Muss das Landgericht beim Weser-Kurier einen „Notvorstand“ einsetzen?

24.07.2025 2 Von Axel Schuller

Heute strapaziere ich mal Ihre Vorstellungskraft: Ab Januar ’26 führt (möglicherweise) ein vom Landgericht eingesetzter „Notvorstand“ den Weser-Kurier. Der Grund: Die beiden gleichstarken Eigentümerfamilien der Bremer Tageszeitungen AG – Hackmack und Meyer (Güssow) – sind offenbar heillos zerstritten. Wie der Denver-Clan; nur halt an der Weser. Der Vertrag mit Vorstand David Koopmann (56) läuft zum Jahresende aus. Ohne Einigung der Eigner auf eine Verlängerung des Vertrages oder Berufung eines anderen Chefs müsste – nach Aktienrecht – ein Gericht einen „Notvorstand“ einsetzen. Das wäre ein bislang vermutlich einzigartiges Schauspiel in der deutschen Verlagslandschaft.

Insider sprechen von einer Dauer-Fehde zwischen Dr. Ulrich Hackmack und Christian Güssow, die Vertreter der beiden Eigentümerfamilien. Der Zwist geht offenbar soweit, dass man sich nicht einmal auf eine Nach-Besetzung des Aufsichtsrates und die Vergabe des Aufsichtsrat-Vorsitzes verständigen kann. 

Die rechtliche Konstruktion des WK ist in der Verlagsbranche eine eher seltene. Eigentümer der Gebäude wie Bremer Pressehaus und Dependancen der Umland-Titel ist die Hackmack, Meyer KG. Sie „verpachtet“ wohl auch die Zeitungstitel Weser-Kurier, Bremer Nachrichten und der Umland-Beilagen. Diese „Eigentümergesellschaft“ (in den Händen der Hackmack- und Meyer-Erben) hat 1981 die Bremer Tageszeitungen AG (BTAG) als Betriebsgesellschaft der Zeitungen WK, BN etc. gegründet.

Im Aufsichtsrat der BTAG vertreten Dr. Ulrich Hackmack und Christian Güssow (laut Wikipedia ein Enkel des ehemaligen Chefs Hermann Rudolf Meyer) die beiden Eigentümerfamilien. Außerdem gibt es vier von den Eignern benannte Aufsichtsräte. Ein Wechsel in dem Aufsichtsgremium bedarf der Zustimmung beider „Seiten“.

Die AR-Besetzung ist nicht die einzige Firmen-„Baustelle“. Zeitlich drängender ist eine Entscheidung über die Verlagsspitze.

Normalerweise ist es Usus, dass einem amtierenden Vorstand (David Koopmann) allerspätestens ein halbes Jahr vor Ablauf des Vertrages mitgeteilt wird: Der AR will den Vertrag verlängern oder nicht. Schließlich muss auch ein Chef die Chance haben, sich nach einem anderen Job umzusehen.

Diese „Frist“ ist in Koopmanns Fall bereits am 30.6.25 abgelaufen. Angeblich nach zwei gescheiterten Einigungsversuchen innerhalb des AR.

Sollten sich die beiden Eigentümer-Familien bis 31.12.25 nicht auf Vertrags-Verlängerung oder Neubesetzung des Vorstandspostens einigen, müsste die Kammer für Handelssachen beim Landgericht Bremen (nach Paragraf 85 des Aktienrechts) einen „Notvorstand“ einsetzen.

By the Way: Dieses Szenario wäre in der deutschen Verlagswelt vermutlich einmalig. Gleichwohl ist die BTAG im Jahr 2018 schon einmal nur knapp an einer solchen Situation vorbeigeschrammt. Als die Verträge der Vorstände Jan Leßmann und Eric Dauphin ausliefen, einigten sich die schon damals zerstrittenen Eigner und Aufsichtsräte der Tageszeitungen AG auf den letzten Drücker – also vor dem Gang zum Landgericht – auf zwei neue Vorstände: Den damaligen WK-Chefredakteur Moritz Döbler und den damaligen WK-Marketingleiter David Koopmann.  

Seit Döblers Wechsel in die Chefredaktion der Rheinischen Post (Düsseldorf) ist Koopmann 2020 als alleiniger Vorstand übrig geblieben. Sowohl Koopmann als auch die (presserechtlich verantwortliche) Chefredakteurin Silke Hellwig werden der Hackmack-Gefolgschaft zugerechnet.

Die aktuell öffentlich einsehbare BTAG-Bilanz von 2023 weist – anders als in vielen früheren Jahren – einen Gewinn von 1,43 Millionen Euro aus, bei einem Jahresumsatz von 67.952.480 Euro. Wobei laut Bilanz 760.000 Euro aus der „Rückstellung aus Vorperioden“ stammten. Die Einstellung des „Kurier am Sonntag“ und die Aufgabe der eigenen Druckerei wirken auf der Kostenseite deutlich entlastend. 

Übrigens: 2017 – also im Jahr vor der ersten Fast-Anrufung des Gerichts – setzte die Bremer Tageszeitungen AG noch 77,66 Millionen Euro um und wies (laut dem Fachblatt „Horizont“) einen Verlust in Höhe von 5,2 Millionen Euro aus.

Die in dieser Woche veröffentlichten Auflagenzahlen sinken weiter. Der Verkauf der WK-Gesamtausgabe ging (im Vergleich zum 2. Quartal 2024) um 5,57 % auf 98.213 Exemplare zurück. Darin enthalten sind 27.331 Digital-Verkäufe (+10,58%) wie ePaper und sogenannter paid content, also abonnierte digitale Zeitungsangebote. Die Abo-Auflage sank im gleichen Zeitraum um 6,12% auf 87.901 Exemplare (davon 19.280 digital). Der Einzelverkauf spielt mit 1.915 Exemplaren nur noch eine geringe Rolle. Hinzu kommen „sonstige Verkäufe“ und „Freistücke“.

In Wirtschaftskreisen fragt man sich sorgenvoll, wie es mit dem Blatt weitergehen soll. Sowohl qualitativ (Journalismus) als auch logistisch (Zustellung) und perspektivisch (Eigentümer).

Journalistisch hat sich die Zeitung im Januar mit Benjamin Piel als Co-Chefredakteur zwar eine Ergänzung geholt, was sich aber im Blatt bislang nicht deutlich niederschlägt. Es hat den Anschein, als würde er sich mehr auf seinen sonnabendlichen digitalen Newsletter („Piels Position“) konzentrieren als auf die Zeitung (mit ihren rund 100 Redaktionsmitgliedern) selbst. Offenbar ist KI an die Stelle erfahrener Korrektoren getreten – leider nicht immer mit Erfolg. Politiker-Äußerungen (wie vom Grünen Ralph Saxe) werden häufig ohne jede Einordnung veröffentlicht (eher eine Art „Wiederkäu“-Journalismus). Ein wesentliches Merkmal des Qualitäts-Journalismus – das umfassende „Ausleuchten“ einzelner Ereignisse – dürfte gerne öfter stattfinden. „Buten und Binnen“ gewinnt auf diesem Feld an Stärke. Und: Meinungs-Vielfalt findet man eher auf der WK-Leserbriefseite als im redaktionellen Teil.

Zum Vertrieb: Die zum Teil schwierige – früh morgendliche und aufgrund des steigenden Mindestlohns immer teurere – Zustellung versucht der Verlag offenbar mit ePaper-Verlockungen aufzufangen.

Das Perspektivische können nur die Eigentümer selbst angehen und lösen: Entweder verkauft die eine Familie ihren 50-Prozent-Anteil an die andere. Oder beide veräußern ihre Anteile an einen anderen Verlag. Die immer wieder blockierende Patt-Konstellation in der „Hackmack, Meyer KG“ und im BTAG-Aufsichtsrat verhindert eine gedeihliche Entwicklung des Unternehmens – und klare Vorgaben, wie die Zeitung sich entwickeln soll.

Fraglich ist freilich, ob Regional- oder sogar Großverlage wie bspw. die Funke– oder die Ippen-Gruppe heutzutage noch bereit sind, eine halbwegs akzeptable Summe für ein Medienhaus wie den Weser-Kurier in der U-100.000-Auflagen-Liga auszugeben.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Liebe Leserschaft, ich habe mich um Stellungnahmen beider Eigentümer-Familien und der Verlagsspitze bemüht. Die „offizielle“ Auskunft lautete stets: „Dazu äußere ich mich nicht.“ Somit kann ich Sie leider nicht über die berühmte „andere Seite der Medaille“ informieren. Das heutige Stück basiert auf recherchierten Fakten sowie auf Infos und Einschätzungen – insbesondere aus Wirtschaftskreisen.