Blog „verschenkt“ – Betroffener Vater berichtet über Erlebnisse in der Kita-Welt

06.04.2025 11 Von Axel Schuller

Liebe Leserinnen und Leser, am heutigen – in Bremen ja leider zeitungsfreien Sonntag – das bereits angekündigte Extra. Heute „verschenke“ ich meinen Blog ausnahmsweise an André Penzien (39), der mit seiner Frau zwei Kinder (5 sowie 17 Monate) hat. Er beschreibt die Erlebnisse mit der Bremer Kita-Welt. Kurzum: Es ist ein Hilferuf, endlich ein verlässliche Kinder-Betreuung inkl. Vorschule aufzubauen. Ansonsten sind die gesellschaftlichen Erwartungen nicht realisierbar, wonach Mann und Frau gleichberechtigt arbeiten  u n d  Kinder haben können.

André Penzien schreibt:

„Stellen Sie sich vor, Sie haben für Ihren Nachwuchs einen Platz in einer städtischen Krippe bzw. oder einer Kita mit einer täglichen Betreuungszeit von acht Stunden erhalten. Die Erleichterung ist groß, können so doch beide Elternteile ihrer Arbeit nachgehen. Dann erhalten Sie im laufenden Kitajahr plötzlich einen Brief, in dem es heißt, dass ab August 2025 nur noch eine Betreuungszeit von (7.30 Uhr) 08.00 – 14.00 Uhr ermöglicht werden kann.

Schock, schwere Not. Die Mutter des Kindes arbeitet zwar in Teilzeit, aber in Bremerhaven. Wie soll das gehen? Händeringend wird nach Lösungen gesucht!

Nein, es war kein vorgezogener Aprilscherz, es ist ernst.

Ein Einzelfall wie dieser in Findorff? Nein, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch das nicht.

Die Eltern stellt so etwas vor schwerwiegende Entscheidungen.

Alleinerziehende sind nochmal stärker betroffen.

Die Kita’s überbringen solche Nachrichten auch nur mit großen Bauchschmerzen. Zugleich wenden sich die KITA-Leitungen mit Nachdruck an die Behörde. Auch Sie wollen diese Situation nicht hinnehmen.

Der Fachkräftemangel schlägt, wie andernorts auch, voll durch. Vorhandenes Personal ist chronisch überlastet, einige gehen frühzeitig in Rente und nehmen Abschläge in Kauf. Der Krankenstand ist hoch und die Motivation für einen Berufswechsel, in dieser Zeit, nachvollziehbar

Das führt zu einer weiteren Verschärfung der Situation.

Nach vielen Streiks in den vergangenen Jahren hieß es, es müsse deutliche Lohnerhöhungen geben und die pädagogische Arbeit dadurch mehr gewertschätzt werden. Hat’s geholfen? Eher nicht!

Die Lösung wird von der Behörde schon seit einiger Zeit durch Quereinsteiger gesucht. So sollen der Fachkräftemangel behoben und die Betreuungszeiten eingehalten werden.

Problem: Damit wird aber das Absinken der pädagogischen Qualität billigend in Kauf genommen. Können Eltern das für ihre Kinder wollen? Nein, auch das nicht.

Ein klassisches Dilemma.

Wie könnte also die Lösung für die frühkindliche Bildung in Bremen aussehen? Schließlich geht’s um unsere Zukunft als Gesellschaft.

Ja und einen Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung gibt’s in Bremen seit dem 1.8.2013 auch noch, und der kann auch eingeklagt werden. Darauf hatten sich Bund, Länder und Kommunen auf dem sog. „Krippengipfel“ im April 2007 geeinigt.

Aber wie konnte es auf diesem Hintergrund überhaupt zu der jetzt so prekären Situation kommen?

Jahrzehntelang wurde die Berufsgruppe mehr als kurzgehalten.

Unterstützung, Fehlanzeige, von der Politik faktisch einfach hängen gelassen.

Nein, das ist nicht nur in Bremen so, sondern auch in anderen Bundesländern gibt’s an dieser Stelle Probleme. Aber in Bremen ist es schon besonders krass. Hier fehlen Krippen- und Kita-Plätze wohin man schaut. Seit 2013 sind zwar 7000 Plätze dazugekommen, inklusive der neu geschaffenen 900, mit denen sich die Behörde rühmt, aber es fehlen ab August weitere 1300 Kita-Plätze. Diese Eltern gehen komplett leer aus, Rechtsanspruch hin oder her.

War das früher eigentlich besser? Nein, auch das nicht. Auch vor 36 Jahren gab es im Bereich der frühen Bildung (damals hieß das zwar noch nicht so) schon strukturelle Probleme, was Beteiligte von damals bestätigen. Das finanzielle Budget war auch damals schon überschaubar, die personellen Ressourcen schon damals ähnlich wie heute und auf Kante genäht. Für 20 Kinder pro Gruppe stand eine Erzieherin als Vollzeitkraft zur Verfügung, unterstützt von durch Zivildienstleistende, Kinderpflegerinnen/Kinderpfleger, Anerkennungspraktikanten und gelegentlich kamen Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen dazu. Das Zähneputzen nach dem Mittagsessen soll damals noch obligatorisch gewesen sein, der Sanitärbereich soll täglich geputzt worden sein. Heute hört man zu diesen Stichworten durchaus Unterschiedliches.

Die Betreuungszeiten waren damals in der Regel kürzer und die Großeltern deutlich häufiger gefragt als heute. Es sei denn, es ist in der Gegenwart mal wieder Notbetreuung. Aber schon damals war eine durchaus wahrnehmbare Überforderung im System Kindergarten erkennbar.

Die Politik hätte viele viele Jahre Zeit gehabt, die Strukturen entschiedener zu verbessern, wenn es denn einen ebenso erkennbaren politischen Willen dafür gegeben hätte.

Wie immer kommt es auf die Prioritätensetzung an. Die Lobby für Eltern und ihre Kindern war damals wie heute viel zu klein.

Aber damals wie heute sind die Gruppen mit 20 Kindern zu groß und häufig sind es auch 21 Kinder.

Heute gibt es zwei Pädagoginnen oder Pädagogen in jeder Gruppe, was auf die längeren Betreuungszeiten zurückzuführen ist, aber eine qualitative Verbesserung ist das nicht wirklich. Spezielle Fördereinrichtungen gibt es in Bremen nicht in allen Stadtteilen, obwohl das durchaus notwendig wäre, wenn die Aussage, dass inzwischen jedes zweite Kind in Bremen einen Sprachförderbedarf hat, zutreffend ist. Dafür gibt es viele verschiedene Gründe.

Natürlich sind da auch und in erster Linie die Eltern gefragt. Bezweifelt werden darf aber durchaus, ob wirklich alle Eltern diese wichtige Aufgabe überhaupt erbringen können.

Gezielte Förderung durch Logopädie wäre essenziell wichtig und sollte in der Bremer Bildungsbehörde ein fester Grundsatz sein, damit für die Grundschulen, die diese Kinder dann aufnehmen, ein gutes Sprachverständnis mitgebracht wird, das eine Beschulung überhaupt erst möglich macht.

Warum gibt es in Bremen eigentlich keine Vorschulen mehr? Die Schulgesetzänderung aus dem Jahr 2009, die mit der Einführung der inklusiven Schule einherging, führte zur Abschaffung der bislang bestehenden Förderschulen. In Bremen gab es die Vorschule bis in die 2000er.

Aktuell gibt es nur noch in Hamburg eine Vorschule. Sprachförderung, soziales Miteinander und feinmotorische Fähigkeiten lernt in Hamburg etwa jedes zweite Kind in Hamburgs Vorschulklassen. Der Sprachförderbedarf in Bremen liegt derzeit bei 47 Prozent. Die CDU hat deshalb einen Antrag an die Bürgerschaft gestellt, die Vorschulen wiedereinzuführen. Anders als in Hamburg, hat die Regierungskoalition in Bremen diesen Antrag abgelehnt. Hamburg ist im Ranking der Bundesländer von einem ähnlich schlechten Platz wie Bremen ins obere Drittel aufgestiegen, Bremen dümpelt immer noch mit der roten Laterne am Ende der Skala. Wen wundert’s?

Aber zurück zu unserem Ausgangsproblem. Die Notbetreuung gehört inzwischen in Krippen und Kitas für Eltern zur Normalität. Die Leitungen und die Mitarbeitenden sind zwar bemüht, die Auswirkungen abzufangen, aber es ist einfach nicht mehr möglich. Solange das so ist, bleibt es bei Anrufen wie „Bitte holen Sie ihr Kind früher ab, wenn Sie können, oder bringen Sie es so spät wie möglich (9.00 Uhr)“, oder „Heute und morgen ist die Betreuung für die Kinder im Elementarbereich nur von 08.00 – 14.00 Uhr möglich“, oder „Die Zentralheizung ist zum wiederholten Mal ausgefallen, deshalb können wir leider nicht so genau sagen, wann das Problem behoben sein wird“.

Das stellt Eltern immer wieder vor schier ausweglose Probleme, die volle Arbeitswoche so zu organisieren, dass alles unter den notwendigen Hut zu bringen. Oma und Opa, Gleitzeit, Urlaub und Krankmeldungen, weil die Kinder erkrankt sind, sind äußerst begrenzte Ressourcen.

Das heißt für viele Familien, ein Elternteil muss seine/ihre Arbeit mal wieder aufgeben. Das ist schlecht für die Familie, schlecht für die Wirtschaft, schlecht für die Gesellschaft und ein echter Rückschritt, meistens zu Lasten der Mütter.

Der Beirat in Findorff hat kürzlich einen Schulnotstand ausgerufen. Hoffnungsfroh für die Zukunft unserer Kinder stimmt das nicht. Im Gegenteil, langsam macht sich Ärger breit. Jahre und Jahre vergehen und nichts ändert sich substanziell!

Wie lange soll das noch so bleiben? Warum wird der berechtigten Not der Eltern in Bremen so wenig Beachtung geschenkt? Die immer wieder aufs Neue zu hörende Leier aus der Bildungsbehörde, man habe ja dies und das und jenes „schon“ geändert und verbessert, löst die Problematik aber weder in den Krippen, noch in den Kitas, noch in den Grundschulen und was danach kommt stellt sich nicht wesentlich anders dar.

Es muss sich dringend grundsätzlich etwas im Bildungsbereich ändern. Politik darf nicht noch mehr Generationen so defizitär ins Leben schicken.

Gewünscht ist eine dringend gebotene, parteiübergreifende, grundlegende strukturelle Lösung dieser Thematik zum Wohle der Kinder, der Eltern und damit der Zukunft unseres Bundeslandes. Wann wacht die regierende Politik in Bremen endlich auf?

Aktuelle Ergänzung:

Glücklicherweise konnte nach Monaten des Bangens in Findorff vorige Woche eine positive Nachricht verkündet werden:

Personal wurde für die Einrichtung gewonnen, sodass die Betreuungszeit in der Krippe nun doch nicht ab August reduziert werden muss. Eine echte Erleichterung für uns Findorffer Eltern. Dieses Pflaster hält jedoch nur so lange wie das Personal in der neuen Konstellation auch wirklich erhalten bleibt.“

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Soweit der Erfahrungsbericht von André Penzien, Experte für Informationssicherheit, der ehrenamtlich dem Beirat Findorff für die FDP angehört.

Beim nächsten Mal, liebe Leserschaft, gibt’s wieder ein Blogstück, wie Sie es von mir kennen. Ich wollte Ihnen diesen Einblick in den Eltern-Alltag – auch wenn er etwas länger 🙂 geraten ist – keineswegs vorenthalten.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

Tipp: Schauen Sie in die Leserkommentare zum Stück „In Bremen kein Thema: Bundesregierung „kapert“ Öltanker…“ an. Kontrovers und sachlich, sowie prima Ergänzung zum Geschichtsunterricht.