Bremerhaven benötigt einen Finanz-Aufpasser – Bremen mindestens genau so sehr

30.10.2025 12 Von Axel Schuller

Endlich geht’s zur Sache. Der Bremer Senat will der vermeintlich „freiesten“ deutschen Stadt – Bremerhaven – im Ernstfall einen Sparkommissar ins „Stadthaus“ setzen. Die Seestädter lehnen dies ab. Martin Günthner (49), Bremerhavener Sozialdezernent, und Chef des SPD-Unterbezirks Bremerhaven, hält dagegen. Mit guten Argumenten. Eines davon: Die Bremer Landesregierung stopfe immer wieder Haushaltslöcher der Stadt Bremen, was ungerecht, aber zugleich klar sei: Immerhin ist Finanzsenator Björn Fecker (Grüne) für beide Kassen zuständig: für die des Landes und der Stadt.  

Martin Günthner ist politisch kein Leichtgewicht. Von 2010 bis 2019 gehörte er der Landesregierung als Wirtschaftssenator an. Der Sozialdemokrat wird von manchen sogar als Nachfolger von Oberbürgermeister Melf Grantz „gehandelt“ – wobei er nicht gerade als Meister im Sammeln von Fleißkärtchen gilt. Günthner ist gelernter PR-Mann, bedeutet: Er weiß die Klaviatur der Wörter zu bedienen. Zum „Doppel“-Kassenwart Fecker prägte er jetzt den wunderbaren Satz: 

„Im  Bus kontrolliert sich der Schwarzfahrer ja auch nicht selbst.“

Die Fakten: Bremerhaven ist noch schlimmer von der Arbeitslosigkeit gebeutelt als Bremen. 14,1 Prozent gegenüber  11 Prozent in der Hansestadt. Bremerhaven gibt deshalb noch mehr Geld für Soziales aus. Aber, Bremerhaven hat seine Personalausgaben auf mittlerweile rund 40 Prozent des Etats von fast einer Milliarde Euro allein für Beamte, Angestellte und Arbeiter hochgetrieben.

Man kann auch sagen: Die Stadt lebt seit Jahren über ihre Verhältnisse.

Die ehemalige Grüne Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) hatte ein Einsehen mit den Nöten der Seestadt, bereitete ab 2018 die komplette Entschuldung (1,7 Milliarden Euro) der Seestadt vor, die zum 1.1.2020 wirksam wurde. Seitdem wächst jedoch ein erneut ein Schuldenberg.

Ein Sparkommissar wäre also durchaus angebracht. 

Aber: Der Bremer Senat ist für diese Rolle denkbar schlecht geeignet. Das Land hat bundesweit die höchste Verschuldung aller 16 Bundesländer – 23,8 Milliarden Euro. Macht 34.000 Euro pro Nase.

Auch Bremen lebt über seine Verhältnisse. Haushaltslöcher werden immer wieder mit neuen Schulden gestopft. Ohne die 925 Millionen Euro aus dem Länderfinanzausgleich (LFA) und Sonderhilfen des Bundes in Höhe von rund 400 Millionen Euro pro Jahr ginge an der Weser nichts.

Böse Menschen (nicht nur ich) meinen schon länger, dass die Bundesregierung endlich einen Sparkommissar ins Bremer Rathaus schicken sollte, um den zu breiten Geldfluss aus der Bremer Staatskasse einzudämmen. 

Bremen gilt in der öffentlichen Aufzählung der 16 Bundesländer  stets als „Stadtstaat“ – so wie Berlin und Hamburg. Das ist aber nicht korrekt. Das Land Bremen besteht aus zwei Städten – und zur großen Verwunderung von Auswärtigen liegt zwischen diesen beiden Städten Niedersachsen. Die britischen Besatzer waren für den gesamten Nordwesten zuständig. Nur nicht für Bremerhaven. Diese Enklave beanspruchten die Amerikaner für sich. Grund: Sie nutzten den Hafen für ihren Nachschub im Süden. Bremens Nachkriegs-Bürgermeister Wilhelm Kaisen überzeugte die Amis, dass die seit 1646 „Freie Reichsstadt“ Bremen zusammen mit Bremerhaven ein eigenständiges Bundesland bilden müssten. (Bremen hatte Bremerhaven 1827 nach dem Geländekauf von Hannover gegründet, um über einen versandungsfreien Hafen zu verfügen). Niedersachsen „bot“ nach dem Zweiten Weltkrieg zwar immer wieder an, Bremen und Bremerhaven „aufzunehmen“. Kaisen wehrte dies aber erfolgreich ab.

Fazit: Bremen wurde nur dank der US-Amerikaner und der Existenz der Stadt Bremerhaven 1947 ein Bundesland. Seitdem versteht sich Bremerhaven nicht mehr als „Tochter-„, sondern als „Schwesterstadt“. Mit Auswirkung aufs Selbstbewusstsein.

Und heute? Angesichts von 16 Landesregierungen und 16 Parlamenten kann man allerdings der Idee etwas abgewinnen, dass ein Nordstaat (HH, HB, NS, McPo und SWH) sinnvoller wäre.

Was den Bremern nach dem Zweiten Weltkrieg extrem wichtig war: Sie wollten den Zugriff auf und die Einnahmen aus den in Bremerhaven gelegenen Häfen haben. Deshalb befinden sich die Gewinn-bringenden Häfen (Container-Terminal, Autoumschlag etc.) in Bremerhaven heute noch auf „stadtbremischem“ Gebiet. Man nennt sie „stadtbremische Häfen“.

Dieser Dorn sitzt den Bremerhavenern tief im „Fleisch“. Die Seestädter sorgen für Umschlag und Geld, doch den Nutzen hat der bremische Finanzsenator. Selbst die in den stadt- und landesbremischen Häfen (Fischereihafen) anfallende Gewerbesteuer landet in der Bremer Kasse. Bevor die Bremerhavener jetzt mental abheben, muss man ergänzen: Die Investitionen in die teuren (Bremerhavener) Häfen fließen aus Bremer Kassen.

In Hamburg und Berlin gibt es solche Differenzierungen nicht. Dort existieren Bezirke mit allerlei Selbstverwaltungsrechten (wie in Bremen die Ortsämter), aber die Senate von Hamburg und Berlin entscheiden übers Wesentliche.

Und in Bremen? Hier besteht der „Stadtstaat“ – wie gesagt – aus den Städten Bremen und Bremerhaven, ist also ein Zwei-Städte-Staat. Mit teuren Folgen. Bremerhaven hat eine eigene Regierung (Magistrat) und eine eigenes Parlament (Stadtverordnetenversammlung). Die Stadtverordneten werden – wie die Bremer Abgeordneten für die „Stadtbürgerschaft“ – von den Bürgerinnen und Bürgern der jeweiligen Stadt gewählt. 

Bremerhaven fühlt sich als die freieste Gemeinde, stellt beispielsweise eigene Polizisten und Lehrer ein.

In anderen Ländern undenkbar. In Hessen, Bayern und überall sind Lehrer, Polizisten etc. „Landesbeamte“. Mit der Folge, dass die – wo sie gerade benötigt werden –  auch in unterschiedlichen  Städten der Länder eingesetzt werden können. 

Weiter in der kleinen Landeskunde:

Für beide Städte gemeinsam gibt es die „Bremische Bürgerschaft – Landtag.

In Bremen-Nord hat es der Bremer Senat einfacher. Die „Norder“ verstehen sich mit ihren 100.000 Einwohnern zwar ähnlich selbstständig wie die Bremerhavener (120.000 Einwohner), sind aber eine Stadt in der Stadt. In Bremen-Nord gibt es jedoch keine Stadtverordnetenversammlung, sondern bloß drei Ortsamtsbezirke (Blumenthal, Vegesack und Burglesum). Und die sprechen selten mit einer Zunge. 

Schön für den Senat.

Die Konstruktion des Landes Bremen führt dazu, dass der Finanzsenator, die Sozialsenatorin  oder auch der Bürgermeister sowohl für die Stadtgemeinde Bremen als auch für das Land Bremen zuständig sind.

Ein klassischer Verwaltungsaufbau wie in Flächenländern – Kommunal- und Landesverwaltung, wobei das Land die Städte „kontrolliert“ – existiert in dieser Form in Bremen nicht.

Bitter für Bremens Senatsmitglieder: Sie erfüllen – geschätzt – zu 80 bis 90 Prozent die Aufgaben städtischer Dezernenten. Nur 10 bis 20 Prozent sind Arbeiten eines Landesministers. Erfreulich für die Senatoren: Sie sind wie alle deutschen Landesminister in der Besoldungsgruppe B 11 eingruppiert (Grundgehalt: 15.470 Euro). 

Bremerhavens SPD-Chef Martin Günthner hat mit seiner Klage recht, dass der (Landes-)Senat „seiner“ Hansestadt Bremen immer wieder aus der finanziellen Patsche hilft. Erinnert sei nur an die dreistelligen Millionen-Beträge für die Bremer Straßenbahn AG oder an die GesundheitNord mit ihren vier Kliniken in der Stadt Bremen. Die haben „Bremen“ in den vergangenen Jahren locker eine Milliarde Euro gekostet – in Form von direkten Zuschüssen, Verlustausgleichen und Krediten.

Liebe Leserschaft, ich hoffe, dass Ihnen dieser kleine Ausflug in die Bremer Landeskunde zu einem Stück Erkenntnisgewinn verholfen hat.

Fazit: Bremerhaven muss zwar dringend an die Kandare genommen werden. Bremen aber auch.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Fürs Wochenende kündige ich Ihnen schon einmal ein Stück im Blog an, das – auch – für Schenkelklopfer sorgen dürfte. Wobei das Lachen aber auch durchaus im Halse stecken bleiben könnte…