Bremen verschuldet sich, Brandenburg steht ArcelorMittal nur „zur Seite“
Wissenschaftler renommierter Institute rechnen mittlerweile vor, wie viel billiger „grüner Stahl“ wäre, wenn er aus Ländern mit günstigem Strom und Wasserstoff direkt importiert würde. Hinter vorgehaltener Hand äußern Bremer Politiker die Sorge, ArcelorMittal könnte sich 2025 doch noch gegen die „Green Steel“-Produktion in der Hansestadt entscheiden.
In Brandenburg mit dem Arcelor-Stahlwerk in Eisenhüttenstadt gibt man sich indes locker. Während Bremen bereit ist, 250 Millionen Euro zur Umstellung auf Wasserstoff beizusteuern, gibt Brandenburg keinen Euro dazu.
Liebe Leserschaft, Gedanken, die in Bremen bei einer Nicht-Umstellung auf Wasserstoff enden, gelten als defätistisch. Dennoch nehme ich Signale aus Politik und Wirtschaft wahr, die nicht unbedingt optimistisch stimmen. Im Gegenteil. Außerdem stellen ArcelorMittal-Konkurrenten in Deutschland „Green Steel“ gerade offen in Frage.
Und, in Bremen leider nur Handelsblatt-Lesern geläufig: Der Wirtschaftsexperte Daniel Stelter hat dort kürzlich in seiner wöchentlichen Kolumne – mit Bezug auf Studien des Fraunhofer Institutes und des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) – folgende Horror-Rechnung aufgemacht.
Zitat Stelter:
„Die Forscher gehen der naheliegenden Frage nach, ob es kostengünstiger ist, Wasserstoff hierzulande zu erzeugen oder zu importieren, um damit Grundstoffe wie Stahl, Harnstoff und Ethylen zu erzeugen – oder diese Grundstoffe direkt aus Ländern mit günstigen Energiekosten zu importieren.“
Und dann folgt im Handelsblatt die brutale Ernüchterung:
„Der Kostenvorteil der Importe beziehungsweise der Kostennachteil deutscher Produktion ist erheblich. Im optimistischen Szenario liegt der Preisnachteil bei 18 Prozent für Stahl, 32 Prozent für Harnstoff und 38 Prozent für Ethylen; im pessimistischen Szenario bei 32 Prozent (für Stahl), 55 Prozent beziehungsweise 60 Prozent.“
Das Schreckensvision geht noch weiter.
„Wollte die Politik diesen Kostennachteil dauerhaft mit Subventionen kompensieren, fallen – so die Forscher des PIK – bis zu 18 Milliarden Euro pro Jahr an. Wohlgemerkt sind das die Kosten für nur drei ausgewählte Rohstoffe, wobei die Logik für viele weitere Grundstoffe wie Aluminium, Kupfer, Zement, Glas Papier oder Silizium ebenfalls gilt.“
Zurück zum Bremer Stahlwerk.
Für das größte Manko trägt ArcelorMittal selbst die Verantwortung. Obwohl der Bund und das finanziell auf dem letzten Loch pfeifende Land Bremen bereit sind, die Mördersumme von 840 Millionen Euro (davon 250 Mio von Bremen) zur Umstellung auf wasserstoffbasierte Stahlerzeugung beizusteuern, hält sich ArcelorMittal zurück, will sich erst Mitte 2025 entscheiden.
Das stimmt nachdenklich, ist aber – nüchtern betrachtet – mehr als verständlich. ArcelorMittal ist zwar Familien-bestimmt, aber eben auch börsennotiert.
Bei ThyssenKrupp ist man aktuell pessimistisch ziemlich drauf. Dort hat der Mutterkonzern die Stahlsparte angewiesen, den begonnenen Umbau zur wasserstoff-basierten Stahlerzeugung noch einmal durch die Rentabilitäts-Brille anzuschauen – und notfalls die Reißleine zu ziehen.
Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte (SPD) lobte jüngst die Salzgitter AG, die bereits dabei ist, ihre Stahlerzeugung auf Wasserstoff zu trimmen.
Wobei man eines bedenken sollte: Das Land Niedersachsen hält 26,5 Prozent an der Salzgitter AG. Folglich ist zu vermuten, dass die Stahlmanager bei ihren Entscheidungen – sagen wir mal – politische Wünsche nicht unberücksichtigt lassen. Kennt man von VW.
Bis Sommer 2025 bleibt in Bremen die Ungewissheit, wie es tatsächlich in der Stahlhütte an der Weser weitergehen wird. Die hiesigen Manager setzen zwar klar auf die Umstellung auf Wasserstoff. Dies merkt man auch daran, dass Personaler der Hütte – so höre ich aus Betrieben – angeblich mit guten Gehältern in Firmen um Experten werben, welche die Transformation der Hütte vorantreiben sollen.
Da denkt so mancher Bremer Mittelständler: Na fein, Arcelor will mir Fachkräfte – dank Staatsknete – abspenstig machen.
Doch bei allem Engagement des Bremer Stahl-Vorstandes: Die Entscheidung wird nicht in Bremen, sondern von der Familie Mittal getroffen.
Selbst ein Go aus der Londoner Mittal-Zentrale wäre auch noch keine Garantie dafür, dass sich die Stahlerzeugung per Wasserstoff am Weltmarkt rechnet. Schließlich drückt China weiterhin seinen Stahl zu Dumpingpreisen in den Markt – dank des Einsatzes von Kohle günstiger hergestellt.
Übrigens: Im Brandenburger Arcelor-Stahlwerk in Eisenhüttenstadt steht ebenfalls die Transformation auf Wasserstoff an. Das Wirtschaftsministerium des „neuen Bundeslandes“ erklärte auf Anfrage zum landespolitischen Einsatz für das Werk:
„Mit den Zuwendungsbescheiden des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für die beiden Flachstahl-Standorte Bremen und Eisenhüttenstadt vom 30. Mai 2024 wurden mit politischer Unterstützung die Weichen für die Dekarbonisierung der Stahlproduktion bei ArcelorMittal gestellt. ArcelorMittal erhält aus dem Programm des BMWK Fördermittel in Höhe von rund 1,3 Mrd Euro. Seitens des Landes Brandenburg ist – im Unterschied zu den geplanten Maßnahmen am Standort Bremen – keine Kofinanzierung erforderlich.( …)
Das Brandenburger Wirtschaftsministerium wird dem Unternehmen bei der Konkretisierung und Umsetzung seiner Pläne weiterhin zur Seite stehen.“
Das nenne ich echte Arbeitsteilung: Bremen steuert 250 Millionen Euro bei, und Brandenburg steht dem Unternehmen (kraftvoll) „zur Seite“. Erinnert mich an die Mega-Fielmann-Werbung von 1985: „Und mein Papi hat nicht einen Pfennig dazu bezahlt.“
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
Was da zu Salzgitter steht, ist nichts als der Versuch,, gehegte Vorurteile über den Staat, hier das Land Niedersachsen, anzuwenden. Es handelt sich um eine von allen Eignern des Unternehmens getroffene Entscheidung! Und das ganze basiert auf einer funktionierenden Mitbestimmung! Was da technologisch in Salzgitter bisher geleistet wurde, ist faszinierend. Bitte mal anschauen! Diese technologischen Innovationen werden für die internationale Konkurrenz grüne Gewinne bringen!
@Rudolf Hickel: Der Hinweis auf den Anteil Niedersachsens an der Salzgitter AG als möglichem Grund für eine größere Bereitwilligkeit zur Umrüstung auf grünen Stahl ist – ob berechtigt oder nicht – doch nur ein Nebenaspekt des Kommentars. In der Hauptsache geht es um kaum zu kompensierende Kostennachteile, wenn man versuchen sollte, hierzulande mit grünem Wasserstoff grünen Stahl zu erzeugen. Deshalb meine Frage: Ist es denn in Salzgitter schon gelungen, diese Kostennachteile zumindest zu reduzieren oder wird der Stahl aus Salzgitter für neu entdeckte Marktnischen hergestellt werden, in denen der verlangte Preis dann keine Rolle spielt?
Ergänzend sei erwähnt, dass Bremen für seine Wärmewende das Stahlwerk als Quelle reingerechnet hat. Aber für die 70% der Bremer, die in Zukunft nicht mit Fernwärme (auf dem Papier CO2 neutral aus lokal angebauten Müll hergestellt und zu Preisen verkauft, die die Kostensteigerungen fossiler Energien wiederspiegeln) ist ja eh noch kein Gutachten vorhanden, obwohl regionale Akteure wie die Erdwärmegenossenschaft dringend möchten, aber auf der Wartebank sitzen.
@Rudolf Hickel: die Zahlen der Salzgitter AG sind im laufenden Geschäftjahr mehr als enttäuschend. Der Vorstand schätzt den Verlust vor Steuern bis zum Jahresende auf rund € 300 Mio. Der Kurs der Aktie ist im laufenden Jahr um rund 50% gefallen. Ich bin gespannt, ob die Rechnung mit der Produktion von „Grünstahl“ aufgehen wird. Martin Gömöry