Dokumentation: Handelskammer und Unternehmer zur Rekommunalisierung (mit Link)
Liebe Leserschaft, nachfolgend die gemeinsame Presseerklärung der Handelskammer Bremen und der Unternehmensverbände im Land Bremen zu der Studie, die sie bei der Prognos AG in Auftrag gegeben hatten. Im Anhang finden Sie einen Link zum Prognos-Gutachten; zum Herunterladen und Selbst-Schmökern. Mein Tipp: Unbedingt lesen!
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Blogger Axel Schuller
Beginn der DOKUMENTATION:
„Handelskammer und Unternehmensverbände stellen Studie zur Rekommunalisierung vor
Gemeinsame Pressemitteilung der Handelskammer Bremen – IHK für Bremen und Bremerhaven und der Unternehmensverbände im Lande Bremen e.V.
(13.06.2025) Die Handelskammer Bremen – IHK für Bremen und Bremerhaven und die Unternehmensverbände im Lande Bremen e.V. haben eine Studie zu den Vor- und Nachteilen der Rekommunalisierung bei der Prognos AG in Auftrag gegeben. Ziel der Studie ist es, die Diskussion in Bremen um Rekommunalisierungen auf eine objektive Faktenbasis zu stellen.
Der Senat hatte im Februar seinen Plan vorgestellt, die hanseWasser Bremen GmbH künftig nicht mehr als öffentlich-private Partnerschaft (ÖPP), sondern als vollständig kommunales Unternehmen führen zu wollen. Aktuell wird zudem auch im Bereich der Abfalllogistik und der Straßenreinigung in der Stadt Bremen eine Rekommunalisierung geprüft.
Hintergrund ist in beiden Fällen, dass die bisherigen Verträge 2028 auslaufen und erneuert werden müssen – entweder durch Neuausschreibung einer ÖPP oder durch Schaffung eines kommunalen Eigenbetriebs.
Die Handelskammer und die Unternehmensverbände betrachten die aktuelle Diskussion und die Festlegung auf eine Rekommunalisierung der Abwasserentsorgung mit großer Sorge.
Eine Entscheidung über die künftige Organisationsform erfordert die Kenntnis von Vergleichsrechnungen, Sekundäreffekten und Leistungsindikatoren. Eine solche Faktenbasis existierte bislang für die Öffentlichkeit nicht. Diese Lücke wird mit der vorliegenden Studie der Prognos AG geschlossen.
Präses André Grobien sagte bei der Vorstellung der Studie im Haus Schütting: „Der Eindruck, dass der Staat der bessere Unternehmer wäre, trifft unserer Ansicht nach nicht zu. Gerade privatwirtschaftliche Akteure haben einen großen Antrieb, kosteneffizient, innovativ und kundenorientiert zu arbeiten, um am Markt zu bestehen. Diese Vorteile gehen mit einer Rekommunalisierung weitestgehend verloren.“
Die Handelskammer und die Unternehmensverbände haben keine inhaltlichen Vorgaben zur Erstellung der Studie gemacht. Präses André Grobien betonte: „Die Entscheidung über mögliche Organisationsformen darf ausschließlich sachorientiert getroffen werden. Leitend ist für uns, welche Organisationsform für die Unternehmen in Bremen und die Bürgerinnen und Bürger die beste Lösung ist, sowohl mit Blick auf die Leistungsqualität als auch auf die Höhe der Gebühren. Wir haben aber sehr große Zweifel, ob eine Rekommunalisierung hier eine Verbesserung bewirken kann. Die Studie hat uns in unserem Zweifel bestätigt.“
Cornelius Neumann-Redlin, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände im Land Bremen, erklärt: „Wer wie der Senat etwas ändern will, was sich bewährt hat, sollte gute Argumente haben und ideologiefrei Fakten zur Kenntnis nehmen. Wir haben diese Studie mit in Auftrag gegeben, weil wir der Meinung sind, dass eine solide und unvoreingenommene Datenbasis unverzichtbar ist, wenn es darum geht, abzuwägen, ob die derzeit gut funktionierende Organisationsform der Abwasser- und Abfalllogistik geändert werden sollte. Nur so können wir das Für und Wider verschiedener Organisationsformen sorgfältig prüfen und sachlich fundierte Diskussionen ermöglichen. Als Unternehmensverbände sind wir der festen Überzeugung, dass ein moderner Staat ein schlanker Staat ist, der sich auf seine Kernaufgaben beschränkt.“
Eine Veränderung der Organisationsform muss sich daran messen lassen, besser, wirtschaftlicher oder nachhaltiger zu sein als der Status Quo. Da an der aktuellen Leistungserbringung keine Kritik geübt wird – bei der Abwasser- wie auch bei der Abfalllogistik – hat sich die Untersuchung der Prognos AG vor allem auf die finanziellen Auswirkungen sowie die künftig absehbaren Leistungsmerkmale fokussiert.
Dabei wurde deutlich, dass der öffentliche Haushalt in der Vergangenheit erheblich durch Steuereinnahmen von der Konstruktion einer ÖPP profitiert hat – im Gegensatz zu einer vollständigen kommunalen Organisation, die in der Vergangenheit insbesondere durch stetig steigende Gebühren und wirtschaftliche Defizite aufgefallen war.
Ein Beispiel für den Verlust an Leistungsqualität sind die Recycling-Höfe, die bereits jetzt kommunal organisiert werden. Seit Übernahme durch die Stadt ist zwar die Zahl der Mitarbeitenden gegenüber dem ursprünglichen Plan um 30 Prozent gestiegen – gleichzeitig aber sind die Öffnungszeiten um 35 Prozent zurückgegangen.
Auch bei den Herausforderungen der Zukunft sieht die Studie erhebliche Vorteile durch die Einbindung eines privaten Partners, etwa durch günstigere Beschaffungspreise, unternehmerisches Wissen, Innovation und Personalplanung im Kontext des zunehmenden Fachkräftemangels.
Dr. Matthias Fonger, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Bremen sagt: „Mit der Leistungserbringung sowohl bei der Abwasserentsorgung als auch bei der Abfalllogistik ist man in Bremen parteiübergreifend zufrieden. Wenn jetzt an diesen gut funktionierenden Organisationsformen etwas geändert werden soll, dann muss dies auf einer wohlüberlegten und sachorientierten Datengrundlage erfolgen.
Die von uns beauftragte Studie der Prognos AG zeigt, dass vermeintliche Vorteile einer Rekommunalisierung wie etwa die angestrebte Mehrwertsteuerbefreiung bei genauerer Betrachtung mit erheblichen Einnahmeverlusten bei Gewerbesteuern, Körperschaftssteuern und Kapitalertragssteuern auf Gewinne einhergehen. Darüber hinaus ist der Investitionsbedarf in den kommenden Jahren immens und kann von Bremen nicht durch Rücklagen aufgebracht werden.
Bremen müsste zusätzliches Geld mit den daraus folgenden Zinsaufwendungen am Kapitalmarkt aufnehmen. Ein völlig falscher Weg vor dem Hintergrund der extrem angespannten Haushaltslage Bremens.
Für sinkende Gebühren, so der Hauptgeschäftsführer, sei vor diesem Hintergrund überhaupt kein Spielraum. Dr. Matthias Fonger betont: „Unklar ist zudem, wie sich die erheblichen Investitionen mit dem Sanierungshilfengesetz, nach dem Bremen 400 Millionen Euro jährlich erhält, vereinbaren lassen. Wichtig ist, dass Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen weiterhin auf gute Leistungen bei stabilen Gebühren setzen können. Unsere Studie zeigt jedoch klar: Eine Rekommunalisierung garantiert weder niedrigere Gebühren noch bessere Leistungen – im Gegenteil, das Risiko steigender Kosten ist sehr hoch.“
Relevante Ergebnisse der Studie:
Die Argumentation des Senats, durch eine Rekommunalisierung könnte die Mehrwertsteuer gespart werden und Spielraum für Gebührensenkungen zu eröffnen, ist zudem unklar. Zum einen ist weiterhin nicht geklärt, ob eine Mehrwertsteuerbefreiung tatsächlich rechtens ist und es gibt hierzu auch keinen Präzedenzfall. Zum anderen muss in dieser Rechnung berücksichtigt werden, dass Bremen anteilig Geld aus der Mehrwertsteuer zurückerhält und dass gleichzeitig Gewerbesteuern, Körperschaftssteuern und Kapitalertragssteuern auf Gewinne wegfallen.
Darüber hinaus ist der Investitionsbedarf in den kommenden Jahren immens und kann von Bremen nicht durch Rücklagen aufgebracht werden. So werden im Bereich der Abfalllogistik etwa 123 Millionen Euro zum Kauf einer neuen Fläche, für den Aufbau eines Betriebshofes mit Ladeinfrastruktur, Sanierungen und Modernisierungen sowie Trends wie Digitalisierung, Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft fällig. Die hierfür notwendigen Mittel müsste Bremen am Kapitalmarkt aufnehmen. Im Ergebnis könnten im Bereich der Abfalllogistik durch die Mehrwertsteuer möglicherweise 2,1 Millio-nen Euro pro Jahr eingespart werden. Andererseits würden nach Berechnungen von Prognos 3,1 Millionen Euro jährlich an Zinsaufwendungen anfallen. Vor diesem Hintergrund kann letztlich kein Spielraum für sinkende Gebühren bestehen. Unklar ist zudem, wie sich die erheblichen Investitionen mit der Schuldenbremse und dem Sanierungshilfengesetz, nach dem Bremen 400 Millionen Euro jährlich erhält, vereinbaren lassen.
- Die aktuelle Leistungserbringung sowohl bei der Abwasserentsorgung als auch bei der Abfalllogistik wird allgemein als gut bewertet. In beiden Bereichen wurde seit Einstieg eines privaten Partners in die Infrastruktur investiert, sodass diese sich heute in einem deutlich besseren Zustand als vorher befindet. Eine Rekommunalisierung birgt die Gefahr, dass die positive Entwicklung künftig gefährdet wird, wenn Leistungsanreize fehlen. Der gute Zustand der Gesellschaften hängt nach Einschätzung der Prognos-Studie wesentlich mit der Einbindung privatwirtschaftlichen Wissens zusammen. Zudem gehen Skaleneffekte und Synergieeffekte verloren.
- Die Stadt Bremen muss ihre Zielsetzung offenlegen. Eine Rekommunalisierung wird mit einer besseren Leistung, sinkenden Gebühren, steigenden Einnahmen für die Stadt und größeren Einflussmöglichkeiten nach außen vertreten. Diese Punkte stehen in einem Zielkonflikt zueinander. Niedrige Gebühren bedeuten weniger Einnahmen für die öffentliche Hand. Dies bei gleichzeitig zunehmenden Aufgaben, etwa für die Umstellung des Fuhrparks auf fossilfreie Antriebe, die den Gebührenhaushalt belasten. Um eine objektive Entscheidung über die künftige Organisationsform treffen zu können, muss definiert werden, was das Ziel ist. Erst auf dieser Basis ist eine weitere Diskussion möglich.
- Die aufgebrachten Kritikpunkte an der aktuellen Organisationsform, etwa dass die Stadt nur unzureichend von den Überschüssen profitiert, hängen weniger mit der Organisationsform als vielmehr mit der Vertragsgestaltung zusammen. Die Stadt Bremen hat die Möglichkeit, höhere Einnahmen aus der Abwasserentsorgung oder der Abfalllogistik zu generieren, wenn dies als Leistungsbestandteil in einer Ausschreibung aufgenommen wird. Für keines der öffentlich diskutierten Argumente für eine Rekommunalisierung ist eine Veränderung der Organisationsform notwendig. Den Status Quo zu verändern, sollte daher nur auf Grundlage objektiver Fakten und realistischer Verbesserungen erwogen werden.
Laden Sie sich hier die komplette Studie „Gesellschaftsformen der Abwasser- und Abfallwirtschaft in Bremen“ (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 2979 KB) der Prognos AG herunter.“
Sehr geehrter Herr Schuller,
vielen Dank für Ihre fundierte Einordnung zur aktuellen Entwicklung im Bereich der Abwasserentsorgung, Stadtreinigung und Müllentsorgung. Ein zentralen Punkt, der in der ideologisch geführten Debatte allzu häufig untergeht: die Innovationskraft und das über Jahrzehnte gewachsene Know-how privatwirtschaftlicher Unternehmen.
Beispielhaft seien hier Gelsenwasser und Nehlsen genannt – Unternehmen, die mit hoher fachlicher Kompetenz, technologischem Fortschritt und Effizienz wesentliche Aufgaben der Daseinsvorsorge übernommen und weiterentwickelt haben. Diese gewachsene Expertise nun durch eine pauschale Rückführung in rein kommunale Strukturen zu kappen, ist nicht nur ein Rückschritt in Richtung provinzieller Selbstverwaltung, sondern auch eine Gefährdung funktionierender, leistungsfähiger Strukturen.
Ein besonders kritisches Beispiel ist die Firma Nehlsen, die seit über 30 Jahren erfolgreich in der Stadtreinigung und Abfallwirtschaft tätig ist. Ihre jahrzehntelange Erfahrung, ihr Wissen über moderne Entsorgungslogistik und ihre Innovationsfreude drohen durch ideologische Motivationen marginalisiert zu werden. Noch gravierender ist jedoch der zweite Aspekt: Wir verhindern aktiv, dass sich ein leistungsfähiges Bremer Unternehmen überregional aufstellen kann – mit Potenzial zur Arbeitsplatzschaffung, ob in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und darüber hinaus.
Gerade in Zeiten, in denen der Mittelstand als Rückgrat unserer Wirtschaft und Innovationstreiber fungieren sollte, ist es fatal, dieses Potenzial durch kleinteilige politische Eingriffe zu beschneiden. Statt funktionierende Strukturen zu zerschlagen, sollten wir uns dafür einsetzen, das Know-how solcher Unternehmen strategisch zu nutzen – für mehr Qualität, Effizienz und Beschäftigung im öffentlichen Dienstleistungssektor.
Für die Interessierten hänge ich noch einen Artikelbeitrag für ein Buch aus dem Jahre 2015 an:
Artikel von Heiko Strohmann für das Buch „Zurück zur Kommune?“
der Arbeitnehmerkammer Bremen
und des Zentrums für Public Management der Hochschule Bremen (zep)
Bremen, 11.08.2015
Rekommunalisierung der Bremer Abfallentsorgung – wem gehört der Müll?
1. Rückblick: Wo stehen wir?
Die Stadtgemeinde Bremen hat im Jahr 1998 wesentliche Teile der operativen Bereiche der
Abfallwirtschaft und der Straßenreinigung privatisiert und in Leistungsverträgen mit privaten
Dritten geregelt. Der Erlös für die Stadt einschließlich der von den Bietern übernommenen
Darlehen betrug 236,8 Mio. DM, also rund 120 Mio. Euro (SUBV, 2014a, S. 9). Die Nehlsen
GmbH & Co. KG (Nehlsen) verantwortet gemeinsam mit der von ihr übernommenen Entsor-
gung Nord GmbH (ENO) die Restmüll-, Bioabfall, Papier- und Sperrmüllabfuhr sowie die
Sammlung von Glas und Textilien an Containerplätzen. Die ENO ist darüber hinaus für die
Abholung von Elektrogeräten, die Straßenreinigung einschließlich Winterdienst (ohne
Bremen-Nord) sowie den Betrieb von vier Recyclingstationen1 zuständig. Die ebenfalls im
Besitz von Nehlsen befindliche Kompostierung Nord GmbH (KNO) verwertet den Bio- und
Grünabfall. Die SWB Entsorgung GmbH & Co. KG verwertet/beseitigt den Restmüll in einer
Müllverbrennungsanlage (vormals Abfallbehandlung Nord GmbH – ANO) sowie den
Sperrmüll. Die Besitz- und Rechtsstände der Beschäftigten der ehemaligen kommunalen
Entsorgungsbetriebe blieben diesen beim Wechsel in die privaten Gesellschaften durch
Personalüberleitungsverträge erhalten.
Daneben bestehen – unabhängig von der Privatisierung im Jahr 1998 – Leistungsverträge mit
der Firma Nehlsen für die Abfallentsorgung in Bremen-Nord und die Schadstoffentsorgung sowie mit drei privaten Gesellschaften für den Betrieb von Recyclingstationen.2
Die zwischen der Stadt und den privaten Dienstleistern geschlossenen Leistungsverträge
laufen zum 30.06.2018 aus. Über die Organisation der Bremer Abfallentsorgung ab dem
01.07.2018 wird seit geraumer Zeit gestritten. Das von der Gewerkschaft ver.di angestrengte
Volksbegehren „Müllabfuhr in Bürgerhand“ hat politischen Druck zu einem stärkeren
kommunalen Engagement in der Abfallwirtschaft ausgelöst. Während das erste Volksbegeh-
ren vom Juli 2014 aufgrund der fehlenden gesetzlichen Grundlage von der Bürgerschaft nicht
zur Entscheidung angenommen werden konnte, hat ver.di Ende März 2015 ein zweites
Volksbegehren gestartet.
Parallel dazu hat der Senat folgende Szenarien untersuchen lassen: 1. Festhalten am Status
Quo (Ausschreibungsmodell), 2. vollständige oder teilweise Rückführung der operativen
Aufgaben der Abfallwirtschaft und der Straßenreinigung zur Stadtgemeinde (Rekommunali-
sierungsmodell), 3. Minderheits- oder Mehrheitsbeteiligung der Stadtgemeinde an privaten
Unternehmen (Beteiligungsmodell) und 4. Mischmodell (SUBV, 2014b, S. 3.). Dazu hat er
1 Dabei handelt es sich um die Recyclingstationen Burglesum, Hohentor, Horn und Hulsberg (ENO, 2015).
2 Die Bremer Recycling GmbH & Co. KG (BIR) betreibt die Recyclingstationen Hemelingen, Oberneuland,
Aumund, Obervieland und Farge/Blumenthal. Die Gesellschaft für angewandte Stadtökologie mbH (GFAS)
betreibt die Recyclingstation Kirchhuchting. Die Alurecycling Bremer Gesellschaft für Wiederverwertung und
Beratung mbH (ALU) betreibt die Recyclingstation Oslebshausen (SUBV, 2014a, S. 19 und Bremische
Bürgerschaft, 2008, S. 1).
1ein Gutachten bei der Unternehmensberatung Econum in Auftrag gegeben, das seit
23.09.2014 vorliegt (Econum, 2014).
Mit Beschluss vom 16.12.2014 hat sich der Senat wegen der erheblichen Risiken für die
Stadtgemeinde Bremen und dem fehlenden kommunalen Know-how gegen eine vollständige
Rekommunalisierung der Abfallentsorgung ausgesprochen. Für den Betrieb der Recyclingsta-
tionen und die Straßenreinigung strebt der Senat jedoch eine vollständige kommunale
Aufgabenwahrnehmung an. Bei der Abfallentsorgung soll auf Basis des von Econum favori-
sierten Beteiligungsmodells geprüft werden, ob eine Minderheits- oder Mehrheitsbeteiligung
sinnvoller ist. Zur Klärung dieser Frage und der Erarbeitung eines Umsetzungskonzepts hat
der Senat eine europaweite Ausschreibung von Beratungsdienstleistungen beschlossen
(Bremische Bürgerschaft, 2015, S. 3-5).
2. Ordnungspolitische Argumente
Von Befürwortern und Gegnern einer Rekommunalisierung wird die Debatte teilweise
symbolisch überhöht und auf die (Glaubens-)Frage verkürzt, ob ein Privatunternehmen oder
der Staat der bessere Unternehmer ist, bzw. im konkreten Fall die Abfallentsorgung besser
organisieren kann. Die Frage, wenn sie denn so abstrakt gestellt wird, kann in einer Sozialen
Marktwirtschaft eigentlich nur mit dem Grundsatz „Privat vor Staat“ beantwortet werden
(Subsidiaritätsprinzip). So schreibt das Bremische Mittelstandsförderungsgesetz (MFG) vor,
dass die öffentliche Hand wirtschaftliche Leistungen (nur) dann erbringen soll, „wenn sie
diese unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit besser oder wirtschaftlicher als private Unterneh-
men erfüllen“ kann (§ 7 MFG). Mit anderen Worten: Eine Rekommunalisierung käme nur
dann infrage, wenn bewiesen ist, dass die öffentliche Hand die Abfallentsorgung besser
organisieren kann. Ansonsten müssen die Leistungsaufträge neu ausgeschrieben und an
private Dritte vergeben werden.
Von einem „Ausverkauf“ staatlicher Daseinsvorsorge an Private kann dabei nicht die Rede
sein. Abgesehen davon, ob man die Abfallentsorgung zur Daseinsvorsorge zählt oder nicht –
darüber gehen die Meinungen auseinander – ist zwischen der Verantwortlichkeit und der
operativen Leistungserbringung zu unterscheiden. So wurde die Leitung und Steuerung der
kommunalen Abfallwirtschaft 1998 nicht privatisiert, sie obliegt weiterhin der Stadtgemeinde
Bremen in Form des Senators für Umwelt, Bau und Verkehr als öffentlich-rechtlichem
Entsorgungsträger. Die Wirtschaftspläne und der Zahlungsverkehr werden über ein „Sonder-
vermögen Kommunale Abfallentsorgung“ abgebildet, das vom kommunalen Umweltbetrieb
Bremen (UBB) bewirtschaftet wird. Der UBB erstellt auch die Gebührenbescheide und ist für
das Vertragscontrolling zuständig. Die Abfallentsorgung hat sich an gesetzlichen Vorgaben,
wie dem Abfallwirtschaftskonzept und dem Bremischen Abfallortsgesetz, zu orientieren.
Privatisiert wurde nur die operative Durchführung von Sammlung/Behälterbewirtschaftung,
Transport, Verwertung und Beseitigung der Abfälle – und das mit einigem Erfolg:
• Seit der Privatisierung im Jahr 1998 bis Januar 2014 sind die Abfallgebühren in Bremen
stabil gegeben. Selbst nach der letzten Gebührenerhöhung, die im Übrigen ausschließlich
auf politische Maßnahmen zurückzuführen ist, sind die Kosten für einen Einpersonen-
haushalt im Vergleich deutscher Großstädte in Bremen am günstigsten (SUBV, 2013, S.
1).
• Die Verlässlichkeit der Abfallentsorgung hat sich seit der Privatisierung deutlich erhöht.
Die Bürgerinnen und Bürger können sich darauf verlassen, dass ihr Müll regelmäßig und
pünktlich abgeholt wird.
23. Praktische Probleme
Es gibt Beispiele aus anderen Städten, wo kommunale Betriebe die Abfallentsorgung kosten-
deckend bzw. – bei intelligenter Gestaltung unter Einbeziehung von gewerblichem Drittge-
schäft – sogar gewinnbringend übernehmen. Über eine kommunalen Querverbund bzw. eine
kommunale Holding besteht grundsätzlich die Möglichkeit, defizitäre Bereiche, wie z. B.
Schwimmbäder und ÖPNV, aus den Gewinnen der Abfallentsorgung und -verwertung
steueroptimiert „quer zu subventionieren“.3 Ein solches Modell wäre aus städtischer Sicht
eigentlich ideal. Die bremischen Besonderheiten (Bremisches Personalvertretungsgesetz,
Macht der Gewerkschaften, Besetzung von leitenden Positionen nach Parteibuch, ideologi-
sche Politik) erschweren eine erfolgreiche Unternehmensführung jedoch ungemein, so dass es
unverantwortbar wäre, dieses Modell in Bremen umzusetzen.
Obwohl die erneute Vergabe der Leistungen an private Dritte für sich genommen wegen der
vorhandenen Wettbewerbssituation die kostengünstigste und effizienteste Variante für die
Stadt darstellt (Econum, 2014, S. 9, 41), so müssen in eine Gesamtbetrachtung auch die mit
dem Tarifvertrag von 1997 verbundenen wirtschaftlichen Risiken für die Stadtgemeinde
Bremen mit einfließen. Denn die kommunalen Beschäftigten bei den privaten Dritten – dies
betrifft v. a. die ENO mit im Jahr 2018 voraussichtlich noch rd. 300 Beschäftigten (ebd., S.
30) – haben für den Fall, dass die Firmen die Ausschreibung nicht wieder gewinnen und
dadurch in die Insolvenz rutschen, ein Rückkehrrecht in den öffentlichen Dienst. Dieses
Szenario ist nicht unwahrscheinlich, denn insbesondere die ENO hat durch den TVöD
deutlich höhere Personalkosten als potenzielle Mitbewerber. Auf die Stadt kommen durch die
Rückkehrer im schlechtesten Fall Kosten von bis zu 100 Mio. Euro zu (ebd., S. 31). Eine
solche Summe könnte Bremen als Haushaltsnotlagenland unter keinen Umständen schultern.
Zwar kann bei einer erneuten Fremdvergabe die Vorgabe erfolgen, dass von der Stadtgemein-
de gestelltes Personal (hier: Rückkehrer von ENO und KNO) für die Leistungserbringung
einzusetzen ist (Econum, 2014, S. 14). Die vertragliche Gestaltung mit dem altem und dem
neuen Dienstleister sowie den einzelnen Arbeitnehmern wäre jedoch aufgrund des zeitlichen
Auseinanderfallens zwischen Ausschreibungsbeginn, Vergabe und möglicher Insolvenz der
ENO bzw. KNO äußerst schwierig und die Zustimmung der Gewerkschaft zu dem Betriebs-
übergang ver.di fraglich. Doch selbst bei einem erfolgreichen Personalübergang wären durch
das Auseinanderfallen von disziplinarischer Weisungsbefugnis (Stadtgemeinde) und fachli-
cher Weisungsbefugnis (privater Dritter) wesentlich ineffizientere Arbeitsabläufe zu befürch-
ten (ebd., S. 20). Deswegen sollte dieses Modell nicht verfolgt werden.
Das Rückkehrrisiko besteht auch bei einer vollständigen Rekommunalisierung (SUBV,
2014d, S. 27, 29). Wenn die Stadt selbst einen kommunalen Betrieb – z. B. in Form einer
Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) oder einer GmbH mit 100 % städtischer Beteiligung –
gründet, so müsste sie nicht nur neue Fahrzeuge und Abfallbehälter anschaffen, Grundstücke
für Betriebshöfe und Recyclingstationen beschaffen und eine Werkstatt aufbauen. Econum
veranschlagt dafür einen Investitionsbedarf von 50 Mio. Euro bei einer kommunalen GmbH
und 60 Mio. Euro bei einer AöR (Econum, 2014, S. 22). Darüber hinaus müsste die Stadt
einen möglichst vollständigen Personalübergang von der ENO/KNO in die neu gegründete
kommunale Gesellschaft sicherstellen. Doch dies wäre ein kompliziertes Unterfangen, denn
ein Personalübergang kann nur individuell und auf freiwilliger Basis erfolgen. Nach dem
3 Eine Quersubventionierung mag zwar ordnungspolitisch nicht die reine Lehre sein, aber die Alternative dazu
besteht darin, dass die Bürger und Unternehmen die Schwimmbäder und den ÖPNV über (höhere) Steuern
mitfinanzieren. Denn kostendeckend werden die Ticketpreise für Schwimmbäder und den ÖPNV nie sein
können, sie müssen auf die eine oder andere Weise subventioniert werden.
3Grundsatz der Bestenauslese in Art. 44 Abs. 2 GG müssten in einem solchen Prozess auch
andere Bewerber zum Zuge kommen (SUBV, 2014d, S. 21).
Deswegen besteht der einzige gangbare Weg für eine vollständige Rekommunalisierung für
die Stadt darin, 100 % der ENO- bzw. KNO-Anteile zurückkaufen, um die alleinige Entschei-
dungs- und Personalhoheit über die Gesellschaften zu erhalten und so das „Rückkehrerrisiko“
zu entschärfen und über die „Assests“ (Fuhrpark, Umschlagsanlagen, Betriebshöfe etc.) der
ENO/KNO verfügen zu können. Ecnonum schätzt den Restbuchwert des Anlagevermögens
bei der ENO für das Jahr 2018 und damit den möglichen Rückkaufpreis auf 20 Mio. Euro
netto (Econum, 2014, S. 22). Aber natürlich besteht das Risiko, dass Nehlsen für die Anteile
einen höheren Preis fordert. Neben dem Rückkauf der ENO/KNO wären weitere Investitionen
erforderlich.
Ein Mittelweg bestünde darin, Anteile der neuen kommunalen GmbH bzw. der zurückgekauf-
ten ENO/KNO anschließend im Wege einer Ausschreibung zu veräußern (Beteiligungsmo-
dell). Denkbar ist dabei eine Mehrheitsbeteiligung der Stadt (51 %) oder eine Minderheitsbe-
teiligung (25,1%). Bei einer Beteiligungslösung ist das erforderliche Gesamtinvest der
Stadtgemeinde Bremen mit 20 Mio. Euro (netto) wesentlich niedriger als bei einer rein
städtischen Gesellschaft (SUBV, 2014d, S. 25). Darüber hinaus fällt es einem Beteiligungsbe-
trieb durch den Rückgriff auf die Vertriebsstruktur und die bestehenden Geschäftsbeziehun-
gen des privaten Partners wesentlich leichter als einem kommunalen Betrieb, gewerbliches
Drittgeschäft (z. B. Containerdienste, gewerbliche Papierentsorgung, Verpackungssammlung,
gewerbliche Straßenreinigung) zu generieren, mit dem das eigentliche Geld verdient wird.
Diese Flexibilität im Hinblick auf die zukünftige Gesellschafterstruktur besteht nur bei einer
privatrechtlichen Unternehmensform. Deswegen – und aus zahlreichen anderen Gründen – ist
eine ganz oder teilweise im Besitz der Stadt befindliche GmbH einem öffentlich-rechtlich
organisiertem Betrieb (z.B. Eigenbetrieb oder AöR) vorzuziehen. Eine GmbH profitiert von
einem professionellen, unabhängigen Management. Bremen hat mit dem Grundsatz „public
owned, privately managed“ gute Erfahrungen gemacht. Bestes Beispiel dafür ist die BLG.
Demgegenüber drohen bei einer AöR aufgrund des Kostendeckungsprinzips Verwaltungs-
handeln statt Unternehmertum. Sparsames Wirtschaften, Prozessinnovationen und langfristige
Investitionen lohnen sich nicht genug. Auch die aus dem Bremischen Personalvertretungsge-
setz resultierende Macht der Gewerkschaften – darum geht es ver.di bei dem Volksbegehren
eigentlich – verhindert eine effiziente Unternehmensführung.
Außerdem muss eine AöR ihre Mitarbeiter nach dem TVöD vergüten. Für die Mitarbeiter, die
von der ENO und der KNO übernommen werden sollen, ergeben sich im Vergleich zum
Status Quo zwar kaum Mehrkosten, da sie bereits jetzt nach dem TVöD entlohnt werden. Die
Personalkosten für die bislang von Nehlsen erbrachten Leistungen sowie den Betrieb der
Recyclingstationen von BIR, GFAS und ALU würden bei einer Bezahlung nach dem TVöD
jedoch um etwa 33 % steigen (Econum, 2014, S. 19).4 Die privaten Haushalte müssten dies –
ebenso wie den Erwerb der Recycling-Stationen – direkt über höhere Abfallgebühren finan-
4 Nehlsen vergütet seine Beschäftigten nach Tarifverträgen oder betrieblichen Vereinbarungen, die deutlich – je
nach Lohngruppe zwischen 20 % und 30 % – über dem tariflich vereinbarten Mindestlohn für die Abfallwirt-
schaft liegen. Die Unterschiede zum TVöD halten sich in Grenzen. So lag beispielsweise der Einstiegslohn für
einen Fahrer bei Nehlsen 2014 bei 1.935,26 Euro (brutto) im Monat, der Einstiegslohn eines Fahrers laut TVöD
hingegen bei 2.095,67 Euro (brutto) im Monat (Nehlsen/ENO, 2014, S. 7). Insofern ergeben sich die von
Econum ermittelten Personalkostensteigerungen in erster Linie aus der Rekommunalisierung der Recyclingstati-
onen.
