Kein Grund zur Ehrfurcht – Investigativ-Journalisten sind keine „Supertypen“

09.06.2025 2 Von Axel Schuller

Liebe Leserschaft, Pfingsten ist ja Zeitungs-freie Zeit. Gelegenheit, auch mal über einen ganz speziellen Teilaspekt des Nachrichten-Gewerbes nachzudenken: den „Investigativ-Journalismus“.

Vorab: Die Welt ist ungerecht. Journalisten, die so tun, als würden sie regelrecht nach der Wahrheit „graben“ und darüber berichten, gelten als etwas Besonderes.

Oppositions-Politiker, die der Regierung manchmal in mühevoller Kleinarbeit auf die Schliche kommen – na ja, die machen halt ihren Job. Unverständlich: Investigativ-Journalisten erhalten für ihr Tun zuweilen Auszeichnungen, aufklärerische Politiker nie.

Journalisten „graben“ in der Regel keine Skandale aus, sondern ihnen wird belastendes Material fast immer gezielt „gesteckt“.

Liebe Leserschaft, Sie merken: Ich möchte heute eine Lanze für die Wahrheit brechen. Dies bedeutet freilich auch, etwas an der geradezu magischen Wirkung des Begriffes „Investigativ“ zu kratzen. Das Wort wird in der Öffentlichkeit gerne auch verwendet, um ein bisschen Ehrfurcht vor den „enthüllenden“ Leistungen von Journalisten zu erzeugen. Also Anerkennung für Kolleginnen und Kollegen, die beispielsweise unter Verschluss gehaltene oder gar geheime Unterlagen ans Licht der Öffentlichkeit „gezerrt“ haben.

Liebe Leserschaft, ich muss Sie leider enttäuschen: Investigativ-Journalisten sind zwar sehr fleißig, vom Aggregatszustand des Superhelden aber weit entfernt. Als Beleg steuere ich (am Schluss) gerne ein Stück Selbst-Erlebtes bei.

Was bedeutet eigentlich „investigativ“? Auf den Journalismus bezogen: enthüllend, aufdeckend. Den Ursprung finden wir – wie so häufig – im Lateinischen: investigare – erforschen, aufspüren.

„Investigatives“ steuern inzwischen auch gemeinsame Teams von NDR, WDR und Süddeutsche bei. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ÖRR) können sich in der Regel – dank fester, hoher Einnahmen aus der Pflichtgebühr – teure Recherche-Teams leisten.

Den „Panama-Papers“ konnte man beispielsweise entnehmen, wer, wo und wie sein Geld vor der Steuerverwaltung versteckt hielt. Doch darüber konnten Journalisten in Wahrheit nur deshalb berichten, weil ihnen zuvor jemand aus dem Umfeld der Täter entsprechende Daten zugespielt hatte. Gut, die Auswertung war eine Schweinearbeit. Ja, aber das gehört zum Journalisten-Job dazu.

Richtig „ins Klo gegriffen“ haben (aus meiner Sicht) die Investigativen der Süddeutschen, als sie 2023 Hubert Aiwanger von den Freien Wählern kurz vor der bayrischen Landtagswahl mit Anschuldigungen aus seiner Jugend bombardierten – die sie aber nicht eindeutig belegen konnten. Folge: Statt Aiwanger zu schaden, haben die Kollegen ihn eher „hochgeschrieben“ – 15,8 Prozent. Das bis dahin beste Ergebnis der Freien in Bayern. Dies sollte für alle Haltungs-Journalisten eine Mahnung sein!

Die Redaktion von „Correctiv“ schaffte es sogar, Hunderttausende „gegen Rechts“ auf die Straßen zu bringen. Dabei machten sich die Mitarbeiter des Portals, das übrigens auch Zuschüsse aus der Staatskasse erhält, das wachsende Unbehagen in der Bevölkerung gegen die erstarkende AfD zu nutze. Einige der Behauptungen von Correctiv zum Treffen von Rechten in Potsdam stellten sich im Nachhinein teilweise als nicht belegbar heraus. Aber was soll’s? Für diese Arbeit erhielt das Portal 2024 übrigens den Preis „Beste Investigativ-Journalisten des Jahres“.

Schauen wir einmal nach Bremen. Radio Bremen sahnte 2022 für seine „Enthüllungen“ über die Wohnungsvergabe der BREBAU den Stern-Preis ab. Ich bin mit meiner Einschätzung nicht alleine, wenn ich sage: Der RB-„Enthüllungs“-Beitrag war keine Perle des deutschen Journalismus (siehe Blog u.a. vom 24.6.2022). Und dennoch preisgekrönt.

Beim Weser-Kurier ist mittlerweile Benjamin Piel Co-Chefredakteur, der 2014 als gerade mal 30-Jähriger den „Journalisten-Oscar“ fürs Lokale erhielt. So wird der Theodor-Wolf-Preis des Bundesverbandes der deutschen Zeitungsverleger genannt. Piel hatte in der Elbe-Jeetzel-Zeitung offenbar einfühlsam über einen Erotik-Workshop für Behinderte berichtet und dabei Lesern die Chance gegeben, sich ihr eigenes Urteil zu bilden.

Man darf gespannt sein, ob und wie der neue WK-Co-Chef die Redaktion inspirieren wird.

Liebe Leserinnen und Leser, zum Schluss noch eine kleine, aber wahre Geschichte aus der Bremer Welt des „Enthüllungs-Journalismus“ – auch wenn sie uns übrigens (entgegen der Hoffnung des damaligen WK-Verlegers Herbert C. Ordemann) keinen Preis eingebracht hat. Sie zeigt aber im Detail, wie Fakten manchmal an die Öffentlichkeit gelangen.

Also: Der Rechnungshof Bremen hatte 1996 einen internen (als vertraulich gestempelten) Bericht über eine rechtswidrige Mittelverwendung innerhalb der Bildungsbehörde angefertigt. Verursacher: Prof. Dr. Reinhard Hoffmann. Der Vorwurf: Der Senatsdirektor (so hießen früher die heutigen Staatsräte) habe zwischen 1991 und 1995 Mittel innerhalb des Bildungsetats eigenmächtig von einer Zweckbindung zur anderen umgeschichtet – wo halt jeweils Mittelknappheit herrschte. Dies fand Hoffmann zwar „praktisch“, ist aber haushaltstechnisch illegal.

Ab jetzt kann ich in der Ich-Form weiter berichten.

Eines Sonntags im Frühjahr 1996, ich hatte Wochenend-Dienst in der WK-Lokalredaktion, klingelte das Telefon.

„Hallo Herr Schuller, ich habe hier eine interessante Unterlage über Herrn Professor Hoffmann. Möchten Sie die haben?“

Klaro, was sonst. Nur, wie sollte ich an das begehrte Papier kommen, ohne dass es Zeugen gab? An einem Sonntagmittag. Nun, wir verabredeten uns auf einem Parkplatz. Hielten nebeneinander, Fahrertür an Fahrertür. Kurbelten unsere Seitenfenster herunter. Die Hand eines mir bekannten Menschen hielt mir einen DIN-A-4-Umschlag hin. Ich griff – natürlich – zu.

Wir vereinbarten absolute Vertraulichkeit – weshalb ich auch heute noch keinerlei Hinweise auf den Informanten gebe. Nicht einmal auf den Parkplatz und damit die Örtlichkeit, aus der man womöglich Rückschlüsse ziehen könnten.

In der Folge veröffentlichte der Weser-Kurier die Philippika des Rechnungshofes gegen den Senatsdirektor des früheren (Bildungs-)Senators Dr. Henning Scherf.

Pikant: Henning Scherf war 1996 mittlerweile Bürgermeister geworden, sein Getreuer Hoffmann mit ihm ins Rathaus gezogen; als Chef der Senatskanzlei und damit als Bremens ranghöchster Beamter.

Dem WK und mir brachte die Veröffentlichung des „Geheim“-Papiers Hausdurchsuchungen der Staatsanwaltschaft in der Redaktion und bei mir zu Hause ein. Radio Bremen, Weser Report und taz wurden ebenfalls heimgesucht, weil sie Tage später nach dem WK ebenfalls über die inkriminierte Rechnungshofkritik berichtet hatten.

Journalisten verfügen rechtlich – wie Ärzte, Pastoren, Rechtsanwälte – über ein sogenanntes  Zeugnisverweigerungsrecht. Deshalb versagte ich der drängenden Staatsanwaltschaft  Auskünfte über Herkunft und Überbringer des Papiers. Diese absolute Verschwiegenheit über Quellen ist für den Informantenschutz unabdingbar.

Der WK, ich selbst (mit Unterstützung meines Berufsverbandes Deutscher Journalisten Verband) sowie Radio Bremen klagten letztlich erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Hausdurchsuchungen. Weitere Details finden Sie auf meiner Homepage.

Weshalb ich das erzähle? Wir haben seinerzeit mit der Berichterstattung über Prof. Dr. Hoffmann in der Bremer Szene etwas „Staub aufgewirbelt“. Haben uns – ja – auch in der Aufmerksamkeit „gesonnt“. Aber: „Ausgegraben“ hatten wir in Wahrheit nichts, sondern lediglich Unterlagen ausgewertet und veröffentlicht, die uns feilgeboten worden waren.

Anders ausgedrückt: Wir hatten unseren Job gemacht. So wie dies Journalisten täglich überall auf der Welt tun. Mehr nicht. „Investigativ“ zu arbeiten, sollte täglicher Anspruch aller Journalisten sein. Im kleinen wie im großen.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Aktuell berate ich mich mit befreundeten Juristen, wie ich die SPD-Bürgerschaftsfraktion vielleicht doch noch dazu verleiten kann, die Kosten ihrer Wählerumfrage – unter anderem zum Ansehen der FreiKarte – zu offenbaren. Ist ja immerhin mit unserem Steuergeld bezahlt worden. Über die Ergebnisse werde ich später berichten.