Prämien für gesunde Busfahrer / Bremens öffentlicher Dienst bei Krankheitstagen vorn
Bremens öffentlicher Dienst „liegt“ bundesweit vorn: Die Krankheitsquote beträgt 8,4 Prozent – im Bundesschnitt sind es dagegen 7,5%. Nachdem mehrere Konzernchefs öffentlich über den deutschen Hang zum „Blaumachen“ geklagt haben, kommt eine wichtige Debatte in Gang. Die Kieler Verkehrsbetriebe belohnen mittlerweile gesunde Busfahrer mit Geldprämien.
An der „Arbeitsfront“ geht es gerade heftig zu. Der Markt hat sich total gewandelt. Arbeitgeber suchen händeringend Fach- und Hilfskräfte, um den Laden irgendwie am Laufen zu halten. Arbeitnehmer, die wissen, was sie können und mit Selbstbewusstsein gesegnet sind, holen raus, was geht. Einige „normale“ Arbeitnehmer (ohne Führungsaufgabe) verlangen in Bewerbungsgesprächen eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohn und obendrein einen Dienstwagen fürs Private.
Im SPIEGEL haderte kürzlich Mercedes-Benz-Vorstandschef Ola Källenius: Ihm fehle jedes Verständnis dafür, dass der Krankenstand in den deutschen Werken des Konzerns nahezu doppelt so hoch sei wie in den anderen europäischen Fabriken – obwohl an allen Standorten vergleichbare Arbeitsbedingungen vorherrschten. Allianz-Chef Oliver Bäte hatte zuvor im Handelsblatt geklagt, in Deutschland ließen sich deutlich mehr Mitarbeiter als in den USA oder der Schweiz krankschreiben. Und Telekom-Boss Tim Höttges mahnte: „Wir müssen alle wieder mehr arbeiten.“
Woran kann es liegen, dass „unser“ Krankenstand den anderer Länder so sehr übertrifft?
Corona und manch schlimme Folge-Erkrankungen können dafür nicht verantwortlich sein. Corona war schließlich überall. Und Chefs ohne Führungsqualitäten, die Mitarbeiter m/w zunächst in die innere Emigration und im schlimmsten Fall in die Krankheit treiben, gibt’s vermutlich ebenfalls überall auf der Welt.
Sind Deutsche für Depressionen anfälliger als andere Europäer? Wäre überraschend.
Oder verhalten sich deutsche Kunden dem Personal gegenüber so viel aggressiver, womöglich sogar rabiater als in anderen Ländern? Eher unwahrscheinlich.
Noch eine Erklärungsvariante: Seitdem Ärzte Patienten telefonisch krankschreiben können, ist die Krankenquote gestiegen. Hausärzte wollen an dem System festhalten. Dafür führen sie aber eher praxistechnische als medizinische Gründe an.
Die Kieler Verkehrsbetriebe versuchen dem Problem zu vieler krank-gemeldeter Busfahrer m/w aktuell auf unkonventionelle Art zu begegnen: Wer sich in einem Quartal nicht krankgemeldet hat, bekommt als Prämie 250 Euro – im Jahr also maximal 1.000 Euro.
Die BSAG-Pressestelle vermochte gestern nicht zu sagen, ob man dauerhafte Gesundheit mit Geld oder freien Tagen honoriere. Zur Erinnerung: In einem meiner früheren Stücke über die überbordenden Kosten des Staatsunternehmens BSAG hatte ich über Krankenquoten von bis zu 20 Prozent berichtet – übrigens widerspruchslos.
Das Medienportal „The Pioneer“ von Gabor Steingart hat jüngst erschreckende Zahlen zu Krankenständen in Deutschland zusammengetragen. Während Arbeitgeber 2022 in Deutschland für durchschnittlich 24,9 Krankheitstage von Arbeitnehmern finanziell aufkommen mussten, waren es in Dänemark 10,9, in Großbritannien sogar nur 5,7 Tage.
Von Januar bis September 2024 fielen in Deutschland durchschnittlich 5,9 Prozent der gesetzlich Krankenversicherten im Job aus. Im Corona-Jahr 2020 waren es bloß 4,3 Prozent.
Der öffentliche Dienst liegt bundesweit mit 7,5 Prozent an der Spitze der Krankheits-Ausfallzeiten. Am unteren Ende der „Tabelle“ stehen Mitarbeiter von Banken und Versicherung mit 4,5 Prozent.
Bremens öffentlicher Dienst reißt auf dem Feld der Krankenquote den Bundesschnitt (7,5%). Der Senat teilte auf Anfrage der FDP mit, 2023 habe die Arbeitsunfähigkeitsquote im Land Bremen bei durchschnittlich 8,4 Prozent gelegen.
Noch brutaler: Im BürgerServiceCenter fehlt jeder Mitarbeiter m/w im Schnitt 43 Tage pro Jahr.
Wäre mal interessant, die Fehlzeiten in Vollzeitstellen umzurechnen. Ich vermute, die Bremer Krankheitsquote von 8,4 Prozent dürfte mehreren tausend Arbeitsplätzen entsprechen – an denen rund ums Jahr nicht gearbeitet wird.
Zum Schluss die Frage eines alten, weißen, bloggenden Mannes: Sind wir in Deutschland vielleicht an einem Punkt angekommen, dass bei uns offiziell zwar von den Vorzügen der „work-life-balance“ gesprochen wird, einige zuweilen aber doch eher eine ganz spezielle „life-work-ballance“ anstreben?
Liebe Leserschaft, ich freue mich auf Ihre Kommentare – außer auf Schmähschriften:-) .
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
P.S.: Bitte lassen Sie sich nicht durch die gewerkschaftsfreundliche Darstellung von so mancher Tageszeitung zur Thematik verwirren. So führen die Kollegen gerne geringere Krankheitszeiten in Schweden unter anderem auf den dort geltenden „Mindesturlaub von 25 Tagen“ zurück. Ein Blick in die Manteltarifverträge für Redakteure, für Öffentlich Bedienstete oder – weil’s gerade aktuell ist – VW-Mitarbeiter zeigt: Dort beträgt der Jahresurlaub jeweils 30 Tage. Und das Kollegen-Mimimi, Arbeitnehmer litten unter Arbeitsverdichtung, dem Arbeitgeberwunsch nach dauernder Erreichbarkeit sowie Konkurrenzdruck intern und extern – kann sein. Aber: Ist das in anderen Ländern, mit deutlich niedriger Krankheitsquote, tatsächlich anders?
Prämien sind Fehlanreize. Wir wollen keinen Präsentismus, wo Kranke zur Arbeit erscheinen und dort unproduktiv sind oder andere anstecken.
Und die Debatte über Lohnfortzahlung von Hr. Steingart ist nochmal eine andere!
Maßnahmen wären:
1. Schaffung einer TEIL-AU bei Erkrankungen bei denen nicht alles geleistet werden kann, ein Teil der Tätigkeit jedoch zeitlich eingeschränkt schon.
2. AU-Bescheinigung ab Tag1
3.Die ersten 3 Tage einer jeden AU gehen zu Lasten des persönlichen Überstundenkontos. Ausgleich dann mit Mehrarbeit oder am Jahresende mit Lohnabzug.
Lassen Sie es mich mal leger (schlimmstenfalls ordinär) formulieren: Wo Hans einen Pfurz lässt, hat Hänschen (immer m/w) massiven Durchfall. Will sagen, die Vorgesetzten im Bremischen öffentlichen Dienst sind sehr häufig ebenso oder gar noch länger krank, als in anderen (Bundes-)Ländern. Dieses kann belegt werden. Im Zuge dieser „Vorbildfunktion“ ist es doch kein Wunder, wenn Mitarbeiter sich einreihen. In Bremen kommt erschwerend hinzu, dass der gesamte Behördenapparat so desolat ist, dass kein Mitarbeiter dort mehr motiviert arbeiten kann und will. Für solche Fälle gibt es Arbeitspsychologen, von denen sich die senatorischen oder bundesdienstlichen Stellen mal dringend beraten lassen sollten. Evtl. kommen Mitarbeiter dann wieder motivierter zur Arbeit.
P.S. Ich spreche aus diversen eigenen Erfahrungen mit Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes in Bremen.
Ein Aspekt ist leider nicht erwähnt: durch die elektronische AU ist eine 100%-Erfassung gegeben, während früher ja nicht alle „gelben Scheine“ auch bei der Kasse zum zählen gelandet sind.
Quelle: https://www.morgenpost.de/wirtschaft/article407566451/krankenstand-experte-schlaegt-teilzeitkrankschreibung-vor.html
@B.Tuscherer: die AU ab Tag 1 ist eine unnütze Belastung der Ärzteschaft. Die soll Menschen gesund machen und nicht krank schreiben. In Nachbarländern zB NL schreiben Hausärzte gar nicht krank.
Und eine Selbstbeteiligung bei Kurz-AUs führt nur zu Präsentismus (also Kranke im Betrieb, die andere anstecken und unproduktiv sind).
@H.Carlsen: Genöle und Geraune – wo ist belegt, dass Führungskräfte in der Bremer Verwaltung länger krank sind als Nicht-Führungskräfte oder Führungskräfte in anderen Ländern? „Eigene Erfahrung“ zählt nicht!
Die Ursachen für Arbeitsunfähigkeit sind komplex, aber man kann AU-Zeiten verkürzen! Betriebliches Eingliederungsmanagement ist eine bewährte Form, bei der sich Vorgesetzte, im Team um den MA kümmern, gerade wenn er so krank ist, dass er länger ausfällt. Das kostet den Betrieb viel Geld und Arbeit – und wird deshalb häufig nicht gemacht, obwohl es hilfreich ist.
Kurze Fehlzeiten haben häufig mehr mit Betriebsklima, Infekten, Familiensituation u.ä. zu tun. Das ist lange bekannt und immer wieder durch Studien belegt..Absentismus ist ein zusätzliches Problem, mit wieder anderen Ursachen.
Als Arbeitsmedizinerin habe ich häufig erlebt, dass darüber hinaus der „Arztfaktor“ in 50% der Fällen wesentlich für Gesundung oder weitere Fehlzeiten verantwortlich war. Insofern tut eine fehlende Face-to-Face- Medizin dem Krankenstand nicht gut. Dies ist aber weder den Ärzten, noch den Patienten geschuldet, sondern einer völlig fehlgeleiteten Honorarpolitik, die Technik wesentlich besser bezahlt als eine zielorientierte, leider auch zeitintensive,, engmaschige Beratung und Behandlung durch den kompetenten Arzt. Er kann die Gesundung des Patienten nicht zeitnah angemessen begleiten, ohne arm zu werden! Das ist heute die Realität. Krankschreiben per Telefon fällt auch unter diese fehlgeleitete Politik und nützt weder den Patienten noch der Gesellschaft!
Mit anderen Worten: wenn man von positiven Beispielen lernen will, muss man genau schauen, ob Zwänge dort für Präsentismus sorgen, und welche sinnvollen Anreize helfen, Absentismus zu minimieren und Kranke schnell wieder gesund an den Arbeitsplatz zurück zu bringen. Möglicherweise braucht das einen „Systemwechsel“ im Denken!
@ M. Gerken: Siehe Statistik https://www.iwd.de/artikel/krankenstand-in-deutschland-498654. Da liegen ältere und Führungslräfte im Mittel der westdeutschen Bundeländer in Bremen bei deutlich über 24,5% – und damit im Bereich der 2 Spitzenreiter. Ich kann gerne weitere Statistiken einbringen. Also kein Genöle, sondern Fakten, Fakten, Fakten!
Hr. Carlsen, ich sehe leider keine Auswertung über mehrere Merkmale (Führungskraft und HB), zudem sind es Daten der Betriebskrankenkassen, also nicht dem Stammversicherer des öff. Dienstes. Zudem haben wir nur einen Befund, aber keine Diagnose. Sind mehr Führungskräfte krank weil sie ungesunden Lebenswandel pflegen oder blau machen oder über-lastet sind oder unter-lastet sind? Hierzu müsste man in Daten schauen, die Krankenkassen für Unternehmen individuell bereitstellen – und man müsste die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung speicher Belastungen kennen.