Blattkritik IV: Ungeschichten als WK-Seitenaufmacher / Aber, Neues von Zech fehlt
Echt jetzt, dieses Blatt – der Weser-Kurier von heute (19. März) – macht mich fertig. Egal ob Titelseiten-Aufmacher „Mehr Funde bei Lebensmittelkontrollen“, die Berichte und Kommentierung über die Grundgesetzänderung, der Bremer Aufmacher „Betrug beim Kindergeld“ bis zum Aufmacher auf der Wirtschaftsseite „Ab Donnerstag Warnstreikpause“ – die dort heute feilgebotene journalistische Arbeit treibt mir Tränen der Enttäuschung in die Augen. Auch seltsam: welche wichtige Neuigkeit im Blatt fehlt.
Kolleginnen und Kolleginnen, allmählich wächst in mir so etwas wie journalistische Verzweifelung, heran. Wie ist es möglich, die Titelseite mit einem rund 100-zeiligen Artikel über „Ekel-Funde“ bei Lebensmittelkontrollen voll zu nageln, ohne auch nur ein – bitte nur ein einziges! – konkretes Beispiel zu nennen?
Es wird zwar auf eine „Internetseite“ hingewiesen, ohne die genaue Adresse und die notwendige Navigation zu nennen. Ist das Nachsicht mit Schmutzfinken in einigen Küchen oder einfach Feigheit vor dem Bannstrahl möglicher Anzeigenkunden? Leserfreundlich ist es jedenfalls nicht.
Liebe Leser, googeln Sie einfach „Lebensmittelüberwachung Bremen“, klicken Sie dort auf „Veröffentlichung gem. §40…“ dann „landen“ Sie auf der aktuellen Liste mit 30 Imbissen, Bäckereien und Klein-Lokalen, die den Lebensmittel-Überwachern negativ aufgefallen sind. Wenn man Tätigkeit und Ergebnisse der Kontrolleure für überzogen oder kleinlich hält – kann ja sein. Aber: Einen Aufmacher auf der 1 zu veröffentlichen, ohne Ross und Reiter zu nennen…Ich finde, dann lieber weglassen. Auf jeden Fall: Nicht auf die Titelseite.
Der nächste Seitenaufmacher-Hammer steht im Lokalteil: „Betrug beim Kindergeld“. Thema: Kriminelle erfinden Kinder, fälschen Unterlagen, um so in den Genuss von Kindergeld zu kommen (wie in Duisburg). Entscheidender Satz nach 50 Zeilen Text: „In Bremen scheint das Thema keine größere Rolle zu spielen.“
Puh, Glück gehabt! Aber: Warum wird dann damit die wichtigste, eben die erste Lokalseite, gefüllt? Warum???
Auf der Wirtschaftsseite geht’s dann endlich um die vermaledeiten Verdi-Lohnforderungen, „Ab Donnerstag Warnstreikpause“. Den Text hat eine erfahrene dpa-Korrespondentin verfasst – leider bar jeder Bremer Ahnung. Immerhin hat sie der Pressemitteilung entnommen, dass der frühere Bremer Finanzstaatsrat Dr. Henning Lühr (SPD) neben dem hessischen Ex-Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) zum Schlichter berufen wurde. Weitere Recherche: keine.
Immerhin hat Henning Lühr bereits den Streit zwischen Verdi und öffentlicher Hand im Frühjahr 2023 geschlichtet. Dabei hat der Bremer die Arbeitnehmer nicht schlecht wegkommen lassen. Der Abschluss 2023 lautete: 3.000 Euro Einmalzahlung, 0 Prozent in 2023 und 2024 plus 200 Euro sowie plus 5,5 Prozent. Unter dem Strich, laut Verdi, rund 11 Prozent Steigerung. Ist diese Rückschau einer Bremer Zeitung wirklich keine Zeile wert?
Ach ja, die Quelle Deutsche Presse-Agentur dpa: Dass gleich drei bekannte Grüne Bundestags-Vizepräsidenten werden möchten (wie die Zeitung meldet) – könnte das vielleicht auch mit dem gebotenen Basissalär von monatlich rund 15.000 Euro zu tun haben? Wenn’s um Geld geht, muss der gemeine Leser selbst recherchieren.
Letztes Thema aus dem WK: Die umfangreiche Berichterstattung und Kommentierung über die gestrige Mega-Kreditermächtung plätschert überwiegend dahin. Der Berliner Korrespondent könnte vermutlich auch im Bundespresseamt eine Anstellung finden. Mainstream in Reinkultur: Es geht nicht um Militärausgaben und Aufrüstung, sondern ausschließlich um die „Verteidigungsfähigkeit des Landes“ und dank Investitionsfonds um die „handlungs- und gestaltungsfähige“ künftige Bundesregierung. Von „Ausgaben auf den Prüfstand“ oder gar „notwendige Einsparungen des Staates“ ist nix zu lesen.
Ich habe mir die wirklich interessante und spannende Bundestagsdebatte teilweise angeschaut. Brutal ernüchternd war: Friedrich Merz, aktuell Deutschlands Politiker mit der größten Wandlungsfähigkeit seiner Meinung, sprach in der Debatte die Notwendigkeit an, den Sozialstaat zu überarbeiten.
Folgende Szene: Merz zitiert einen Bericht aus NRW. Dort habe das Land 2023 allen Kommunen 15 Milliarden Euro als deren Anteil an den Steuereinnahmen überwiesen. Allein 13 Milliarden davon hätten die Städte und Gemeinden für Sozialleistungen ausgegeben – auch auf Grundlage von Bundesgesetzen. Merz: „Das geht so nicht weiter.“
Kamera-Schwenk in den Plenarsaal: Eisiges Schweigen bei Merz‘ angeblichen Partnern in spe.
Bereits die Debatte über die Grundgesetz-Änderung lässt erahnen: Das wird bestimmt eine richtig gut harmonierende schwarz-rote Koalition…
Den WK-Berichterstattern war diese Schlüsselszene indes kein Wort wert.
Und welche nicht unerhebliche Neuigkeit fehlt heute im WK, worauf ich zu Beginn, in meinem „Vorspann“, hingewiesen hatte?
Der Konzern des Bremers Kurt Zech (Zech-Group) hat laut „Immobilienzeitung“ dem Kartellamt angezeigt, er beabsichtige die mehrheitliche Übernahme des ebenfalls in Bremen ansässigen und bundesweit tätigen Bauträgers Interhomes AG.
Zur Erinnerung: Karl H. Grabbe und seine damalige Frau hatten die Firma 1968 gegründet und mit dem Bau von unzähligen Reihenhäusern zu erschwinglichen Preisen (wie in Habenhausen) groß und ertragreich gemacht. Das Unternehmen ist in der jüngeren Vergangenheit so sehr unter Druck geraten, dass der jetzige Vorstandschef Frank Vierkötter einen starken Investor suchen musste. Zech ist zweifelsohne ein solcher.
Liebe Leserschaft, noch ein Wort zum Weser-Kurier: Ja, ich war dort bis vor 26 Jahren beschäftigt. Aber, ich habe wirklich keine „offenen Rechnungen“ mit dem alten Arbeitgeber zu begleichen – wie gern von interessierter Seite gestreut wird. Mit wem auch? Die seinerzeit maßgeblichen Mitarbeiter sind dort allesamt nicht mehr tätig, sondern längst in Rente. Oder gestorben, wie der damalige Verleger Herbert C. Ordemann und der damalige Chefredakteur Volker Weise.
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
P.S.: Ich empfehle – immer wieder gerne – die Lektüre der Kommentare. Dieses Mal zum vorigen Blog über Zinsen und Vorstandsbezüge bei der Sparkasse Bremen.
Warum aufregen? Die insgesamt übrigens drei (3) aktuellen Artikel https://www.weser-kurier.de/bremen/politik/mehr-schwere-verstoesse-bei-lebensmittelkontrollen-in-bremen-doc7znspvx2kzr5z4hzn3n und https://www.weser-kurier.de/bremen/stadtteil-blumenthal/bremen-nord-was-lebensmittelkontrolleure-entdeckt-haben-doc7zre917hitwg2ywko3y und https://www.weser-kurier.de/bremen/politik/bremen-ekelfunde-in-restaurants-erschuettern-vertrauen-doc7ztk8q89dibviibrlyz über die Lebensmittelüberwachung in Bremen sind doch nur eine Resteverwertung von einem Artikel im November 2024 https://www.weser-kurier.de/bremen/politik/bremer-verbraucherschutz-immer-mehr-verstoesse-in-der-gastronomie-doc7y9ht5603vk1e9cs86fv. Man verwertet halt auch die Reste und lässt nichts umkommen, um immer wieder die Seiten zu füllen. Das ist doch sehr positiv. Ironie off. Interessanter wäre es, dass einige Untersuchungen gar nicht neu sind, sondern bspw. vom August 2024 stammen – und die Mängel vermutlich längst abgestellt sind. Aber dafür hätte man sich die PDF alle ganz genau AUFWENDIG EINZELN anschauen müssen. Das muss doch wirklich nicht sein. Nochmal Ironie off.
Der WK und seine Kopien haben doch seit Jahren nur noch den Status eines Provinzblättchens für lokale Themen und als Hülle für Werbebeilagen.
Echte journalistische Arbeit vermutet hier wirklich keiner.
Ebenso ist JEDE Eigenproduktion so links/grün eingefärbt, dass niemals Gefahr einer Verstimmung der Regierungsmitglieder besteht. Jeder schreibt so, dass ein Wechsel in die Senatspressestelle jederzeit möglich ist.
Daher werden lieber die Seiten mit belanglosem gefüllt, linke Weltanschauungen unters Volk gebracht, als dass die Arbeit der Bremer Landesregierung kritisch begleitet und hinterfragt wird.
Ein Lokalblättel eben.
Daher sinken die Leserzahlen auch Jahr für Jahr entsprechend der Alterspyramide. Junge Bremer informieren sich schon lange nicht mehr über WK und butenunbinnen.
Jeder kann sich ausrechnen, ab wann der WK nur noch 2x wöchentlich erscheinen kann.
Meine Meinung: Das reicht auch!
Gestern hat der WK lang und schlapp über ein Cafe in Schwachhausen berichtet, mit Bildern und allem Möglichen, nur wo das ist, hat er nicht geschrieben.
@Reimar Kunkel – genau!! Es war ein supernetter Beitrag und ich wollte unbedingt das Café auszuprobieren. Nur es fehlte tatsächlich der Hinweis auf die Adresse oder die Webseite. Das ist schade für die junge Inhaberin, weil es in dieser Zeit sehr mutig ist, neue Gastronomiebetriebe aufzumachen.
Seitdem ich die Papierausgabe des WK abbestellt habe, habe ich etwas mehr an Wert online entdeckt. Man kann mit der App tatsächlich die Blätter aus dem Umland lesen (Verden, Syke, OHZ) und ich verspreche mir davon, dass ich eher an Information über Kulturveranstaltungen im den kleineren Städten um Bremen herum komme. Besonders schön sind die Konzerte, die im Verdener Dom stattfinden. Um fair zu sein – man sieht, dass der Verlag eine ganze Menge abdeckt.
Ich empfand als den Gipfel der journalistischen Fehlleistung im heutigen WK den Kommentar von Markus Peters zur gestrigen Abstimmung im Bundestag zu Sondervermögen und Schuldenbremse. Aus der Umgehung des neuen Bundestags wird eine staatspolitische Petitesse, der über alle Zweifel erhabene gute Zweck heiligt halt das profane Mittel der Wählertäuschung und Missachtung aktueller politischer Mehrheiten. Gegner der irrwitzigen Verschuldung für Aufrüstung werden damit abgebürstet, dass deren ihre Auffassung unterstützenden Quellen nicht so seriös sind wie die, an die Herr Peters glaubt. Belege für die Seriosität von irgendwem: Keine! Da müssen wir Herrn Peters einfach glauben. Mit der argumentativen Tiefe, die Herr Peters erreicht, wäre ich in meinen Gymnasialjahren in keinem Fach durchgekommen. Meine Lehrer hätten mir „Propaganda“ unter die Aufsätze geschrieben.
@Reimar Kunkel und @Victoria Norton: Das Cafe SPOT ist in der Parkallee, rechts (stadtauswärts) direkt hinter dem Friedenstunnel, gegenüber vom „Schwarzen Herrmann“.
Lustige Diskussion hier. Menschen müssen lernen, ganz einfach zu googeln, statt nicht genannte Internetadressen aus Tageszeitungen abtippen zu wollen. Das geht ganz einfach. Man gibt bspw. »Cafe+in+Schwachhausen+ Weser+Kurier ein« und schwupp, da ist die Adresse. Erstaunlich, oder?
Ich bin immer wieder erstaunt wie „inhaltsleer“ mein WK ist! Kein Wunder wenn ich zur jornalistischen Hauptarbeitszeit um 19:00 h am „Newsroom“ vorbeikomme…. und niemanden am Schaffen sehe. Übrigens …. spannendes Detail zum Tarifkonflikt: Herr Koch als AG-Benannter hat diesmal das doppelte Stimmrecht. Da kann Herr Lühr nicht glänzen!