Empörungs-Getue von Politikern und Journalisten erinnert an: „Geh doch rüber“
Wir bewegen uns in Richtung einer Gaga-Gesellschaft: Da informiert sich Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) über das neue Buch eines angeblich israelfeindlichen Publizisten – und wird geschmäht. Da hat sich die FDP – wie garantiert die anderen Ampel-Parteien auch – Gedanken gemacht, ob das Land mit dieser Regierung nach vorne gebracht werden kann – und wird niedergemacht. Der vorläufige Höhepunkt: Bundeskanzler Olaf Scholz fordert Russen-Führer Putin telefonisch auf, endlich die Waffen ruhen zu lassen – ist auch nicht recht. Ich fürchte, immer mehr Politiker und Journalisten sind gemeinsam neben der Spur.
bremensogesehen heute ein klein wenig auf „Abwegen“. Ich freue mich, wenn Sie mit mir „gehen“, gerne auch Ihre Sicht als Kommentar darlegen.
Was ist mit unserer Gesellschaft los, dass jetzt schon versucht wird, den Besuch des Innensenators bei einer Buchvorstellung zu skandalisieren? Die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft hatte den Bremer Autor Dr. Michael Lüders zur Vorstellung seines Buches „Krieg ohne Ende“ eingeladen. Mäurer kennt den Bremen-Norder, der vor Zeiten des Mainstream-Journalismus’ für die ZEIT, Radio Bremen und für den Deutschlandfunk gearbeitet hat.
Seitdem Hamas-Terroristen Israelis gemetzelt und Menschen verschleppt haben, seitdem die Israelis ohne Rücksicht auf Menschenleben – wie im Rausch – zurückschlagen, gilt Lüders als „Antisemit“. Nur, weil er die israelische Regierung für deren brutales Vorgehen in Gaza kritisiert. Dabei gibt es auch Israel-Freunde, welche die hohen Opferzahlen in der Zivilbevölkerung ebenfalls bedauern.
Wer heutzutage auch nur zarte Kritik an Israel übt, gilt sofort als Hamas-Freund. Genauso: Wer Bedenken an Waffenlieferungen an die Ukraine äußert, muss sich als Putin-Freund beschimpfen lassen.
Liebe Leserschaft, ich bin jetzt 70 Jahre alt, kann mich aber nur an eine Zeit erinnern, in der ähnlich undifferenziert gedacht und gerichtet wurde. Ich sage nur: „Geh doch rüber.“ Damit wurden alle beschimpft, die in den 70er/80er Jahren Bedenken an negativen Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland ansprachen. Für die Jüngeren: Mit „rüber“ war die DDR gemeint. Diese Vereinfachungen habe ich schon damals als fürchterlich platt empfunden.
Zurück in die Gegenwart: Innensenator Ulrich Mäurer hat – aus Sicht der Bremer CDU und der FDP – den Fehler begangen, Lüders‘ Buchvorstellung im Bürgerzentrum Vahr zu besuchen.
Die Hauptkritik richtet sich dagegen, dass am Ende ein Bild in die Höhe gehalten wurde, auf dem Israels Umrisse mit einem Herz in Palästinenserfarben ausgefüllt war.
Dass Mäurer die Veranstaltung zu diesem Zeitpunkt laut eigenen Angaben bereits verlassen hatte, spielt für seine Kritiker keine Rolle.
Fazit: Wie tief können Bremer Politiker und Medien eigentlich noch sinken, dass sie einem Senator ernsthaft vorschreiben wollen, für welche Bücher er sich zu interessieren hat?
Dass der Ressortchef gute Kontakte zur Jüdischen Gemeinde unterhält, dass er deren Einrichtungen rund um die Uhr bewachen lässt – darüber fällt aktuell kein Wort. Passt ja auch nicht ins Empörungs–Getue.
Noch so ein Ding aus dem Tollhaus der selbsternannten Gesinnungsrichter in Politik- und Redaktionsstuben: Bundeskanzler Olaf Scholz hat Wladimir Putin – erstmals nach zwei Jahren – angerufen und ihn aufgefordert, den Krieg gegen die Ukraine zu beenden. Statt zu fragen, weshalb er Putin nicht regelmäßig anruft und ins Gewissen redet, wird von der Opposition und den meisten Medien nur gegeifert.
Als unpassend empfinde ich dabei die harsche Kritik von Wolodymyr Selenskyj. „Olaf“ habe „die Büchse der Pandora geöffnet“ und Druck erzeugt, dass weitere Länder Friedensverhandlungen fordern würden. Dies schade seinem Land. Seltsame Logik.
Zur Erinnerung: Es ist die Pflicht eines deutschen Kanzlers, das eigene Land vor Schaden zu bewahren. Waffenlieferungen im zweistellige Milliardenumfang und die Aufnahme mehrerer Millionen Kriegsflüchtlinge betreffen eben auch die deutsche Bevölkerung. Selbst wenn die ehemalige Anti-Kriegspartei, die Grünen, meinen, man könne Russland mit westlichen Waffen schlagen.
Ja, ich weiß, über den „richtigen Weg“ zum Frieden gibt es sehr unterschiedliche Ansichten. Aber man muss doch über alle Sichtweisen wenigstens sprechen können, ohne gleich mit Schmähungen überzogen zu werden.
Vorerst letztes Beispiel für das ungute Zusammenspiel von Politik und Medien. Das Ende der Ampel-Regierung einzig der FDP anzuhängen, sie als alleinigen Treiber der Trennung darzustellen, ist schon atemraubend simpel. Die von ZEIT und Süddeutscher in Umlauf gebrachte Lesart, wonach die FDP die Auflösung der Regierung generalstabsmäßig geplant habe, ist zu hinterfragen.
Hätte Lindner die Aussichten der dauer-zerstrittenen-Regierung nicht analysiert, abgewogen und durch eigene Forderungen (nach Neustart der Wirtschaft) untermauert, wäre der Mann ein schlechter Parteivorsitzender. Das ist sein Job.
Erzähl’ mir doch bitte keiner, dass in den Parteizentralen von SPD und Grünen nicht ebenfalls seit Monaten überlegt wurde, wie man notfalls – für den öffentlichen Schein – am günstigsten aussteigen könnte.
Zur Erinnerung: Habeck hatte als erster – ohne jede Absprache – ein wirtschaftspolitisches Wolkenkuckucksheim in die Welt gesetzt. Dann hatte Scholz zu seinem Wirtschaftsgipfel ohne einen seiner Partner eingeladen. Und Lindners Forderungen zugunsten einer wirtschaftlichen Erholung wurden nicht inhaltlich diskutiert, sondern nur als „Provokation“ diskreditiert.
Die der FDP beim Koalitionsende nachgesagten Code-Wörter „D-Day“ und „Torpedo“ hätte ich als politisch interessierter Bürger gerne mal mit Quellen belegt.
Anna Schneider knöpft sich in der „WELT“ ihre Berufskollegen der „ZEIT“ vor. Die hatten ihr Skandalstück ernsthaft mit der Überschrift versehen: „Das liberale Drehbuch für den Regierungssturz“. Die Kollegin der „WELT“ ätzt zu Recht: „Sonst hat man bei gestürzten Regierungen ja eher gewaltsame Ausschreitungen vor Augen, nicht aber Liberale, die ihre Seele wiederentdecken.“
Wenigstens einmal eine andere Sicht…
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
Der Anruf von Scholz bei Putin war mit den europäischen Allierten nicht abgestimmt und löste Empörung sowohl in England wie auch in Polen und Frankreich aus. Das war ein innerparteilicher Kotau vor dem linken Flügel ,er sucht Verbündete für seine Nominierung. Man macht keine Aussenpolitik zum Zwecke der Innenpolitik .Ein Einlenken Putins war ohnehin nicht zu erwarten. Erfolgsorientierte Diplomatie geht anders.
Du sprichst mir aus dem Herzen! Wo ist unsere liberale Demokratie geblieben, die im offenen Diskurs gestritten hat – aber selten unterhalb der Gürtellinie argumentierte. Daraus hat sich dann eine politische Meinung gebildet, die oft nicht die eigene war. Aber man durfte weiter argumentieren. Gelegentlich auch mit der Gefahr ins Visier des Verfassungsschutzes oder sogar ins Berufsverbot zu rutschen. Aber das passierte nur in wenigen Fällen und innerhalb klarer Regeln. Der Angeklagte hatte Einspruchs-und Verteidigungsrechte! Das ist heute anders: der Angeklagte wird lustvoll von der Meute zerrissen!! Pfui deibel!!
Da fand ich die Stellungnahme Lindners sehr passend: „Wo ist da die Nachricht?“ Die anderen sind neuerdings ja grundsätzlich empört oder schockiert. Laienschauspieler in allen Parteien. Mir geht es auch sehr gut damit, grundsätzlich auf Politiker-Talkshows zu verzichten.
Dass die Hamas in menschenverachtender Weise viele Menschen geradezu abgeschlachtet und noch mehr als Geiseln genommen hat(viele sind bereits gestorben !) und dass diese Untaten von Palästinensern und deren Sympathisanten auf Demos in vielen deutschen Städten gehuldigt werden, scheint offenbar immer mehr in Vergessenheit zu geraten. Dass sich Israel gegen diese massive Bedrohung von allen Seiten wehrt, ist legitim und auch mit dem Völkerrecht vereinbar. Die Frage ist nur, ob es in dieser brutalen Art und Weise geschehen muß. Auf jeden Fall ist es für Politiker (auch Bremer) angezeigt, bei diesem sehr sensiblen Thema äußerst vorsichtig zu agieren. Als Innensenator und politischer Mensch muß Herr Mäurer das wissen, wenn er eine Einladung der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft oder der Deutsch-Israelischen Gesellschaft erhält !
By the way: Die FDP hat nicht zum ersten Mal eine Bundesregierung platzen lassen!!!
Und: Der Anruf von Scholz bei Putin war taktisch unklug und überflüssig wie ein Kropf !
@Kay Middendorf: Ich setze noch einen drauf. Scholz macht nicht nur einen Kotau vor der SPD-Linken, sondern auch vor einem erheblichen Teil der deutschen Bevölkerung, der ihm vermutlich noch nicht einmal erfolglose Gesprächsversuche mit Putin übernehmen dürfte. Ein weiterer Kotau ist auch seine Weigerung, Taurusse an die UA zu liefern. Auch dieser dürfte ihm Anerkennung bei dem genannten Teil des deutschen Wahlvolkes bringen. Wenn also jedwedes Befolgen des Willens großer Bevölkerungsteile ein Kotau ist, dann herbei mit noch mehr Kotaus. Könnte die SPD bei der BT-Wahl zurück auf die Erfolgsspur führen. Besser als von Dr. Strangelove alias Friedrich Merz in den nächsten großen Krieg geführt zu werden.
@Helmut Detken: Woher nehmen Sie das Wissen, dass jeder, der eine palästinensische Flagge hochhält und/oder sich für Palästinensische Anliegen einsetzt, mit dem Festhalten und Ermorden israelischer Geiseln sympathisiert? Und wenn Sie einräumen müssten, dass Sie das auch nicht so genau wissen: Warum darf dann Herr Mäurer nicht bei einer Buchvorstellung von Herrn Lüders erscheinen, dem man Alles, nur keinen Antisemitismus vorwerfen kann und der sich ansonsten mit dem gesamten arabischen Raum sehr gut auskennt?
Herr Paul : No comment !!! Lassen Sie meine Meinung ´mal so stehen ! Ich will hier kein neues Fass aufmachen ! Viele Grüße HD
Putin ist ein Kriegsverbrecher. Es existiert ein Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofes gegen ihn. Da muss doch der deutsche Regierungschef ihn nicht direkt anrufen. Es gibt andere diplomatische Kanäle. Und der Zeitpunkt ist sowas von peinlich offenkundig. Mittlerweile weiß man, dass die SPD-Linke sich im kommenden Wahlkamp wünscht, als DIE Friedenspartei aufzutreten. Der Anruf ist einzig parteipolitisch erfolgt. Die Kritik daran in Richtung Empörungs-Getue zu schieben finde ich ausserordentlich bedenklich.
Und: wer die Freiheit propagiert, auch Regierungsmitglieder müssten sagen und tun dürfen, was ihnen gerade so einfällt, der sollte dann auch anderen erlauben, sich genau darüber zu empören.
Ich schrieb gestern diese eMail: Guten Tag Herr Lübke und Herr Schäck,
warum treten Sie beide jetzt als sog. Dünnbrettbohrer öffentlich in Erscheinung? Das verwundert. Mögen Sie sich generell nicht möglichst umfassend und vorbehaltlos informieren? Ihre mainstreamige Kritik an Senator Mäurer offenbart das Gegenteil. Schade.
Unabhängig von Bewertungen der historischen Entwicklungen seit 1945, sowie dem aktuellen Krieg in Gaza und der Situation im Westjordanland, muss dringend die Frage erörtert und international geklärt werden: Wo und wie sollen die Palästinenser künftig leben? Haben diese Menschen ebenfalls Existenzrechte – unter welchen Bedingungen?
Was sagen CDU und FDP dazu? Fragt freundlich, Klaus Kellner
Heute (19.11.2024) antwortete eine Fraktionsreferentin der CDU-Bürgerschaftsfraktion mit den üblichen mainstreamigen Darlegungen zu Israel sowie der allseits bekannten Leerformel zur seit langem unrealistischen Zweistaatenlösung. Eine strikte Realitätsverweigung, wie sie bislang von sehr vielen Politikern und Journalisten praktiziert wird. Niemand traut sich öffentlich zu akzeptieren, was ist – um keine Shitstorm-Heuchler zu aktivieren.
@Hartmut Paul: Sie kritisieren HD. Alleine das Hochhalten der palästitinänschen Flagge und die Teilnahme an einer Demo zugunsten dieser ist Gesinnungsausdruck! Vergangenes Wochenende musste ich diese Art von einseitig orientierter Haltung der Palistinener am Marktplatz erleben. Warum beginnen Palistinänser und Israelis nicht auf deutschem Boden – z.B. am Bremer Marktplatz – eine gemeinsamen Friedensdemo? Wenn doch beide Seiten so sehr daran interessiert sind!?
Hier zeigt sich deutlich der neue Zeit,un‘geist:
Kreative Hektik ersetzt geistige Windstille!
Wenn ich es richtig verstehe, geht es nicht um Einzelaspekte des Verhaltens von Mäurer, Scholz oder Lindner, sondern um die Veränderung der Kommunikationskultur. Die von Axel Schuller herangezogenen Beispiele ließen sich erweitern rund um Themen wie Rassismus, Sexismus, Umwelt- und Tierschutz, Mobilität… . Das Gemeinsame: Es geht nicht mehr um eine ergebnisoffene Auseinandersetzung über den richtigen Weg, die Lösung eines Problems, die Suche nach der Wahrheit. Es geht um einen Moralismus, der darauf abzielt, sein Gegenüber zu delegitimieren, dessen Reputation zu beschädigen, einzuschüchtern, mundtot zu machen. Wenn vor diesem Hintergrund das Informieren, Debattieren, Streiten als gefährlich angesehen und vermieden wird, bleibt der demokratischen Grundkonsens auf der Strecke.
Ein Bremer Politiker sollte zu sich nicht von irgendwelchen Leuten Raschläge geben lassen, ob er nun zu Veranstaltungen der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft oder der Deutsch-Israelischen Gesellschaft geht.
Bei beiden Arten von Veranstaltungen wird auch ein Herr Mäurer nicht dümmer.
Dumm sind aus meiner Sicht diejenigen, die gegen Mäurers Besuch pöbeln, sich empören.
Mäurer sollte auf diesen Unsinn gar nicht erst eingehen.
„Ein Bremer Politiker sollte zu sich nicht von irgendwelchen Leuten Ratschläge geben lassen.“
Eine bemerkenswerte Äußerung, Herr Kostar! Fehlt nur noch, dass Sie von einem „deutschen Politiker“ schrieben, dem niemand aus dem gewöhnlichen Volk Ratschläge zu geben habe. Der Deutschlandfunk hat eine Reihe „Sagen und meinen“, in der Floskeln solcher Art analysiert werden.
Und diejenigen, Herr Kostar, die eine andere Meinung als die Ihrige haben, sind „dumm“ und reden „Unsinn“. Ist das Ihre Diskussionskultur?!
Fragt Detlef Eggert