Empörungs-Getue von Politikern und Journalisten erinnert an: „Geh doch rüber“

19.11.2024 14 Von Axel Schuller

Wir bewegen uns in Richtung einer Gaga-Gesellschaft: Da informiert sich Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) über das neue Buch eines angeblich israelfeindlichen Publizisten – und wird geschmäht. Da hat sich die FDP – wie garantiert die anderen Ampel-Parteien auch – Gedanken gemacht, ob das Land mit dieser Regierung nach vorne gebracht werden kann – und wird niedergemacht. Der vorläufige Höhepunkt: Bundeskanzler Olaf Scholz fordert Russen-Führer Putin telefonisch auf, endlich die Waffen ruhen zu lassen – ist auch nicht recht. Ich fürchte, immer mehr Politiker und Journalisten sind gemeinsam neben der Spur.

bremensogesehen heute ein klein wenig auf „Abwegen“. Ich freue mich, wenn Sie mit mir „gehen“, gerne auch Ihre Sicht als Kommentar darlegen.

Was ist mit unserer Gesellschaft los, dass jetzt schon versucht wird, den Besuch des Innensenators bei einer Buchvorstellung zu skandalisieren? Die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft hatte den Bremer Autor Dr. Michael Lüders zur Vorstellung seines Buches „Krieg ohne Ende“ eingeladen. Mäurer kennt den Bremen-Norder, der vor Zeiten des Mainstream-Journalismus’ für die ZEIT, Radio Bremen und für den Deutschlandfunk gearbeitet hat.

Seitdem Hamas-Terroristen Israelis gemetzelt und Menschen verschleppt haben, seitdem die Israelis ohne Rücksicht auf Menschenleben – wie im Rausch – zurückschlagen, gilt Lüders als „Antisemit“. Nur, weil er die israelische Regierung für deren brutales Vorgehen in Gaza kritisiert. Dabei gibt es auch Israel-Freunde, welche die hohen Opferzahlen in der Zivilbevölkerung ebenfalls bedauern.

Wer heutzutage auch nur zarte Kritik an Israel übt, gilt sofort als Hamas-Freund. Genauso: Wer Bedenken an Waffenlieferungen an die Ukraine äußert, muss sich als Putin-Freund beschimpfen lassen.

Liebe Leserschaft, ich bin jetzt 70 Jahre alt, kann mich aber nur an eine Zeit erinnern, in der ähnlich undifferenziert gedacht und gerichtet wurde. Ich sage nur: „Geh doch rüber.“ Damit wurden alle beschimpft, die in den 70er/80er Jahren Bedenken an negativen Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland ansprachen. Für die Jüngeren: Mit „rüber“ war die DDR gemeint. Diese Vereinfachungen habe ich schon damals als fürchterlich platt empfunden.

Zurück in die Gegenwart: Innensenator Ulrich Mäurer hat – aus Sicht der Bremer CDU und der FDP – den Fehler begangen, Lüders‘ Buchvorstellung im Bürgerzentrum Vahr zu besuchen.

Die Hauptkritik richtet sich dagegen, dass am Ende ein Bild in die Höhe gehalten wurde, auf dem Israels Umrisse mit einem Herz in Palästinenserfarben ausgefüllt war.

Dass Mäurer die Veranstaltung zu diesem Zeitpunkt laut eigenen Angaben bereits verlassen hatte, spielt für seine Kritiker keine Rolle.

Fazit: Wie tief können Bremer Politiker und Medien eigentlich noch sinken, dass sie einem Senator ernsthaft vorschreiben wollen, für welche Bücher er sich zu interessieren hat?

Dass der Ressortchef gute Kontakte zur Jüdischen Gemeinde unterhält, dass er deren Einrichtungen rund um die Uhr bewachen lässt – darüber fällt aktuell kein Wort. Passt ja auch nicht ins EmpörungsGetue.

Noch so ein Ding aus dem Tollhaus der selbsternannten Gesinnungsrichter in Politik- und Redaktionsstuben: Bundeskanzler Olaf Scholz hat Wladimir Putin – erstmals nach zwei Jahren – angerufen und ihn aufgefordert, den Krieg gegen die Ukraine zu beenden. Statt zu fragen, weshalb er Putin nicht regelmäßig anruft und ins Gewissen redet, wird von der Opposition und den meisten Medien nur gegeifert.

Als unpassend empfinde ich dabei die harsche Kritik von Wolodymyr Selenskyj. „Olaf“ habe „die Büchse der Pandora geöffnet“ und Druck erzeugt, dass weitere Länder Friedensverhandlungen fordern würden. Dies schade seinem Land. Seltsame Logik.

Zur Erinnerung: Es ist die Pflicht eines deutschen Kanzlers, das eigene Land vor Schaden zu bewahren. Waffenlieferungen im zweistellige Milliardenumfang und die Aufnahme mehrerer Millionen Kriegsflüchtlinge betreffen eben auch die deutsche Bevölkerung. Selbst wenn die ehemalige Anti-Kriegspartei, die Grünen, meinen, man könne Russland mit westlichen Waffen schlagen.

Ja, ich weiß, über den „richtigen Weg“ zum Frieden gibt es sehr unterschiedliche Ansichten. Aber man muss doch über alle Sichtweisen wenigstens sprechen können, ohne gleich mit Schmähungen überzogen zu werden.

Vorerst letztes Beispiel für das ungute Zusammenspiel von Politik und Medien. Das Ende der Ampel-Regierung einzig der FDP anzuhängen, sie als alleinigen Treiber der Trennung darzustellen, ist schon atemraubend simpel. Die von ZEIT und Süddeutscher in Umlauf gebrachte Lesart, wonach die FDP die Auflösung der Regierung generalstabsmäßig geplant habe, ist zu hinterfragen.

Hätte Lindner die Aussichten der dauer-zerstrittenen-Regierung nicht analysiert, abgewogen und durch eigene Forderungen (nach Neustart der Wirtschaft) untermauert, wäre der Mann ein schlechter Parteivorsitzender. Das ist sein Job.

Erzähl’ mir doch bitte keiner, dass in den Parteizentralen von SPD und Grünen nicht ebenfalls seit Monaten überlegt wurde, wie man notfalls – für den öffentlichen Schein – am günstigsten aussteigen könnte.

Zur Erinnerung: Habeck hatte als erster – ohne jede Absprache – ein wirtschaftspolitisches Wolkenkuckucksheim in die Welt gesetzt. Dann hatte Scholz zu seinem Wirtschaftsgipfel ohne einen seiner Partner eingeladen. Und Lindners Forderungen zugunsten einer wirtschaftlichen Erholung wurden nicht inhaltlich diskutiert, sondern nur als „Provokation“ diskreditiert.

Die der FDP beim Koalitionsende nachgesagten Code-Wörter „D-Day“ und „Torpedo“ hätte ich als politisch interessierter Bürger gerne mal mit Quellen belegt.

Anna Schneider knöpft sich in der „WELT“ ihre Berufskollegen der „ZEIT“ vor. Die hatten ihr Skandalstück ernsthaft mit der Überschrift versehen: „Das liberale Drehbuch für den Regierungssturz“. Die Kollegin der „WELT“ ätzt zu Recht: „Sonst hat man bei gestürzten Regierungen ja eher gewaltsame Ausschreitungen vor Augen, nicht aber Liberale, die ihre Seele wiederentdecken.“

Wenigstens einmal eine andere Sicht…

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller