstom geplanten Bau einer Bahnwerkstatt am Industriehafen wird ebenfalls nur im Stadtteil-Kurier behandelt. Dieses Mal in der Ausgabe „West“ (Auflage laut WK: 7.215).
Liebe WK-Redaktion: Könnte es sein, dass sich für dieses Thema noch ein paar mehr Leser interessieren könnten – sofern sie darüber informiert würden? Allein schon wegen der Vorgeschichte, dass dort über 60 Skelette von sowjetischen Zwangsarbeitern gefunden wurden – und vermutlich weitere dort vergraben sind.
Wirklich nur etwas für einen Stadtteil-Kurier mit Mini-Auflage?
Zur besseren Orientierung noch kurz die aktuellen Zahlen der gesamten verkauften WK-Auflage im 2. Quartal 2024: 99.593 Exemplare, inkl. 20.299 epaper.
Ist zwar auch nicht mehr die Hammer-Zahl, aber immerhin noch deutlich mehr als die 7.215 Ausgaben im „Westen“ bzw. die 17.276 in „Nordost/Mitte“.
Aber, am Ende müssen die Joseph-Stift- und die Bahnwerkstatt-Interessierten ja regelrecht dankbar sein, dass über „ihre“ Themen überhaupt etwas erschienen ist.
Die Rentner, die sich am Dienstag vor dem Dom zur Kundgebung mit Henning Scherf versammelten, waren da viel schlechter dran. Kein Vorbericht, kein Nachbericht. Gar nix.
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
P.S.: Zum vorigen Stück „Kosten der LINKE-Regierungsbeteiligung“ haben mich ungläubige Nachfragen erreicht: „Stimmt es wirklich Herr Schuller, dass die Anti-Diskriminierungsbeauftragte das selbe Gehalt wie der Chef aller Feuerwehrleute erhalten soll? Ja, das stimmt – leider. Übrigens: Es lohnt wie immer, die Leser-Kommentare zu dem vorigen Stück zu lesen.
Auch ich kann die Themenauswahl und -platzierung des WK schon länger nicht mehr nachvollziehen. Der Aufmacher auf Seite 1 ist häufig eines der langweiligsten Themen des Tages. Bremer Landespolitik findet meist nur noch auf einer der hinteren Lokalseiten statt. Neben der unterschlagenen Senioren-Kundgebung fehlte zuletzt auch jede redaktionelle Berichterstattung über ein ungewöhnliches Bremer Kulturereignis: das internationale Musikfestival „Odessa Classics“, das 2015 in der Ukraine gegründet wurde und seit dem Russland-Ukraine-Krieg alljährlich im Exil stattfindet – in diesem Jahr erstmals in Bremen. Der RathsChors hatte die 10. Auflage des Festivals nach Bremen geholt. Drei Konzerte mit deutschen und vor allem ukrainischen Musikerinnen und Musikern (darunter auch der renommierte Pianist Alexey Botvinov) fanden hier statt, das letzte am vergangenen Sonntag in der „Glocke“ mit Ansprachen der Bürgerschaftspräsidentin Antje Grotheer und der grünen Menschenrechtlerin Marieluise Beck. Dem WK war das alles keinerlei redaktionelle Berichterstattung wert, weder im Kultur- noch im Lokalteil. Das zeugt von fehlendem journalistischen Gespür und beschämender Geringschätzung der ausländischen Gäste. Nur in der Rubrik „AboCard“ und im Veranstaltungskalender wurde vorab auf die Konzerte hingewiesen. Statt auch redaktionell über solche relevanten Themen zu berichten, veröffentlicht der WK lieber Riesenartikel auf der ersten Seite des Lokalteils über das neue Freimarkt-Bier oder über ein neu eröffnetes Luxusuhrengeschäft.
Wenn man im 49. Jahr zeitungstreu ist will man im hohen Alter auch nicht einfach spontan fremdgehen. Den Gedanken hat man gelegentlich schon.
Die Auswahl, manchmal durchaus etwas arrogant bestimmend, was in die Zeitung für Leserinnen und Leser wichtig ist, wird seit einigen Jahren zunehmend zum Ärgernis. Vielleicht liegt es an der etablierten A-Mannschaft, die glaubt in und über Bremen alles zu wissen. Im Gegensatz sind die jüngeren Leute der B-Mannschaft in den Stadtteilredaktionen oft engagierter, nicht so eingefahren abgeklärt, haben Interesse für neues, kennen sich in Bremen aber noch nicht gut aus.
Ich habe meinen jungen Nachbarn mal gebeten, durchzurechnen, wenn er die gut 600 Euro (steigend) für’s Abo für die nächsten 50 Jahre in ETF’s steckt. Ich werde nächstes Jahr nach 50 Jahren WK und 50 Jahren Mitgliedschaft in einer Organisation überlegen müssen, ob beides noch zu meinem Wohlbefinden beiträgt.
So ein bisschen Lust auf Neues habe ich ja schon noch …
Wir schalten gleich weiter zur neuen FIRST LADY Kerstin Bovenschulte. https://www.weser-kurier.de/bremen/bremens-first-lady-so-geht-kerstin-bovenschulte-mit-ihrer-rolle-um-doc7xb47pvo8qq1nahjq52a
Nachtrag: In dieser Zeitung findet sich in der Freitagsausgabe kein eigenes Wort zur Berliner Großdemo für Verhandlungen zwischen Ukraine und Russland. Ein Thema, das in ARD und ZDF und vielen Zeitungen aufgegriffen wurde. Wie kann es sein, dass der WK so tut, als hätten Wagenknecht, Stegner und Gauweiler nicht auf der Bühne gestanden? Und, dass die Gegendemonstranten folglich auch nicht im Blatt stehen.
Da kommen zwei Dinge zusammen, zu denen ich etwas sagen möchte: A) die Seniorenvertretung Bremen und B) der Umgang des WK mit den Belangen der Seniorinnen und Senioren. Welch ein Zusammentreffen: Am 1.10. , dem „Tag der älteren Generation“, berichtet der WK über den Stand der Inflationsrate in Deutschland: jetzt unter 1,6%, wie zuletzt vor über dreieinhalb Jahren und die „Kundgebung“ vor dem Bremer Dom. Die „Demo“ zu diesem Thema kommt zu spät und hätte auf jeden Fall einer bundesweiten Form bedurft. Hierfür wäre eine Absprache in der „BaS“ (Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenbüros) hilfreich und notwendig gewesen (der Begriff „Seniorenbüro“ ist in Bremen missverständlich, da es eine gleichnahmige Organisation gibt, die jedoch nicht seniorenpolitisch ausgerichtet ist). Dann wäre einer -wenn auch verspäteten – öffentlichen Forderung das nötige Gewicht verliehen worden und selbst der WK hätte sich einer Berichterstattung an prominenter Stelle nicht entziehen können. So bleibt es ein Aktionismus ohne Durchschlagskraft zum falschen Zeitpunkt.
Jetzt zum WK, dem Printmedium in Bremen mit Alleinstellungsmerkmal. Als „Mediensprecher der Seniorenvertretung Bremen“ habe ich drei Jahre lang versucht durch viele Gespräche beim WK etwas für die Öffentlichkeitsarbeit der Seniorenvertretung zu erreichen. Selbst meine Beharrlichkeit konnte dabei in den speziellen Strukturen des Verlagshauses nichts erreichen. Der WK ist das Reginalmedium, das man als Bremer beziehen muss, um auf die aktuellen Dinge der Stadt informiert zu sein, als wir noch im Kreis Verden wohnten war es der „Achimer Kurier“, damit man als Ansässiger über die sehr regionalen Geschehnisse auf dem Laufenden ist („… auf dem Kartoffelacker von Bauer XY wurden 6 Pflanzen herausgerissen, Schaden: 60 €“…). Der Kreis des WK ist zugegebenmaßen grösser, es gilt aber das Gleiche. Das ist alles täglich schnell gelesen. Für weitergehende Informationen bedarf es Nachrichtenmagazinen und anderen Printmedien (bei mir eine Zeitung aus Süddeutschland). Die im Blog geäusserte Hoffnung auf „Besserung“ teile ich aus eigener Erfahrung nicht für unsere Bremer „Qualitätszeitung“, sorry. Ich würde mich freuen, wenn es dafür erkennbare Gründe geben würde.
Ich kann Axel Schuller immer wieder nur DANKE sagen für seine exzellenten Recherchen und die ausgewogene kritische Berichterstattung (diese Attribute vermisse ich leider zunehmend im WK)…und das alles ehrenamtlich!
Danke auch für viele Kommentare dazu hier.
Postscriptum.
Zur Seniorenvertretung: Bundesweit leben in Deutschland (2021) 18,4 Millionen Rentner über 65. Ein Inflationsausgleich von 3000€ ergibt eine Belastung des Bundeshaushalts von 5,52 Milliarden €, 2000€ ergeben 3,68 Mrd. € und selbst 1000€ Inflationsausgleich ergeben eine Belastung des Bundeshaushalts von 1,84 Mrd €. Viel Spass bei den Gesprächen mit Geldverwalter Christian Lindner! Und noch die Frage, warum sich am „Tag der älteren Generation“ , dem Tag der „Demo“ der Seniorenvertretung, sich nicht die anderen auf dem Marktplatz vertretenen Organisationen sich dieser Aktion nicht angeschlossen haben.
Zum WeserKurier: Heute (8.10.) ist auf Seite 6 eine Notiz zu finden, dass in Mittenwald/Bayern einer Familie ein Schweinsbraten vom Balkon gestohlen wurde, Schaden 25 €! Das meinte ich in meinem letzten Kommentar zu unserer „Qualitätszeitung“.