Muss Wirtschaftssenatorin Vogt Befragung „unter Eid“ befürchten?
Nach dem Rücktritt von Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf hatte ich gedacht: Na ja, da ist sie gerade noch um einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss (UA) herumgekommen. Gut für sie und für ihre Grünen. Mittlerweile kommt jedoch so viel aus dem wildwuchernden Staatsräte-Dickicht ans Tageslicht, dass ein UA durchaus zum Erkenntnisgewinn beitragen könnte. Neben dem „Fall Moosdorf“ böten nämlich die Ressorts von Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) und von Arbeitssenatorin Dr. Claudia Schilling (SPD) Potenzial für lohnende Nachfragen.
Moosdorf ist übrigens noch nicht aus dem Schneider. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Untreue. Sie erinnern: Ein Leser von bremensogesehen hatte eine entsprechende Anzeige gegen die damals Noch-Senatorin gestellt. (bremensogesehen vom 1.10.2025 „Von Irrungen…“).
Regierende finden Untersuchungsausschüsse höchst unangenehm. Anders als Ausschüsse, anders als parlamentarische Anfragen und anders als das Instrument „Akteneinsicht“ verfügt ein Untersuchungsausschuss über eine von Regierungen gefürchtete Möglichkeit: Ein UA kann Zeugen vorladen, diese notfalls von der Polizei vorführen lassen und sogar zwingen, unter Eid auszusagen.
Da überlegt man sich auch als braver Beamter, ob eine Lüge bloß aus Loyalität zur Chefin tatsächlich den Eintrag ins Vorstrafenregister wert ist.
Ein UA hat für Parlamentarier wiederum den Nachteil, dass sie zusätzlich viel Zeit und Energie aufbringen müssen. Zumindest, wenn sie Schlampereien oder gar Falschaussagen in senatorischen Führungsetagen aufdecken wollen.
Nebenbei: Sowohl Einrichtung als auch Betrieb eines UA sind relativ teuer – was Regierungsparteien allzu gerne gegen die Initiatoren, also die Opposition, ins Feld führen.
Die von Abgeordneten häufiger verlangte „Akteneinsicht“ ist im Vergleich zum UA Pillepalle. Denn: Die Regierenden und ihre Juristen bestehen darauf, dass bei der Akteneinsicht keinerlei Notizen gemacht und aus den Unterlagen nicht wörtlich zitiert wird.
Nun zu den aktuellen und alten Fällen, die in ihrer Fülle allmählich nach einem Untersuchungsausschuss schreien:
Arbeitssenatorin Dr. Claudia Schilling (SPD) aus Bremerhaven hat sich im Sommer 2025 von ihrer Staatsrätin Karin Treu (Bremerhaven) getrennt. Na ja, nicht ganz. Nach dem Tohuwabohu um die mangelnde Organisation des vermaledeiten Ausbildungsfonds und um viele vorzeitig ausgegebene Millionen für Arbeitsmarkt-Projekte, unter anderem auch für die Ausbildungswerkstätten Bremen, setzte Schilling ihre Staatsrätin Karin Treu formal zwar vor die Tür. Aber die politische Beamtin fiel nicht ins Bodenlose, sondern ist jetzt erneut für die „Ausbildungswerkstatt Bremen ABiG tätig.
Über die Rahmenbedingungen schwieg sich Schillings zweite Staatsrätin (Soziales), Kirsten Kreuzer im Parlament aus. Als die CDU nach einem Übergangsgeld und dem neuen Gehalt fragte, blockte Kreuzer mit dem Hinweis auf den Datenschutz ab. In einem Untersuchungsausschuss käme sie damit nicht durch.
Dann gibt’s da noch Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke). Sie hat 2023 ihren damals erst 60jährigen Staatsrat Sven Wiebe in den einstweiligen – gut bezahlten – Vorruhestand geschickt. Nicht etwa, weil sie unzufrieden gewesen wäre. Keineswegs. Im Gegenteil. Aber er wollte mehr Zeit für die Familie haben und deshalb Ruheständler werden.
Selbstkritisch muss man heute feststellen: Die Medien haben seinerzeit geschlafen. Und die Opposition auch. Vogts damaliger Lobgesang auf Wiebes Wirken und das Bedauern, dass er aufhören wollte, passt – aus aktuellem Blickwinkel – 1:1 auf den Fall Moosdorf.
Erst in dieser Woche (zwei Jahre danach!) „besserte“ Vogt nach und erklärte, sie haben den langjährigen Mitarbeiter in der Öffentlichkeit nicht schlecht aussehen lassen wollen – deshalb das falsche Lob zum Abschied.
Wiebe macht aktuell übrigens nicht nur in Familie. Er jobt mittlerweile für die private (Unternehmens-) „Initiative Stadtbremischer Häfen“ (ISH). Dort hat er Dr. Heiner Heseler (SPD) abgelöst, früher ebenfalls ein Staatsrat im Häfenressort.
Vermutlich kein Fall für einen Untersuchungsausschuss, gleichwohl interessant, ist der Kurz-Aufenthalt des Martin Bialluch als Staatsrat bei Kristina Vogt. Er diente der Linken nur von 10/2023 bis 1/2024 als politischer Beamter. Dann verabschiedete er sich mit dem Hinweis, das dauernde Pendeln zwischen Arbeit in Bremen und Familie in Berlin sei doch zu kräftezehrend.
Bialluch ist nunmehr Vorstandssprecher des „Bündnis Bürgerenergie“. Hatte Bialluch vielleicht gar nicht vor, länger in Bremen zu arbeiten? Benötigte er den Posten als politischer Beamter an der Weser lediglich als zusätzlichen Qualifikationsnachweis für den Berliner Vorstandsjob? Was man sich im kleinen Bremen halt so alles zurechtdenkt…
Auf der Positivseite kann Vogt verbuchen, dass sie mit Kai Stührenberg immerhin über einen langjährig aktiven und angesehenen Staatsrat verfügt. Und, dass sie sich in der Wirtschaft mittlerweile auch Respekt erworben hat. Vogt hat es wirklich „drauf“: auf dem Linken-Parteiticket ins Amt gekommen, macht sie dort Politik, die eher an eine Sozialdemokratin alten Schlages erinnert – pragmatisch.
Als sie 2019 erstmals ins Ressort gewählt wurde, befürchtete man in Unternehmerkreisen das Schlimmste. „Oh Gott, ausgerechnet ein Linke wird für die Wirtschaft zuständig.“ Bei einigen Bossen bewirkte dies prompt Assoziationen wie: DDR, Enteignung, „Garantiert gegen uns“.
Würde sich Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte (SPD) heute in der Handelskammer nach Vogts „standing“ erkundigen, würde er vermutlich hören: Kristina (ja sie duzt sich mit vielen Bremer Chefs) ist eine gute Kümmerin. Die Linke Politikerin wird respektiert, obwohl auch sie die unsinnige Ausbildungs-Zwangsabgabe mitträgt.
Ironie am Rande: Bovenschultes Ruf in Unternehmerkreisen ist mittlerweile vermutlich schlechter als der „seiner“ Wirtschaftssenatorin.
Der Bürgermeister erweist sich mit der Zeit zu sehr als strammer Ideologe, der den Eindruck vermittelt, als wolle er alle von Ex-Bürgermeister Henning Scherf Ende der 90er Jahre privatisierten Unternehmen in den Schoß des Staates zurückzuholen.
Unterm Strich: Auch wenn Vogt ihren Staatsrat Wiebe ähnlich wie Moosdorf ihre Staatsrätin Strebl zu Lasten der Steuerzahler „behandelt“ haben sollte, müsste in Bremen vermutlich viel passieren, damit Vogt ebenfalls aus dem Amt fliegt. Aber wer weiß, vielleicht interessiert sich die Staatsanwaltschaft ja auch noch für die rechtlichen Bedingungen von Sven Wiebes Frühpensionierung.
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
Wenn diese teuere „Staatsräteversorgung“ in die Bildung geflossen wäre……………
Die öffentliche Diskussion lebt von Kritik, aber sie braucht Konsistenz.
Wenn ähnliche Vorgänge unterschiedlich bewertet werden, entsteht der Eindruck, dass politische Maßstäbe von Sympathien abhängen.
Das beschädigt nicht nur die Debatte, sondern auch das Vertrauen in politische Berichterstattung.
Gleiches Handeln verdient gleiche Bewertung – alles andere untergräbt den demokratischen Anspruch auf Fairness. Dies gilt auch für Journalisten:
Der Fall Vogt ist 1:1 wie der Fall Moosdorf. -in der Sache und in der sich ändernden und widersprüchlichen Begründung. Entweder hat Frau Vogt die Deputation und damit die Legislative belogen oder sie lügt jetzt. Beides kann gleichzeitig nicht stimmen. Auch der von Frau Vogt ins Spiel gebrachte respektvolle Umgang mit Herrn Wiebe befreit die Senatorin nicht davon die Wahrheit zu sagen; sie gesteht damit ja bewusst die Unwahrheit gesagt zu haben. Frau Vogt muss daher zurücktreten.
Die haarsträubenden Fälle „Moosdorf“, „Vogt“ und ggfs. auch „Schilling “ zeigen die Verlogenheit dieses demokratischen Systems und die Selbstbedienungsmentalität dieses („korrupten“) Senats ! Wasser predigen, aber Wein saufen , ist deren Devise. Wie ist es nur möglich, dass derartige Schmarotzer immer wieder in wichtige und gutbézahlte Positionen aus Steuermitteln gewählt werden ? Aber leider hat die allgemeine und politische Bildung /Intelligenz demokratieschädigend merklich nachgelassen. Wir ähneln uns mehr und mehr amerikanischen Wählern. Die reagieren in elections auch nur dann, wenn Benzin- und Eierpreise gestiegen sind.
Zwei Bemerkungen dazu:
Die Selbstbedienungs- und Selbstversorgungsmentalität der politischen Kaste ist – wie sich wieder einmal zeigt- völlig scham- und grenzenlos. Mit beiden Händen wird sich am Steuergeld der Bürgerinnen und Bürger bedient, aber wehe diese fordern, dass ihr Steuergeld für Bildung, Kriminalitätsbekämpfung oder einfach nur für Instandhaltung des Radwegenetzes statt Premiumrouten verwendet wird, dann heißt es unisono, dass kein Geld da ist. Dass ausgerechnet Grüne und Linke, die ja gerne die höhere Moral für sich reklamieren, keinen Funken besser sind, als die sog. Altparteien, von denen sie sich ja nur allzu gerne abgrenzen, spricht Bände über die tatsächliche Moral.
Die zweite Bemerkung bezieht sich darauf, dass, sofern eine sorgfältige juristische Prüfung zu diesem Ergebnis führt, Gleiches auch gleich bewertet werden und die gleichen Konsequenzen haben muss.
Nur weil die eine Senatorin sich mit Minderleistungen hervorgetan und die andere für die Wirtschaft Bremens eher Positives bewirkt hat, kann in diesem Fall nicht mit unterschiedlichem Maß gemessen werden. Fehlverhalten zu Lasten des Steuerzahlers bleibt was es ist. Das festzustellen ist Aufgabe von Staatsanwaltschaft und Gerichten und muss ohne Ansehen der Person erfolgen.
Eins ist auf jeden Fall schon jetzt klar: mit dem Herumaasen von Steuergeldern muss endlich Schluss sein !!!
Im Übrigen würde mich interessieren, welcher Betrag
in eine Rentenversicherung eingezahlt werden müsste, um einen Rentenanspruch wie diese politischen Beamte zu erzielen. Hat jemand einen Rechenschieber zur Hand?
Was bei der Affäre Moosdorf so gar nicht einleuchtet, ist wie Wiebke Winter als studierte Juristin und Oppositionspoliterin (!) die Möglichkeit, auf einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu bestehen, so leichtfertig aufgibt. Was ist das für ein Gerechtigkeitsverständnis??
Oder war der Schaden von fast einer Dreiviertel Million (Gehalt und Übergangsgeld Senatorin und Gehalt und Übergangsgeld Staatsrätin für 2 Jahre) nicht groß genug?
Oder, ist man sich unter Politikern generell bei der eigenen Versorgungsmentalität einig?
Sicherlich wird man unter den Beamten, vor allem auch der Polizei, die ja nach Willen des Koalitionsausschusses zukünftig eine Stunde mehr pro Woche arbeiten sollen, ohne dafür einen Lohnausgleich zu erhalten (eine der vorgeschlagenen drastischen Sparmassnahmen des Koalitionsausschusses für den Haushalt 2026/2027), großes Verständnis für diese Mauscheleien haben.
Wie erklärt man dieses Agieren als Politiker den 25% Bremer Rentnern, die an oder unter der Armutsgrenze leben, oder denen, für die es die Pflegestufe I bald nicht mehr geben soll und versichert, dass man im besten Interesse aller Bürger handelt und vertrauensvoll gewählt werden sollte?
Alle drei Fälle müssen voll umfänglich untersucht werden, denn keiner steht über dem Gesetz! Oder?
Sehr geehrter Herr Detken,
Empörung über politische Fehlentscheidungen oder fragwürdiges Verhalten Einzelner ist verständlich – gerade in einer Demokratie. Aber genau das unterscheidet demokratische Systeme von autoritären: dass Missstände öffentlich angesprochen, überprüft und korrigiert werden können – durch freie Medien, unabhängige Justiz und Wahlen.
Fehler oder fragwürdige Personalentscheidungen sind kein Beweis für das Scheitern der Demokratie, sondern ein Prüfstein dafür, wie belastbar und selbstreinigend sie ist.
Wer pauschal von „Verlogenheit“ oder „Schmarotzern“ spricht, übersieht, dass demokratische Systeme nicht perfekt sind, sondern von der Beteiligung und Bildung aller Bürger leben.
Gerade deshalb ist es wichtig, nicht in Zynismus zu verfallen, sondern sich selbst einzumischen: informieren, diskutieren, wählen, sich engagieren. Demokratie ist kein Selbstbedienungsladen, sondern ein Mitmachprojekt – und sie bleibt nur so stark, wie ihre Bürger sie tragen.
Meine
Sehr geehrter Herr Meine
Journalisten recherchieren oft mit guten Ergebnissen.
Gerüchte, Halbwahrheiten, vom Hörensagen usw. sind oft ihre Grundlage.
Die „Causa‘ Moosdorf mit der von Staatsrat Wiebe/Vogt 1:1 zu vergleichen, ist gefährlich!
Frank Passade von der STA Bremen hat bei Buten und Binnen ausdrücklich davor gewarnt!
vllt haben Sie das gesehen.
die Staatsanwaltschaft steht erst am Anfang ihrer Ermittlungen in der Staatsratsaffäre.
da kann man sich sehr schnell wegen „Falscher Behauptungen“ in Schwierigkeiten bringen!
Ich denke, die bessere Lösung ist, einen UA einzurichten und ersteinmal politisch aufzuklären!
gab es übrigens schon mal in Bremen;
Der Knast Skandal Anfang 2000…
danach musste ein Staatsrat ein Anstaltsleiter. und etliche JVA Beamte ihren Hut nehmen….
Sehr geehrter Herr Teupe,
vielen Dank für Ihre Einschätzung. Sie haben völlig recht, dass strafrechtliche Ermittlungen Sache der Staatsanwaltschaft sind und dass man mit vorschnellen Behauptungen vorsichtig sein sollte. Genau deshalb ist es wichtig, klar zwischen strafrechtlicher Schuld und politischer Verantwortung zu unterscheiden. Mir geht es um letzteres.
Frau Vogt steht – unabhängig von einem möglichen strafrechtlichen Verfahren – in der politischen Verantwortung für ihr Handeln und ihre Aussagen. Wenn eine Senatorin gegenüber Parlament und Öffentlichkeit nachweislich falsche Angaben macht, ist das kein Fall für die Justiz, sondern in erster Linie ein politischer Vertrauensbruch.
Politische Ämter beruhen auf Integrität und Glaubwürdigkeit. Wer hier täuscht oder lügt, verliert die notwendige Grundlage für das Amt – selbst dann, wenn strafrechtlich noch nichts bewiesen oder entschieden ist.
Ein Untersuchungsausschuss kann helfen, die Vorgänge umfassend aufzuklären. Aber die politische Bewertung – insbesondere im Hinblick auf persönliche Verantwortung – ist bereits jetzt möglich. Frau Moosdorf hat dies getan. Frau Vogt muss an den selben Maßstäben gemessen werden und es ihr gleich tun.
Mit freundlichen Grüßen
Meine