Blog „verschenkt“ – Betroffener Vater berichtet über Erlebnisse in der Kita-Welt
Liebe Leserinnen und Leser, am heutigen – in Bremen ja leider zeitungsfreien Sonntag – das bereits angekündigte Extra. Heute „verschenke“ ich meinen Blog ausnahmsweise an André Penzien (39), der mit seiner Frau zwei Kinder (5 sowie 17 Monate) hat. Er beschreibt die Erlebnisse mit der Bremer Kita-Welt. Kurzum: Es ist ein Hilferuf, endlich ein verlässliche Kinder-Betreuung inkl. Vorschule aufzubauen. Ansonsten sind die gesellschaftlichen Erwartungen nicht realisierbar, wonach Mann und Frau gleichberechtigt arbeiten u n d Kinder haben können.
André Penzien schreibt:
„Stellen Sie sich vor, Sie haben für Ihren Nachwuchs einen Platz in einer städtischen Krippe bzw. oder einer Kita mit einer täglichen Betreuungszeit von acht Stunden erhalten. Die Erleichterung ist groß, können so doch beide Elternteile ihrer Arbeit nachgehen. Dann erhalten Sie im laufenden Kitajahr plötzlich einen Brief, in dem es heißt, dass ab August 2025 nur noch eine Betreuungszeit von (7.30 Uhr) 08.00 – 14.00 Uhr ermöglicht werden kann.
Schock, schwere Not. Die Mutter des Kindes arbeitet zwar in Teilzeit, aber in Bremerhaven. Wie soll das gehen? Händeringend wird nach Lösungen gesucht!
Nein, es war kein vorgezogener Aprilscherz, es ist ernst.
Ein Einzelfall wie dieser in Findorff? Nein, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch das nicht.
Die Eltern stellt so etwas vor schwerwiegende Entscheidungen.
Alleinerziehende sind nochmal stärker betroffen.
Die Kita’s überbringen solche Nachrichten auch nur mit großen Bauchschmerzen. Zugleich wenden sich die KITA-Leitungen mit Nachdruck an die Behörde. Auch Sie wollen diese Situation nicht hinnehmen.
Der Fachkräftemangel schlägt, wie andernorts auch, voll durch. Vorhandenes Personal ist chronisch überlastet, einige gehen frühzeitig in Rente und nehmen Abschläge in Kauf. Der Krankenstand ist hoch und die Motivation für einen Berufswechsel, in dieser Zeit, nachvollziehbar
Das führt zu einer weiteren Verschärfung der Situation.
Nach vielen Streiks in den vergangenen Jahren hieß es, es müsse deutliche Lohnerhöhungen geben und die pädagogische Arbeit dadurch mehr gewertschätzt werden. Hat’s geholfen? Eher nicht!
Die Lösung wird von der Behörde schon seit einiger Zeit durch Quereinsteiger gesucht. So sollen der Fachkräftemangel behoben und die Betreuungszeiten eingehalten werden.
Problem: Damit wird aber das Absinken der pädagogischen Qualität billigend in Kauf genommen. Können Eltern das für ihre Kinder wollen? Nein, auch das nicht.
Ein klassisches Dilemma.
Wie könnte also die Lösung für die frühkindliche Bildung in Bremen aussehen? Schließlich geht’s um unsere Zukunft als Gesellschaft.
Ja und einen Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung gibt’s in Bremen seit dem 1.8.2013 auch noch, und der kann auch eingeklagt werden. Darauf hatten sich Bund, Länder und Kommunen auf dem sog. „Krippengipfel“ im April 2007 geeinigt.
Aber wie konnte es auf diesem Hintergrund überhaupt zu der jetzt so prekären Situation kommen?
Jahrzehntelang wurde die Berufsgruppe mehr als kurzgehalten.
Unterstützung, Fehlanzeige, von der Politik faktisch einfach hängen gelassen.
Nein, das ist nicht nur in Bremen so, sondern auch in anderen Bundesländern gibt’s an dieser Stelle Probleme. Aber in Bremen ist es schon besonders krass. Hier fehlen Krippen- und Kita-Plätze wohin man schaut. Seit 2013 sind zwar 7000 Plätze dazugekommen, inklusive der neu geschaffenen 900, mit denen sich die Behörde rühmt, aber es fehlen ab August weitere 1300 Kita-Plätze. Diese Eltern gehen komplett leer aus, Rechtsanspruch hin oder her.
