Dokumentation – Ein Winzer packt aus. Unfassbarer Bürokratie-Irrsinn im Detail

14.01.2025 6 Von Axel Schuller

Alle sind sich einig – bis auf die Bürokraten selbst. Unternehmer, Politiker und Bürger m/w fordern händeringend: Schneidet die Bürokratie zurück! Was verbirgt sich – ganz praktisch – hinter diesem Begriff? Welche Auswirkungen hat Bürokratie? Ein Winzer hat seinem Frust darüber jüngst im Newsletter an seine Kundschaft Luft gemacht. Der Mann schreibt so anschaulich, dass man Mitleid bekommt – und Zorn auf den eher wachsenden statt kleiner werdenden Moloch „Bürokratie“.

Übrigens: Ich vermute, derartige staatliche Vorschriften sind – graduell unterschiedlich – in allen 16 Bundesländern anzutreffen. Mein Tipp: Halten Sie bis zum Schluss durch.

Hier der Bericht des Winzers Jochen Kreutzenberger vom gleichnamigen Weingut in Kindenheim (Rheinland-Pfalz). Er schreibt in seinem Newsletter, den mir ein Freund zukommen ließ:

ZITAT Anfang

Und da wäre noch die Buchhaltung:

„Anfang des Jahres, aber auch zwischen den Jahren sitze ich tagelang im Büro, denn es gibt mittlerweile extrem viel Bürokratie:

Die November Verkaufsbilanz muss bis zum 6. Januar beim Steuerbüro sein, d.h. sämtliche: Einnahmen (EC, Kasse, Überweisungen und Außenstände) im laufenden Monat ermitteln, verkaufte Flaschenzahlen ermitteln, Probeflaschen ermitteln und diese Zahlen müssen dann für jede Sorte im Kellerbuch abgeschrieben werden, um einen korrekten Monatsendbestand für jede Sorte zu erhalten. Auch die Ausgabenrechnungen müssen alle chronologisch geordnet werden. Bis zum 10. Januar muss der Mehrwertsteueranteil bei der Finanzkasse eingegangen sein.

Das „Duale System“ (Eingabefrist: 10. Januar) braucht die vorläufige Schätzung der von uns in Umlauf und zur Entsorgung geschätzten Menge an Glas, Kartonagen und Aluminium für das Jahr 2025. Diese Zahlen müssen an einen „Entsorger“ des Dualen Systems mitgeteilt werden, aber nicht nur das, es muss eine zweite Meldung bei dem Entsorgungsregister LUCID abgegeben werden, damit jeder Verbraucher nachsehen kann, dass wir für die Entsorgung unserer „Abfälle“ auch bezahlen. Dieser Betrag ist im Voraus zu bezahlen, bzw. ist schon als Vorkasse abgebucht.

Die Traubenerntemeldung aus eigenen Erzeugnissen ist bis zum 15.Januar bei der Landwirtschaftskammer Rheinland Pfalz abzugeben. Das bedeutet, dass die Erntemenge von jedem Wein, von jeder Rebsorte tabellarisch erfasst werden muss, dazu muss aber erst das Kellerbuch vollständig geschrieben sein, damit man die Mengen (ohne Hefe) ermitteln kann. 

Im Kellerbuch werden für jeden Wein 2 komplette Seiten zur Dokumentation eines jeden Arbeitsschrittes in der Weinbereitung (mit Datum) bereitgehalten. Jeden Monat werden hier auch die abgehenden Flaschenbestände erfasst. Weinerzeugungsmeldung aus fremden Erzeugnissen und Meldung der Abgabe, wenn man Trauben hinzukauft, ist für diese Menge eine extra Meldung abzugeben (Frist 15. Januar)

Gesonderte Berechnung der Gesamt-Hektarerträge (GHE) (Frist 15.Januar) hier müssen wir die geerntete Menge der gesamten Fläche mit der zur Verfügung stehenden Vermarktungsfläche vergleichen und dabei auch die verschiedenen Kontingente der verschiedenen Qualitätsgruppen mit berücksichtigen. 

Zum Beispiel darf man für die Erzeugung von Traubensaft mehr Trauben ernten als für die Erzeugung von deutschem Qualitätswein. Auch diese Meldung muss bei der Landwirtschaftskammer fristgerecht eintreffen.

Achtung: Für deutschen Wein (also ohne das Vorwort Qualitäts-!) gilt: Dieser wird nicht geprüft und ist oft beim Discounter erhältlich; hier darf auch mehr Menge pro Fläche geerntet werden! 

Bei uns sucht man das vergeblich, deutscher Wein bedeutet, dass oftmals Weine aus allen Anbaugebieten gemischt werden dürfen (das weiß auch fast kein Verbraucher…)

Die gesonderte Berechnung der Zusatz-Abwassergebühren ist bis zum 15. Januar bei der Verbandsgemeinde einzureichen. Hierzu müssen die Flächen für Erzeugung von Flaschenwein, Fasswein unter Einbeziehung des Alters der Anlage (Jungfelder) aufgeteilt werden, denn je nach „Vermarktungsart“ fallen für den Flaschenwein deutlich höhere Abwasserkosten an.

Bestimmt habe ich noch einiges vergessen. Gerade denke ich an die Versprechen, die bei den Bauernprotesten vor einem Jahr gemacht wurden, insbesondere ging es um die Entbürokratisierung.

Das Resultat: Die Agraröl-Verbilligung wurde schleichend abgeschafft. Und ganz im Gegenteil: Gerade die kleinen steuerlich pauschalierenden Bauern und Winzer – so wie wir – werden nun durch eine Erhöhung der Abgabe des Mehrwertsteueranteils stärker zur Kasse gebeten. 

Und nun kommt der Hammer: Die erste Erhöhungsstufe der Abgabe wurde in einer Nacht- und Nebelaktion von der noch aktiven Ampel sehr schnell und entschieden umgesetzt

Statt eine Erhöhung zum 1. Januar zu beschließen, wurde eine Erhöhung der Abgabe der Mehrwertsteuer um 0.4 Prozentpunkte bereits zum 4. Dezember festgesetzt, (also im laufenden Monat!!!). Das bedeutet, dass alle Einnahmen nach Datum getrennt erfasst werden müssen, alle Rechnungen, alle Außenstände usw. – das ist ein großer bürokratischer Irrsinn!

Die nächste Erhöhung der Abgabe ist nun am 1. Januar auch noch in Kraft getreten. Innerhalb von 4 Wochen müssen wir nun 3 verschiedene Mehrwertsteuersätze berücksichtigen. Wer denkt sich so eine Sch… aus?

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass man entgegen aller Versprechen auf eine kleinbäuerliche Struktur keinen Wert legt. Gut, wenn die Bauern sterben (es hören im Moment eine Menge Winzer auf, da Sie keine Zukunftsperspektive sehen, die freiwerdenden Flächen werden von den noch aktiven Winzern nicht mehr aufgenommen, da die Bewirtschaftung der Fläche zu keinem Gewinn mehr führt.

Und bei den „Großen“ fehlt es auch an willigen kompetenten Arbeitskräften. Der zum 1. Januar erneut gestiegene Mindestlohn und die nicht kostendeckenden Fassweinpreise bereiten den angeschlagenen Winzern (meist Fassweinwinzer) weitere Probleme. Die Lage ich der Weinbranche ist ernst. (…) 

Wenn man diesen ganzen Büro-Irrsinn sieht, so viele Stunden am Schreibtisch – wie viele Reben hätte ich wohl in der gleichen Zeit schneiden können!“

ZITAT Ende

Liebe Leserschaft, ich weiß, das war jetzt viel Text. Ich habe den Winzer Jochen Kreutzenberger so ausführlich zu Wort kommen lassen, damit Sie künftig besser nachvollziehen können, weshalb Klein-Unternehmer (und andere) über die überbordende Bürokratie schimpfen.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller