Auch die „Ober-Instanz“ kann irren – Verfassungsschutz observierte Bremer 38 Jahre

04.05.2025 22 Von Axel Schuller

Achtung, die „Pawlowschen Hunde“ sind los. Präziser: die aus Politik und Medien. Gemeinsam hetzen sie hinter der Rechten her. Auslöser: Ein „Gutachten“ des Verfassungsschutzes und darauf basierend der Hochstufung der AfD zu einer „gesichert rechtsextremen“ Partei. Das Jagdfieber ist auch in Bremen ausgebrochen. Dabei lebt in unserer Stadt ein Mann, der 38 Jahre (!) lang zu unrecht vom Verfassungsschutz ausgespäht worden ist. Liebe Leserschaft, die AfD ist nun wirklich nicht meine Partei. Aber: Der Überhöhung einer weisungsgebundenen Behörde namens Bundesamt für Verfassungsschutz zu einer Art außerirdischen Instanz muss widersprochen werden. 

Ja ich weiß, „Schuller bleib bei deinen Leisten. Lass diejenigen über die große Politik schreiben, die davon mehr verstehen“. Würde ich ja gerne, wenn diejenigen, die dafür zuständig sind, ihren Job ordentlich machen würden. Tun sie aber nicht.

Als ich am Freitag las, „Verfassungsschützer stufen die gesamte AfD als gesichert rechtsextrem ein“, war mir klar: Jetzt werden wieder (fast) alle zu Jägern der Rechten und Verfechtern der Demokratie. Dass die Grünen vor 15 Jahren im Bundestag die Auflösung des Verfassungsschutzes gefordert hatten – vergessen. Die Linken waren per se schon immer gegen die Tätigkeit des Geheimdienstes.

Jetzt aber können sich die beiden Fraktionsvorsitzenden des Linken in der Bremischen Bürgerschaft, Sofia Leonidakis und Nelson Janßen, gar nicht schnell genug auf das 1.100seitige „Gutachten“ des Verfassungsschutzes stürzen – und ihre Forderung nach einem Verbot der AfD drauf stützen.

Ausgerechnet die Linke – teilweise aus der Mauerschützen-Partei SED hervorgegangen. Immerhin gibt es in deren Reihen auch noch Vernünftige. Kai Stührenberg, Linken-Staatsrat im Bremer Wirtschaftsressort, schrieb auf X:

„Der Aufstieg der AfD ist ein Riesenproblem, gegen den was getan werden muss. Das Handeln des Bundesinnenministeriums ist aber offensichtlich politisch intendiert und ohne echte Belege. Juristisch mehr als fragwürdig.“

Dem ist so. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist weder unabhängig noch „freischwebend“, sondern es ist eine weisungsgebundene Behörde, die der Noch-Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) untersteht. Die Landesämter für Verfassungsschutz sind Teil der jeweiligen Innenministerien.

Es ist erschütternd, wie gutgläubig und vom Anti-Rechts-Sein beseelt derzeit Politiker, aber auch Journalisten auftreten. Kaum einer von denen, die sich öffentlich äußern, kann das 1.100-seitige „Gutachten“ des Verfassungsschutzes kennen. Die Verfassungsschützer haben es praktischerweise selbst als „geheim“ eingestuft.

Mal aufs Grundsätzliche geschaut: Der Verfassungsschutz hat die AfD über mehrere Jahre wegen des „Verdachts“ auf rechtsextreme Umtriebe beobachtet. Derselbe Verfassungsschutz schreibt nun ein „Gutachten“, auf dessen Grundlage er – und nicht etwa unabhängige Richter – die AfD als „gesichert rechtsextrem“ einstuft.

Auf dieser Grundlage darf der Verfassungsschutz nun zu handfesten Maßnahmen gegen die AfD greifen: Telefonate abhören, V-Leute in der AfD platzieren und mit Steuergeldern entlohnen. Zwischenfrage: Hat der Verfassungsschutz im Zusammenhang mit rechten Gruppen, wie dem NSU, in der Vergangenheit eigentlich immer vorbildlich agiert?

Zurück ins Jetzt: Wer hat die Einschätzung des Inlands-Geheimdienstes eigentlich gegengecheckt, die gesamte AfD sei nunmehr „gesichert rechtsextrem“? Könnte doch – natürlich nur ganz theoretisch – sein, dass sich die Ermittler auch mal irren…

In Bremen lebt ein Mann, den die Verfassungsschützer 38 Jahre lang wegen vermeintlich verfassungsfeindlicher Umtriebe dauer-beobachtet hatten: Dr. Rolf Gössner (77). Der Jurist wurde über Jahrzehnte observiert, weil ihm Kontakte zur DKP, zur Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) und zur „Roten Hilfe“ nachgesagt wurden. Diese „Kontaktschuld“ brachte Gössner fast vier Jahrzehnte lang die keineswegs gewollte Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes ein.

Als der Bremer Jurist dagegen vor dem Verwaltungsgericht Köln (Sitz des Bundesamtes für Verfassungsschutz) vorging, teilten die „Schlapphüte“ 2008 – wenige Tage vor der ersten mündlichen Verhandlung – mit, dass sie die Überprüfung „nach aktuell erfolgter Prüfung“ eingestellt hätten.

Zweieinhalb Jahre später, am 3. Februar 2022, kam das Verwaltungsgericht Köln zu der Auffassung, dass Gössners Beobachtung durchgehend rechtswidrig gewesen sei. 38 Jahre lang!

Der SPIEGEL schrieb damals: „Es konnte im vom Bundesamt für Verfassungsschutz vorgelegten Material keine Anhaltspunkte für verfassungsrechtliche Bestrebungen gefunden werden.“

Die Verfassungs-“schützer“ gaben aber nicht klein bei. Einsprüche beim Oberverwaltungsgericht Münster und selbst ein Revisionsversuch beim Bundesverwaltungsgericht Leipzig wurden abgeschmettert. Die obersten Richter in Leipzig teilten mit: Die jahrzehntelange Überwachung war „in handgreiflicher Weise unangemessen“.

Doch sowohl die Verfassungsschützer als auch die Politik haben aus diesem staatlichen Fiasko offenbar nichts gelernt. Die Geheimdienstler spähen weiter, schreiben Vermerke und manchmal sogar 1.100seitige „Gutachten“.

Im aktuellen Fall der AfD wird kein Einblick in diese („geheimen“) Unterlagen gewährt. Dafür muss die Partei gegen das Vorgehen der Schlapphüte und gegen das sie deckende Innenministerium rechtlich vorgehen.

Ohne – wie gesagt – mit der AfD auch nur irgend etwas am Hut zu haben, zwingt sich eine Frage geradezu auf: Was hat dieses Vorgehen mit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu tun?

ACHTUNG: Der vorige Satz kann heutzutage als „Delegitimierung“ staatlichen Handelns ausgelegt werden. Womöglich werde ich jetzt auch „beobachtet“. Sollte ich demnächst bei Wasser und Brot im Kerker landen, setze ich, liebe Leserschaft, auf Ihre Unterstützung meiner Familie.

Ich weiß, das klingt lächerlich. Aber: In Jahresberichten der Bundes- und Landesverfassungsschützer taucht die Warnung vor Delegitimierern tatsächlich auf. Diese stellten staatliches Handeln in Frage, die müsse man im Blick behalten…

Dass Politiker den neuen Move gegen die AfD schamlos ausnutzen – Verbotsverfahren gegen die AfD einleiten; Keine Steuergelder mehr für die AfD etc. – verwundert nicht ernsthaft. Immerhin hat die AfD bei Landtags- und zuletzt bei der Bundestagswahl massiv zugelegt., stellt insbesondere für CDU, CSU und SPD eine Gefahr dar.

Dass aber Journalisten in das Verbotsgeheul der Parteien einstimmen, macht mich – einmal mehr – fassungslos. Haben Journalisten heutzutage vergessen, dass sie mit ihrer Arbeit für die Demokratie einzustehen haben. So wie sie es gerade wortgewaltig zum Tag des Pressefreiheit selbst bekunden.

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) hat aufgrund der Verfassungsschutz-„Expertise“ indes ernsthaft gefordert, alle Journalisten müssten bei allen Berichten über die AfD nicht nur stets den Wahrheitsgehalt prüfen, sondern auch „die völkischen, rassistischen und rechtsextremen Absichten dieser Partei deutlicher hervorheben.“

Frage: Wie wäre es denn, wenn regierende Politiker im Bund und in den Ländern die wahren Probleme ihrer Wählerinnen und Wähler wirklich ernst nähmen und diese womöglich lösten? Würde die AfD dann scharenweise Wähler verlieren?

In Dänemark haben die regierenden Sozialdemokraten die Rechtsextremen regelrecht verzwergt, indem sie eine – aus deutscher Sicht – knallharte Migrationspolitik durchziehen: Externe Auffangzentren, kein Spontan-Asyl an den Grenzen.

Die dänischen Sozis haben nicht weinerlich nach einem Verfassungsschutz (gibt’s den dort überhaupt?) gerufen, sondern – ganz einfach – gehandelt. Und meine nordischen Journalisten-Kollegen haben sich dort nicht wie freudige Handlanger der Politik betätigt, sondern ihren Job gemacht: Berichtet und kommentiert.

Liebe Leserschaft, wenn Sie jetzt noch immer bei mir – also meinem Text – sein sollten, will ich Ihnen noch ein paar Sätze aus der Erklärung des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 2. Mai 2025 darreichen. Die Schlapphüte begründeten die Höherstufung der AfD zur „gesichert rechtsextremen“ Partei mit Äußerungen einzelner Parteimitglieder, die man (inhaltlich) vermutlich an vielen Stammtischen der Nation nach ein paar Bieren hören kann.

Die Verfassungsschützer werfen der AfD u.a. vor:

„Insbesondere die fortlaufende Agitation gegen Geflüchtete beziehungsweise Migrantinnen und Migranten befördert die Verbreitung und Vertiefung von Vorurteilen, Ressentiments und Ängsten gegenüber diesem Personenkreis. Die Abwertung der vorgenannten Personengruppen zeigt sich auch in der pauschalisierenden Verwendung von Begriffen wie „Messermigranten“ oder in der generellen Zuschreibung einer ethnokulturell bedingten Neigung zu Gewalt durch führende Mitglieder der AfD.“

Vorschlag: Der Verfassungsschutz lädt die Polizeipräsidenten von Großstädten ein und hört sich mal deren Einschätzungen zum Thema Kriminalitätsentwicklung an. Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) fällt mir als zusätzlicher Informant ein.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr etwas aufgebrachter Axel Schuller

P.S.: Ich freue mich auf Ihre Kommentare. Bitte – wie immer – frei von Hetze oder Beleidigungen formuliert.