Lob: Senat tritt auf die Personal-Bremse / Aber WK im Schlaf der Selbstgerechten
Liebe Leserschaft, Achtung, bitte festhalten: Ich muss heute den Senat mal loben. Ernsthaft. Nach jahrelanger chaotischer Personalpolitik – ich sage nur: rund 2.000 zusätzliche Stellen im öffentlichen Dienst seit 2018 – hat sich die Landesregierung endlich auf eine Personal-Bremse verständigt. Was ein drohender Sparkommissar des Bundes doch so alles bewirken kann! Außerdem: Die Grüne Umweltsenatorin ist offenbar dabei, die Umzugsträume ihres Ressorts zu beerdigen.
Ich will mich wirklich nicht wiederholen. Aber es muss mal wieder sein: Unsere sich selbst großartig fühlende Lokalzeitung ist erneut im Schlaf der Selbstgerechten versunken.
Das Blatt hatte ja erfreulicherweise sowohl auf den ungebändigten „Personalaufwuchs“ in Behörden als auch auf den geplanten sündhaft teuren Umzug der Umweltbehörde hingewiesen. Aber dann – dann kam nix mehr.
Also mal wieder selbst recherchieren.
Beispiel Stellenvermehrung im öffentlichen Dienst.
Der Senat hat nach früheren erfolglosen Bitten von Finanzsenatoren diese Woche endlich eine „Kommission für zentrale Personalbedarfsplanung“ eingesetzt. Ihr gehören an: Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte (SPD), Finanzsenator Björn Fecker (Grüne) und Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (LINKE). Sie sollen künftig darüber wachen, dass die Fachsenatoren nicht mehr wie in der Vergangenheit munter neue Stellen schaffen – und keiner weiß, wovon die neuen Mitarbeiter künftig bezahlt werden.
Hört sich für Sie nicht so prickelnd an? Beim Weiterlesen werden Sie den Sprengstoff erkennen, der diesem Senatsbeschluss innewohnt. Wobei man sagen muss, dass es am Ende nicht um die Kürzung der absoluten Beschäftigtenzahl geht, sondern um ein Einfrieren derselben. Aber in Bremen wird man mit der Zeit ja genügsam…
Genug des Vorspiels, hier das Zitat aus einer Senatsmitteilung vom 19.11.2024:
„Die Senatskommission hat das Ziel, den Personalbestand in der öffentlichen Verwaltung ab 2025 konstant zu halten. Ausgenommen sind davon die Polizei, Justiz, Steuerverwaltung sowie Schulen und Kitas. (…) Das notwendige Wachstum einzelner Aufgabenbereiche soll durch Abwuchs in anderen Verwaltungsbereichen ausgeglichen werden. Um das zu erreichen, wird für die Personalmenge in der Kernverwaltung eine quotale Einsparung in Höhe von 1,45 Prozent eingeführt. Das entspricht rund 80 Stellen pro Jahr. Diese 80 Stellen stehen zur Verfügung, um auf unabweisbare Mehrbedarfe reagieren zu können und die bürgernahen Dienste zu stärken. Die Ressorts müssen ihre Bedarfe anhand einheitlicher Vorgaben begründen. Die Senatskommission beschließt über die Verteilung der Stellen.“
Fecker hatte sich mehrfach ein fehlendes Vetorecht bei Stellenschaffungen beklagt. Jetzt kriegt er es zumindest im Rahmen einer neuen „Dreier Bande“.
Der Bremer Etat fürs kommende Jahr wird dadurch nicht zwangsläufig besser. Aber die Regelung lässt hoffen, dass sich der Öffentliche Dienst nicht mehr amöbenmäßig vermehrt.
Das zweite (Halb-)Lob gebührt Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf (Grüne). Sie hat sich offenbar eines Besseren besonnen, will ihre Behörde womöglich nicht mehr im schicken, aber teuren Wesertower unterbringen. Womöglich, schauen wir mal.
Der WK hatte zwar über die schaurig teuren Pläne berichtet. Aber nicht, wie es nach Moosdorfs zweiten erfolglosen Vorstoß im Senat weiterging.
