Muss das Landgericht beim Weser-Kurier einen „Notvorstand“ einsetzen?
Heute strapaziere ich mal Ihre Vorstellungskraft: Ab Januar ’26 führt (möglicherweise) ein vom Landgericht eingesetzter „Notvorstand“ den Weser-Kurier. Der Grund: Die beiden gleichstarken Eigentümerfamilien der Bremer Tageszeitungen AG – Hackmack und Meyer (Güssow) – sind offenbar heillos zerstritten. Wie der Denver-Clan; nur halt an der Weser. Der Vertrag mit Vorstand David Koopmann (56) läuft zum Jahresende aus. Ohne Einigung der Eigner auf eine Verlängerung des Vertrages oder Berufung eines anderen Chefs müsste – nach Aktienrecht – ein Gericht einen „Notvorstand“ einsetzen. Das wäre ein bislang vermutlich einzigartiges Schauspiel in der deutschen Verlagslandschaft.
Insider sprechen von einer Dauer-Fehde zwischen Dr. Ulrich Hackmack und Christian Güssow, die Vertreter der beiden Eigentümerfamilien. Der Zwist geht offenbar soweit, dass man sich nicht einmal auf eine Nach-Besetzung des Aufsichtsrates und die Vergabe des Aufsichtsrat-Vorsitzes verständigen kann.
Die rechtliche Konstruktion des WK ist in der Verlagsbranche eine eher seltene. Eigentümer der Gebäude wie Bremer Pressehaus und Dependancen der Umland-Titel ist die Hackmack, Meyer KG. Sie „verpachtet“ wohl auch die Zeitungstitel Weser-Kurier, Bremer Nachrichten und der Umland-Beilagen. Diese „Eigentümergesellschaft“ (in den Händen der Hackmack- und Meyer-Erben) hat 1981 die Bremer Tageszeitungen AG (BTAG) als Betriebsgesellschaft der Zeitungen WK, BN etc. gegründet.
Im Aufsichtsrat der BTAG vertreten Dr. Ulrich Hackmack und Christian Güssow (laut Wikipedia ein Enkel des ehemaligen Chefs Hermann Rudolf Meyer) die beiden Eigentümerfamilien. Außerdem gibt es vier von den Eignern benannte Aufsichtsräte. Ein Wechsel in dem Aufsichtsgremium bedarf der Zustimmung beider „Seiten“.
Die AR-Besetzung ist nicht die einzige Firmen-„Baustelle“. Zeitlich drängender ist eine Entscheidung über die Verlagsspitze.
Normalerweise ist es Usus, dass einem amtierenden Vorstand (David Koopmann) allerspätestens ein halbes Jahr vor Ablauf des Vertrages mitgeteilt wird: Der AR will den Vertrag verlängern oder nicht. Schließlich muss auch ein Chef die Chance haben, sich nach einem anderen Job umzusehen.
Diese „Frist“ ist in Koopmanns Fall bereits am 30.6.25 abgelaufen. Angeblich nach zwei gescheiterten Einigungsversuchen innerhalb des AR.
Sollten sich die beiden Eigentümer-Familien bis 31.12.25 nicht auf Vertrags-Verlängerung oder Neubesetzung des Vorstandspostens einigen, müsste die Kammer für Handelssachen beim Landgericht Bremen (nach Paragraf 85 des Aktienrechts) einen „Notvorstand“ einsetzen.
By the Way: Dieses Szenario wäre in der deutschen Verlagswelt vermutlich einmalig. Gleichwohl ist die BTAG im Jahr 2018 schon einmal nur knapp an einer solchen Situation vorbeigeschrammt. Als die Verträge der Vorstände Jan Leßmann und Eric Dauphin ausliefen, einigten sich die schon damals zerstrittenen Eigner und Aufsichtsräte der Tageszeitungen AG auf den letzten Drücker – also vor dem Gang zum Landgericht – auf zwei neue Vorstände: Den damaligen WK-Chefredakteur Moritz Döbler und den damaligen WK-Marketingleiter David Koopmann.
Seit Döblers Wechsel in die Chefredaktion der Rheinischen Post (Düsseldorf) ist Koopmann 2020 als alleiniger Vorstand übrig geblieben. Sowohl Koopmann als auch die (presserechtlich verantwortliche) Chefredakteurin Silke Hellwig werden der Hackmack-Gefolgschaft zugerechnet.
Die aktuell öffentlich einsehbare BTAG-Bilanz von 2023 weist – anders als in vielen früheren Jahren – einen Gewinn von 1,43 Millionen Euro aus, bei einem Jahresumsatz von 67.952.480 Euro. Wobei laut Bilanz 760.000 Euro aus der „Rückstellung aus Vorperioden“ stammten. Die Einstellung des „Kurier am Sonntag“ und die Aufgabe der eigenen Druckerei wirken auf der Kostenseite deutlich entlastend.
Übrigens: 2017 – also im Jahr vor der ersten Fast-Anrufung des Gerichts – setzte die Bremer Tageszeitungen AG noch 77,66 Millionen Euro um und wies (laut dem Fachblatt „Horizont“) einen Verlust in Höhe von 5,2 Millionen Euro aus.
Die in dieser Woche veröffentlichten Auflagenzahlen sinken weiter. Der Verkauf der WK-Gesamtausgabe ging (im Vergleich zum 2. Quartal 2024) um 5,57 % auf 98.213 Exemplare zurück. Darin enthalten sind 27.331 Digital-Verkäufe (+10,58%) wie ePaper und sogenannter paid content, also abonnierte digitale Zeitungsangebote. Die Abo-Auflage sank im gleichen Zeitraum um 6,12% auf 87.901 Exemplare (davon 19.280 digital). Der Einzelverkauf spielt mit 1.915 Exemplaren nur noch eine geringe Rolle. Hinzu kommen „sonstige Verkäufe“ und „Freistücke“.
In Wirtschaftskreisen fragt man sich sorgenvoll, wie es mit dem Blatt weitergehen soll. Sowohl qualitativ (Journalismus) als auch logistisch (Zustellung) und perspektivisch (Eigentümer).
Journalistisch hat sich die Zeitung im Januar mit Benjamin Piel als Co-Chefredakteur zwar eine Ergänzung geholt, was sich aber im Blatt bislang nicht deutlich niederschlägt. Es hat den Anschein, als würde er sich mehr auf seinen sonnabendlichen digitalen Newsletter („Piels Position“) konzentrieren als auf die Zeitung (mit ihren rund 100 Redaktionsmitgliedern) selbst. Offenbar ist KI an die Stelle erfahrener Korrektoren getreten – leider nicht immer mit Erfolg. Politiker-Äußerungen (wie vom Grünen Ralph Saxe) werden häufig ohne jede Einordnung veröffentlicht (eher eine Art „Wiederkäu“-Journalismus). Ein wesentliches Merkmal des Qualitäts-Journalismus – das umfassende „Ausleuchten“ einzelner Ereignisse – dürfte gerne öfter stattfinden. „Buten und Binnen“ gewinnt auf diesem Feld an Stärke. Und: Meinungs-Vielfalt findet man eher auf der WK-Leserbriefseite als im redaktionellen Teil.
Zum Vertrieb: Die zum Teil schwierige – früh morgendliche und aufgrund des steigenden Mindestlohns immer teurere – Zustellung versucht der Verlag offenbar mit ePaper-Verlockungen aufzufangen.
Das Perspektivische können nur die Eigentümer selbst angehen und lösen: Entweder verkauft die eine Familie ihren 50-Prozent-Anteil an die andere. Oder beide veräußern ihre Anteile an einen anderen Verlag. Die immer wieder blockierende Patt-Konstellation in der „Hackmack, Meyer KG“ und im BTAG-Aufsichtsrat verhindert eine gedeihliche Entwicklung des Unternehmens – und klare Vorgaben, wie die Zeitung sich entwickeln soll.
Fraglich ist freilich, ob Regional- oder sogar Großverlage wie bspw. die Funke– oder die Ippen-Gruppe heutzutage noch bereit sind, eine halbwegs akzeptable Summe für ein Medienhaus wie den Weser-Kurier in der U-100.000-Auflagen-Liga auszugeben.
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
P.S.: Liebe Leserschaft, ich habe mich um Stellungnahmen beider Eigentümer-Familien und der Verlagsspitze bemüht. Die „offizielle“ Auskunft lautete stets: „Dazu äußere ich mich nicht.“ Somit kann ich Sie leider nicht über die berühmte „andere Seite der Medaille“ informieren. Das heutige Stück basiert auf recherchierten Fakten sowie auf Infos und Einschätzungen – insbesondere aus Wirtschaftskreisen.
Wenn man das hier so liest, fühlt man sich unweigerlich an das Bremer Staatstheater erinnert. Nur dass das Stück nicht auf der Bühne des Theaters am Goetheplatz läuft, sondern im Konferenzraum der Redaktion – oder vielleicht gleich im Flur vor der Rechtsabteilung. Titelvorschlag: „Zwei Familien, eine Zeitung – und keiner will das Licht ausmachen.“
Da streiten sich also die Eigentümerfamilien Hackmack und Meyer-Nachfolgen wie die Erben eines längst entwerteten Familiensilbers. Man hat fast den Eindruck, dass das Einzige, was hier noch regelmäßig erscheint, der nächste Anwaltstermin ist.
Während draußen die mediale Welt in Podcasts, Substacks und TikTok-Videos zerfasert, wird drinnen in in der WK-Blase wahrscheinlich noch diskutiert, ob man das E-Paper nicht vielleicht doch noch als PDF per Fax verschicken sollte – für die besonders digitalen unter den Lesern. 😉
Und dann dieses Zahlenwerk: 68 Millionen Euro Umsatz, aber gerade mal ein einstelliger Millionenbetrag Gewinn? Als Bremer Kaufmann würde ich sagen: „Nix halbes und nix ganzes.“ Der Weser-Kurier, der einst das publizistische Rückgrat des Nordwestens war, ist heute eher ein Buckel – leicht gekrümmt, vorsichtig, und ANGEPASST.
Das größte Drama aber: Diese Zeitung hätte eigentlich ein regionales Meinungsmonopol. Im Printbereich keine ernsthafte Konkurrenz, ein weitgehend loyaler Leserkreis, eine traditionsreiche Marke. Und trotzdem schrumpft die Auflage, verdampft das Vertrauen, verkleinert sich die Relevanz. Man fragt sich unwillkürlich: Was muss man in einer solchen Ausgangslage eigentlich noch falsch machen, damit so wenig dabei herauskommt?
Vielleicht liegt es daran, dass der Weser-Kurier zuletzt eher wie das Amtsblatt des Bremer Senats wirkte – brav, konsensfreundlich, mit einer gewissen Hemmung, denen „da oben“ auf die Füße zu treten. Kritischer Journalismus? Höchstens bei der Frage, ob ein Verbot des aufgesetzten Parkens in zwei Jahren wahlentscheidend sein könnte. Echt mutig.
Aber: Es gibt Hoffnung. Hier ein paar Ideen aus der gut gemeinten Außenperspektive:
1. Mut zur Haltung: Kein Mensch will mehr weichgespülte Kommentare lesen, die klingen wie aus dem Rot-Grün-Rotem-Koalitionsausschuss abgeschrieben. Kein Mensch will auch, wie erst gestern, Kommentare einer linken Journalistin zum Gaza-Konflikt lesen, die in all ihren bisherigen Artikeln und Statements ihren als Israel-Kritik getarnten Antisemitismus in die Öffentlichkeit trägt. Echt nicht. Aber: Wer sich traut, dem Bremer Politikbetrieb kritisch den Spiegel vorzuhalten, wird Leser finden – auch außerhalb des eigenen Abosystems.
2. Digitale Reanimation: Der Webauftritt des WK ist in etwa so sexy wie ein Behördenportal vor dem Relaunch. Wie wär’s mit: personalisierten Newslettern, investigativen Serien im TikTok-Format, richtigen Leserkommentaren in Echtzeit, also sofort freigeschaltet?! Da kommt Stimmung in die Bude.
3. Raus aus dem Elfenbeinturm: Die Redaktion könnte vermehrt dahin gehen, wo das Leben der Leute stattfindet – und das ist eben nicht nur im Viertel oder Schwachhausen. Das ist auch Links der Weser und Tenever. Stattdessen täglich ausführlichste Stadtteilbeilagen für z.B. Bremen-Nord und Borgfeld, während der bevölkerungsreichste Stadtteil Bremens, die Neustadt, maximal zweimal pro Woche journalistisch bedient wird, obwohl die Neustädter Abonnenten dasselbe bezahlen wie die Bremen-Norder. Warum nicht einen Lokaljournalismus, der sich was traut – mit Reportagen, die nicht nach Fleißarbeit, sondern nach Neugier auf die Situation vor Ort riechen?
4. Neue Köpfe statt alter Krach: Vielleicht braucht’s an der Spitze nicht noch einen Gesellschafter mit Anspruch auf die bessere Frühstücksbrötchenhälfte, sondern einen Chefredakteur mit überparteilicher Vision – und entsprechender Rückendeckung und Freiheiten.
Der Weser-Kurier könnte mehr sein als ein Schatten seiner selbst. Er hat alle Voraussetzungen, um wieder die publizistische Stimme der Region zu werden – bissig, klug, nah dran. Aber dafür müsste man intern aufhören, sich gegenseitig zu zerlegen, und anfangen, das Publikum zurückzugewinnen.
Oder um es mit bremischem Kaufmanns-Ethos zu sagen: „Wagen un Winnen.“
Ohne Mut zum Wagnis wird das nämlich alles nix.
WK Impressum Juli 2018: Abopreis 36,90
WK Impressum Juli. 2025. Abopreis. 50,90
Auch das ist ein Grund. der sinkenden Auflage.
Abopreis 2030 Vielleicht. 61.90
Auflage 2030 Vielleicht. 65.000 Abonnenten
Jedenfalls dann, wenn weiter der Kopf in den Sand gesteckt wird; statt den Sand im Getriebe endlich zu bekämpfen