War das früher eigentlich besser? Nein, auch das nicht. Auch vor 36 Jahren gab es im Bereich der frühen Bildung (damals hieß das zwar noch nicht so) schon strukturelle Probleme, was Beteiligte von damals bestätigen. Das finanzielle Budget war auch damals schon überschaubar, die personellen Ressourcen schon damals ähnlich wie heute und auf Kante genäht. Für 20 Kinder pro Gruppe stand eine Erzieherin als Vollzeitkraft zur Verfügung, unterstützt von durch Zivildienstleistende, Kinderpflegerinnen/Kinderpfleger, Anerkennungspraktikanten und gelegentlich kamen Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen dazu. Das Zähneputzen nach dem Mittagsessen soll damals noch obligatorisch gewesen sein, der Sanitärbereich soll täglich geputzt worden sein. Heute hört man zu diesen Stichworten durchaus Unterschiedliches.
Die Betreuungszeiten waren damals in der Regel kürzer und die Großeltern deutlich häufiger gefragt als heute. Es sei denn, es ist in der Gegenwart mal wieder Notbetreuung. Aber schon damals war eine durchaus wahrnehmbare Überforderung im System Kindergarten erkennbar.
Die Politik hätte viele viele Jahre Zeit gehabt, die Strukturen entschiedener zu verbessern, wenn es denn einen ebenso erkennbaren politischen Willen dafür gegeben hätte.
Wie immer kommt es auf die Prioritätensetzung an. Die Lobby für Eltern und ihre Kindern war damals wie heute viel zu klein.
Aber damals wie heute sind die Gruppen mit 20 Kindern zu groß und häufig sind es auch 21 Kinder.
Heute gibt es zwei Pädagoginnen oder Pädagogen in jeder Gruppe, was auf die längeren Betreuungszeiten zurückzuführen ist, aber eine qualitative Verbesserung ist das nicht wirklich. Spezielle Fördereinrichtungen gibt es in Bremen nicht in allen Stadtteilen, obwohl das durchaus notwendig wäre, wenn die Aussage, dass inzwischen jedes zweite Kind in Bremen einen Sprachförderbedarf hat, zutreffend ist. Dafür gibt es viele verschiedene Gründe.
Natürlich sind da auch und in erster Linie die Eltern gefragt. Bezweifelt werden darf aber durchaus, ob wirklich alle Eltern diese wichtige Aufgabe überhaupt erbringen können.
Gezielte Förderung durch Logopädie wäre essenziell wichtig und sollte in der Bremer Bildungsbehörde ein fester Grundsatz sein, damit für die Grundschulen, die diese Kinder dann aufnehmen, ein gutes Sprachverständnis mitgebracht wird, das eine Beschulung überhaupt erst möglich macht.
Warum gibt es in Bremen eigentlich keine Vorschulen mehr? Die Schulgesetzänderung aus dem Jahr 2009, die mit der Einführung der inklusiven Schule einherging, führte zur Abschaffung der bislang bestehenden Förderschulen. In Bremen gab es die Vorschule bis in die 2000er.
Aktuell gibt es nur noch in Hamburg eine Vorschule. Sprachförderung, soziales Miteinander und feinmotorische Fähigkeiten lernt in Hamburg etwa jedes zweite Kind in Hamburgs Vorschulklassen. Der Sprachförderbedarf in Bremen liegt derzeit bei 47 Prozent. Die CDU hat deshalb einen Antrag an die Bürgerschaft gestellt, die Vorschulen wiedereinzuführen. Anders als in Hamburg, hat die Regierungskoalition in Bremen diesen Antrag abgelehnt. Hamburg ist im Ranking der Bundesländer von einem ähnlich schlechten Platz wie Bremen ins obere Drittel aufgestiegen, Bremen dümpelt immer noch mit der roten Laterne am Ende der Skala. Wen wundert’s?
Aber zurück zu unserem Ausgangsproblem. Die Notbetreuung gehört inzwischen in Krippen und Kitas für Eltern zur Normalität. Die Leitungen und die Mitarbeitenden sind zwar bemüht, die Auswirkungen abzufangen, aber es ist einfach nicht mehr möglich. Solange das so ist, bleibt es bei Anrufen wie „Bitte holen Sie ihr Kind früher ab, wenn Sie können, oder bringen Sie es so spät wie möglich (9.00 Uhr)“, oder „Heute und morgen ist die Betreuung für die Kinder im Elementarbereich nur von 08.00 – 14.00 Uhr möglich“, oder „Die Zentralheizung ist zum wiederholten Mal ausgefallen, deshalb können wir leider nicht so genau sagen, wann das Problem behoben sein wird“.
Das stellt Eltern immer wieder vor schier ausweglose Probleme, die volle Arbeitswoche so zu organisieren, dass alles unter den notwendigen Hut zu bringen. Oma und Opa, Gleitzeit, Urlaub und Krankmeldungen, weil die Kinder erkrankt sind, sind äußerst begrenzte Ressourcen.
Das heißt für viele Familien, ein Elternteil muss seine/ihre Arbeit mal wieder aufgeben. Das ist schlecht für die Familie, schlecht für die Wirtschaft, schlecht für die Gesellschaft und ein echter Rückschritt, meistens zu Lasten der Mütter.
Der Beirat in Findorff hat kürzlich einen Schulnotstand ausgerufen. Hoffnungsfroh für die Zukunft unserer Kinder stimmt das nicht. Im Gegenteil, langsam macht sich Ärger breit. Jahre und Jahre vergehen und nichts ändert sich substanziell!
Wie lange soll das noch so bleiben? Warum wird der berechtigten Not der Eltern in Bremen so wenig Beachtung geschenkt? Die immer wieder aufs Neue zu hörende Leier aus der Bildungsbehörde, man habe ja dies und das und jenes „schon“ geändert und verbessert, löst die Problematik aber weder in den Krippen, noch in den Kitas, noch in den Grundschulen und was danach kommt stellt sich nicht wesentlich anders dar.
Es muss sich dringend grundsätzlich etwas im Bildungsbereich ändern. Politik darf nicht noch mehr Generationen so defizitär ins Leben schicken.
Gewünscht ist eine dringend gebotene, parteiübergreifende, grundlegende strukturelle Lösung dieser Thematik zum Wohle der Kinder, der Eltern und damit der Zukunft unseres Bundeslandes. Wann wacht die regierende Politik in Bremen endlich auf?
Aktuelle Ergänzung:
Glücklicherweise konnte nach Monaten des Bangens in Findorff vorige Woche eine positive Nachricht verkündet werden:
Personal wurde für die Einrichtung gewonnen, sodass die Betreuungszeit in der Krippe nun doch nicht ab August reduziert werden muss. Eine echte Erleichterung für uns Findorffer Eltern. Dieses Pflaster hält jedoch nur so lange wie das Personal in der neuen Konstellation auch wirklich erhalten bleibt.“
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Soweit der Erfahrungsbericht von André Penzien, Experte für Informationssicherheit, der ehrenamtlich dem Beirat Findorff für die FDP angehört.
Beim nächsten Mal, liebe Leserschaft, gibt’s wieder ein Blogstück, wie Sie es von mir kennen. Ich wollte Ihnen diesen Einblick in den Eltern-Alltag – auch wenn er etwas länger 🙂 geraten ist – keineswegs vorenthalten.
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
Tipp: Schauen Sie in die Leserkommentare zum Stück „In Bremen kein Thema: Bundesregierung „kapert“ Öltanker…“ an. Kontrovers und sachlich, sowie prima Ergänzung zum Geschichtsunterricht.
Guter Beitrag eines Familienvaters als Erfahrungsbericht zu der seit Jahren bestehenden Diskrepanz in Bremen zwischen Anspruch und Wirklichkeit in den Kita-Realitäten, verantwortet durch das SPD geführte Bildungsressort von Frau Aulepp, die längst hätte zurücktreten sollen. Danke dafür.
Der Befund ist traurig aber richtig. Aber die Vorschule überzeugt mich nicht: wo soll Personal und Gebäude dafür herkommen? Ich fürchte, das man damit die gebeutelten Schulen kanibalisieren würde.
@ Martin Gerken: wo die Gebäude und das Personal herkommen soll, fragen Sie. Wie wär‘s mit einem kleinen Ausflug nach Hamburg? Die haben es ja auch hingekriegt. Wenn man etwas wirklich will, findet man auch einen Weg. Wenn man aber etwas nicht wirklich will, findet man einen Grund. Und genau so verfährt die Bildungsbehörde in Bremen seit Jahrzehnten. Sozial ist das nicht, auch wenn die Bremer Sozialdemokratie das immer noch und immer wieder für sich in Anspruch nimmt. Sie finden Gründe, lassen einen unbedingten Willen, wie ihn Hamburg aufgebracht hat, aber entscheiden vermissen. Kinder und Eltern zahlen den Preis! Vielen Dank dafür.
Vorschule gut und schön. Hat die Röwekamp‘ sche CDU auch verraten, wo die Räumlichkeiten und das Personal dafür herkommen soll? Ich bin gespannt!
Ja, die CDU hat einen Antrag gestellt die Vorschule wieder einzuführen.
Personal ist dafür auch vorhanden. Es gibt derzeit diverse Lehrkräfte, die im Ruhestand sind und bereit wären darüber hinaus einige Stunden zu arbeiten. Die CDU hatte dazu in der letzten staatlichen Bildungdeputation eine Berichtsbitte mit der Nummer VL 21/4479 (öffentlich einsehbar). An einer Formalie hapert hier die Umsetzung, da noch von Personal für die zusätzliche Abfederung im Schuldienst (Regelunterricht). Es gibt viele Lehrkräfte die gerne starten würden- aber eben gegen Entgelt – für ihre zusätzlich freiwillig erbrachte Leistung. Der RRG-Senat lässt sie nur schlicht nicht- Geld will er nicht ausgeben.
Zur Frage der Räumlichkeiten. Wir haben derzeit 1.460 fertig gebaute Kindergartenplätze ohne Personal. Diese Räume könnten für eine Vorschule genutzt werden im jeweiligen Quartier. Hinzu kommen die vielen Räume in den Bürgerhäusern. Natürlich könnte man auch Kooperationen mit Kirchen- in Bezug auf deren Räumlichkeiten eingehen. Das würde dann allerdings Miete kosten und würde bedeuten, dass man mal lebenspraktisch denkt.
Es gibt in Bremen derzeit viele private Angebote die eine sog. Vorschule anbieten- angenommen von bildungsnahen Eltern, die das gerne bezahlen. Gerecht ist das nicht.
Man kann es auch wie in Hamburg umsetzen mit 50% über die Kindertagesbetreuung (dann hätten wir auch vielleicht nicht mehr 25% Erzieher, die nach 5 Jahren dauerhaft das Berufsfeld verlassen) und 50% in sog. Vorschulen.
Abschließend wir haben hier in Bremen kein Erkenntnisproblem- alleine nur ein Umsetzungsproblem. Es fehlt schlicht der Wille wirklich etwas Geld auszugeben, konkrete lebenspraktische Entscheidungen zu treffen und dabei auch mal Ressortübergreifend und „ um die Ecke zu denken“.
Andere Bundesländer wie z.B. Berlin müssen Regelunterricht in „solchen Räumen“ erteilen, dann sind diese Räume doch auch geeignet für unsere Vorschulkinder.
Wir brauchen endlich wieder mehr Kinder, die tatsächlich schulreif sind und das unabhängig vom Bildungshintergrund der Eltern- ansonsten werden wir diesen Kindern nie den Ausstieg aus der Armut ermöglichen und adäquate Bildungsabschlüsse.
Mal ganz pragmatisch: Alleine in der Überseestadt stehen tausende von Quadratmetern Bürofläche leer. Dieses gilt sicher auch für andere Stadtteile. Räume wären also schon mal vorhanden. Aber woher will die Stadt Bremen (oder gar das Bundesland Bremen) das Geld für die Mieten nehmen? Personal ließe sich bei gutem Willen auch beschaffen. Vorschlag: Sofortiger Abbau (unter Einhaltung der Kündigungsfristen) in den senatorischen Dienststellen und den Verwaltungen. Da klammern sich vor allem in Bremen viel zuviele Menschen an ihrem Job – oder werden durch die vorgesetzten Dienststellen dort festgehalten. Unter Vorbehalt: Vielleicht brauchen wir auch mal einen Elon Musk zur Neustrukturierung der Verwaltungen (aber bitte demokratisch geordnet!)? Was ist wichtiger? Abbau von überflüssigen Ressourcen oder eine gute Investition in die Zukunft der Kinder und (kommenden) Bürger?!
Übrigens: Die Einrichtung der neuen Grundschule im ehemaligen Kellogs Verwaltungsgebäude hat doch auch schon ganz gut geklappt.
@sandra ahrens: nur auf pädagogisches Personal zu rekurrieren, das eigentlich schon in Rente ist, reicht leider auch nicht. Die Lösung könnte in einer grundlegenden Reformierung der Ausbildung liegen.
Früher gab es den Beruf der Kinderpfleger/in, Einstiegsvoraussetzung war der Hauptschulabschluss, Dauer der Ausbildung 2 Jahre, Einsatzbereich war die Kita, aber als Zweitkraft, nicht allein verantwortlich für eine Gruppe.
Dann wurde eine mittlere Qualifikationsebene eingeführt, die Sozialassistenten, Dauer der Ausbildung ebenfalls 2 Jahre, Einstiegsvoraussetzung war der Realschul-, also der Sek. I Abschluss, Einsatzbereich die Kita als Zweitkraft. Die Dritte Qualifikationsebene waren die Erzieherinnen, die mit ihrem Abschluss die Gruppenleitungsfähigkeit bescheinigt bekamen und die Fachhochschulreife.
In Niedersachsen wurden die praktischen Ausbildungsteile integriert, in Bremen blieb es dabei, nach Abschluss der Erzieherausbildung ein sogenanntes praktisches Jahr für kleines Geld absolvieren zu müssen.
Die verschiedenen Qualifikationsniveaus und die Dauer der jeweiligen Ausbildung ließen sich auf Verkürzungsmöglichkeiten hin überprüfen.
In fast jedem anderen Beruf bekommen die Lehrlinge ab dem ersten Ausbildungsjahr Geld. Warum ist das in pädagogischen Berufen nicht der Fall?
Hier gäbe es einen Hebel, den Beruf attraktiver zu machen.
Außerdem gäbe es die Möglichkeit, all die abgewanderten Pädagogen wieder zurück zu gewinnen, indem die Arbeitsbedingungen sich den Lebenswirklichkeiten von Frauen und Kindern sowie deren Familien anpassen würden.
Ein weiterer Aspekt wäre, dass pädagogisches Personal sich auf ihre Kerntätigkeit konzentrieren könnten, indem für alle hauswirtschaftlichen Tätigkeiten anderes Personal eingesetzt würde. In Skandinavien gibt es seit vielen Jahren einen Personalmix von Menschen mit ganz unterschiedlichen Qualifikationen in pädagogischen Einrichtungen. Warum sollte das hier nicht möglich sein? Auf diese Weise könnte die gesellschaftlich so wichtige Aufgabe von Erziehung und Bildung deutlich effektiver gestaltet werden, ohne gleich deutlich teurer zu werden. Das würde sich positiv auf die Chancengerechtigkeit auswirken.
All diese Potentiale könnten gehoben werden, wenn Politik sich endlich entscheiden würde, diesem Bereich die Aufmerksamkeit zu widmen, die ihm gebührt.
Priorisieren, priorisieren, priorisieren!!!
Vorhandenes Geld im Sinne aller Bürger richtig und effektiv einsetzen, das ist die Herausforderung um die es geht. Man muss es nur wollen!
Vielen Dank für diesen Beitrag, der den Nagel auf den Kopf trifft. Meine Partnerin arbeitet in einer Kita in Gröpelingen. So bekomme ich die Misere täglich aus erster Hand mit. Ich habe als Lehrer in Hessen und Niedersachsen bis zum letzten Schultag mit 65,5 sehr gerne gearbeitet. Unter Bremer Bedingungen hätte ich wahrscheinlich den Beruf gewechselt. Was in Bremen passiert, wäre nicht mit meinem Berufsethos vereinbar gewesen.
Herzlichen Dank Herrn Penzien für diesen sehr umfassenden und sachlich vorgetragenen Block. Als Großvater von 5 Enkelkindern (2 Mädchen davon in Bremen und 3 Jungs in Hamburg) kann ich die Misere in der Kinderbetreuung insbesondere in Bremen nur bestätigen. Eine sachgerechte und attraktive Ausstattung von frühkindlichen und schulischen Betreuungseinrichtungen und Schulbildung ist zwingende Voraussetzung für eine demokratische und
auch im Wettbewerb erfolgreiche Gesellschaft von Morgen. Dies umso mehr als eine aus den Fugen geratene Geopolitik diese Zukunft mit massiven Hypotheken belastet. Nach dieser allgemeinen Erkenntnis muß es spätestens jetzt (!) zu einem entschiedenen Ruck aller Verantwortlichen- gerade auch in der Bremer Politik kommen-,und die ideologisch motivierte Selfimentalität mit absurd anmutenden „Projekten“ , die keiner braucht und will, endlich beendet werden. Es muß dringend eine auf die Zukunftsnotwendigkeiten gerichtete Finanzpriorisierung stattfinden! Ansonsten kann auf ein Landesparlament mit solch desaströsem Outcome und einem zudem gesteigerten Rentenanpassungsbedarf (welche um ihre Bildungschancen geprellte Generation will /kann diesen Bedarf den auch bezahlen (wollen) ?) verzichtet werden.
@hilde Koake: Ganz herzlichen Dank für Ihren wirklich guten Kommentar und Ihre Einschätzung der Situation.
Ja ich teile diese in großen Teilen.
Wir brauchen attraktive Aus- und Durchstiege auch nach oben und keine Einbahnstraßenausbildung, nur weil es ein typischer Frauenberuf ist „sich um Menschen zu kümmern“,
Die Erzieherausbildung ist ja eine Weiterbildung und keine Erstausbildung!
Sie dauert in Bremen 5 Jahre (Erstausbildung z. B. SPA, dann Zweitausbildung 2 Jahre Vollschulisch und 1 Jahr Anerkennungsjahr- inzwischen auf Antrag mit Gehalt, dafür aber Anrechnung auf den Fachkräfteschlüssel des Trägers)
Wir haben eine Bezahlung von Anfang an gefordert in Initativen- auch in der Erstausbildung! Also Sozialpägagogische Assistenz ( 2 Jahre) und auch der Kinderpfleger/in (3 Jahre und mit EBBR). RRG hat das abgelehnt!
Meisterbafög und seine Rückzahlung (für die vielen Quereinsteiger in den Erzieherberuf) von 4000 auf 1500 Euro gekürzt- das ist leider die Realität in Bremen.
Man will die Qualität gar nicht, nur die Quantität von RRG – Seite aus.
Ich teile die Auffassung, dass der Beruf attraktiv sein muss.
Das bedeutet Bezahlung von Anfang an.
Noch wichtiger als eine immer bessere Bezahlung ist aber die nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Das beinhaltet nicht das System mit immer mehr ungelerntem Personal zu fluten und die Verantwortung für Fehler durch nicht ausreichend qualifiziertes Personal dem pädagogisch qualifiziertem Personal, das nur in Horch oder Hörweite (Telefon scheint zu reichen und Erzieherin ( Entwurf § 10(3) BremKTG muss nicht mal in der gleichen Etage sein) ist, zu geben.
Wir haben in Bremen jetzt schon NUR 70% Fachkräfte (2008 wurde der Beschluss dazu gefasst von RG). Die Empfehlung der Arbeitsgruppe Frühe Bildung davon Bund und Ländern lautet 85% Fachkraftquote (4 Fachkräfte : 1 Zusatzkraft). Die Idee das System jetzt für 6 Stunden (Bildungszeit) noch mal mit reduziertem Fachkraftschlüssel (1 Erzieher § 10 (3) + 1 SPA § 10 (4) ) zu
Das wird nur für eine weitere Abwanderung sorgen und 25% der Erzieher verlassen das Berufsfeld jetzt schon nach 5 Jahren dauerhaft.
Erzieher selbst gefragt sagen: zu über 50% gute Arbeitsbedingungen und ein gutes Team sind wichtiger als mehr Geld (dazu gibt es Studien seit über 10 Jahren).
Das müssen wir endlich mal ernst nehmen.
Wir brauchen ein Konzept- und es wir ein Tal der Tränen geben- mit klarer Analyse der Ist-Situation
Derzeit 1.460 fertig gebaute Plätze aufgrund Personalmangels unbesetzt, aber auch 1.300 fertige Plätze unbesetzt mangels Kids- aber mit Personal hinterlegt. Wir haben 25% Krankheitsquote zahlen aber nur 10% Vertretungsreserve- das geht derzeit schief mit den ständigen Notdiensten, Ausfällen, Zusammenlegungen, Schließungen.
Es braucht: 1: Personal das über ist muss zur Konsolidierung des Systems verwendet werden, weiteres noch übriges Personal für den Ausbau
Es müssen 3 rote Linien immer beachtet werden,die dürfen nicht unterschritten werden:
1. Kinderschutz muss gewährleistet bleiben- verhaltenskreative Kinder (später in der Schule W+E oder an der Schwelle dazu) und Kidner mit anerkanntem Inklusionsbedarf brauchen pädagogisch ausreichend qualifizierte Fachkräfte ganztägig. Die Stellungnahmen der Träger zum RRG-Entwurf des BremKTG sagen- ich zitiere wörtlich: Eine lediglich 4 wöchige Qualifikation zum Kinderschutz wird in der Praxis nicht vor Überforderung und Stress durch Unkenntnis kindlicher Entwicklung sowie Gruppendynamiken schützen. Hier sind aus unserer Sicht Übergriffe, unangemessenes Verhalten und damit schadhafter Einfluss auf kindliche Entwicklungsprozesse vorprogrammiert.“
2. Sprachförderung muss gelingen (integrativ und additiv)- wir haben rund 50% Kinder mit festgestelltem Sprachförderbedarf, je nach Stadtteil variierend von 8-80%. Das muss sichergestellt werden
3. Aufbewahrung versus Anspruch des SGB VIII auf BILDUNG, ERZIEHUNG und Betreuung. Kita muss schulfit machen und zwar alle Kinder
Es muss daher ganz anders an das Thema herangegangen werden- alle sofort ganztägig in die Krippe ist nicht für alle der richtige Weg. Quartiersmanager in den sog. WIN-Quartieren beklagen, dass Eltern gerade in sog. Brennpunkten (RRG-Sprech: sozioökonomisch benachteiligte Quartiere oder Willkommensquartiere) immer mehr Basiskompetenzen als Eltern fehlen. Die meisten arbeiten nicht, sind also zu Hause.
Wieso nicht in diesen Fällen „Eltern-Kind-Gruppen wo Eltern lernen, wie sie mit Ihren Kindern umgehen können, was sie unterstützt und mit niedrigschwelligen Zugängen zur Hilfe etablieren und in jedem Stadtteil das so erfolgreiche „Quirl-Einstiegshaus“ vom Konzept her- wie im Bremer Westen. Das bereitet die Kinder optimal auf die Krippe/Kita vor, hilft den Eltern ihre Kompetzenzen zu steigern. Entlastetet das System und vor allem hilft es den betroffenen Kindern wirklich in allen Belangen.
Das alles haben wir als CDU schon gefordert, wurde aber von RRG abgelehnt. Hier gilt eher die DDR-Maxime nur die „institutionelle Krippe ist gut und das mindestens 6 Std am Tag“ alles andere funktioniert nicht.
Ich persönlich teile das nicht, viele Praktiker übrigens auch nicht. Es kommt immer auf den Mehrwert für das einzelne Kind an und dieser Ansatz kommt mit in Bremen viel zu kurz.
Gerne stehe ich auch für ein persönliches Gespräch zur Verfügung. Vielleicht haben Sie ja auch noch gute Ideen, wie wir dem Problem begegnen können. Ich lerne sehr gerne dazu.
@Sandra Ahrens. Haben Sie vielen Dank für diese tolle Kommentare. Das ist die beste Oppositionsarbeit, die ich seit 20 Jahren wahrgenommen habe.
Ich habe eine junge Frau mit Migrationshintergrund im Bus in Huchting beobachtet. Sie hatte 4 Jungs – ich schätze 5 J., 4 J. sowie ein Kleinkind und ein Säugling. Die Kinder waren lebhaft – aber sie bekamen ja auch nur dann Aufmerksamkeit als sie Blödsinn gemacht hatten. Die Mama wollte ihre Ruhe haben, um im Smartphone zu scrollen.
Ich habe überlegt – woher sollte sie wissen, wie sie besser mit der Situation umgeht? Mit etwas Glück trifft sie auf eine qualifizierte Pädagogin in einer Kita, vielleicht aus ihrem eigenen Kulturkreis, die sie berät und unterstützt. Denn auch das leisten qualifizierte Kräfte.
Aber RRG hat eindeutig andere Prioritäten.