WK-Blattkritik I – ist das noch Journalismus, oder kann das weg?
Ehrlich, ich habe mich mit Macht innerlich gewehrt. Aber heute kann ich nicht anders: „Blattkritik“. So nennt man es, wenn Redaktionen morgens zusammensitzen und die Arbeit vom Vortrag selbstkritisch anschauen. Bei Weser-Kurier – so nehme ich optimistisch – an, gab es am Dienstag eine Menge zu besprechen.
Einige Geschichten des Blattes haben mich mal wider (fast) sprachlos gemacht. Zum Glück sind das Ausreißer, nur unterirdische Einzelteile. Blöd nur, dass die sich in eigentlich jeder Ausgabe befinden.
Wenn Sie, geneigte Leserschaft, Lust haben, schauen wir uns die Titelseite vom Dienstag an. Da prangt der Aufmacher „Bremen weiter ohne Online-Zulassung“. Auf geschätzt 100 Zeilen wird dargelegt, warum das in Bremen – mal wieder – mit der online-Autozulassung nicht klappt – immer fein aus Sicht der in dem Fall versagenden Innenbehörde.
Der Kern des Übels – die meisten der 11.000 Kommunen betreiben eigene, meist nicht kompatible Online-Systeme – fehlt in dem Werk. Auch, dass Bremen und viele andere Städte sowie Landkreise gepennt haben. Statt die Sicherheitsvorrichtungen ihrer Betriebssysteme zu vereinheitlichen und sich damit bundesweit für Dienste wie die Bundes-online-Autoanmeldung fit zu machen – Fehlanzeige. Unterm Strich: Ein Artikel, der aufmerksame Leser etwas ratlos zurücklässt.
Bleiben wir auf der Titelseite. Da kommt der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen Stephan Kramer ausführlich zu schrillen Tönen während des AfD-Bundesparteitages zu Wort. Kann man machen. Aber dann erwarte ich bei nahezu 60 Zeilen einen klitzekleinen Hinweis auf den politischen Hintergrund dieses Präsidenten. Selbst bei „Wikipedia“ heißt es: „Stephan Kramer… ist ein deutscher politischer Beamter (SPD, zuvor FDP, zuvor CDU). Er war von 2004 bis Januar 2014 Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland“.
Mir geht es nicht um die AfD, deren Aussagen oder Ziele. Ich empfinde aber eine derart unvollkommene Berichterstattung einfach als Frechheit. Über den Verfassungsschutz – wenn er sich über Rechts- oder (selten genug) über Links-Extreme äußert, vermitteln Journalisten heutzutage den weltentrückten Eindruck, als sei der Verfassungsschutz unabhängig.
Verfassungsschützer sind stets Regierungen unterstellt, mithin nicht unabhängig!
Weiter in der Blattkritik: Der Bericht über die FDP-Kundgebung mit Christian Lindner war kein Bericht, sondern stark meinungsgefärbt („politischer Marktschreier“).
Zum Glück stand auf der Seite ein Interview des neuen Chefredakteurs Benjamin Piel mit Lindner. Dieses hat ob der sachlichen Fragen teil-versöhnt.
Was ich aber nicht verstehe: Weshalb eifert Piel jetzt dem Journalistenunfug nach, das Alter seines Gesprächspartners wegzulassen. Hat er das beim Mindener Tagblatt auch gemacht, oder hat er sich bereits an Tag 14 an seiner neuen Wirkungsstätte seiner Chefin unterworfen? Silke Hellwig bevorzugt es, Gesprächspartner „alterlos“ zu lassen. Und Chefin ist sie laut Impressum weiterhin. (V.i.S.d.P) steht hinter Hellwigs Namen und bedeutet: Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes.
Verantwortlich ist ein gutes Stichwort. Im Sportteil „berichtet“ der WK über die Sixdays. Die Überschrift lautet: Mehr Zuschauer als im Vorjahr – ohne Anführungszeichen. Im Text findet sich folgender Satz: „Zwar mochten die Veranstalter keine konkreten Zuschauerzahlen nennen…Aber immerhin soviel wurde am Montag bekanntgegeben: Es seien mehr Zuschauer da gewesen als im Vorjahr.“
Ist das noch Journalismus, oder kann das weg?
Diese Art undistanzierter Lobhudelei war bereits beim Thema Anschießen der Sixdays wahrzunehmenzu. Dass Innenministerin Nancy Faeser die Sixdays zusammen mit zwei anderen Frauen zur Knall-Pistole greifen würde, garnierte der WK mit dem Hinweis, dass die Ministerin „eigens dafür nach Bremen reise“. Kein Wort zum Megaaufwand von Personenschützern und Polizei, die Frau für den Minuten-Auftritt zu schützen. Kein Wort zu aufkommenden Buh-Rufen, als sie auf der Bahn stand – welche die Regie mit lauter Musik zu übertönen versuchte.
Genug der Blattkritik. Ich hoffe, dass die vorgenannten Punkte – bitte, bitte – in der Redaktionskonferenz vom Dienstag eine Rolle gespielt haben mögen.
Sicher bin ich freilich nicht.
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
P.S.: Heute finden Sie auf meiner Seite bremensogesehen zusätzlich eine Doku. Ein Winzer hat die irrsinnigen Auswirkungen der Bürokratie auf seinen kleinen Betrieb so anschaulich beschrieben, dass ich ihn umkommentiert zu Wort kommen lasse. (siehe: „Dokumentation – ein Winzer packt aus. Unfassbarer Bürokratie-Irrsinn im Detail“). Prädikat: Sehr lesenswert.
Lieber Herr Schuller, weshalb es journalistisch Unfug ist, das Alter eines Gesprächspartners – zumal eines so gut bekannten wie Herrn Lindner – wegzulassen, bzw. journalistisch geboten, das Alter zu nennen, erschließt sich mir nicht auf Anhieb. Ich würde auch nicht wissen wollen, wie groß oder schwer der Gesprächspartner ist. Können Sie mir da weiterhelfen?
Sie schreiben mir aus der Seele.
@ Herrn Paul: Ich (70) habe während meiner Ausbildung zum Journalisten gelernt: Ein Name im Blatt besteht grundsätzlich aus: Vorname, Name, Alter. Ich gehe an das Thema jedoch nicht nur von der traditionellen Warte aus an, sondern auch aus Lesersicht. Bei Lindner, da haben Sie recht, wissen die Menschen, dass er mit 46 Jahren noch zur jüngeren Generation gehört. Es gibt aber auch Menschen, deren Fotos kaum Rückschlüsse auf deren Alter zulassen – ewige Gesichts-Junge und Junge, die deutlich älter aussehen. Alter spielt bei der Einordnung eines Interviewpartners bzw. dessen Äußerungen aber durchaus eine Rolle, wenn er/sie sich zu Themen äußert, die Junge und Alte sehr unterschiedlich betreffen. Beispiel gefällig: Als der WK Benjamin Piel als neuen (Co-)Chefredakteur vorgestellt hat, fehlte das Alter. Dabei sagt es doch etwas darüber aus, ob Frau Hellwig (62) einen 40jährigen (wie Benjamin Piel) an die Seite bekommt, oder z.B. einen 55-Jährigen. Viele andere Medien halten sich übrigens an die „alte“ Regel. BTW: Ich kenne durchaus Leute, die sehr gerne wüssten, wie viel Gewicht manche Spitzenpolitiker auf die Waage bringen – zumal, wenn diese uns auch noch über gute Ernährung belehren wollen.:-)
Danke für diese differenzierte und ehrliche Betrachung. Die grundsätzlichen journalististischen Fehler beim WK lassen die persönliche Wahrnehmung bei mir so offen, dass diese nicht mehr Betandteil der Berichterstattung angehören. Vieles wird ungefiltert von Agenturen übernommen und sog. „bremische Themen“ sind Boventschultes & Co. „Hofberichterstattung“.
Aus diesem Grund habe ich den WK und auch den WK-Online (beides extrem überteuert)! vor Jahren gekündigt. Es gibt dort kein angemessenes Informations-Angebot mehr im Vergleich zu sonstigen kostenlosen Portalen. Ich gebe dem WK noch max. 1 Jahr bis zur Insolvenz!
Es ist wirklich unglaublich, wieviel Artikel der WK bedenken- und kritiklos von Agenturen , wie dpa , vwd etc. , übernimmt und, wenn überhaupt, schlecht recherchiert. Auch die eingekauften Beiträge beweisen, dass die eigene Redaktion offenbar immer weiter ausgedünnt wird. Und dass kaum oder gar nicht Korrektur gelesen wird, kann man in fast jeder Ausgabe bedauernd feststellen, Die Hoffnung, dass der neue (Co-)Chefredakteur Benjamin Piel mehr Schwung und Ordnung in die verkrusteten Strukturen bringen wird, hat sich bisher jedenfalls nicht erfüllt.
So hat sich z.B. an der „Hofberichterstattung“ leider nichts geändert ! In unserem Haus beziehen von 33 Parteien gerade noch 2 den WK. Das sollte doch zu denken geben !
Sehe ich leider auch so: Nancy bei den sixdays…
Bei den Kosten für den Personenschutz fällt mir sogleich der Prozess gegen Werder Bremen ein bezüglich der Kosten für Hochrisikospiele ein. Kommt für Nancy jetzt der Bundsteuerzahler oder der Landessteuerzahler auf???
Das WK-Abo nutze ich eigentlich nur noch für den Anzeigen-, -Kultur- und Sportteil.
Politik und Bremen sind leider journalistisch ziemlich dünn. Vermutlich Auflagenkonform.
So auch das Ärgernis oder besser der Skandal um Stephan Kretschmer: Ein Sinnbild für unsere „Demokratie „! Sieht der WK natürlich systemrelevant.