Verbohrte Politik: Bezahlkarte, Zwangsabgabe, B2-Stelle / App führt zur Fassaden-Kunst
Liebe Leserschaft, heute Licht und Schatten. Während Niedersachsen diese Woche angekündigt hat, die Bezahlkarte für Asylbewerber, Asylanten und Migranten ab Dezember einzuführen – ist Bremen mal wieder nicht soweit. Außerdem: Der Senat und die völlig verbohrte SPD-Grünen-LINKE-Koalition lässt es tatsächlich darauf ankommen, dass sich der Staatsgerichtshof nächsten Montag mit der Ausbildungs-Zwangsabgabe beschäftigen muss. Und das, obwohl Firmen händeringend Azubis suchen, aber zu wenige finden. Zum Glück gibt’s neben dem Schatten aber auch Licht. Die Wirtschaftsförderung Bremen hat gerade eine App auf den Markt gebracht, die richtig Lust auf unsere tolle Stadt macht. „Street Art Cities“ leitet zu 250 Wandgemälden mit atemberaubenden Perspektiven inkl. Führungen.
Es ist zum Heulen: Unser Heimatblatt Weser-Kurier meldete am Dienstag, 5. November: „Flüchtlinge erhalten Bezahlkarte ab Dezember – Grüne als Koalitionspartner halten ihre Kritik an 50-Euro-Bargeldlimit aufrecht“, war auf der „Niedersachsen“-Seite zu lesen. Der WK nennt sich im Kopf „Tageszeitung für Bremen und Niedersachsen“. Also, dachte ich, wenigstens am Ende des dreispaltigen Artikels zu erfahren, wie es in HB aussieht. Pustekuchen, nix.
Also Warten bis Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag – weiterhin nix. Es ist ätzend, dass man als zahlender Leser dieser Postille interessante Themen immer wieder selbst recherchieren muss. Ergebnis meiner Nachfragen: Der Informationsstand im Sozialressort von Senatorin Dr. Claudia Schilling (SPD) war zunächst dürftig. „Die Karte gibt’s in Bremen aktuell nicht.“ Nach längerem hin und her teilte eine Sprecherin schließlich mit: „Ja die kommt“. Aber nicht sofort. Denn die Techniker der bundesweit beauftragten Software-Firma schlössen die Bundesländer nach und nach an. Es gebe ja auch Unterschiede. Niedersachsen gewährt Karteninhabern von den 460 Euro bloß die Barauszahlung von 50 Euro. In Bremen werden es 120 Euro sein.
Außerdem, so die Sprecherin, müsse das Thema im Amt für Soziale Dienste ja vermutlich auch noch durch den Personalrat, wegen der weitergehenden bremischen Mitbestimmung.
Hä?
Erneute Nachfrage. Dann hieß es plötzlich: Ja, wir wollen nächste Woche versuchen, dass das Technik-Unternehmen Bremen gleichzeitig mit dem Nachbarland freischalte, damit keine Bremer Insel innerhalb Niedersachsens entstehe. Sollte das nicht zum Erfolg führen, werde die Karte aber bestimmt im ersten Quartal 2025 eingeführt.
Dankeschön aber auch. Zur Erinnerung: Die LINKEN der Bremer Koalition sehen in der Karte eine Diskriminierung von Migranten, wollten die Karte verhindern. Am Ende stimmte Bremen im Bundesrat zwar zu, beschloss aber: Unsere Flüchtlinge dürfen 120 Euro bar abheben.
Eine verquere Denke muss man der Bremer Regierung leider auch auf einem anderen Feld attestieren. Die Ausbildungs-Zwangsabgabe soll ohne Rücksicht auf Verluste eingeführt werden. Mehrere Arbeitgebervereinigungen haben den Staatsgerichtshof um Hilfe angerufen. Der tagt nun am Montag, 11. November. Dabei hätte man in Senat und Koalition bloß mal nachdenken müssen. Und schon hätte man Einsichten gewinnen können. Bremer Betriebe suchen dringend nach Auszubildenden, die Deutsch schreiben und sprechen können; die Rechenaufgaben ohne Handy-Rechner lösen können; und denen vermittelt wurde, dass man morgens zur abgemachten Zeit ausgeschlafen im Ausbildungsbetrieb erscheint. Daran mangelt es leider häufig. Ergo können bei weitem nicht alle Ausbildungsplätze besetzt werden. Daran wird auch die Zwangsabgabe nix ändern.
Leider juckt das die verbohrten Koalitionäre nicht.
Verbohrt passt auch zu einem anderen Thema. LINKE und Grüne beharren auf der Besetzung der Stelle der Landesantidiskriminierungsbeauftragten. Die SPD hat die Chance der Nichtbesetzung erkannt, nachdem die auserwählte Beamtin (B2-Stelle mit 8.391 Flocken Grundgehalt) aus persönlichen Gründen abgesagt hat. Die CDU-Opposition ist manchmal tatsächlich besser als ihr nicht so ganz vorteilhafter Ruf. Die Union hatte zu dem Thema zunächst nur eine Aktuelle Stunde im Parlament beantragt. Mittlerweile höre ich, dass ein Antrag auf Wegfall der Topstelle und Integration der Arbeiten in eine andere Behörde im Werden sei. Bin mal gespannt, ob SPD-Fraktionschef Mustafa Güngör dazu steht, die B2-Stelle zu schleifen, oder ob seine kleinen Koalitionspartner erneut den Ton angeben.
Übrigens: Vorzug eines Antrages gegenüber einer Aktuellen Stunde: Über Anträge muss abgestimmt werden.
So, ich hab jetzt die Nase voll von den Niederungen der Bremer Politik. Deshalb jetzt etwas Schönes. Bremen ist – übrigens dank der Einnahmen aus der City-Tax – dem Verbund der Street-Art-Cities beigetreten. Fassaden-Kunst mit integrieren Echt-Elementen wie Fenstern und Balkonen hat in unserer wunderbaren Stadt Tradition. Die neue App führt den Handy-Man (m/w) auf unterschiedlich wählbaren Pfaden zu 250 künstlerisch gestalteten Fassaden. Schauen Sie sich die kostenfrei zu ladende App auf „bremen.de“ an.
Ein Wandbild mit integriertem Balkon habe ich Ihnen „mitgebracht“. Hammer, oder?
Diese super-gelungene Fassade mitsamt integriertem Echt-Balkon können Sie in der Wiedstraße 24 in Bremen-Walle bestaunen.
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
Dass der WK nicht nachrecherchiert oder Themen nicht genügend beachtet, passiert leider immer wieder. Ein paar Beispiele aus den vergangenen Wochen:
– Zur Bremer Kundgebung am Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel veröffentlicht der WK nur ein Foto mit kurzem Bildtext. Dass die Versammlung durch Gegendemonstranten gestört wurde, erfährt die Leserschaft erst mit einem Tag Verspätung, als der WK empörte Kritiker dieser Störungen zitiert.
– Als die Nordwestbahn ausgerechnet während des Freimarkts den Zugverkehr einschränkt, schreibt der WK einfach nur deren Mitteilung ab, wonach „die Linien RS 2, RS 3, RS 30, RS 4 und RB 58“ betroffen sind. Welche Strecken mit diesen Kürzeln gemeint sind, muss die Leserschaft selber herausfinden.
– In einem anderen Fall hätte es sich gelohnt, eine Pressemitteilung wörtlich wiederzugeben, nämlich als die Polizei auf humorvolle Weise über Laden-Einbrüche mit Hilfe eines Gullydeckels berichtete: Ein junger Mann habe „gleich zwei Mal gegen die Öffnungszeiten lokaler Geschäfte“ verstoßen und „Gullydeckel als Türöffner verwendet (…) Wir weisen vorsorglich darauf hin, dass Gullydeckel im öffentlichen Raum normalerweise ihrer Funktion als Abdeckung von Kanaleingängen dienen und nicht als Werkzeug für nächtliche Einbruchsversuche gedacht sind.“ In diesem Fall machte sich die Redaktion die Mühe, die Polizeimeldung sachlich umzuschreiben, und verzichtete auf jegliches Humor-Zitat.
– Als die Polizei eine Anti-Kriegs-Versammlung in Gröpelingen wegen „nicht erlaubter Symbole“ beendete, hätte man gerne gewusst, welche Organisation dahintersteckte und was die Symbole waren. In der Polizeimeldung stand das nicht, und der WK fragte nicht nach.
– In einem Bremer Müllwagen wurde ein Toter entdeckt. Wie er dort hineingekommen war, ließ die Polizei zunächst offen, und der WK fragte wieder nicht nach. Radio Bremen tat es am selben Tag und erfuhr, dass der Mann vermutlich in einer großen Altpapiertonne übernachtet hatte, die dann am nächsten Morgen geleert wurde. Erst zwei Wochen später, als diese Vermutung zur Gewissheit wurde und die Polizei darüber berichtete, erfuhr dies auch die WK-Leserschaft.
– Obwohl beim Freimarktsumzug fast 130 Gruppen zu Fuß oder auf kunstvoll hergerichteten Wagen mitwirkten und 150.000 Menschen zuschauten, berichtete der WK darüber mit einem einzigen Foto und einem kleinen Zweispalter gut versteckt im Inneren des Lokalteils plus jeweils einem Foto in den Stadtteilkurieren. Warum keine halbe oder ganze Bildseite? Über das internationale Musikfestival „Odessa Classics“, das 2024 erstmals in Bremen stattfand, wurde sogar überhaupt nicht redaktionell berichtet (s. mein Leserkommentar im Blog vom 3. Oktober). Aber wenn ein Juwelier in der Sögestraße eine „Rolex-Bar“ eröffnet oder am Wall ein neues Luxusrestaurant entsteht, dann ist das ein Thema für den Aufmacher des Lokalteils, eine halbe Zeitungsseite groß.