Wie gut, dass Ulrich Mäurer noch Bremens Innensenator ist
Oh Bremen, welch Glück du doch manchmal hast: Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) gehört zu diesen „Pluspunkten“. Er behielt in der gestrigen Bürgerschaftsdebatte zum angestrebten Verbot der AfD als einer der wenigen einen kühlen Kopf. Allerdings könnte ihn dies noch in diesem Jahr sein Amt kosten. Mäurers Plädoyer, doch erst einmal das Verfassungsschutz-Gutachten mit dessen Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextrem“ zu lesen, zu prüfen und anschließend daraus Schlüsse zu ziehen, mochten die meisten Parlamentarier partout nicht hören.
Ulrich Mäurer nahm in der Bürgerschaft kein Blatt vor den Mund. Der Mann wird im Sommer 74, absolviert (bis 2027) vermutlich seine letzte Amtszeit, genießt auf der politischen Bühne im Grunde eine völlige Unabhängigkeit – was zuweilen auch „Narrenfreiheit“ genannt wird.
Aus dieser Situation heraus erlaubte Mäurer sich eine Generalkritik an seiner Genossin Nancy Faeser. Er beschrieb die Veröffentlichung des Verfassungsschutz-Papieres durch die (vorige Woche) Noch-Bundesinnenministerin, dass man fast an einen Mini-Staatsstreich von ihr denken musste.
Demnach hatte Faeser am „Brückentag“ 2. Mai das 1.100-seitige Papier das Bundesamtes für Verfassungsschutz ohne vorherige Prüfung durch die zuständige Fachabteilung ihres Ministeriums veröffentlicht. Auch habe sich Faeser – völlig unüblich – in keinerlei Weise mit den Innenministerien der Bundesländer, auch nicht mit ihm, Mäurer, als Vorsitzendem der Innenministerkonferenz abgestimmt.
Da saßen nun die Bürgerschaftsabgeordneten von SPD, Grünen und Linken staunend und verärgert. Hatten sich doch die Fraktionschefs Mustafa Güngör (SPD), Dr. Henrike Müller (Grüne) und Sofia Leonidakis (Linke) fest vorgenommen, die AfD-Einstufung als „gesichert rechtsextrem“ endlich und sofort zu nutzen, um im Bundesrat ein AfD-Verbotsverfahren voranzutreiben. Begründung: Die AfD gefährde die Demokratie.
Doch Mäurer führte den Parlamentariern ruhig und sachlich vor Augen, dass man die 1.100 Seiten doch sinnvollerweise zunächst lesen möge. Danach könne man ja immer noch Forderungen daraus ableiten. Dies erschien den bereits auf ein Verbotsverfahren festgelegten Abgeordneten offenbar zu langwierig.
Wundersam verhielt sich übrigens die CDU-Fraktion unter der (gestrigen) Anführerschaft von Dr. Wiebke Winter, der vermutlich künftigen Fraktionschefin. Erst berichtete sie, sie habe das Gutachen als Mitglied der parlamentarischen Kontrollkommission lesen dürfen, dann gab sie jedoch zu, dafür nur eine Stunde Zeit gehabt zu haben.
Entweder kann die Frau – wie man früher Bürgermeister Dr. Henning Scherf nachsagte – Texte per Handauflegen erfassen, oder aber sie hat gestern einfach übertrieben. 1.100 Seiten in einer Stunde zu lesen (also 18,3 Seiten pro Minute), dürfte selbst die intelligente Frau Winter überfordern.
Auf jeden Fall votierte sie überraschend zusammen mit 15 anderen Christdemokraten mit den drei Koalitionsparteien für die Aufforderung, der Senat solle sich sofort im Bundesrat für ein AfD-Verbot einsetzen.
Mäurer wies indes mit Bedacht darauf hin, dass der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) bereits vorigen Freitag erklärt habe:
„Die AFD muss man nicht wegverbieten, sondern wegregieren; und sich über die Themen unterhalten, die die AFD großgemacht haben“.
Dobrindt hatte zudem angekündigt, er werde dafür sorgen, dass die entsprechende Fachabteilung im Bundesinnenministerium das Gutachten zunächst prüfen werde.
An diesen Kurs will sich auch Mäurer halten. Er hat das 1.100 Seiten Papier der Verfassungsschützer auf die Tagesordnung der nächsten Innenministerkonferenz vom 11. bis 13. Juni in Bremerhaven gesetzt. Dort solle über weitere Schritte beraten werden.
Nebenbei: Bürgerschaftspräsidentin Antje Grotheer (SPD) nervte am Ende der gestrigen Debatte kolossal, indem sie alle 30 Sekunden die Sitzungsglocke anklingen ließ. Als Zeichen, Mäurer solle seine Rede beenden. Eigentlich völlig daneben. Sechs Abgeordnete sprachen jeweils 7 Minuten, also eine Dreiviertel Stunde – und dem zuständigen Fachsenator wird dann eine Redezeit von insgesamt 7 Minuten zugestanden. Wer sich nicht daran hält, bimmelt die Präsidentin alle 30 Sekunden an… Armes Bremen.
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
Wenn ich als verdienter, anerkannter, konservativer Sozialdemokrat derzeit Vorsitzender der IMK wäre, die m.W. unter seiner Leitung im Juni in Bremerhaven tagt, würde ich doch auch keinen Antrag von Linken und Grünen unterstützen aus einem (Mini-/Stadtstaaten-) Parlament, in dem gar keine AfD sitzt! Die Debatte wird doch auf höchster Ebene geführt und man ist sich weitestgehend über die Ausgangslage einig, weiß nur nicht, wie am Ende (verfassungs-) gerichtlich entschieden würde und will auf keinen Fall, dass die AfD von einem evtl. Scheitern im Verbotsverfahren auch noch heroisch profitiert. Der Bremen Antrag kommt also zum einen aus der völlig falschen Ecke und für Sen. Mäurer auch noch zur Unzeit.
Lieber Axel Schuller,
zunächst einmal: Ich schätze Ihren Blog sehr – gerade weil Sie unbequeme Themen aufgreifen und klare Kante zeigen. Auch im aktuellen Beitrag zum angestrebten AfD-Verbot stellen Sie Ihre Meinung deutlich dar – das ist legitim und gehört zur politischen Debatte. Dennoch möchte ich an einem Punkt entschieden widersprechen.
Die Darstellung von Innensenator Ulrich Mäurer als eine Art „Schutzpatron der inneren Sicherheit“ greift aus meiner Sicht zu kurz – oder vielmehr: sie greift daneben. Mäurers Auftritt rund um das AfD-Verbot war weniger staatsmännisch als vielmehr persönlich motiviert. Es ging ihm erkennbar nicht um die Sache, sondern darum, dass er in Berlin nicht an der Seite von Nancy Faeser glänzen durfte. Noch mehr hat ihn offenbar geärgert, dass der Antrag im Parlament ohne seine Beteiligung eingereicht wurde. Der Brückentags-Vorwurf ist ein Nebelwurf – wer das 1100-Seiten-Gutachten nicht an einem Tag komplett durchdringen kann, kann dennoch eine politische Grundsatzposition dazu einnehmen.
Die Initiative für das Verbot kam – zumindest formal – aus dem Parlament. Es liegt nun an der Regierung, diesen Impuls zu prüfen. Wer daraus einen persönlichen Affront macht, zeigt eher Empfindlichkeit als Führungsstärke. Mäurers Reaktion spricht nicht für ein souveränes Krisenmanagement, sondern offenbart vielmehr den inneren Zustand der rot-grün-roten Koalition, in der offenbar jeder für sich kämpft.
Statt also persönliche Motive zu verklären, sollten wir nüchtern analysieren, worum es geht: um einen politisch wie rechtlich komplexen Schritt, bei dem persönliche Eitelkeiten nichts verloren haben.
Mit freundlichen Grüßen
Heiko Strohmann
Aus dem seinerzeit gescheiterten NPD-Verbots-verfahren sollte man doch eigentlich gelernt haben: Hektik und Unbedachtheit führen nicht zum gewünschten Erfolg! Neben der vom BVG geforderten „Wirkmächtigkeit“ einer zu verbietenden Partei muss auch deren gesicherte Intention zum Umsturz der verfassungsmässigen Ordnung als Zielvorstellung zweifelsfrei nachgewiesen werden. Dessen ungeachtet, bleibt zu bedenken, warum denn von Millionen Wählern eine solche Partei gewählt worden ist? Und damit beisst sich die „Verbotskatze“ in den eigenen Schwanz! Die meisten AfD-Wähler wollen doch keinen Systemumsturz, sondern zuerst mal, dass die Politik sich um die Lösung von Problemstellungen kümmert! Von daher ist Herrn Dobrindt zu zustimmen, wenn er auf das Primat des politischen Handelns hinweist.
Den größten Gegner verbieten, statt ihn auf der politischen Ebene mit Argumenten/ Taten zu widerlegen, die die Wähler überzeugen und ihre Sorgen und Nöte ernst nehmen, das stärkt die Demokratie nicht, sondern höhlt sie aus.
Ja, wie gut, dass Ulrich Mäurer noch Bremens Innensenator ist ! Aber muss man erst 74 Jahre (14.07.2025)alt werden und seit exakt 17 Jahren (07.05.2025) Senator sein, um in der Bremischen Bürgerschaft ehrliches und gegen die Bürgerschaftsmehrheit gerichtetes Tacheles zu reden?
Und Mäurer weiß natürlich ganz genau: Der von der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Linken auf den Weg gebrachte Antrag für ein AfD-Verbot , dem sich auch noch Parlamentarier der CDU und FDP angeschlossen haben, hat rein gar nichts mit der Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung , sondern primär damit zu tun, dass viele Parlamentarier befürchten, dass sie nach Zulassung der AfD ihre hochdotierten und optimal abgesicherten Abgeordnetenjobs verlieren ! Ganz abgesehen davon, dass insbesondere dieses Stadtstaatenparlament bundesweit ohnehin nicht ernst genommen wird.
„Die SPD verboten, Als „staatsfeindlich“ erkärt/ Annullierung aller Mandate/ Verbot jeder Betätigung“
Zur Erinnerung zum Thema eine Schlagzeile aus Teplitz-Schönau, von Freitag dem 23. Juni 1933
„Der Brückentags-Vorwurf ist ein Nebelwurf – wer das 1100-Seiten-Gutachten nicht an einem Tag komplett durchdringen kann, kann dennoch eine politische Grundsatzposition dazu einnehmen.“
Sehr geehrter Strohmann, Sie meinen, dass man schon nach 1stündiger Lektüre eines 1100 Seiten Gutachtens eine politische Grundsatzposition dazu einnehmen kann. Ich denke, dass man sogar ohne jede Lektüre das kann, wenn man schon vorab weiß, welche Grundsatzposition man hat. Dies scheint für alle Abgeordneten zu gelten, die nicht wie Frau Winter schon mal einen Blick in das Gutachten haben werfen können.
Es lässt für die Qualität der politischen Entscheidungsfindung in Bremen nichts Gutes erahnen, wenn die Einnahme politischer Grundsatzpositionen Fakten- und Dokumentenkenntnis locker ersetzt. Ich kann nur hoffen, dass Ihre Auffassung nicht repräsentativ für die MdBBs ist, befürchte aber, dass Sie nicht der einzige sind, der so denkt.
Wie bereits beim vorhergehenden Blog über den Verfassungsschutz repräsentieren sowohl Axel Schullers meinungsfreudige Formulierungen als auch die Kommentare anschaulich die gesellschaftliche Debatte zum Thema AFD. Unter anderem. Wobei ich mit gesellschaftlicher Debatte den Teil der Gesellschaft meine, der über dieses Thema debattiert. Denn das tun nicht alle. Nach allem was aus Umfragen bekannt ist, hat die AFD den Status der Protestpartei längst verloren: die überwältigende Mehrheit der AFD Wähler ist überzeugt von den von der AFD vertretenen Positionen. Vor allem bei vielen jungen Menschen findet die AFD Anklang. Das hat nachgewiesenermaßen viel zu tun mit dem Einfluss von Medien wie TikTok und dem, was Bildungspolitiker immer noch Geschichtsunterricht nennen. Wir alle, so viel Ehrlichkeit sollte mittlerweile sein, haben diese Entwicklung zugelassen. Wir haben zugelassen (aus Angst, in die rechte Ecke gestellt zu werden; aus Feigheit vor harten Debatten), dass für sich genommen durchaus wichtige Themen überhöht wurden und die Alltagssorgen vieler Menschen verdrängt oder gar lächerlich gemacht wurden. Ich habe viele Jahre in Sachsen und Thüringen gearbeitet. Viele, die im Westen über Ostdeutschland redeten und reden, haben nicht den blassesten Schimmer worüber sie schwatzen. Ein Klassiker war, dass z. B. bestimmte Kabarettisten erklärten, es sei doch Unfug, dass man seine Meinung nicht mehr sagen könne. Jeder könne alles sagen, müsse eben nur die Konsequenzen tragen. Otto Normalverbraucher hatte und hat allerdings weder die Bühne noch die massive Unterstützung von interessierter Seite für seine Meinung. Wer als Abweichler identifiziert wurde, der Kabarettist Dieter Nuhr etwa, bekam das Etikett rechts. So nannte ihn ein Berufskollege „kabarettistischer Arm der AFD“. Erinnern wir uns an die schrägen Debatten während des Fußball Sommermärchens über das Zeigen oder Nichtzeigen der deutschen Nationalflagge. Wie lange wurde darüber diskutiert, ob bei Straftätern die Herkunft genannt werden darf oder wie detailliert Kriminalitätsstatisken sein sollen bzw. müssen oder dürfen. Und immer war es keine Sachdebatte, sondern Ideologie stand im Vordergrund. Das umfasste alle Bereiche. Erinnern wir uns an einen damaligen Außenminister, der während der Merkelzeit erklärte, wie schrecklich es unsere Nachbarn fänden, wenn die Bundeswehr mehr Waffen bekäme. Wohlgemerkt, schon damals baten die Balten inständig darum, Deutschland möge bitte endlich militärisch stärker werden und mehr Führung übernehmen. Erinnert sich noch jemand an diesen jungen Zigeuner, der an die Öffentlichkeit ging und sich verbat, dass ihm Deutsche vorschrieben, wie er sich zu nennen habe? Er gehöre weder zu den Roma noch zu den Sinti. Er sei stolzer Zigeuner. Ähnlich hat ja auch der Verband der Indianer diese deutsche Debatte in die Schranken gewiesen mit dem Hinweis, viele Völker führten den Begriff Indianer bewusst in ihrem Namen. Das sind winzige Stücke aus dem riesigen Narrenpuzzle, das jahrelang das wirkliche Bild der Gesellschaft überdeckt hat, Die prinzipiell richtige Auseinandersetzung mit diffamierenden Begriffen z. B. aus der Kolonial- oder Nazizeit wurde genutzt zur allumfassenden Deutungshoheit und legte sich (gefördert von den Dekonstruktivisten) wie Mehltau über den Alltag. Das Puzzle liegt weitgehend in Scherben. Das Bild darunter hat Risse. Wir, die wir zu lange leise oder gar stumm waren, die wir dennoch der parlamentarischen Demokratie anhängen, wir sollten zunächst einmal wieder Respekt lernen vor anderen Meinungen – innerhalb des demokratischen Spektrums. Rassismus, Neonazitum, gewaltbereiter Extremismus gleich welcher Couleur sind keine Meinungen und deshalb intolerabel. Denn Meinung beinhaltet per definitionem nie den Anspruch auf absolute Wahrheit. Meinung bleibt offen für Diskussion, harte Debatte, lässt aber immer die Möglichkeit offen, eine andere Meinung könne richtig, oder richtiger, oder besser, klüger sein. Unter diesem Aspekt sind die Erkenntnisse, Schlussfolgerungen von Geheimdiensten zu betrachten. Wenn Gerichte erklären, Bewertungen durch den Verfassungsschutz seien zulässig, so heißt das genau dies. Es ist zulässig, weil die dieser Meinung zu Grunde liegenden Fakten eben diese Meinung und daraus resultierende Bewertung decken. Die Verfassungswidrigkeit ergibt sich daraus nicht. Insofern liegt Mäurer richtig: zunächst lesen, verstehen, auswerten, prüfen – dann über Schlussfolgerungen nachdenken. Bei der Gelegenheit sei bitte die Anmerkung erlaubt zur Migrantendebatte: Worin sollen sich Neubürger eigentlich integrieren? In eine Gesellschaft, die ihren eigen Staat nicht liebt, für ihn und seine verfassungsmäßigen Organe nicht einsteht, die zu dumm und feige ist für klare Regeln und deren Umsetzung?
Ich bitte um Entschuldigung und Nachsicht für die Länge.
@vonHaken
Ein sehr differenzierter und mutiger Beitrag, dem ich in vielen Punkten zustimme. Gerade die Beobachtung, dass wir aus Angst vor Stigmatisierung oder schlichtem Unbehagen oft den offenen Diskurs gescheut haben, trifft ins Schwarze. Es ist richtig: Wer sich nicht auf Debatten einlässt, überlässt das Feld denen, die lautstark einfache Antworten geben – und das oft mit fataler Wirkung. Die Kritik an einer allzu ideologisch geführten öffentlichen Diskussion ist berechtigt. Wenn Alltagssorgen marginalisiert und gesellschaftliche Realitäten ignoriert werden, entsteht ein Vakuum, das schnell von politischen Rändern gefüllt wird. Besonders wichtig erscheint mir auch der Aufruf, wieder mehr Respekt vor anderen, demokratisch legitimierten Meinungen zu zeigen. Genau darin liegt die Stärke unserer Demokratie: in der Fähigkeit, Spannungen auszuhalten und daraus zu lernen. Vielen Dank für diesen Beitrag.
Im Sinne des Kommentares von @vonHaken sei auf die sehr lesenswerte Analyse von Susanne Schröter (Goethe-Universität Frankfurt) hingewiesen , die in ihrem Buch“ Der Neue Kulturkampf“ sehr detailliert und mit vielen (selbst)
erlebten Beispielen auf die massive Einflussnahme von dekonstruktivistischen Ideologen auf die Wissenschafts-freiheit hinweist. Auch in diesem Feld muß die wissenschaftliche Meinungsfreiheit und der Respekt gegnüber
wissenschaftlichen Grundsätzen in Forschung und Lehre an den Universitäten wieder hergestellt werden.