4zieren. Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, warum sich der Senat – unabhängig von
der zukünftigen Organisationsstruktur der Abfallentsorgung – bereits auf eine Rekommunali-
sierung der Recyclingstationen festgelegt hat. Wir halten das für einen Fehler, zumal die
Eigentümer unter diesen Voraussetzungen den Kaufpreis beliebig in die Höhe treiben können.
Auch der immer wieder ins Feld geführte Umsatzsteuervorteil einer AöR – Econum beziffert
ihn auf 4,7 Mio. Euro p.a., das zentrum für publikc management auf 5,4 Mio. Euro (Econum,
2014, S. 16) – gleicht die genannten Nachteile nicht aus. Ohnehin ist es fraglich, ob die
Steuerbefreiung auch zukünftig Bestand haben wird. Eine vollständige Rekommunalisierung
der Bremischen Abfallentsorgung in Form einer AöR, wie sie ver.di fordert, würde die Kosten
für die Gebührenzahler langfristig nach oben treiben. Sie kommt daher für die CDU-
Bürgerschaftsfraktion nicht infrage.
Davon unbenommen bleibt die Einrichtung einer AöR als öffentlich-rechtlichem Entsor-
gungsträger, der für Steuerungs- und hoheitliche Aufgaben (Vertragscontrolling, Gebührener-
hebung, Abfallberatung etc.) zuständig ist. Im Moment übernimmt der UBB diese Aufgaben
im Auftrag des Senators für Umwelt, Bau und Verkehr. Eine AöR kann wegen ihrer eigenen
Rechtsfähigkeit deutlich flexibler, schneller und transparenter arbeiten als ein Eigenbetrieb.
Da damit noch keine Festlegung auf ein bestimmtes Organisationsmodell der Abfallwirtschaft
verbunden ist, haben wir als CDU-Bürgerschaftsfraktion der für die Errichtung einer AöR
notwendigen Rechtsgrundlage im Frühjahr dieses Jahres zugestimmt.5
4. Schlussfolgerungen
Vor dem Hintergrund der komplexen Gemengelage und der Bremer Besonderheiten gibt es
aus Sicht der CDU-Bürgerschaftsfraktion nur zwei sinnvolle Optionen, wie sich die Ab-
fallentsorgung in der Stadtgemeinde Bremen ab dem 01.07.2018 organisieren lässt. Voll-
kommen risikolos sind jedoch auch diese beiden Modelle nicht:
1. Es erfolgt wieder eine Fremdvergabe über eine öffentliche Ausschreibung, bei denen die
Anforderungen an die Bieter (z. B. Vorhandensein von Umschlagsanlagen, Betriebshöfen
und Fuhrpark sowie Tarifbindung) so formuliert werden, dass Nehlsen zusammen mit der
ENO und KNO trotz der Kostennachteile aufgrund des TVöD hohe Chancen hat, die Aus-
schreibung zu gewinnen. Ein gut funktionierendes System würde beibehalten und das
Rückkehrerrisiko käme nicht zum Tragen. Dieses wäre für die Stadt und die Gebühren-
zahler die günstigste Lösung, sofern sich dies vor dem Hintergrund des Vergabe- und eu-
ropäischen Wettbewerbsrechts umsetzen lässt.
2. Es wird ein Joint Venture zwischen der Stadt und einem privaten Dritten im Bereich der
Abfalllogistik (Fuhrpark und Umschlaganlagen) gegründet. Die zu erbringenden Leistun-
gen, verbunden mit der Beteiligung des privaten Dritten an der gemeinsamen Gesellschaft,
müssten – ebenso wie die Fremdvergabe – europaweit ausgeschrieben werden (Econum,
2014, S. 13). Der Kauf von Gesellschaftsanteilen der ENO und der KNO kann den Aus-
gangspunkt für die Gründung einer Beteiligungsgesellschaft bilden.
Die Entscheidung darüber muss nicht für alle Ewigkeiten in Stein gemeißelt sein. Denn bei
der übernächsten Ausschreibung hätte die Stadt die Chance, noch einmal neu über die
Organisation der Bremer Abfallentsorgung nachzudenken. Dann wird aufgrund der zwischen-
5 Das am 19. März 2015 von der Bürgerschaft beschlossene Bremische Kommunalunternehmensgesetz sieht vor,
dass die Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven eine AöR errichten oder bestehende Eigenbetriebe, wie z. B.
den UBB, in eine AöR umwandeln können.
5zeitlichen Verrentungen bei der ENO/KNO das „Rückkehrerrisiko“ für die Stadt deutlich
geringer bzw. nicht mehr vorhanden sein, was neue Entscheidungsspielräume eröffnet. Das
Beteiligungsmodell bietet gegenüber der Fremdvergabe für die Stadt die Möglichkeit, sich
schrittweise wieder das Know-how anzueignen, das für eine Abfallentsorgung in kommunaler
Regie notwendig und durch die Privatisierung im Jahr 1998 verloren gegangen ist.
Die von Rot-Grün beschlossene „Privatisierungsbremse“ kann bei dem Beteiligungsmodell
jedoch noch zum Problem werden, falls nämlich der Verkauf von Gesellschaftsanteilen an
einen Privaten einem Volksentscheid unterliegt. Als CDU-Bürgerschaftsfraktion haben wir
frühzeitig davor gewarnt, dass die „Privatisierungsbremse“ den politischen Handlungsspiel-
raum unverhältnismäßig einschränkt. Leider scheint sich unsere Befürchtung zu bewahrhei-
ten.
Unabhängig von der Entscheidung zwischen Fremdvergabe und Joint Venture sind aus Sicht
der CDU-Bürgerschaftsfraktion folgende Entscheidungen zu treffen:
Der Betrieb der Recyclingstationen, sofern sie von anderen Privaten als der ENO betrieben
werden, sollte nicht rekommunalisiert werden. Allenfalls könnte die Stadt die Grundstücke
der Recyclingstationen aufkaufen, um deren Betrieb neu ausschreiben zu können. Allerdings
sollte dafür kein Preis gezahlt werden, der über dem Marktpreis liegt.
Die Stadt sollte die Verlängerungsoption in dem Leistungsvertrag mit der swb für den Betrieb
der Müllverbrennungsanlage ziehen bzw., wenn dies günstiger ist, die Leistung ab dem
01.01.2018 neu ausschreiben. Die Auslastungsrisiken wären viel zu hoch, als dass die Anlage
rekommunalisiert werden könnte. Sie bildet vertraglich abgesichert die Entsorgungssicherheit
für die Stadtgemeinde Bremen, da alle anfallenden Abfälle im Notfall dort entsorgt werden
können (SUBV, 2014c, S. 29). Die Sperrmüllverwertung ist, so wie vom Senat geplant, im
Jahr 2017 neu auszuschreiben (SUBV, 2014d, S. 25).
Die Zuständigkeit für die Straßenreinigung und den Winterdienst sollte vereinheitlicht
werden. In Bremen-Nord ist dafür derzeit der kommunale Umweltbetrieb Bremen (UBB) und
im übrigen Stadtgebiet die ENO zuständig. Die vom rot-grünen Senat getroffene Vorfestle-
gung auf eine rein kommunale Zuständigkeit lehnen wir ab. Hier sollten, ebenso wie bei der
Abfallentsorgung, alle Modelle – kommunale Aufgabenerbringung, private Aufgabenerbrin-
gung und Joint Venture – auf ihre Vor- und Nachteile hin überprüft und erst dann eine
Entscheidung gefällt werden.
5. Zu guter Letzt
Am Beispiel der Bremer Abfallentsorgung zeigt sich deutlich, dass sich ein solch komplexer
Sachverhalt nicht für einen Volksentscheid eignet. Auf welcher Informationsbasis soll ein
durchschnittlich gut informierter Bürger denn seine Entscheidung für oder gegen eine
Rekommunalisierung treffen? „Müllabfuhr in Bürgerhand“ hört sich gut an, aber das, was
ver.di eigentlich damit meint, ist „Müllabfuhr in Gewerkschaftshand“. Denn was gibt es für
ein besseres Drohpotenzial in einem Tarifstreit als streikende Müllwerker und „italienische
Verhältnisse“ auf Bremens Straßen? Regieren in einer repräsentativen Demokratie heißt
Verantwortung übernehmen. Die Verantwortung für schwierige Sachfragen lässt sich nicht
einfach an die Wählerinnen und Wähler zurück delegieren. Um nicht falsch verstanden zu
werden: Das ist keine Streitschrift gegen direkte Demokratie, die in Grundsatzfragen ohne
Zweifel ihre Berechtigung hat. Es ist nur ein Bekenntnis gegen falsch verstandene direkte
Demokratie. Man könnte es auch Populismus nennen.
6Literaturverzeichnis:
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lung des Senats vom 12. Februar 2008 (Drucksache 17/76 S). Bremen.
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für die Beirätekonferenz am 08.08.2013. Bremen.
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die Stadtgemeinde Bremen: 2. Fortschreibung (Vorlage für die Sitzung der städtischen
Deputation für Umwelt, Bau, Verkehr, Stadtentwicklung und Energie am 08.01.2015).
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Staatsrätelenkungsgruppe Zukunft der Abfallwirtschaft und Straßenreinigung in der Stadt-
gemeinde Bremen (Vorlage für die Sitzung des Senats am 16.12.2014). Bremen.
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gemeinde Bremen ab dem Jahr 2018: Experteneinschätzung zur Vorbereitung politischer
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Entsorgung Nord GmbH – ENO (2015). Recycling-Stationen. Abgerufen am 04.08.2015 von
http://www.eno-bremen.de/virthos/virthos.php?/Recycling-Stationen.
Nehlsen GmbH & Co. KG / Entsorgung Nord GmbH – Nehlsen/ENO (2014): Stellungnahme
zu Ausführungen des ZEP zu möglichen Handlungsoptionen der Freien Hansestadt Bremen
nach Auslaufen der Dienstleistungsverträge in der Müllabfuhr und Straßenreinigung im
Jahr 2018. Bremen.