Geld zum Fenster raus: Landes-Mindestlohn-Polizei, FreiKarte und Awareness-Teams
So allmählich schlägt’s 13 in unserem Ländchen. Bremen ist überschuldet (23,9 Milliarden Euro), Bremen kann seinen Haushalt ohne die Hilfe (925 Millionen) aus Bayern, Baden-Württemberg und Hessen (Länderfinanzausgleich) nicht aufstellen. Gleichzeitig schmeißen wir die Kohle aus dem Fenster. Eine Mindestlohn-Polizei soll (neben dem zuständigen Zoll) die Einhaltung des (Landes-)Mindestlohns überwachen. Die SPD will die FreiKarte für 0- bis 18-Jährige fortsetzen. Wohlfühlteams werden im Viertel während der Partyzeiten zur Betreuung Verängstigter angeheuert. Jens Eckhoff, gestandener CDU-Finanzpolitiker, hat den Irrsinn gestern zu Recht gegeißelt (seine Presseerklärung lesen Sie bitte in einem Extra).
Senat und Parlament sind – obwohl wir so klein sind – „Verfassungsorgane“. Sie stehen somit unter besonderem rechtlichen Schutz. Deshalb, liebe Leserschaft, muss ich heute aufpassen, dass die sprachlichen „Gäule“ nicht mit mir durchgehen. Ab liebsten würde ich häufiger das einzig passende Wort „irre“ verwenden, tue ich aber mit Rücksicht auf meine leider begrenzten finanziellen Mittel nicht.
Bundes-, Landes- und Kommunalpolitiker führen stets beredt Klage, der Staat benötige mehr Geld, um all seine wichtigen und vor allem gut gemeinten Aufgaben erfüllen zu können.
Falsch: Der „Staat“ muss endlich seine Leistungen mit dem Ziel durchforsten, ob wirklich alles notwenig ist.
Schauen wir auf Bremen.
Die Wirtschaftsdeputation hat jüngst 4,2 Stellen für die „Sonderkommission Mindestlohn“ (im Ressort von Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt, Linke) freigegeben. Im Arbeitsressort von Dr. Claudi Schilling (SPD) gibt es bereits 2 Stellen für den Themenbereich.
Diese 6,2 Mitarbeiter übernehmen künftig die angeblich unabdingbare Aufgabe, die Einhaltung des Landesmindestlohn (LML) zu überprüfen. Jawohl, des Landesmindestlohns. Bremen leistet sich nämlich einen eigenen Mindestlohn, hat diesen auf 14,28 Euro festgesetzt. Im Bund gilt bislang noch die (vom Zoll überprüfte) Marke von 12,82 Euro.
LML müssen Unternehmen an ihre Mitarbeiter zahlen, wenn sie Aufträge von bremischen Behörden und städtischen Firmen erhalten wollen.
Natürlich sind Behörden und bremische Firmen vor Auftragsvergabe verpflichtet zu prüfen, ob die Auftragnehmer tatsächlich den Landesmindestlohn zahlen.
Aber egal, doppelt hält nach Meinung der zuweilen offenbar geistig mäandernden Regierung eben besser. So wird mithin eine neue Mindestlohn-Polizei ins Leben gerufen.
Rhetorische Frage: Hat Bremen wirklich zu wenig Geld, oder gibt es das Geld anderer einfach für Unsinn aus?
Nächster Fall FreiKarte: Die SPD drängt darauf, allen 0- bis 18-Jährigen Bremern weiterhin jährlich mit 60 Euro gefüllte FreiKarten zu schenken. Kosten in 2024: 4,9 Millionen Euro. Die Karten wurden überwiegend für Besuche des Frei- und Weihnachtsmarktes sowie der Osterwiese und Kinos genutzt. Teilweise wurden Karten auch auf ebay zu Geld gemacht.
Um die Sinnhaftigkeit des staatlich unterstützten Freizeitspaßes zu untermauern, hat die SPD-Fraktion (auf wessen Kosten eigentlich?) laut WK eine Umfrage unter 1.000 Bremern m/w machen lassen. Die Ergebnisse des Berliner Institutes „pollytix“ können Sie im Weser-Kurier von heute (20.5.2025) nachlesen. Fast alle Bremer sind angeblich dafür. Komisch, dass ich so viele Andersdenkende kenne.
Besonderes Schmankerl: Eine geschäftsführende Gesellschafterin des mir bis heute unbekannten Umfrage- und Beratungsinstitutes pollytix, eine Frau Jana Faus, beginnt ihre eigene Profilbeschreibung auf der Website der Firma mit den umwerfend wegweisenden Worten: „Feministin und Antifaschistin“.
Na, wenn das nicht die Seriosität der pollytix-Umfragen hebt…
Rhetorische Frage: Darf sich Bremen die FreiKarte weiter leisten, obwohl es die in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen (Geberländer des Länderfinanzausgleich) nicht gibt?
Nächster „Fall“: Die Senatsressorts für Inneres (SPD), Soziales (SPD), Frauen (Linke) und Wirtschaft (Linke) haben beschlossen, Besucher des Ostertorviertels künftig wieder an Wochenenden und in Nächten vor Feiertagen (immer von 22 bis 4 Uhr) durch Wohlfühlteams („Awareness) vor Übergriffen zu schützen.
Das ist bestimmt gut für die Betroffenen. Die immerhin vier Senatsbehörden vergaßen in ihren Presseerklärungen leider zwei Fakten: Wie viele Teams á zwei Personen werden im Viertel unterwegs sein und wie viel Geld bringt der Senat dafür auf. Der Tagespresse waren dazu leider ebenfalls keine Zahlen zu entnehmen.
Die Wirtschaftsbehörde teilte bremensogesehen (nach Erscheinen des Blogs) auf Anfrage mit:
„Moin Herr Schuller,
im Rahmen des Awareness-Teams sind in der Regel pro Abend zwei Teams à zwei Personen in der Innenstadt unterwegs.
Die Gesamtmittel belaufen sich auf 105.000 € für 2025 und setzen sich wie folgt zusammen:
- Die Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation: 40.000 €
- Die Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz: 20.000 €
- Die Senatorin für Arbeit, Soziales, Jugend und Integration: 15.000 €
- Der Senator für Inneres und Sport: 15.000 €
- Die Senatskanzlei: 15.000 €„
Meine rhetorische Frage lautet auch nach dieser Senats-Antwort: Muss Bremen sich betreute Party-Besuche leisten? Schließlich kann jeder Erwachsene frei wählen, ob er/sie sich auf möglicherweise gefährlichen Partymeilen aufhalten möchte.
Diese drei Beispiele, liebe Leserschaft, passen überhaupt nicht zur Presseerklärung von Finanzsenator Björn Fecker vom Montag, 19.5. Die Überschrift lautet: „Steuereinnahmen im Land brechen weiter ein“.
Letzte rhetorische Frage: Hat Bremen zu wenig Geld, oder geben wir die Kohle schlicht und ergreifend falsch aus?
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
P.S.: Die Presseerklärung von Jens Eckhoff zum finanzpolitischen Niedergang Bremens finden Sie im Wortlaut in einem eigenen Blog-Stück.
P.P.S.: Sobald die SPD die Frage nach den Kosten für FreiKarte-Umfrage durch „pollytix“ beantwortet, werde ich dies im Text einpflegen.
Gut zusammengefasst. Ich darf ergänzen: Jährlich 120.000 Euro Subventionen für ein gefördertes Findorffer Quartiersmanagement, das es im Stadtteil gar nicht gibt, werden noch nicht einmal erwähnt.
Wie sieht es mit Kontrolle und Evaluation aus? Für Findorff ist das so:
»Der Beirat … ist nicht für die Information der Öffentlichkeit über die Arbeit des von Wirtschaft finanzierten Quartiersmanagement verantwortlich.«
Man fragt sich: Wo nimmt eigentlich das in 2024 mit fast 120.000 Euro von der Wirtschaftssenatorin geförderte sogenannte »Quartiersmanagement«, von dem im Stadtteil noch nie jemand etwas gehört hat, entsprechende Aufgaben war? Gibt es eine mediale Präsenz und Ansprechpartnerinnen als QuartiersmanagerInnen? Nein, gibt es natürlich nicht – und muss laut Pressantwort Wirtschaftsbehörde auch nicht sein.
Tatsache ist und bleibt: Es gibt in Findorff gar kein Quartiersmangement – und niemanden im Stadtteil interessiert es. https://www.findorff-gleich-nebenan.de/2025/02/19/findorffer-wirtschaft-im-abstieg/
Was antwortet dazu auf Presseanfrage zur Informationen über das mysteriöse »Quartiersmanagement« in Findorff die Präsidentin des Bremer Rechnungshofes?
»Der Rechnungshof sieht es als seine Kernaufgabe, die Interessen der Bürger*innen und des Parlaments an einer ordnungsgemäßen, wirtschaftlichen und sparsamen Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes und der Stadtgemeinde Bremen durch seine Prüfungen zu wahren. Insofern ist er stets dankbar für Informationen und Hinweise.
Bitte haben Sie jedoch auch Verständnis dafür, dass der Rechnungshof sich aufgrund der Vielzahl von Projekten und Vorhaben des Landes und der Stadtgemeinde Bremen jeweils nur einer Auswahl an Themen vertieft widmen kann.
Der Rechnungshof prüfte bereits vor einigen Jahren das City- und Stadtteilmanagement. Den betreffenden Beitrag aus dem Jahresbericht Land 2014 habe ich als Anlage beigefügt. Der Rechnungshof wird die Möglichkeit prüfen, den von Ihnen geschilderten Sachverhalt aufzugreifen und ggf. im Rahmen seiner Arbeitsplanung für geeignete Prüfungen zu berücksichtigen.«
Was lesen wir zu derartig unkontrollierten Förderungen in den Stadtteilen bereits im Jahresbericht des Bremer Rechnungshofes 2014:
Die langjährige Marketingförderung für Vegesack, Hemelingen und Neustadt hat keine nennenswerten Wirkungen gezeigt. Trotzdem will das Wirtschaftsressort die Förderung fortsetzen, weil es sie für erfolgreich hält
(s. Tz. 369). Zwar hat es von den Trägern der Stadtteilinitiativen Hemelingen und Neustadt für die Fortsetzung der Förderung ab 2015 verlangt, aktualisierte Handlungskonzepte zu erstellen. Es hat auch gefordert, ein verbessertes Netzwerk aufzubauen und den Anteil der Eigen- und Drittmittel zu erhöhen. Konkretisierte, messbare Ziele und Vorstellungen hat das Ressort aber nicht benannt. Es hat lediglich angekündigt, der Deputation für Wirtschaft, Arbeit und Häfen im Sommer 2014 Handlungskonzepte und deren jeweiligen Umsetzungsstand vorzustellen.
Das Ressort hat ausgeführt, die Wirkung des Marketings sei in absoluten Zahlen, z. B. Umsatz, Steueraufkommen, Leerstand von Gewerbeobjekten oder Beschäftigungszahlen kaum messbar, da es schwierig sei, einen
Zusammenhang zwischen diesen Zahlen und den Stadtteilmarketingmaß-nahmen herzustellen. Dennoch frage das Ressort die durch die Vereine City- und Stadtteilmarketing und -management erhobenen Messgrößen wie Besucheranzahl, Netzwerkpartner, Veranstaltungen usw. regelmäßig ab und veröffentliche diese Zahlen. Im Übrigen trügen die Maßnahmen bereits heute zu einer erfolgreichen City- und Stadtteilentwicklung bei, wie die im November 2012 vorgelegte Bewertung gezeigt habe.
Diese Bewertung ist nicht nachvollziehbar. Der Erfolg der Fördermaßnahmen lässt sich nicht anhand messbarer Kriterien belegen. Die Stadtteile haben sich trotz der Fördermaßnahmen bisher auch nicht wie gewünscht entwickelt.
Der im November 2012 vorgelegten Bewertung lassen sich ebenfalls keine Belege für den Erfolg der Fördermaßnahmen entnehmen. Angesichts dessen erschließt sich insgesamt nicht, warum das City- und Stadtteilmarketing und -management vom Ressort dennoch als erfolgreich angesehen wird.
388 Nach §§ 23, 44 LHO dürfen für Leistungen außerhalb der bremischen Verwaltung nur dann Zuwendungen vergeben werden, wenn an der Erfüllung des Zuwendungszwecks durch solche Stellen erhebliches bremisches Interesse besteht, das ohne die Zuwendungen nicht oder nicht in notwendigem Umfang befriedigt werden kann. Der Rechnungshof sieht kein erhebliches öffentliches Interesse an einer Stadtteilförderung, deren Ziele so unbestimmt sind, dass sie sich einer Messbarkeit entziehen. Er hält die Fortsetzung der Förderung ab dem Jahr 2015 deshalb für nicht vertretbar.« Zitat Ende.
Konsequenzen über zehn Jahre später: keine.
So geht die typisch unkontrollierte Ausgabenpolitik ohne jede Evaluation im Bundesland Bremen.
Bürokratie ist der Krebs am Volkskörper, dessen Metastasen sich vermehren und die Demokratie in eine Herrschaft der Bürokraten verwandeln.
Es fehlt bei den politisch im Lande Verantwortlichen offenbar an einer vertieften Kenntnis der 4 Grundrechenarten!
Und der Bremer Bürgermeister heute auf LinkedIn: https://www.linkedin.com/posts/andreas-bovenschulte-a0b24a65_die-grafik-illustriert-eines-der-zentralen-activity-7330453276154392576-5do5?utm_source=share&utm_medium=member_desktop&rcm=ACoAACyiAEkBpJDXkatKs2eV6pkba5Ta0PgWLTA
Er stellt fest, dass die Investitionen in den letzten Jahren stark nachgelassen haben. Den Inhalt der Studie lässt er unkommentiert.
Eine Frage der Verantwortung – und des politischen Realismus
Sehr geehrter Herr Schuller,
vielen Dank für Ihre präzise und fundierte Zusammenfassung. Sie greifen Themen auf, die in der öffentlichen Debatte leider viel zu oft unter dem Radar laufen – zu komplex, zu unbequem, zu wenig zugänglich für manche Redaktionen. Und genau deshalb wäre es so wichtig, dass Medien wie der Weser-Kurier oder Radio Bremen sich intensiver mit diesen Missständen auseinandersetzen.
Was die Sonderkommission Mindestlohn betrifft: Was hier als Kontrollinstrument verkauft wird, ist in Wahrheit ein Ablenkungsmanöver. Das eigentliche Problem liegt im völligen Kontrollverlust des Arbeitsressorts. Die Differenzierung zwischen Bundes- und Landeszuschüssen, verbunden mit jeweils unterschiedlichen Mindestlohnvorgaben, ist nicht nur unübersichtlich, sie ist inzwischen offenbar nicht mehr handhabbar. Die Folge? Behörden geben falsche Angaben an Träger weiter, Träger können keine korrekten Abrechnungen erstellen – und am Ende werden dringend benötigte Mittel in fünfstelliger Höhe wegen minimaler formaler Abweichungen nicht ausgezahlt. Wenn eine Differenz von einem Cent zur Sperrung von 60.000 bis 70.000 Euro führt, dann ist das nicht mehr Bürokratie, das ist institutionelles Versagen.
Die jetzt beschlossenen 6,2 Stellen lösen nicht das Grundproblem. Sie sind nur ein Versuch, ein strukturelles Chaos personell zu übertünchen – und das mit Steuergeld.
Zur Bremer Freikarte: Was als sozialpolitische Wohltat verkauft wird, zeigt in der Praxis leider ein ganz anderes Bild. Kinomitarbeitende berichten von untragbaren Zuständen: fehlender Respekt, Störungen, Sachbeschädigungen. Wer hier immer noch von einem gelungenen Projekt spricht, verschließt bewusst die Augen vor der Realität. Statt nachhaltiger Bildungs- und Ausbildungsperspektiven gibt es Konsumgutscheine – eine Sozialpolitik des Almosens, nicht der Teilhabe. Das ist keine Unterstützung, sondern eine zynische Ruhigstellung.
Unser Ziel muss es sein, jungen Menschen echte Chancen zu geben: durch verlässliche Bildung, Ausbildungsplätze und Perspektiven – nicht durch Symbolpolitik, die an den eigentlichen Problemen vorbeigeht.