Weser-Kurier spendiert 60.000 Abos – Strategie oder russisch Roulette?

26.01.2025 3 Von Axel Schuller

Wow. Der Weser-Kurier schreibt kommenden Mittwoch vermutlich Mediengeschichte. Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD) und WK-Verlagschef David Koopmann starten ein bundesweit bislang einmaliges Projekt: Alle etwa 60.000 Bremer Schüler erhalten kostenfrei das WK-ePaper. Ist das strategisch schlau und durchtrieben, oder doch eher russisch Roulette für den Weser-Kurier? Risiko für den Verlag: Werden Eltern (und Lehrer) dieser Kinder jetzt ihr Abo – sofern vorhanden – kündigen?

Der Hinweis in der Terminübersicht der Senatsmitglieder überrascht:

„Mittwoch, 29. Januar, 10:30 Uhr, Senatorin Aulepp stellt zusammen mit dem Vorstand der Bremer Tageszeitungen AG, David Koopmann, die Weser Kurier ePaper-App vor, die ab sofort auf allen Schul-iPads installiert ist. (Bremen, Gesamtschule West, Lissaer Str. 7)“.

Was ist da denn los? Erhält der Weser-Kurier – seit Jahren von herben Auflagen-Verlusten gebeutelt – Schützenhilfe der ohnehin unglücklich agierenden Bildungssenatorin? Und: Warum gewährt eine Behörde dem Verlag Zugriff auf alle Bremer Schülerinnen und Schülern?

Die Kalkulation der Ressort-Pädagogen dürfte lauten: Immer mehr Haushalte sind ohne Zeitung. Durch die App erhalten viele Kinder erstmals die Chance, journalistisch aufbereitete Nachrichten, Hintergründe, Kommentare kennenzulernen. Für Lehrer mindestens genauso interessant, dass man via ePaper Zugriff auf das komplette WK-Archiv bis zum 19. September 1945 erhält.

Und das KOSTENLOS!

Voll der Hammer, ey.

Lassen wir mal journalistische Mängel (wie ab und zu falsche Schreibweisen, inhaltliche Fehler, manchmal Ignorieren wichtiger Themen etc) beiseite: Das Lesen einer Zeitung kann das Verständnis für Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport usw fördern.

Im besten Fall steigert es sogar die Konzentrationsfähigkeit auf schriftliche Texte.

Der Weser-Kurier geht mit diesem Angebot zugleich ein Risiko ein. Jeder Schüler m/w (und Lehrer) verfügt dank Bremens Großzügigkeit über ein iPad. Damit wird tagsüber in der Schule, aber auch zu Hause gearbeitet.

Wer Schulkinder hat und zu den noch 97.448 Käufern gehört, könnte durchaus auf den Gedanken kommen, das abends ab 22 Uhr zur Verfügung stehende ePaper auf dem Pad von Sohn oder Tochter zu lesen – je nach Sicherung des digitalen Zugangs. Insofern ist das Frei-Abo für alle Schüler m/w für den WK womöglich ein Spiel mit dem Auflagen-Feuer.

Wobei der Verlag natürlich seine eigenen Mediadaten kennt. Demnach gehören lediglich 23,6 Prozent der aktuellen Leserschaft der Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen an, also jener „Generation“, die den Großteil der Eltern von Schulkindern stellt.

Andere Tageszeitungen existieren in Bremen nur eingeschränkt – BILD und (Rest-)taz. Aber: Was ist mit der Bremen-Ausgabe der Kreiszeitung des Medien-„Moguls“ Dirk Ippen? Die freihändige Bevorzugung des WK durch die Bildungsbehörde ist auf jeden Fall – sagen wir mal – rechtlich interessant.

By the way: Als Betreiber des Portals bremensogesehen biete ich der Behörde ausdrücklich an, meine Website ebenfalls mit der Schüler-Plattform zu verknüpfen. Dann bekämen die jungen Menschen zumindest teilweise die Chance eines „anderen Blickes“ auf Bremer Geschehnisse und Entwicklungen. Die von der Bildungsbehörde propagierte Stärkung der Demokratie setzt ja schließlich das Abwägen unterschiedlicher Meinungen voraus.

Also zugreifen, Frau Aulepp! 🙂

Verfolgt der Weser-Kurier mit dem kostenfreien ePaper-Abo für alle Bremer Jungs und Deerns altruistische Ziele – pro politische Bildung, pro Meinungsvielfalt, pro Demokratie – oder verspürt er einfach Hunger auf Kontakte und Daten? Hofft er womöglich, dass ein Teil der aktuell Beglückten später zu zahlenden Abonnenten mutieren könnte?

Apropos kostenlos: Ein bisschen muss die Behörde dann doch (indirekt) für die ePaper-Gabe blechen. Wie zu hören ist, erhält der WK für die Bereitstellung und Anpassung seiner App an die technische Umgebung der Bildungsbehörde einen „mittleren fünfstelligen Betrag“ – also irgend etwas um 50.000 Euro herum.

Nebenbei: Ich bin gespannt, ob der Rechnungshof sich nach der (möglicherweise fehlenden) Ausschreibung des Projektes erkundigen wird. Wobei das Bremer „Netz“ eng genug geknüpft sein dürfte. Präsidentin des Bremer Rechnungshofes ist Dr. Imke Sommer (SPD). Die Pressesprecherin der Bildungssenatorin Aulepp, Patricia Brandt, ist verheiratet mit Michael Brandt, Chef vom Dienst des Weser-Kuriers. WK-Verlagschef David Koopmann (früher Juso) „kann gut“ mit Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte (SPD)… Sorry, schweife gerade etwas ab. Wobei ein eigenes Stück über das „Bremer Geflecht“ mal interessant wäre.

 

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Wie ich höre, war man im Weser-Kurier nach der „Blattkritik II“ über meinen angeblich unfairen Ton empört. Ich verspreche, mich zu mäßigen – sobald die Zeitung ihr Niveau hebt. Ganz großes Ehrenwort!

Die Wochenende-Ausgabe ließ Hoffnung keimen. Co-Chefredakteur Benjamin Piel hat Erkenntnisse und Gedanken während einer Taxifahrt sehr lesenswert, weil nachdenklich, zu Papier gebracht. Und Jürgen Theiners Analyse der Bürokratie in der Bildungsbehörde war ebenfalls beachtenswert. Ferner, nicht zu vergessen: Am Samstag hat die WK-Redaktion dann doch noch über die Forderung von Handelskammer und Hafenwirtschaft berichtet, die Planung für die Bahn-Werkstatt in Oslebshausen anzuhalten – nachdem der Brandbrief der Wirtschaft am Dienstag bekannt geworden war.