Dem Rechercheur ist bekanntlich nix zu schwör. Also Anfrage an die Pressestelle der Umweltbehörde: „Hallo Frau.., hat sich an den Umzugsplänen Ihres Ressorts inzwischen etwas geändert? Ich hörte, dass das Thema nicht zum dritten Mal im Senat war.“
Antwort: „Wir prüfen derzeit, wie eine gute Lösung für die Mitarbeiten hinzubekommen ist.“
Für Optimisten klingt das nach: Umzug in ein nahezu doppelt so teures Bürogebäude ist abgeblasen. Jetzt werden andere, günstigere Räume gesucht.
Liebe Leserschaft, bitte sehen Sie mir noch einen (vorerst letzten) Hinweis auf unserer – zumindest wegen der Todesanzeigen – begehrten Lokalblattes nach.
Das Interview der Chefredakteurin Silke Hellwig mit Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD) am vorigen Wochenende eignet sich für die Journalisten-Ausbildung – wie man’s nicht macht. Die Fragen waren mitfühlend, teilweise geradezu liebedienerisch. Sozialdemokraten mögen vor Rührung dahingeflossen sein. Leserinnen und Leser mit analytischem Verstand und Wissen um die Wirklichkeit aber eher verständnislos mit dem Blatt gehadert haben. Frau Aulepp durfte Maßnahmen ernsthaft als etwas Besonderes preisen, die in Hamburg seit Jahren erfolgreich angewendet werden. Beispiel: jeden Tag in der Schule vorlesen und lesen.
Mit diesem Interview hat die Redaktionschefin sich selbst, ihrem Verlag und der schreibenden Zunft keinen Gefallen getan. Bin mal gespannt, ob die Kollegin die Größe aufbringt, etwaige negative Leserbriefe zu veröffentlichen (einer liegt mir vor).
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
P.S.: Damit Sie meine Kritik an dem Aulepp-Interview inhaltlich besser nachvollziehen können, dokumentiere ich den (bislang vom WK unveröffentlichten) Leserbrief eines ehemaligen Bremer Spitzenbeamten (Senatsdirektor) in einem Extra-Stück. Prädikat: Sehr lesenswert.
Dass der Senat auf die Personalbremse tritt, wird auch allerhöchste Zeit, da es im öffentlichen Dienst (natürlich) unglaublich viele Ausfälle und MIßbräuche gab und auch noch gibt. Ich habe es persönlich sehr oft erlebt, dass z.B. Mitarbeiterinnen des öffentlichen Dienstes mittags für etwa 3 Stunden zum Einkaufen gingen, vollbepackt zurückkamen und um 5 Minuten vor 17.00 h vor dem Arbeitszeiterfassungsgerät standen, um Punkt 17.00 h die Behörde zu verlassen. Bei entsprechenden Nachfragen bei der Hausspitze (Senator/Senatsdirektor) wurde auf den Personalrat verwiesen, den man nicht verärgern wollte.So haben sich die Kompetenzen in Bremen leider verändert ! Ein (negatives) Beispiel mehr die Personalpolitik der Bremer Senate betreffend !
Auch wenn beim WK vieles im Argen liegt (siehe u. a. meine Blog-Leserkommentare vom 3. Oktober und 9. November), möchte ich die Lokalredaktion ausnahmsweise mal loben: Im heute erschienenen Bericht über die Aufstellung der CDU-Landesliste für die nächste Bundestagswahl ist die Zeitung nicht auf eine falsche Prozentzahl hereingefallen, die von der CDU-Pressestelle verbreitet worden war. Laut deren Mitteilung hatten die Parteidelegierten die Bremerhavenerin Sandra Schmull auf Platz 2 der Landesliste gesetzt, angeblich mit „98,1 Prozent der Stimmen“. Dazu muss man wissen, dass die CDU bei ihrer Prozentrechnung alle Enthaltungen unter den Tisch fallen lässt, so dass sie z. B. ein Wahlergebnis mit 90 Ja-Stimmen und 10 Enthaltungen als 100-prozentige Zustimmung bezeichnen würde. Dem zuständigen WK-Redakteur war diese Problematik offenbar bewusst; jedenfalls besorgte er sich das genaue Abstimmungsergebnis einschließlich Enthaltungen, rechnete eigenständig nach und kam auf 97,3 statt 98,1 Prozent Zustimmung. Das ist zwar kein großer Unterschied, aber zeigt, dass der WK zumindest in diesem Fall seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist.
Danke, Herr Stengel, für dieses auf Besserung hoffen lassende Beispiel journalistischer Akribie.😂 Das entschädigt doch glatt für das völlig uninformative Interview mit Frau Aulepp.
@Eckhard Stengel: Leider ist das nicht so. Enthaltungen werden nie mitgezählt. Damit ist das von der CDU mitgeteile Ergebnis richtig und vom WK falsch.
Eine Erklärung liefert eine KI sehr schnell.
Somit ist das eher ein Negativbeispiel für den WK.
@Frank Schnieders: Selbstverständlich werden Enthaltungen normalerweise mitgezählt. Im SPD-Organisationsstatut z. B. steht:
„§ 7 Wahl eines Parteiamtes/Einzelwahl: (1) Ist ein Kandidat oder eine Kandidatin oder sind mehrere
Kandidaten und Kandidatinnen für eine Funktion aufgestellt, so ist gewählt, wer die Mehrheit der gültigen
Stimmen erhalten hat. Stimmenthaltungen sind gültige Stimmen.“
CDU/CSU und AfD sind die einzigen Bundestagsparteien, bei denen Enthaltungen bei der Ermittlung der Mehrheit unberücksichtigt bleiben und auch gegenüber der Öffentlichkeit meist verschwiegen werden. Bei der CSU gelten sie sogar als ungültige Stimmen. Rechtlich ist das Nichtberücksichtigen von Enthaltungen zwar in Ordnung, denn Union und AfD richten sich dabei offenbar nach dem Vereinsrecht, das ebenfalls eine solche Regelung enthält (die aber per Satzung geändert werden darf). Aber: Wer die Enthaltungen unter den Tisch fallen lässt, bildet nicht korrekt ab, wie viel Prozent der Abstimmenden tatsächlich für einen Kandidaten gestimmt haben. Ausführlicher habe ich über dieses Thema 2021 in meinem Buch „Bremer Rundschau“ und 2016 auf dem Portal uebermedien.de berichtet: https://uebermedien.de/5148/schoener-prozentrechnen-mit-der-union/
Nachtrag @Frank Schnieders: Bitte trauen Sie keiner Künstlichen (Un-)Intelligenz, ohne das behauptete Ergebnis selber zu überprüfen. Ich habe mal die KI-Version „ChatGPT-3.5“ getestet und sie zum „Bremer Gänseliesel“ befragt (das es bekanntlich nicht gibt). Statt meine Falscheingabe zu erkennen und zu korrigieren, phantasierte die KI wild drauflos. Je nach Formulierung meiner Anfragen kam zum Beispiel heraus: „Es ist ein Symbol für die Jugend und die Unschuld und wird oft mit der Tradition des Gänselieselsprungs während des Freimarkts in Verbindung gebracht.“ Gänselieselsprung? Gut erfunden! Oder: „Die Statue stellt eine Gans dar, die auf dem Rücken eines Esels steht, der wiederum auf einem Hund steht, der auf einem Katzenkopf balanciert.“ Offenbar eine Anspielung auf die Stadtmusikanten, die aber keineswegs solche akrobatischen Leistungen vollbracht haben. Als Erschaffer der angeblichen Gänseliesel-Statue wurde einmal die „Bildhauerin Gerhard Marcks“ genannt, ein anderes Mal ein nicht existenter „Heinrich Wiegand“. Und als ich die KI zu frei erfundenen Politiker-Namen befragte, lieferte sie prompt die angeblichen Lebensdaten und Amtszeiten: „Werner Bier lebte von 1890 bis 1959. Er war von 1945 bis 1946 Bürgermeister von Bremen.“ Erst bei meiner Anfrage zu den Lebensdaten von „Werner Bölkstoff“ erkannte die KI: „Der Name ‚Werner Bölkstoff‘ ist wahrscheinlich fiktiv und stammt aus der deutschen Comicreihe ‚Werner‘ von Rötger Feldmann, auch bekannt als Brösel.“