Von Moral und Geschäft – Eisenbahnwaggons, Nazis und Bremer Regierungsparteien

12.01.2025 8 Von Axel Schuller

„Als Moral werden die Werte und Regeln bezeichnet, die in einer Gesellschaft allgemein anerkannt sind. Wenn man sagt, jemand hat „moralisch“ gehandelt, ist damit gemeint, dass er sich so verhalten hat, wie es die Menschen richtig und gut finden“ – lehrt die Bundeszentrale für Politische Bildung. Soweit die Theorie.

Bremen ist zuweilen etwas sonderbar. Hier bereitet die nach Eigendefinition Arbeitnehmerpartei SPD einem Konzern das Feld, mit dem sich die IG Metall bundesweit gerade fetzt. Hier rollt der SPD-dominierte Senat einem französischen Konzern (für vermutlich 50 Arbeitsplätze) den roten Teppich aus, dessen Wurzeln – zumindest in Deutschland – auf eine Firma zurückgehen, bei der Juden und sowjetische Zwangsarbeiter aus dem KZ Groß Rosen schuften mussten. Die Krönung: Ausgerechnet dieser Konzern soll in Bremen auf dem zentralen sowjetischen Gräberfeld („Russenfriedhof“) bauen. Stehen in Bremen noch alle Tassen im Schrank?

Liebe Leserschaft, ja es geht noch einmal um die geplante Bahnwerkstatt des französischen Eisenbahnkonzerns Alstom.

Aktuell lässt sich sagen: Noch klemmt der Bau in Oslebshausen. Zunächst muss die bremische Verkehrsbehörde das Planfeststellungsverfahren abschließen. Zu den öffentlichen „Einwendern“ zählt – hört, hört – die Handelskammer Bremen.

Allmählich keimt – na endlich – auch in Betrieben aus dem Industriehafen sowie dem Holz- und Fabrikenhafen die Unsicherheit. Nämlich darüber, ob alle Firmen am Wasser nach Bau der Bahnwerkstatt noch uneingeschränkt von Güterzügen erreicht werden können. Auch die Stahlwerke dürften betroffen sein. Immerhin ist das Hafengebiet nur eingleisig an die Strecke Bremen-Bremerhaven angeschlossen. Würde mich nicht wundern, wenn sich im Hafen doch noch Protest regen würde.

Zurück zu Alstom. Der Laden steht in Deutschland massiv unter Druck.

Quer durch die Republik und in Europa hat die Firma große Probleme mit Städten und Verkehrsverbünden. Grund: Alstoms rührige Verkaufsabteilung hat häufig dicke Backen gemacht, kann aber nicht pfeifen. Sprich: Der Konzern verhökert mehr Züge und Waggons als er termingerecht liefern kann.

Hier ein Auszug verschobener Liefertermine (Daten des Bekanntwerdens):

Expresskreuz Bremen/Niedersachsen (Bremen, Hannover) (19.11.2024); Kölner Straßenbahn (21.11.2024); BadenWürttemberg (21.11.2023); Dänemark (01.12.2023); Zürich Straßenbahnen (29.04.2022); U-Bahn Lille (29.11.2023); Frankfurt Straßenbahn (10.01.2024); Berlin Straßenbahn (16.05.2023); Rhein-Main (25.07.2022); Chemnitz-Leipzig (22.04.2024); Wien Straßenbahnen (02.02.2023).

Diese Lieferprobleme belasten die Reputation des Konzerns massiv. In Bremen und Niedersachsen sind Verkehrsplaner mittlerweile mehr mit der Suche nach Ersatz-Fahrzeugen für die ausbleibenden Alstom-Züge beschäftigt als mit der viel beschworenen Verkehrswende. Wenn es ganz blöd läuft, stehen ab Dezember allein in Bremen und Niedersachsen 40.000 Pendler ohne Züge da.

Apropos Reputation: Gewerkschaftsforderungen sind – wie Sie wissen – für mich keineswegs immer überzeugend. Aber: Wie der französische Konzern mit seinen Arbeitnehmern in Deutschland umspringt, ist nicht die feine Art. Die Unternehmens-Spitze und die Arbeitnehmer-Vertreter hatten sich auf einen Beitrag der Beschäftigten zur Konsolidierung des Unternehmens geeinigt: Arbeitsplatz-Erhalt gegen Verzicht auf Urlaubsgeld.

Nach der Ankündigung, in mehreren Betriebsteilen dennoch Stellen streichen zu müssen, hat die IG Metall den entsprechenden Vertrag mit Alstom gekündigt, fordert die Gelder für die Arbeitnehmer zurück.

In diesem Zusammenhang lohnt ein Blick nach Bremen: Hier hat der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, Volker Stahmann, noch jüngst den Bau der Alstom-Werkstatt verteidigt. Stahmann, muss man wissen, gehört nicht nur der Bremischen Bürgerschaft an, sondern steht auch auf der Gehaltsliste der IG Metall Bremen. Kleiner Tipp, Herr Stahmann: Ihre IGM-Kollegen in mehreren betroffenen Bundesländern sind bestimmt telefonisch erreichbar…

Merkwürdig auch: Selbst die Tatsache, dass auf dem künftigen Werkstatt-Gelände 66 komplette Skelette und Überreste russischer und ukrainischer Zwangsarbeiter sowie Kriegsgefangener gefunden wurden, hält nicht einmal (die sonst angeblich so geschichtsbewusste) Linke in Senat und Bürgerschaft sowie häufig moralisierende Grüne davon ab, genau dort die Werkstatt zu planen.

Dazu ein kurzer historischer Abriss, den die rührige Bürgerinitiative für Oslebshausen Abgeordneten zugesandt hat.

ZITAT:

„Die Ansiedlung ausgerechnet einer BAHNwerkstatt und auch noch des Unternehmens Alstom ist verwerflich und in moralischer Hinsicht unannehmbar. Alstom Deutschland firmierte bis 1996 als Linke-Hofmann-Busch. Das Unternehmen hat selbst Zwangsarbeiter beschäftigt (…). Linke-Hofmann-Busch hat einen Großteil der Güter- und Viehwaggons im Dritten Reich hergestellt, mit denen die menschenverachtende Logistik der Nazis erst ermöglicht wurde. Diese Fahrzeuge sind das Symbol von Verschleppung, Vertreibung und die Todesfahrten zu den Konzentrations- und Vernichtungslagern.“

ZITAT Ende

Wirklich trickreich ist da der Antrag des Beirates Gröpelingen an die Bremische Bürgerschaft, die Adresse (der geplanten Bahnwerkstatt) von „Reitbrake“ in „An der Kriegsgräberstätte“ zu ändern.

Wem dies spinnert erscheint, der sei daran erinnert, dass die Stadt Kühne + Nagel damit traktiert hat, direkt neben dem Verwaltungsneubau an der Wilhelm-Kaisen-Brücke ein Mahnmal zu dulden, mit dem auf Kühne + Nagels Vorteile während der Nazi-Herrschaft hingewiesen wird.

Am 27. Januar werden Vertreter von Parteien und wichtigen gesellschaftlichen Gruppen bestimmt wieder gemeinsam und tief betreten den „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ begehen – während die Werkstatt-Planung auf dem ehemaligen Gräberfeld sowjetischer Zwangsarbeiter voranschreitet. Ist das nicht ein bisschen bigott?

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller