Bremen will häufig mehr als es kann – Psychiatrie-Reform, Inklusion, Martinshof

05.01.2025 6 Von Axel Schuller

Es ist allmählich zum Heulen. Bremen nimmt sich immer wieder mehr vor, als es leisten kann. Jüngstes Beispiel: Die Psychiatriereform und deren Umsetzung. Da heuert die städtische GeNo einen Psychiatrie-Chef an, der sich im Vorfeld eindeutg als Verfechter einer „zwangsarmen Psychiatrie“ positioniert hat. Er sollte die bereits 2013 beschlossene Bremer Reform vorantreiben. Aber erst 2021 nach Anstellung des Experten stellte man fest, dass die mit großem Bohei beschlossenen neuen Psycho-Regeln an der Realität scheiterten.

Benjamin Piel (40), neuer Mit-Chefredakteur des Weser-Kuriers, hat sich in der Wochenend-Ausgabe des Blattes zwar als Freund des Positives vorgestellt. Dafür gebührt ihm Dank. Doch leider liegt – bei aller Freude am Guten – in Bremen aktuell manches im Argen.

Beispielsweise die Psychiatrie. Wissenschaftler hatten Bremens Parlamentsmehrheit erfolgreich eingeredet, psychisch Kranke müssten überwiegend frei sein, auch in ihren Entscheidungen – und dürften bloß in ganz besonderen Extrem-Fällen ohne ihre Zustimmung ruhiggestellt werden. Für eine Fixierung ist ohnehin die richterliche Zustimmung notwendig.

Bremens bisheriger Psychiatrie-Chef Dr. Martin Zinkler wurde mit der ausdrücklichen Maßgabe eingestellt, er solle die Reform in die Praxis umsetzen. Bremen wollte – mal wieder – Vorreiter einer Entwicklung sein.

Das Fachblatt „Eppendorfer, Zeitung für Psychiatrie“ hatte 2021 das frühere Wirken des Arztes in seiner früheren Position wie folgt beschrieben: „Dr. Martin Zinkler gilt als explizit betroffenennah und steht für eine zwangsarme Psychiatrie. 2017 berichtete er in einer Anhörung, dass in seiner Klinik seit 2011 nur eine Zwangsbehandlung durchgeführt worden sei.“  

Doch als die „zwangsarme“ Methode mit Wucht auf die Realität traf, stellte sich die Welt in Bremen anders dar. Speziell die Bremer Polizei staunte angesichts der neuen Praxis im Zentralkrankenhaus Ost.

Die Beamten „sammelten“ immer wieder psychisch schwerst Gestörte ein, die in ihrem Wahn andere Menschen körperlich bedroht hatten. Oder: Die Polizei bewahrte Kranke vor ihrem SelbsttodAll diese sich selbst oder andere Gefährdenden wurden ins Klinikum Bremen Ost gebracht, damit die Psychiater ihnen helfen mögen.

Doch häufig begegneten einige dieser abgelieferten „Kunden“ der Polizei kurz darauf erneut in der Stadt.

Der Grund: Die „gewaltfreie“ Psychiatrie setzte überwiegend auf das freiwillige Mittun der Kranken. Viele von denen waren aber offenbar nicht in der Lage, Entscheidungen für sich und ihre Mitmenschen zu treffen – und ließen sich von der Klinik nach Hause entlassen.

Im Dezember hat GeNo-Chefin Dr. Dorothea Dreizehnter endlich die Notbremse gezogen und sich von dem Chefarzt getrennt. Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard hat in diesem Zusammenhang keine starke Rolle gespielt: Sie schwieg, obwohl sie Aufsichtsratschefin der GeNo und oberste Gesundheitspolitikerin des Landes ist. Schwach.

Nach Zinklers Abgang ist jetzt die Bremer Politik gefragt. Die offensichtlich überdrehte „zwangsarme Psychiatrie“ muss modifiziert werden. Ansonsten gerät Winklers Nachfolger womöglich ins gleiche Fahrwasser wie der bisherige Chef.

Zurück zum Ausgang, zu Bremens unbändigem Wunsch, vorneweg zu marschieren. Dieses Phänomen ist auch beim Thema Inklusion zu beobachten. Bremen hat als erstes Bundesland volle Kanne auf die Inklusion in Schule und Kita gesetzt. Die UNO proklamiert zwar den gemeinsamen Unterricht von Behinderten und Nicht-Behinderten. Dafür müssen aber bestimmte Rahmenbedingungen eingehalten werden. Dazu gehört beispielsweise, so viel Fachpersonal vorzuhalten, dass a l l e Kinder nach ihren Fähigkeiten gefördert werden können.

Obwohl diese Voraussetzungen in Bremen nicht gegeben sind, wollen die Bildungspolitiker weiter „mit dem Kopf durch die Wand“.

Mit leider negativen Auswirkungen für betroffene Kinder.

Ähnliches droht aktuell in der Werkstatt Bremen, besser bekannt als Martinshof. Dort will man geistig und körperlich beeinträchtigte Männer und Frauen mit Macht in den ersten Arbeitsmarkt bringen; preist dies sogar als das Zukunftsmodell.

Wirtschaftlich agierende Betriebe sind heutzutage jedoch so sehr auf Effizienz getrimmt, dass leistungs-eingeschränkte Mitarbeiter m/w fast immer durchs Raster fallen. Deshalb sollte sehr genau hingeschaut werden, welcher Behinderte (im Einzelfall) im allgemeinen Arbeitsmarkt wirklich bestehen kann – ohne unglücklich zu werden.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller